The Project Gutenberg eBook, Der Mann im Mond, by Wilhelm Hauff This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Der Mann im Mond Author: Wilhelm Hauff Release Date: September 13, 2004 [eBook #13451] Language: German Character set encoding: ISO-646-US (US-ASCII) ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN IM MOND*** E-text prepared by Delphine Lettau, Jan Coburn, Charles Franks, and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team DER MANN IM MOND oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme Nebst der Kontrovers-Predigt ueber H. Clauren und den Mann im Mond von WILHELM HAUFF INHALT. ERSTER TEIL. Der Ball Ida Schoene Augen Der Fremde Die Kirche Das Souper Das Urteil der Welt Der Kotillon Die Beichte Das Dejeuner Der Brief Operationsplan Die Mondwirtin Der polnische Gardist Der Hofrat auf der Lauer Der selige Graf Gute Nachricht Der lange Tag Der Tee Das Staendchen Die Freilinger Feindliche Minen Geheime Liebe Emils Kummer Der selige Berner Entdeckung ZWEITER TEIL. Die Heilung Neue Entdeckung Das _Tete-a-tete_ Das Unkraut im Weizen Das Unkraut waechst Truebe Augen Die Graefin agiert Eifersucht Der neue Nachbar Trau--schau--wem? Der Gram der Liebe Feine Nasen Der Herr Inkognito Emil auf der Folter Der Rittmeister Unschuld und Mut Noch einmal zieht er vor des Liebchens Haus Das Duell Fingerzeig des Schicksals Licht in der Finsternis Reue und Liebe Versoehnte Liebe Die Freiwerber Fortsetzung der Freier Die Soiree Die Braut Praeliminarien Zuruestungen Hochzeit Der Schmaus Schluss Nachschrift Kontrovers-Predigt ERSTER TEIL. DER BALL. UEber Freilingen lag eine kalte, stuermische Novembernacht; der Wind rumorte durch die Strassen, als sei er allein hier Herr und Meister und eine loebliche Polizeiinspektion habe nichts ueber den Strassenlaerm zu sagen. Dicke Tropfen schlugen an die Jalousien und mahnten die Freilinger, hinter den warmen Ofen sich zu setzen waehrend des Hoellenwetters, das draussen umzog. Nichtsdestoweniger war es sehr lebhaft auf den Strassen; Wagen von allen Ecken und Enden der Stadt rollten dem Marktplatz zu, aus welchem das Museum, von oben bis unten erleuchtet, sich ausdehnte. Es war Ball dort, als am Namensfest des Koenigs, das die Freilinger, wie sie sagten, aus purer Gewissenhaftigkeit nie ungefeiert vorbeiliessen. Morgens waren die Milizen ausgerueckt, hatten praechtige Kirchenparade gehalten und kuemmerten sich in ihrem Patriotismus wenig darum, dass die Dragoner, welche als Garnison hier lagen, sie laut genug bekrittelten. Mittags war herrliches Diner gewesen, an welchem jedoch nur die Herren Anteil genommen und solange getrunken und getollt hatten, bis sie kaum mehr mit dem Umkleiden zum Ball fertig geworden waren. Auf Schlag sieben Uhr aber war der Ball bestellt, dem die Freilinger Schoenen und Nichtschoenen schon seit sechs Wochen entgegengeseufzt hatten. Schoen konnte er diesmal werden, dieser Ball; hatte ihn doch Hofrat Berner arrangiert, und das musste man ihm lassen, so viele Eigenheiten er sonst auch haben mochte: einen guten Ball zu veranstalten, verstand er aus dem Fundament. Die Wagen hatten nach und nach alle ihre koestlichen Waren entladen; die Damen hatten sich aus den neidischen Huellen der Pelzmaentel und Schals herausgeschaelt und sassen jetzt in langen Reihen, alle in unchristlichem Wichs, an den Waenden hinauf. Es war der erste Ball in dieser Saison. Der Landadel hatte sich in die Stadt gezogen, Kranke und Gesunde waren aus den Baedern zurueckgekehrt; es liess sich also erwarten, dass das Neueste, was man ueberall an Haarputz und Kleidern bemerkt und in feinem, aufmerksamem Herzen bewahrt hatte, an diesem Abend zur Schau gestellt werden wuerde. Daher fuellte die erste halbe Stunde eine Musterung der Coiffueren und Girlanden, und das Bebbern und Wispern der rastlos gehenden Maeulchen schnurrte betaeubend durch den Saal. Endlich aber hatte man sich satt geaergert und bewundert und fragte ueberall, warum der Hofrat Berner das Zeichen zum Anfang noch nicht geben wolle. Das hatte aber seine ganz eigenen Gruende; man sah ihm wohl die Unruhe an; aber niemand wusste, warum er, ganz gegen seine Gewohnheit, unruhig hin- und herlaufe, bald hinaus auf die Treppe, bald herein ans Fenster renne. Sonst war er Punkt fuenf Uhr mit seinem Arrangement fertig gewesen und hatte dann ruhig und besonnen den Ball eroeffnet; aber heute schien ein sonderbarer Zappel das freundliche Maennchen ueberfallen zu haben. Nur _er_ wusste, warum alles warten musste; keinem Menschen, soviel man ihn auch mit Schmeichelwoertchen und schoenen Redensarten bombardierte, vertraute er ein Sterbenswoertchen davon; er laechelte nur still und geheimnisvoll vor sich hin und liess nur hie und da ein "werdet schon sehen"--"man kann nicht wissen, was kommt" fallen. Wir wissen es uebrigens und koennen reinen Wein darueber einschaenken: Praesidents Ida war vor wenigen Stunden aus der Pension zurueckgekommen; er, der alte Hausfreund, war zufaellig dort, als sie ankam; er hatte nicht eher geruht, bis sie versprochen hatte, das ganze Haus in Alarm zu setzen, das Blondenkleid, in welchem sie bei Hofe war praesentiert worden, ausbuegeln zu lassen und auf den Ball zu kommen. Wie spitzte er sich auf die langen Gesichter der Damen, auf die freundlichen Blicke der Herren, wenn er die wunderschoene Dame in den Saal fuehren wuerde; denn _kennen_ konnte sie im ersten Augenblicke _niemand_. Wo hatte nur das Maedchen die Zeit hergenommen, so recht eigentlich bildhuebsch zu werden? Als sie vor drei Jahren abreiste, wie besorglich schaute da der gute Hofrat dem Wagen nach! Er hatte sie auf dem Arm gehabt, als sie kaum geboren war; bis zu ihrem vierzehnten Jahre hatte er sie alle Tage gesehen, hatte sie frueher auf dem Knie reiten lassen, hatte sie nachher, trotz dem Schmollen der Praesidentin, zu allen tollen Streichen angefuehrt. Er liebte sie wie sein eigenes Kind; aber er musste sich vor drei Jahren doch gestehen, dass ihm angst und bange sei, was aus dem wilden Ding werden solle, das man da in die Residenz fuehre, um sie menschlich zu machen. Denn wollte man ein Maedchen sehen, das zur Jungfrau und fuers Haus voellig verdorben schien, so war es Praesidents Wildfang; einen solchen Unband traf man auf zwanzig Meilen nicht. Kein Graben war ihr zu breit, kein Baum zu hoch, kein Zaun zu spitzig; sie sprang, sie klimmte, sie schleuderte trotz dem wildesten Jungen; hatte sie doch selbst einmal heimlich ihren Damensattel auf den wilden Renner ihres Bruders, des Leutnants, gebunden und war durch die Stadt gejagt, als sollte sie Feuer reiten! Dabei war sie mager und unscheinbar, scheute vor jeder weiblichen Arbeit, und der einzige Trost der gnaedigen Mama war, dass sie Franzoesisch plappere wie ein Staerchen und dass, trotz ihrem Umherrennen in der Maerzsonne, ihr Teint dennoch trefflich erhalten sei. Aber jetzt--! Nein, was war mit diesem Maedchen in den kurzen drei Jahren eine Veraenderung vorgegangen! Wenigstens um einen Kopf war sie gewachsen, alles an ihr hatte eine Rundung, eine zarte Fuelle bekommen, die man sonst nicht fuer moeglich gehalten haette; das Haar, das sonst, wie oft man es auch kaemmte und an den Kopf hinsalbte, der wilden Hummel in unordentlichen Straengen und Locken um den Kopf flog, war jetzt der herrlichste Kopfputz, den man sich denken konnte. Die Augen waren glaenzender, und doch fuhren sie nicht, wie ehemals, wie ein Feuerraedchen umher, alles anzuzuenden drohend. Die Wangen bedeckte ein feines Rot, das bei jedem Atemzug in alle Schattierungen von zartem Rosa bis ins Purpurrot wechselte; das liebe Gesichtchen war oval und hatte eine Wuerde bekommen, ueber die der staunende Hofrat laecheln musste, so sehr er sie bewunderte. Dieses Goetterkind, diesen Ausbund von Liebenswuerdigkeit, erwartete der Hofrat; dem guten alten Junggesellen pochte das Herz beinahe hoerbar, wenn er an sein Gold-Idchen dachte. Wie musste sie erst im Ballkleide aussehen, wenn sie ihn in dem Reiseueberroeckchen und in der Haube _a la jolie femme_ beinahe naerrisch machte; wie musste sie erst strahlen, wenn sie, wie sie ihm versprochen, die Haare nach dem allernagelfunkelneuesten Geschmack, die schoene Stirne und den schlanken Hals, die wie aus Wachs geformten Partien, welche die handbreiten Bruesseler Kanten umziehen sollten, mit dem Amethystschmuck schmueckte, den sie von ihrer Pate, der Fuerstin Romanow, geschenkt bekommen hatte. Ihm, ihm hatte sie mit all jener Herzlichkeit, mit der sie frueher versprochen, einen Spaziergang mit ihm zu machen oder ihn, den Einsamen, zu besuchen, wenn er krank war, jetzt als Koenigin des Festes die erste Polonaese zugesagt.-- Immer verdriesslicher wurden die Damen, immer ungestuemer mahnten die Herren den alten _Maitre de plaisir_; schon seit einer halben Stunde stimmten die Musikanten, dass man vor dem Quieken der Klarinette, vor dem Brummen der Baesse sein eigenes Wort nicht hoerte, --er gab nicht nach. Da rasselte ein Wagen ueber den Marktplatz her und hielt vor dem Fluegeltor des Museums. "Das sind sie," murmelte der Hofrat und stuerzte zum Saal hinaus; bald darauf oeffneten sich die Fluegeltueren, und der kleine freundliche Alte schritt am Arm einer jungen Dame in den Saal. * * * * * IDA. Aller Augen waffneten sich mit Lorgnetten und Brillen. Wer konnte das wunderschoene Maedchen sein, so hoch und schlank mit dem koeniglichen Anstand, mit dem siegenden Blicke, mit der kraeftigen Frische des jugendlichen Koerpers? Sie nickte so bekannt nach allen Seiten, als kaeme sie alle Tage auf Freilinger Baelle und Assembleen; und doch kannte sie niemand. Doch ja! Da kommt ja auch der alte Praesident, wahrhaftig! Es kann niemand anders sein als Praesidents Ida! Aber wie herrlich war dieses Knoespchen aufgegangen! "Welcher Anstand!" bemerkten die Herren. "Welche Figur! Welcher Nacken! Wahrhaftig, man moechte ein Mueckchen oder noch etwas Wenigeres sein, nur um darauf spazieren zu gehen." "Welcher Schmuck, welche Spitzen, welche Stickerei an dem Kleid!" bemerkten die Damen und wuenschten sich weit weg; denn wie sollten sie ihre Faehnchen, die sie doch ihr gutes Geld gekostet, ihre Blumen, die sie selbst gemacht und fuer wundervoll gehalten hatten, neben diesen italienischen Rosen und Astern, die eben erst aus den Gaerten der Hesperiden gepflueckt zu sein schienen, neben diesen Kanten sehen lassen, von welchen die Elle vielleicht mehr wert war als eines ihrer Ballkleider, nebst Schneiderskonto und Fasson! Nein, Berner, der arge Berner, haette ihnen keinen schlimmern Streich spielen koennen, als diese Ida gerade heute einzufuehren. Aber man musste sich Gewalt antun; der Praesident machte das erste Haus in der Stadt, war der gewaltige Herrscher der Provinz, eine glaenzende Aussicht auf _Thes dansants_, Soupers, Hausbaelle und dergleichen eroeffnete sich vor den schnell berechnenden Blicken der Damen; wehe _der_, die dann nicht mit Ida bekannt war oder sie sogar kalt empfangen hatte! Man wusste, dass dies der Herr Papa Praesident nie verzeihen wuerde; man nahm sich zusammen, und in kurzem war die Gefeierte von allen jungen und alten Damen umringt, welche Glueck wuenschten, alte Bekanntschaft erneuerten und nebenbei dies und jenes von dem hoffaehigen Anzug spickten. Alle redeten zumal, keine wurde verstanden, und die Herren fluchten und schimpften ein Donnerwetter ueber das andere, dass sich eine so dichte Wolke vor diese kaum aufgegangene Sonne gedraengt und sie ihrem Anblick entzogen habe. Jetzt zog Hofrat Berner das weisse Sacktuch, schwenkte es in der Luft und gab dem Kapellmeister und Stabstrompeter der Dragoner das Zeichen, und eine herrliche Polonaese begann. Im Nu stoben die Glueckwuenschenden auseinander und machten Raum fuer die Assessoren, Leutnants, Sekretaere, jungen Kaufherren, Jagdjunker, die gluecklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, eine Ekossaese oder gar den Kotillon mit Ida die Haelse brechen wollten. Sie aber lachte, dass die Schneeperlen der Zaehne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, huepfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand. Selig, geruehrt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskinde an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Toenen der Polonaese stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer, das von vorn, von den Flanken, ueberallher aus den Muendungen der Lorgnetten auf seine Taenzerin spruehte. Aber diese,--war sie kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kuerassierpanzer von feinstem Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartaetschenfeuer marschierte? Ich weiss nicht; aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrueche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hoeren; das Plappermaeulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre juenger, mit dem guten Hofraetchen im Wald spazieren. Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Suiten des kleinen Uebermuts aufs Tapet. Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einem Spanferkel Kindszeug angezogen und es dem Hofrat als Findling vor die Tuere gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, dass sie aussahen wie der Ruecken eines Stachelschweines, alles, ohne dass er es merkte; denn er trug _falsche_. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen. Es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie frueher und doch so wunderherrlich, so gross, mit so unendlich viel Anstand und Wuerde! Er haette sie auf der Stelle am Kopf nehmen und recht abkuessen moegen wie frueher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte. Es ging ueber seine Begriffe! "Wie koennen Sie nur so hartherzig sein, Idchen," sagte er, "und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick fuer alle diese Exklamationen und Beteuerungen, welche Sie doch gehoert haben muessen?" "Was gehen mich Ihre jungen Herren an?" plapperte sie mit der groessten Ruhe fort. "Die sind hier wie ueberall, unverschaemt wie die Fleischmuecken im Sommer. Das koennte kein Pferd aushalten, wollte man darauf achten. Sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel. Wenn man aber sieht, wie sie dieser und jener dasselbe zufluestern, vor der Ursel ebenso wie vor der Baerbel sterben moechten, so weiss man schon, was solche schnackische Redensarten zu bedeuten haben." Die muss eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat. Siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts dir nichts von der Farbe, als waere sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London umhergefahren! Er aergerte sich halb und halb ueber Mamsell Neunmalklug und Uebergescheit; denn es waren just keine unebenen jungen Maenner, die ihre Seufzer so hageldick losgelassen hatten, und ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amuerchen gehabt hatte, konnte nichts mehr aergern als ein fuehlloses Herz. Aber dieser Aerger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen. Wenn er in ihr volles, gluehendes Auge sah, wenn er den suessgewoelbten Mund betrachtete, da dachte er: Nein, dir traue dieser und jener, aber ich nicht! Weiss ich doch von frueher her, wie du gerne Flausen machst und dem guten, ehrlichen Berner gerne ein X fuer ein U unterschiebst. Jetzt willst du dein Schach verdeckt spielen und mir irgendeinen blauen Dunst vorschwefeln, und das Herzchen ist am Ende doch in der Residenz geblieben, und Fraeulein Stahlherz ist nur darum so sproede gegen die Freilinger Stadtkinder. Aber basta! der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt und wettet seinen Kopf: dieses Auge weiss, was Liebe ist, diese frischen Purpurlippen haben schon gekuesst, aber anders als nur solche Hofratskuesse! Der gute Alte aeusserte etwas von diesen Gedanken gegen Ida; sie aber sah ihm ganz ruhig ins Gesicht und versicherte laechelnd: gefallen habe ihr schon mancher, geliebt habe sie aber bis diese Stunde noch keinen Mann als ihren Vater und ihn. * * * * * SCHOENE AUGEN. "Aber sagen Sie, Idchen," fragte der Hofrat, als er sie wieder an ihren Platz gefuehrt hatte, "ist das etwa ein Cousin oder dergleichen, der da mit Ihnen kam?" "Ich kam mit Papa," antwortete die Gefragte, "und sonst war niemand dabei. Wen meinen Sie denn?" "Nun, der Bleiche dort kam ja doch wohl mit Ihnen; es kennt ihn niemand im Saal, und mit Ihnen trat er herein, sonst muesste er ja--Sie wissen, dass das Museum geschlossene Gesellschaft ist--sonst muesste er ja eingefuehrt sein. Sehen Sie, der dort!" Er zeigte hin. An eine Saeule gelehnt, stand unbeweglich mit uebergeschlagenen Armen eine schlanke Gestalt. Noch konnte Ida das Gesicht nicht sehen, nur die glaenzenden schwarzen Locken des Haares fielen ihr auf; sie wollte sich eben besinnen, wo sie schon solche gesehen habe, da wandte jener sich um, und unwillkuerlich schrak Ida zusammen. Gespensterhafte Blaesse lag auf diesem feinen, schoenen Gesicht, geheimer Gram oder verschlossenes Kaempfen mit finsterem Leiden schien das muntere, jugendliche Leben aus diesen tiefen, im schoensten Ebenmass geformten Zuegen hinweggewischt zu haben, und ein gemischtes Gefuehl draengte sich bei seinem Anblick auf, neugieriges Mitleid schien sich mit zweifelhafter Furcht streiten zu wollen. Kaum hatte des Fremden gluehendschwarzes Auge Ida getroffen, als sie ihren Blick abwandte. Ueberraschung und Verlegenheit machten sie stumm auf einige Augenblicke; von dem Diadem auf der schoenen Stirne, ueber den Liliensamt der bluehenden Wange bis herab auf den jungfraeulichen Alabasterbusen flog ein brennendes Rot, das der Hofrat nicht unbemerkt liess. Er wollte sie eben mit dem pfiffigsten Gesicht nach der Ursache ihres Rotwerdens fragen; aber eine Unzahl Herren draengte sich zu, um sie um einen Tanz zu bitten; Vettern und Basen freuten sich, sie wiederzusehen, und gafften das Wunderkind an. Der Hofrat aber, welchem daran lag, die Spur, die er aufgefunden zu haben meinte, zu verfolgen, machte seine Bewegungen wie ein geuebter Feldherr; er fragte sie so laut als moeglich, ob es ihr jetzt, wie sie gewuenscht, gefaellig sei, zu ihrem Herrn Vater zu gehen, der im dritten Zimmer sich zu einem Whistchen gesetzt habe, und Pfiffkoepfchen verstand gleich, wo der gute Alte hinaus wollte; sie beurlaubte sich also mit grosser Hast von dem ungeheuern Kometenschweif, in welchem sie als Kern gesessen, und ging mit Berner durch den Saal. Und jetzt nahm sie Berner ins Gebet; zuerst setzte er die Daumenschrauben des Spottes an, dann untersuchte er die vermeintliche Herzenswunde seines Gold-Idchens mit der langen Sonde des vaeterlichen Ernstes, indem er ihr vorwarf, sehr unklug getan zu haben, ihre Residenzliebhaber mit nach Freilingen zu nehmen. Sie aber lachte dem Ratgeber, welcher meinte, seine Sache recht gut gemacht und sie ganz im Netz zu haben, ins Gesicht und witschte ihm aus. "Sie geben sich vergeblich Muehe, Hofraetchen," kicherte das lose Ding, "ganz vergebliche Muehe; ich habe diesen Menschen in meinem ganzen Leben, auf Ehre, noch nie gesprochen; doch gesehen"--setzte sie ernster werdend hinzu--"gesehen habe ich ihn, und deswegen kam ich auch vorhin etwas in Verlegenheit." "Was da! Zwischen sehen und sehen ist ein grosser Unterschied", antwortete Berner mit einem voellig unglaeubigen Kopfschuetteln. "Da muessen Sie ihm doch ein wenig gar scharf in die Augen gesehen haben?" "So hoeren Sie mich doch, Sie boeser Mann!" unterbrach ihn Ida. "Wer wird denn auch gleich auf den Schein hin verdammen? Ich sage noch einmal, ich weiss nicht, wer er ist; aber das innigste Mitleid habe ich mit ihm. Als wir gestern durch den Lanzinger Wald kamen, fuhren wir einer Equipage vor, die ganz langsam im Schritt hinging. Es war ein prachtvoller Landau mit einem grossen Bock, worauf ein alter Diener in reicher Livree sass; am Wagen zogen vier Postpferde; das Dach war zurueckgeschlagen, und es sass niemand darin als ein grosser Hund. Sie wissen, wie man auf der Reise ist, man interessiert sich um die Mitreisenden, besonders wenn man glaubt, auf einerlei Station mit ihnen zu wohnen oder zu speisen. So dachte ich mir jetzt, die Reisenden, denen der Wagen gehoert, seien vorausgegangen und lassen ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserem Wagen, ob ich noch keine reisenden Englaenderinnen oder Franzoesinnen gewahr werden koennte; aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche sass und zu dem Wagen gehoeren musste." "Und war es derselbe, der dort an der Saeule steht?" fragte der Hofrat. "Derselbe; er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag neben ihm im Gras, seinen Kopf stuetzte er in die hohle Hand. Das Geraeusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit gesenktem Haupt bis an unsere Wagentuere. Da richtete er sich auf, und Sie koennen sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das naemliche geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er musste heftig geweint haben; denn Traenen hingen in den langen schwarzen Wimpern und gaben dem gluehendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz eigenen Reiz." "So, so? Einen ganz eigenen Reiz!" antwortete laechelnd der Hofrat. "Wer hat denn meinem Maedchen erlaubt, ueber Maenneraugen Betrachtungen anzustellen? Hat sie das auch bei Madame La Truiaire in der Residenz gelernt?" Das lustige Amorettenkoepfchen, das sich da, es wusste nicht wie, verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: "Legen Sie nicht alles so boes aus, Bernerchen! Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida nicht immer falsch. "Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen eigenen Geschmack. Schoene blaue oder schwarze Augen, mitunter auch recht glaenzendbraune, sehe ich an jedermann gern. Daher sind mir auch alle jungen Herren so zuwider, weil sie selten schoene Augen haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und Gott weiss, durch was sonst, den schoensten Glanz benommen und stieren uns an wie gestochene Boecke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so recht anmutig, sinnig und wie man es gern haben moechte, trifft. Beides sah ich nun an dem Fremden; darum hat er mir auch so ge--" Da hatte sich das schnelle Schnaebelchen schon wieder verplappert! Der Hofrat horchte noch immer; aber Idchen blieb still, biss die Lippen zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter dem Tanzen sich zwischen den Schneehuegeln hinabgeschoben hatte und ganz gluehend heiss geworden war. "Ei, ei!" warnte der Hofrat, "ich habe da in zwei Minuten Dinge gehoert, wovor einem die Haut schaudern koennte; nimm dich um Gottes willen in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst! Ich weiss es aus meiner Jugend, dass in gewissen Augen Haekchen sitzen, die uns, wenn man allzu tief schaut, festhalten, dass an kein Entrinnen zu denken ist. Hast du nie etwas von der Augensprache gehoert?" "Doch," entgegnete der kleine Uebermut; "ich glaube sie auch zur Not zu verstehen."-- "Ist gar nicht vonnoeten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum Mississippi, vom Don bis zum Ohio; lerne aber nie mehr als etwas kauderwelsch parlieren! Denn wer sich so gar gelaeufig ausdrueckt und mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht fuer eine Erzgeneralkokette." "Nun, fuer eine solche werden Sie mich doch nicht halten?" sagte Ida etwas empfindlich. "Dazu kenne ich mein suesses Maedchen zu gut," entgegnete der Hofrat traulich und drueckte ihr das weiche Samthaendchen; "was aber den bleichen Patron dort drueben betrifft, so kann er ueber allerlei geweint haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester oder gar sein Maedchen verloren haben." "Mei--nen Sie?" antwortete Ida gedehnt und unmutig. "Doch nein, da wuerde er ja nicht auf den Ball gehen," setzte sie freudig hinzu; "da wuerde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen." "Oder," fuhr jener fort, "es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus, und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen." "Nicht doch," fiel sie ein, "wie moegen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus als alle unsere Assessoren, Leutnants und so weiter zusammen? Und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!" "Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert! Das Maeulchen geht ja, als sollte es einen Prozess vor den Assisen fuehren! UEbrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindraengen, auf den Zahn zu fuehlen." "Nun ja, tun Sie das, liebes Hofraetchen; aber ja recht artig und delikat," setzte das erroetende Maedchen mit den suessesten Schmeichelworten hinzu; "wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muss unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!" * * * * * DER FREMDE. Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und, an seine Saeule gelehnt, so wenig Interesse an dem glaenzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurueck. "Wer ist es? Wie heisst er?" fragten zehn, zwanzig zumal. "Was hat er gesprochen?" "Nichts hat er gesprochen," antwortete Berner, "sondern mir nur diese Karte gegeben." Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen als ein schoen gestochenes Wappen und der Name Emile, Comte de Martiniz. "Ein Graf also?" Die Neugierde war nur halb gestillt; die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Baellen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschuettelnd umher; sie haetten gar zu gerne gewusst, woher er komme, wohin er gehe, warum er nicht tanze. Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten; doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, dass er in des Fremden Seele fuehlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein muesse, gab das Zeichen, und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen, rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze. Walzer um Walzer waren getanzt; noch immer stand die fremde gebietende Gestalt unbeweglich an die Saeule gelehnt. Es war, als haette er sich nur in Schwarz und Weiss geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine glaenzende Tuch seines Kleides; das blendend bleiche Gesicht, wunderschoene Waesche, welche durch ihre Weisse, durch ihre zierlichen Faeltchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einfloesste, kontraktierten sonderbar mit jener dunkeln Farbe; nur die feinen Lippen schmueckte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewuehl hineinzustarren; aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigne Auge ueberrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser spruehenden Glut niederzuschlagen. Wie es aber zu gehen pflegt, die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich ueber ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, dass man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften oefter nach jener Saeule hinueber; ein Blick zu ihm schien sie fuer das Geschwaetz der Freilinger Stutzer, die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschaedigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite; denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, dass die Musik so laut war; denn sie meinte in solchen Momenten, man muesse ihr siedendes, gluehendes Blut an ihr Herzchen pochen hoeren. Waren es die Traenen, die sie gestern in diesen dunklen Wimpern sah, war es der wehmuetige Ernst auf seinem Gesicht, was sie so ruehrte? Hatte der Hofrat recht mit den Haekchen, die in gewissen Augen sitzen, und hatte sie zu tiefe Beobachtung angestellt und war geangelt worden und gef-- Nein! laechelte sie schelmisch vor sich hin, gefangen? Da hat es keine Not! Es ist ja nur das natuerliche Mitleiden, was mich immer nach ihm hinsehen heisst. Elf Uhr war vorueber; es sollte noch eine Ekossaise vor dem Souper getanzt werden. Stuermisch draengten sich die Herren um das Wunderkind; aber Trotzkoepfchen Ida blieb fest dabei, diesmal auszusetzen, und liess die Herren ablaufen. Der Hofrat setzte sich zu ihr, und unwillkuerlich waren sie wieder mitten im Gespraech ueber den Fremden. "Ach, sehen Sie nur," sagte Ida mit der himmlischen Gutmuetigkeit ihres Engelkoepfchens, "sehen Sie nur, ich meine, er wird zusehends immer blaesser; wenn er nur nicht krank wird." Der Hofrat fand ihre Bemerkung richtig, er zeigte ihr aber, wie dieser feste, heldenmaessige Koerper nicht so leicht von einem Krankheitsanfall gestoert werden koenne; aber Ida wurde immer unruhiger, sie sah, wie Martiniz die Lippen zusammenpresste, als wolle er einen Schmerz verbeissen; der Ernst in seinem Gesicht wurde nach und nach zur Trauer, das Wehmuetige, der traenenschwere Truebsinn in seinem Auge wurde immer unverkennbarer. "O Gott, sehen Sie ihn nur an, guter Berner, ist mir doch, als sollte ich zu ihm gehen und fragen: Was fehlt dir, dass du nicht froehlich bist mit den Froehlichen? Wie gern wollte ich alles tun, dir zu helfen."-- Der Mensch denkt's, Gott lenkt's!!! Auch der Hofrat wurde jetzt unruhig; denn mit einem Ruck hatte sich der bleiche Fremde aufgerafft und stand nun in seiner ganzen Groesse, in gebietender und doch grazioeser Haltung da; aber sein Auge heftete sich furchtbar starrend nach der Saaltuere. Berner wollte eben aufstehen und zu ihm hin-- Da oeffnete sich die Tuer, ein alter, reichgekleideter Bedienter, derselbe, welchen Ida gestern gesehen, trat ein, ging auf den Fremden zu und neigte sich schweigend vor ihm. Dieser riss eine Uhr heraus, warf einen Blick auf sie und einen zweiten voll Wehmut auf Ida herueber und verliess langsamen Schrittes den Saal. Ehe noch der Hofrat seiner Nachbarin seine Vermutungen ueber diesen sonderbaren Abzug mitteilen konnte, war die Ekossaise zu Ende. Der Praesident kam und fuehrte sein liebes, holdes, wunderherziges Toechterchen zur Tafel. * * * * * DIE KIRCHE. Der alte Kuester am Muenster zu Freilingen sass in dieser Nacht nach seiner Gewohnheit noch lange in seinem kleinen Stuebchen; der Abendsegen war schon vor einer Stunde seiner Ehehaelfte vorgelesen, er hatte sich jetzt hinter die alte Chronik gesetzt und las mit brummender Stimme halblaut vor sich hin, wie man den herrlichen, vierhundert Schuh hohen Muensterturm erbaut und wie solches viel Zeit und Geld gekostet habe. Eben wollte die Alte den weiss- und blaugestreiften Umhang der zweischlaefrigen Himmelbettlade auseinanderschlagen, um ihren Ehezaerter zu ermahnen, sein gewohntes Lager zu suchen, als man stark an den Fensterladen des niedern Parterrestuebchens pochte. "Macht auf, Meister Kuester! Seid so gut und macht auf!" rief eine tiefe, aber bescheidene Stimme draussen. "Wird wohl ein Bote von einem Kranken sein," naeselte der Kuester, "der die Sakramente noch will." Er legte die Brille ins Chronikbuch, dass die Stelle nicht verblaettere; denn er hatte von dem Kalk gelesen, den man mit Wein angemacht habe, und hatte dabei unmutig an das Duennbier gedacht, das seine Ursula ihm, einem Nachkommen dieser Weinmaurer, tagtaeglich vorsetzte. Draussen schob er die maechtigen Schloesser und Riegel der Haustuer auf, und herein trat ein kleiner aeltlicher Mann in reichbordiertem Bedientenrock. "Was soll's so spaet?" fragte der Kuester. "Kamerad," antwortete der Bediente, indem er den Kuester aus dem kalten Hausgang in die waermere Stube hineinzog, "Kamerad, wollt Ihr mir und noch jemand einen Liebesdienst erweisen?" Zugleich legte er einen blanken, harten Taler auf den Tisch. Der Kuester wog den Taler in der Hand, liess ihn wieder auf den Tisch fallen, dass es einen wohllautenden Klang gab, und sagte: "Wenn's nichts gegen Amt und Gewissen ist, warum nicht!" "So nehmt Eure Schluessel," fuhr der andere fort, "und schliesst die Muensterkirche auf!" "Jetzt in dieser Stunde?" rief der Alte mit Entsetzen. "Jetzt in dieser stuermischen Nacht? Geht nicht, Kamerad, so wahr ich--nein, es geht nicht, mich bringt kein Hund hinueber!" "Beileibe," rief die Kuesterin aus dem Bette und riss den Umhang zurueck, dass man das ganze Paradiesgaertlein ihres gebluemten Bettes uebersehen konnte, "fuehre uns nicht in Versuchung! Alter, lass dich nicht betoeren! Wer weiss, was draussen lauert?" "Haette nicht geglaubt, dass Ihr, ein so stattlicher Mann, unter dem Weiberregimente stuendet," sprach der alte Diener. "Glaubt mir, es ist auch ein Gottesdienst, wenn Ihr mitgeht, und bringt Euch guten Lohn." Noch einmal wog der Kuester den Taler auf der Fingerspitze und schien sich zu besinnen. "Es wird zwar gleich zwoelf Uhr brummen, und da ist es gar nicht geheuer drueben in der Kirche; denn ich weiss, was ich weiss, und habe gesehen, was ich gesehen habe; aber weil Ihr sagt, es sei ein Gottesdienst, so kommt!" Indem hatte er schon die Laterne zurechtgemacht. Er hing noch einen warmen Mantel um und ergriff die gewichtigen, wunderlich geformten Schluessel. "Ei du meine Guete, laesst er sich doch verblenden vom Mammon," seufzte die Alte im Bette. Der Kuester aber trat zu ihr mit dem groessten seiner Schluessel: "Du schweigst, Ursel! Der Herr da soll sehen, dass unsereiner nicht unterm Pantoffel steht," brummte er und verliess mit dem Diener das Haus. Die Nacht war grimmigkalt, der Himmel jetzt ganz rein, nur einzelne dunkle Woelkchen tanzten im Wirbel um den Mond. Schweigend schritten die beiden durch die Nacht der Kirche zu. Wenige Schritte, so standen sie am Portal des Muensters. Der Kuester schrak zusammen, als dort aus dem Schatten eines Pfeilers eine hohe, in einen dunklen Mantel gehuellte Gestalt hervortrat. Es war jener Fremde, der Idas Interesse in so hohem Grade erregt hatte. "Schliess auf, schliess auf," sprach Martiniz, "denn es ist hohe Zeit!" Indem er sprach, fing es an zu surren und zu klappern, dumpf rollte gerade ueber ihnen im Turme das Uhrwerk, und in tiefen, zitternden Klaengen schallte die zwoelfte Stunde in die Luefte. "Schliess auf!" schrie Martiniz, "schnell auf! Dort kommt er schon um die Ecke!" Seufzend ging die hohe Tuere auf; in einem Sprung war jener in der Kirche. Der Kuester schloss behutsam wieder hinter sich ab und ging dann voraus mit der Laterne; stille folgten ihm die Fremden. In wunderlichen Schatten und Figuren spielte das schwache Licht der Laterne an den hohen Saeulen des Doms, nur auf wenige Schritte verbreitete es Helle und verschwebte dann in matte Daemmerung, bis es sich in der tiefen Nacht des Gewoelbes verlor. Manchmal schien es, als schritten hohe Gestalten in weiten, schleppenden Gewaendern hinter den Saeulen ihnen nach. Scheu blickte Emil von Martiniz nach allen Seiten und ging dann schneller hinter dem Kuester her. Dumpf schallten ihre Schritte auf dem hohlen Boden, unter welchem eine alte Gruft sich befand, und ein vielfaches Echo gab diese Toene aus allen Ecken zurueck. So waren sie bis an den Altar gekommen. Martiniz setzte sich dort auf die Stufen; das Gesicht, das bei dem Schein der truebe brennenden Laterne auch viel bleicher erschien, stuetzte er auf die Hand, dass die glaenzend rabenschwarzen Ringellocken darueber herabfielen. Der Diener winkte dem Kuester, zog ihn auf eine Bank an der Seite zu sich nieder und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, dass er schweigen und sich ganz ruhig verhalten moechte. Tiefe Stille herrschte mehrere Minuten in den grossen dunklen Hallen, tiefe Stille draussen in der Nacht. Nur vom Altar her hoerte man ein leises Wispern; Martiniz schien zu beten. Bald aber erhob sich lauter die Nachtluft und wehte um die Kirche. Je lauter es wurde, desto unruhiger wurde Emil. Er seufzte, er blickte einigemal auf und lauschte nach der Seite hin, wo der Luftzug staerker wehte. Naeher und naeher heulte der Wind, die Fenster bebten, das Licht der Laterne wehte seine Schatten her und hin, die alten verblichenen Banner, die an der Mauer hingen, rollten sich auf und bewegten ihre zerfetzten Bilder an der schwach beleuchteten Wand. Jetzt brauste der Sturm auf in gewaltigen Stoessen. Krachend stuerzte ein Fenster des Chors auf die breiten Quader des Bodens, dass der Schall durch die Halle toente und--mit fuerchterlichem Lachen des Wahnsinns fuhr der am Altar auf und sprang die Stufen hinan. Gellend toenten diese hohlen Toene der Verzweiflung durch die Gewoelbe. "Er kann nicht herein, er kann nicht herein zu mir," schrie er, "darum hat er die Wolken aufgezaeumt, auf dem Sturmwind reitet er um die Kirche, ca ca! Holla, Antonio--wie schaeumt das Purpurblut deiner Wunde! Rase, tobe durch die Luefte, du kannst doch nicht herein zu meiner Freistatt!" Der Sturm legte sich, ferner und ferner rollte der Wind, und saeuselnd zog die Nachtluft durch die Kirche. Der Mond schien freundlich durch die hellen Scheiben, und mit des Sturmes Toben schien auch der Sturm in Emils Brust gewichen zu sein. "Seht Ihr," sprach er wehmuetig und zeigte an die vom Mond beschienenen Fenster hinauf, "seht Ihr, wie er so ernst und zuernend auf mich herabsieht! Kannst du denn nicht vergeben, Antonio?" Immer leiser wurde seine Klage, bis er weinend am Altare niedersank. Jetzt stand der alte Diener, dem waehrend der schrecklichen Szene die Traenen in den grauen Wimpern gehangen, von seinem Sitze auf und unterstuetzte seinen Herrn. Er wischte ihm den kalten Schweiss von der Stirne und die Traenen aus dem gebrochenen Auge und floesste ihm aus einer kristallenen Phiole mildernde Tropfen ein. Der Ohnmaechtige richtete sich wieder auf, huellte sich tiefer in seinen Mantel und schritt durch die Kirche. Der alte Diener aber trat zu dem Kuester. "Ich danke, Alterle," sagte er, "du hast jetzt gesehen, dass wir nichts Unrechtes in deinem Gotteshaus gemacht haben; dafuer halte aber reinen Mund! Und wenn du niemand ein Sterbenswoertchen hoeren laessest von dem, was du hier gesehen und gehoert hast, so kommen wir vielleicht morgen und manche Nacht wieder, und du sollst pflichtgemaess deinen Harten haben." "Das kann sich unsereiner schon gefallen lassen," antwortete der Kuester im Weitergehen; "so viel merke ich, dass Euer Herr entweder nicht richtig unter dem Hut ist, oder dass er mit dem Gottseibeiuns hier Versteckens spielt. Nun, hier, denke ich, soll er ihn nicht holen; kommt nur morgen nacht wieder! Was das Stillschweigen betrifft, so seid ausser Sorgen, von mir erfaehrt es kein Mensch, vor allem meine Ursel nicht: denn ich denke: was sie nicht weiss, macht sie nicht heiss." Der alte Diener lobte den Entschluss des Kuesters und nahm am Portal mit einem Haendedruck von ihm Abschied. "Ist doch schade um ein so junges schoenes Blut," brummte dieser vor sich hin, indem er seinem Haeuschen zuschritt; "so jung und hat schon Affaeren mit Herrn Urian. Nun, er soll ihn immer noch ein Halbjaehrchen reiten; um die harten Taler kann man zur Not so guten Wein kaufen, als die Freilinger Maurermeister hatten, um den Kalk zu meinem Muenster festzumachen." * * * * * DAS SOUPER. Es schlug ein Uhr, als der Fremde und sein Diener von dem Muenster zurueck ueber den Marktplatz gingen. An den Fenstern des erleuchteten Museums draengten sich Gestalten an Gestalten geschaeftig hin und her, verworrenes Gemurmel vieler Stimmen toente herab auf den stillen Platz, hie und da zeigten laute Ausbrueche der Froehlichkeit, mit Trompeten vermischt, dass eine Gesundheit oder ein Toast ausgebracht worden sei. "Robert!" begann der Graf, "ich will noch einmal hinaufgehen; die suessen Toene der Floeten, die klagenden Klaenge der Hoerner haben etwas Beruhigendes fuer mich, und mitten im Gewuehl der froehlichen Menge vergesse ich vielleicht auf Augenblicke, dass ich unter den Gluecklichen der einzige Unglueckliche bin." Umsonst bat der alte Robert seinen Herrn, er moechte doch seine Gesundheit bedenken und sich jetzt zur Ruhe legen; er schien es gar nicht zu hoeren, schweigend warf er in der Haustuere den Mantel ab, gab ihn dem Alten und eilte die Treppe hinan. Kopfschuettelnd folgte ihm der Diener; hatte er doch seit einer langen, traurigen Zeit nicht bemerkt, dass sein armer Herr Freude an rauschender Lustbarkeit hatte; es musste etwas Eigenes sein, das ihn noch einmal dahinauf zog; denn wenn er sich sonst auch in das froehlichste Gewuehl gestuerzt hatte, so war er doch immer nach einem halben Stuendchen wieder zurueckgekommen. Und heute hatte er ihn sogar an die Stunde mahnen muessen; heute ging er zu einer Zeit, wo er sonst, erschoepft von Kummer und Unglueck, dem Schlaf in die Arme geeilt war, noch einmal auf den Tanzboden. "Gott gebe, dass es zu seinem Heil ist!" schloss der treue Diener seine Betrachtungen und wischte sich die Augen. Der Saal war noch leer, als Emil oben eintrat, nur die Musikanten stimmten ihre Geigen, probierten ihre Hoerner und liessen die Schlegel dumpf auf die Pauken fallen, um zu sondieren, ob das tiefe C recht scharf anspreche; mittendurch netzten sie auch ihre Kehlen mit manchem Viertel; denn ein ellenlanger Kotillon sollte den Ball beschliessen. Loeffel- und Messergeklirr, das Jauchzen der Anstossenden toente aus dem Speisesaal. Ein schwermuetiges Laecheln zog ueber Emils blasses Gesicht; denn er gedachte der Zeiten, wo auch er keiner froehlichen Nacht ausgewichen war, wo auch er unter frohen, guten Menschen den Becher der Freude geleert und, wenn kein liebes Weib, doch treue Freunde gekuesst hatte und mit froehlichem Jubel in das allgemeine Millionenhallo und Welthurra der Freude eingestimmt hatte; unter diesen Gedanken trat er in den Speisesaal. In bunten Reihen sassen die froehlichen Gaeste die lange Tafel herab; man hatte soeben die hunderterlei Sorten von Gefluegel und Braten abgetragen und stellte jetzt das Dessert auf. Gewiss, man konnte nichts Schoeneres sehen, als die Praezision, mit welcher die Kellner ihr Dessert auftrugen; die Bewegungen auf die Flanken und ins Zentrum gingen wie am Schnuerchen, die schweren Zwoelfpfuender der Torten und Kuchen, das kleinere Geschuetz der franzoesischen Bonbons und Gelees werde mit Blitzesschnelle aufgefahren; in prachtvoller Schlachtordnung, vom Glanz der Kristalluesters bestrahlt, standen die Guss-, Johannisbeeren-, Punsch-, Rosinentorten, die Apfelsinen, Ananas, Pomeranzen, die silbernen Platten mit Trauben und Melonen. Aber Hofrat Berner hatte sie auch eingeuebt, und den ungeschicktesten Kellnerrekruten schwur er hoch und teuer, in acht Tagen so weit bringen zu wollen, dass er, einen bis an den Rand gefuellten Champagnerkelch auf eine spiegelglatte silberne Platte gesetzt, die Treppe heraufspringen koenne, ohne einen Tropfen zu verschuetten, was in der Geschichte des Servierens einzig in seiner Art ist. Wenn die Festins, die er zu arrangieren hatte, herannahten, hielt er auf folgende Art voellige UEbungen und Manoeuvres: Er setzte sich in den Salon, wo gespeist werden sollte, liess eine Tafel zu dreissig bis vierzig Kuverts decken, und wie den Rekruten ein fingierter Feind mit allen moeglichen Bewegungen gegeben wird, so zeigte er ihnen auch Praesidenten, Justizraete, Kollegiendirektoren, Regierungsraete und Assessoren mit Weib und Tochter, Kind und Kegel und mahnte sie, bald diesem ein Stueck Braten, jener eine Sauciere zu servieren, bald einem Dritten und Vierten einzuschenken und dem Fuenften eine andere Sorte vorzusetzen; da sprangen und liefen die Kellner sich beinahe die Beine ab; aber--probatem est--wenn der Tag des Festes herannahte, durfte er auch gewiss sein zu siegen. Wie jener grosse Sieger, der nur mit feierlichem Ernst die Worte sprach: "Heute ist der Tag von Friedland!" oder "Sehet die Sonne von Austerlitz!" so bedurfte es von seinem Munde auch nur einiger ermahnenden, troestlichen Hindeutungen auf fruehere Bravouren und gelungene Affaeren, und er konnte darauf rechnen, dass keiner der zwanzig Kellnergeister ueber den andern stolperte oder ihm die Aalpastete anstiess, aber dass sie mit Sauce und Salat einander anrannten, purzelten und auf den Boden die ganze Bescherung servierten. Mit dieser Praezision war also auch heute die Tafel serviert worden; der Nachtisch war aufgetragen, die schweren Sorten, als da sind Laubenheimer, Nierensteiner, Markobrunner, Hochheimer, Volnay, feiner Nuits, Chambertin, beste Sorten von Bordeaux, Roussillon wuerden weggenommen und der zungenbelebende Champagner aufgesetzt. Hatte schon der aromatische Rheinwein die Zungen geloest und das schwaerzliche Rot des Burgunders den Liliensammet der jungfraeulichen Wangen und die Nasen der Herren geroetet, so war es jetzt, als die Pfroepfe flogen und die Damen nicht wussten, wohin sie ihre Koepfe wenden sollten, um den schrecklichen Explosionen zu entgehen, als die Lilienkelche, bis an den Rand mit milchweissem Gischt gefuellt, kredenzt wuerden, wie auf einem Basar im asiatischen Russland, wo alle Nationen untereinander plappern und maulen, gurren und schnurren, zwitschern und naeseln, plaerren und jodeln, brummen und rasaunen, so schwirrte in betaeubendem Gemurmel, Gesurre und Brausen in den hoechsten Fisteltoenen bis herab zum tiefsten, dreimalgestrichenen C der menschlichen Brust das Gespraech um die Tafel. * * * * * DAS URTEIL DER WELT. Aber der groesste Teil der Konversation, wenigstens am untern Ende des Tisches, galt Praesidents Ida. Dort gingen die zahnlosen Maeulchen der Tanten und Muetter wie oberschlaechtige Muehlen, und die Posaunen- Seraph-Gesichter der Toechter nickten ihren Konsens aus den kleinen Kalmueckenaeuglein. Wie hatte doch das Maedchen vor Gott gesuendigt und gefrevelt dadurch, dass es so wunderhuebsch geworden war! Waere sie zurueckgekommen wie eine wilde Hummel oder wie so manche, die man als Gagak in die Residenz schickt, um sie Bildung und Blumenmachen lernen zu lassen, und die als Gagak wiederkehrt, da haette es geheissen: "An der ist Hopfen und Malz verloren, mich dauern nur die Eltern." Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Wuerde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Loeckchen, im feuerspruehenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen mit schuldloser, anspruchsloser Natuerlichkeit, die Wangen von Gesundheit geroetet, in den feinen Gruebchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so wuerzig, so kusslich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fuerstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen--Nein! das Maedchen durfte nicht schoen, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein--"Ha, ha, ha, Frau Oberforstmeisterin!" lachte die Kammerdirektorin, ohne darauf zu achten, dass sie die acht unschuldigen Ohren ihrer erwachsenen Toechterlein beleidigen koennte-- "Tugendhaft? Wir kennen die Residenztugend noch aus unserer Zeit! Da muessten sich die Steine umgekehrt haben, die Garde-Ulanen-Rittmeister muessten ihre engschliessende Uniform ausgezogen und die Herren Archidiakonen und Superintendenten um ihr ehrbares Kostuem ersucht haben, muessten in schwarzen Maentelein, weissen Beffchen, kurzen Hoeschen und seidenen Waedchen, die Bibel unter dem Arm, einhergehen, wenn man bei siebzehnjaehrigen Maedchen Tugend finden sollte in Sodom!" "Wahrhaftig, Sie haben recht," schnatterte es ueber die Tafel herueber. "Und die geruehmte Schoenheit? Ist alles Lug und Trug; das kann man alles dort ums liebe Geld haben; meinen Sie denn, diese Locken dort, die Zoepfe seien echt? Bewahre! Man hat ja gesehen, was fuer Haar Mamsell Sausewind in die Residenz nahm; wo sind die gelben Zaehne hingekommen? Meinen Sie etwa, ein so herrlicher Mund voll, wie jene hat, schiebe sich im sechzehnten, siebzehnten Jahre noch nach? Lauter Seehund, nichts als Seehund." "Ja, Frau Gevatterin," unterbrach eine dritte, "und die handbreiten Bruesseler Kanten, der Amethystschmuck, mit welchem man meinen Torweg pflastern koennte--von der Fuerstin Romanow soll er sein! Ha, ha, ha, man hat auch seine Nachrichten; die Fuerstin, Gott halte sie in Ehren, ist eine splendide Frau; auch reich, steinreich, gebe alles zu--aber so einem naseweisen Kind, das kaum hinter den Ohren trocken ist, dieses Diadem, diese Ohrenringe, dieses Kollier, dieses Kreuz zu schenken--nein, dazu ist die Frau Fuerstin Hoheit doch zu vernuenftig. Haben Sie aber nie von ihrem Neffen, dem Prinzen Ferdinand, gehoert? Soll ein splendider, artiger Herr sein, der Prinz, und wenn man nur gegen ihn gefaellig ist, ist er es wohl auch wieder, ha, ha, ha--" Und der ganze Zirkel lachte und stiess an auf den gefaelligen, splendiden Prinzen. Nein, wahrhaftig, es war nicht zum Aushalten; ein schoenes, engelreines Geschoepf, voll Milde, Sanftmut und Mitleiden so schonungslos zu verdammen! Emil hatte in einer Fenstervertiefung, wo er sich hingestellt hatte, um die Tafel zu uebersehen, alles mit angehoert; er haette moegen der Frau Gevatter den einzigen Zahn, den sie noch hatte, mit welchem sie aber nichtsdestoweniger den Ruf einer jungen Dame tapfer benagte, ein wenig einschlagen; er rueckte, nur um die giftigen Bemerkungen nicht zu hoeren, um ein Fenster weiter hinaus. Aber hier kam er vom Regen in die Traufe. Frau von Schulderoff setzte dort ihrem Sohn, dem Dragonerleutnant, weitlaeufig auseinander, dass er, um den gesunkenen Glanz ihres Hauses wieder auf den Strumpf zu bringen, notwendig eine gute, sehr gute Partie machen muesse, und dazu sei die Ida ganz wie gemacht. Dem jungen Schulderoff, der neben dem gesunkenen Glanz seines Hauses bei Juden und Christen einige tausend Taelerchen mehr stehen hatte, als sein Gageabzug auf siebzig Jahre wahrscheinlicherweise aufwiegen konnte, schien mit dem Vorschlag ganz zufrieden; nur das Wie wollte ihm nicht recht einleuchten. Aber die gnaedige Mama wusste Rat. "Erstens; recht oft mit ihr getanzt, namentlich im Kotillon recht oft geholt! Das heisst Attention beweisen; das Maedchen wird dann mit dir aufgezogen, sie wird aufmerksam auf dich. Zweitens: morgens zehn Uhr im kurzen Galopp am Haus vorbei! Dort verlierst du, im Staunen ueber sie, die Reitpeitsche; du voltigierst ja so gut, haeltst also nicht an, sondern herab vom Gaul, Peitsche ergriffen, wieder hinauf, einen Feuerblick dem Fraeulein zugeworfen, und davon im gestreckten Galopp! Wenn nur ihr Herzchen aus Angst fuer dich einmal schneller pulsiert, dann hast du sie schon im Sack. Drittens: in einer schoenen Nacht mit der ganzen Regimentsmusik vors Haus! Einige mutige Stuecke, einige zaertliche Arien aufgespielt, und sie kommt hinter die Jalousien, darauf wette ich meinen ganzen Schmuck, der jetzt zufaellig bei Levi ist. Einige Kameraden tun dir schon den Gefallen und gehen mit; sie rufen: 'Schulderoff! Schulderoff! Wo steckst du denn? Ach siehe, der arme Junge weint.' 'Ach, lasst mich, tapfere Kameraden,' antwortest du, 'mir ist so weh und so wohl in ihrer Naehe.' So kommt es in allen Ritterbuechern, wo der Adel noch allein liebte und die dummen Buergerlichen noch kein Geld hatten." "Auf Ehre, Mama, Sie haben recht," antwortete der Leutnant und wichste sich den Schnurrbart; "sehen Sie, dann kann ich auch so angr--" Emil wurde, er wusste nicht warum, ganz bange ums Herz, als er den Eroberungsplan des Wildfangs hoerte; er rueckte um einige Fenster weiter hinauf und war dort dem Gegenstand nahe, den die Schmaehsucht der Weiber zu zerreissen, der Eroberungsgeist der Schulderoffs zu gewinnen suchte. Obenan sass der Praesident; die feierliche Geschaeftsmiene war zu Hause geblieben; er hatte den freundlichen, gefaelligen Gesellschaftsmenschen angezogen und tafelte, zum grossen Trost der juengern Glieder seines Kollegiums, wie ein Junger. Das behagliche runde Gesicht durchblitzte oft schnell wie ein Gedanke ein satirisches Laecheln, wenn er und der Hofrat Ida zum suessen bruesselnden Schaumwein noetigten. Es war nicht moeglich, etwas Liebreizenderes zu sehen, als das Maedchen, eine ewig junge Hebe, zwischen den alten, froehlichen Herren. Es war jetzt ganz das waehlige, mutwillige Kind wieder wie vor drei Jahren, wenn es dem Papa oder dem alten Hagestolz Berner auf dem Schosse sass; Madeirasekt und Xeres hatten ihr, weil Berner keinen der schweren Weine ueber die Purpurbarrieren ihrer Lippen gelassen hatte, alles Blut in die Wangen getrieben; es zischte und gischte in ihren Adern so warm und wohltuend, dass das Auge von Lust und Liebe strahlte und die rosige Tiefe des Schelmengruebchens alle Augenblicke sich zeigte. Der Champagner, den sie auf den Trimadeira setzte, war auch nicht aus seinen Kreidebergen geholt worden, um ein froehlichgluehendes Engelskoepfchen abzukuehlen und einen in ewigwechselnder Wonne Flut und Ebbe wogenden Busen zur Ruhe zu bringen. Wusste sie doch selbst nicht, was sie so froehlich machte! Die Rueckkehr ins Vaterhaus allein war es nicht, auch nicht, dass die Blicke der jungen Freilinger Stadtkinder alle auf sie flogen; es war noch etwas anderes; war es nicht ein bleiches, wunderschoenes Gesicht, das sich immer wieder ihrer Phantasie aufdraengte, das sie wehmuetig durch Traenen anlaechelte? Warum musste er aber auch gehen, gerade als es zur Tafel ging, wo sie ihn haette sehen und sprechen koennen!-- "Ei, Kind," sagte der Praesident und weckte sie aus ihren Traeumen, "da sitzest du schon eine geschlagene Glockenviertelstunde, starrst auf den Teller hin, als laesest du in der Johannisbeermarmelade so gut als im Kaffeesatz deine Zukunft, und laechelst dabei, als machten dir alle ledigen Herren, unsern Hofrat mir eingeschlossen, ihr Kompliment!" Die Glutroete stieg ihr ins Gesicht; sie nahm sich zusammen und musste doch wieder heimlich laecheln ueber den guten Papa, der doch auch kein Spuerchen von ihren Gedanken haben konnte. Aber als vollends der Hofrat ihr von der andern Seite zufluesterte: "Der alte Herr hat fehlgeschossen; wir alle koennten uns den Ruecken lahm komplimentieren und die Knie wund liegen, mein stolzes Trotzkoepfchen goennte keinem einen halben Blick oder ein Viertelchen von dem Engelslaecheln, das hier in den Teller ging. Aber da darf nur so ein interessanter Fremder in einem Landau weinen, so ein Signor Bleichwangioso--" "Ach, wie garstig, Berner! An den habe ich gar nicht mehr gedacht!" rief sie, aergerlich, dass der Kluge ins Schwarze geschossen haben sollte. Jener aber wischte seine Brille ab, schaute auf Idas silbernen Teller und deutete lachend auf den Rand-- "Gar nicht mehr an ihn gedacht? Welcher Graveur hat denn da gekritzelt, Fraeulein Luegenhausen? He!" Nun, da hatte sich das Maedchen wieder vergaloppiert, hatte, ohne dass sie es im geringsten wusste, unter ihrer Gedankenreihe das Dessertmesser in die Hand bekommen, auf dem Teller herumgekritzelt, und da stand mit huebschen, deutlichen Buchstaben: _Emil v. Mart_-- "Nein, wie einem doch der Zufall bei boesen Leuten Streiche spielen kann!" replizierte sie mit der unverschaemtesten Unbefangenheit, kratzte, indem sie sich selbst ueber ihre furchtbare Kunst, zu verdrehen, wunderte, in aller Geschwindigkeit ein Schnirkelchen hin, wies dem kurzsichtigen Hofrat den Teller und sagte: "Sehen Sie! Da war irgend einmal eine reisende Prinzess hier, welcher man auf Silber servierte, und um den merkwuerdigen Tag ihrer Anwesenheit zu verewigen, schrieb sie die paar Worte hieher: _Emilie v. Mart._, heisst offenbar: Emilie, am fuenften Maerz." "Gott im Himmel, was haettest du fuer einen Rechtskonsulenten und Rabulisten gegeben!" antwortete Berner und setzte vor Schrecken den frischeingeschenkten Kelch, den er schon halbwegs gehabt, wieder nieder. "Habe ich nicht gesehen, wie du das Ding da kritzeltest; und jetzt taete es not, ich deprezierte den falschen Verdacht?" Doch Engelskoepfchen Ida sah ihm so bittend ins Auge, dass er unwillkuerlich wieder gut wurde; in den suessesten Schmeicheltoenen bat sie ihm die Unart ab, versprach, sich nie mehr aufs Leugnen zu legen, wenn er gelobe, dem Papa nichts zu sagen, der sie wenigstens acht Tage lang mit ihrer Silberschrift necken wuerde. Er gelobte, mahnte aber, jetzt sich zum Kotillon zu ruesten. "Nur noch ein Viertelstuendchen!" bat Ida, weil sie dem widerwaertigen Kreissekretaer habe zusagen muessen. Aber das Straeuben half nichts; die Hoerner erklangen im Tanzsaal, und die Tafel ruestete sich, aufzubrechen. Da stand der Praesident auf. "Noch einen Kelch, meine Damen!" rief er ueber die Tafel hin, "noch einen echten Toast aus den guten alten Zeiten: die Glaeser hoch--der Liebe und der Freude!" Die Trompeten schmetterten ihren Freudenruf unter den Jubel; aber mitten durch das Geschmetter, durch das donnerschlagaehnliche Wirbeln der Pauken, mitten in dem schrankenlosen Hallo der bechampagnerten Gaeste war es Ida, als hoerte sie hinter sich tief seufzen, und als sie, von einer ploetzlichen Ahnung ergriffen, sich schnell umsah, begegnete sie Emils Auge, der wehmuetig, traenenschwer in das Gewuehl der Freude schaute. Alles Blut jagte die UEberraschung dem Maedchen aus den Wangen, es hatte keinen Atem mehr, und doch konnte es um keinen Preis ihr Auge wieder von ihm abwenden. Doch ehe sie noch ihrer Verlegenheit Meister werden konnte, gerade als sie der schoene junge Mann anreden zu wollen schien, riss ihn das Gedraenge der Aufstehenden aus ihrer Naehe; der Kreissekretaer kam mit seinem widrigen, sauersuessen Gesicht, schaetzte sich gluecklich, den Kotillon errungen zu haben, und fuehrte seine Taenzerin im Triumph durch die dicken Reihen seiner Neider. Sie aber folgte ihm, noch immer ueber diese Erscheinung, ueber die Gewalt dieser dunkeln Flammensterne sinnend. "Wahrhaftig!" sagte sie zu sich. "Der Hofrat hat doch recht, es muss Menschen geben, die Haekchen im Auge haben, von welchen man sich gar nicht losreissen kann, und dieser muss einen von den grossen Angelhaken haben." * * * * * DER KOTILLON. In rauschenden Toenen klangen die Hoerner und Trompeten durch den Saal; in verschlungenen Gruppen, bald suchend, bald fliehend, huepften die Paare den froehlichen Reigen, und Idas liebliche Gestalt tauchte auf und nieder in der Menge der Tanzenden wie eine Nixe, die neckend bald dem Auge sich zeigt, bald in den Fluten verschwindet. Oft, wenn der Augenblick es gestattete, wagte sie einen Viertelsseitenblick ueber den Saal hinueber nach ihm, zu welchem ein unerklaerbares Etwas sie noch immer hinzog, und wenn die Floeten leiser fluesterten, wenn die weichen, gehaltenen Toene der Hoerner suesses Sehnen erweckten, da glaubte sie zu fuehlen, dass diese Toene auch in seiner Brust widerklingen muessen. In glaenzender Kette schwebten jetzt die Maedchen in der Runde, bis die Reihe sich loeste und sie den Saal durchschwaermten, um selbst sich Taenzer zu suchen. Emil stand wieder an seine Saeule gelehnt. Kaum den Boden beruehrend, schwebte eine zarte Gestalt, auf dem Amorettengesichtchen ein holdes, verschaemtes Laecheln, auf ihn zu--es war Ida. Laechelnd neigte sie sich, zum Tanze ihn einzuladen; er schien freudig ueberrascht, eine fluechtige Roete ging ueber sein bleiches Gesicht, als er das holde Engelskind umschlang und mit ihr durch den Saal flog. Aber aengstlich war es Ida in seinen Armen; kalt war die Hand, die in der ihrigen ruhte, schaurige Kaelte fuehlte sie aus des Fremden Arm, der ihre Huefte umschlang; in sie eindringen, scheu suchte ihr Auge den Boden; denn sie fuerchtete, seinem Flammenblicke zu begegnen. Jetzt erst fiel ihr auch ein, dass es sich doch nicht so recht schicke, den ganz fremden Menschen, der ihr von niemand noch vorgestellt war, zuerst zum Tanze aufgefordert zu haben. Aber ein freudiges Gefluester des Beifalls begleitete sie durch die Reihen; bedeutender schien des Fremden edles Gesicht, von der Bewegung des Tanzes leicht geroetet, bedeutender erschien seine edle Gestalt, sein hoher koeniglicher Anstand, und dem schoenen Mann gegenueber erschien auch Ida in noch vollerem Glanz der Schoenheit. Mit dankendem Blick schied er, als er sie an den Platz zurueckfuehrte; wieviel stiller Gram, wieviel Wehmut lag in diesem langen Blick! Ja, wenn sie sich den Ausdruck seines Auges noch einmal zurueckrief, wieviel Dank lag darin, wieviel Lie-- Sie drueckte geschwind die Augen zu, um nur den Gedanken zu entgehen, die sie unablaessig verfolgten; sie tanzte rascher und eifriger, nur um sich durch den raschen Wirbel zu zerstreuen; aber da wisperte von der einen Seite der Xeres, von der andern kicherte der Champagner ihr ins Ohr: er liebt dich, du bist es ja, nach welcher er immer sieht, wegen dir ist er noch einmal auf den Ball gekommen.--Der Kotillon hatte jetzt seine glaenzendste Hoehe erreicht; eine Tour, die in Freilingen noch nie getanzt worden, sollte eingeschoben werden. Die Dame, welche die Reihe traf, setzte sich, von ihrem Taenzer gefuehrt, auf einen in die Mitte des Kreises gestellten Sessel; mit einem seidenen Tuche wurden ihr die Augen verbunden und dann Taenzer jeglicher Gattung zur blinden Wahl vorgefuehrt. Die Ausgeschlagenen stellten sich als Gefangene und besiegt hinter den Stuhl, der Erwaehlte flog mit der von der Binde erloesten Taenzerin durch den Saal. Die Tour an sich war gerade nicht so kuehn erfunden, um durch sich selbst sehr bedeutungsvoll zu werden; sie ward es aber dadurch, dass der Vortaenzer, ein gerade von Reisen zurueckgekommener Herr aus Freilingen, behauptete, in Wien werde diese Tour fuer sehr verhaengnisvoll gehalten; denn es gelte dort bei dieser blinden Wahl das Sprichwort: "Der Zug des Herzens sei des Schicksals Stimme," und mehr denn hundertmal habe er den Spruch bei dieser Tour eintreffen sehen. Die Freilinger Schoenen machten zwar Spass daraus und behaupteten, die Wiener Damen werden unter dem Tuch hervorgesehen haben; doch mochten sie aberglaeubisch genug sein und wuenschen, des Schicksals Stimme moechte dem Zug ihres Herzens nachgeben und ihnen den schoenen Major oder den Jagdjunker mit dem Stutzbaertchen oder einen dergleichen vor die blinden Augen fuehren. Auch an Ida kam jetzt die Reihe, sich niederzusetzen; der sauersuesse Kreissekretaer fuehrte sie zum Stuhl, fragte mit schalkhaft sein sollendem Laecheln, das aber sein Gesicht zur scheusslichen Fratze verzog, ob er den Herrn Hofrat Berner bringen solle, band ihr das Tuch vor die Augen, und in wenigen Augenblicken standen schon drei arme Unglueckliche, von der sproeden, blinden Mamsell Amor-Justitia verschmaeht, hinter dem Stuhl. Es war ihr wohl auch der Gedanke an Martiniz durch das Koepfchen gezogen; aber sie hatte sich selbst recht tuechtig ausgescholten und vorgenommen, ihr Herzchen moege sie ziehen, wie es wolle, das Schicksal moege noch so gebietend rufen, sie lasse drei ablaufen und den vierten wolle sie endlich nehmen. "Numero vier, gnaediges Fraeulein!" meckerte der Kreissekretaer. Sie liess die Binde loesen, sie schlug die Augen auf und sank in Emils Arme, der sie im schmetternden Wirbel der Trompeten, im Jubelruf der Hoerner im Saal umherschwenkte; die Sinne wollten ihr vergehen, sie hatte keinen deutlichen Gedanken als das immer wiederkehrende: "Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme." Ach! so haette sie durch das Leben tanzen moegen; ihr war so wohl; so leicht; wie auf den Fluegeln der Fruehlingsluefte schwebte sie in seinem Arme hin, sie zitterte am ganzen Koerper; ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen, sie musste ihn ansehen, es mochte kosten, was es wollte. Sie hob das schmachtende Gesichtchen. Ein suesser Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen Stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zoll breit Auge von Auge, Mund von Mund; ach, wie unendlich huebsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Zuege, wie schmelzend sein Auge, sein Laecheln; sie haette moegen die paar Zoellchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kue-- Klatsch, klatsch, mahnten die ungeduldigen Herren, indem sie die glacierten Handschuhe zusammenschlugen, dass die zarten Naehte sprangen; will denn dies Paar ewig tanzen? Ach, ihr Kurzsichtigen, wenn ihr wuesstet, wieviel namenlose Seligkeit in einer solchen kurzen Minute liegt, wie die Pforten des Lebens sich oeffnen, wie die Seele hinter die durchsichtige Haut des Auges heraufsteigt, um hinueberzufliegen zu der Schwesterseele--wahrlich, ihr wuerdet diesen Moment des suessesten Verstaendnisses nicht durch euer Klatschen verscheuchen. Der Ball war zu Ende; der Hofrat nahte, Ida den Schal anzulegen und das waermende Maentelchen umzuwerfen; er nahm dann ihren Arm, um sie zur Abkuehlung noch ein wenig durch den Saal zu fuehren. "Sie haben mit ihm getanzt, Toechterchen?"--"Ja," antwortete sie, "und wie der tanzt, koennen Sie sich gar nicht denken; so angenehm, so leicht, so schwebend!"--"Idchen, Idchen!" warnte der Hofrat laechelnd. "Was werden unsere jungen Herren dazu sagen, wenn Sie sie ueber einem Landfremden so ganz und gar vergessen?"--"Nun, die koennen sich wenigstens ueber das Vergessen nicht beklagen; denn ich habe nie an sie gedacht! Aber sagen Sie selbst, Hofrat, ist er nicht ganz, was man interessant nennt?"--"Ihnen wenigstens scheint er es zu sein," antwortete der neckische Alte.--"Nein, spassen Sie jetzt nicht! Ist nicht etwas wunderbar Anziehendes an dem Menschen, etwas, das man nicht recht erklaeren kann?" Der Hofrat schwieg nachdenklich. "Wahrhaftig, Sie koennen recht haben, Maedchen," sagte er; "habe ich doch den ganzen Abend darueber nachgesonnen, warum ich diesen Menschen gar nicht aus dem Sinne bringen kann." "Aber noch etwas," fiel Ida ein; "wissen Sie nicht, wo er so ploetzlich mit dem alten Diener hinging?"--"Das ist es eben!" sagte jener. "Eine ganz eigene Geschichte mit dem Grafen da; kommt auf den Ball, tanzt nicht, geht fort, bleibt ueber eine Stunde aus, kommt wieder--und wo blieb er? Wo meinen Sie wohl? Er war im Muenster!!" "Jetzt eben, in dieser Nacht?" fragte Ida erschrocken und an allen Gliedern zitternd. "Heute nacht, auf Ehre! Ich weiss es gewiss; aber reinen Mund gehalten, Gold-Idchen! Morgen komme ich dem Ding auf die Spur." Der Wagen war vorgefahren; der Praesident kam in einer Weinlaune. "Hofraetchen," rief er, "wenn du nicht anderthalbmal ihr Vater sein koenntest, wollte ich dir Ida kuppeln!" "Haette ich das doch vor dem Ball gewusst!" jammerte der Hofrat; "aber da gab es allerlei interessante Leute usw." Erroetend sprang Ida in den Wagen, auf den losen Hofrat scheltend, und umsonst gab sich Papa auf dem Heimweg Muehe, zu erfahren, was jener gemeint habe. Trotzkoepfchen haette moegen laut lachen ueber die Bitten des alten Herrn; es biss die scharfen Perlenzaehne in die Purpurlippen, dass auch kein Woertchen heraus konnte. Nicht mehr so froehlich als in frueheren Tagen und dennoch gluecklicher, legte Ida das Lockenkoepfchen auf die weichen Kissen. Es war ihr so bange, so warm; mit einem Ruck war der seidene Plumeau am Fussende des Bettes, und auch die duenne Seidenhuelle, die jetzt noch uebrig war, musste immer weiter hinabgeschoben werden, dass die wogende, entfesselte Schwanenbrust Luft bekam. Aber wie, ein Geraeusch von der Tuere her? Die Tuere geht auf, im matten Schimmer des Nachtlichtes erkennt sie Martiniz' blendendes Gesicht; sein dunkles, wehmuetiges Auge fesselt sie so, dass sie kein Glied zu ruehren vermag, sie kann die Decke nicht weiter heraufziehen, sie kann den Marmorbusen nicht vor seinem Feuerblick verhuellen; sie will zuernen ueber den sonderbaren Besuch, aber die Stimme versagt ihr. Aufgeloest in jungfraeuliche Scham und Sehnsucht, drueckt sie die Augen zu; er naht, weiche Floetentoene erwachen und wogen um ihr Ohr, er kniet nieder an ihrem braeutlichen Lager, "der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme," fluestert er in ihr Ohr; er beugt das gramvolle, wehmuetige Gesicht ueber sie hin, heisse Traenen stuerzen aus seinem gluehenden Auge herab auf ihre Wangen, er woelbt den wuerzigen Mund--er will sie kue-- Sie erwachte, sie fuehlte, dass ihre eigenen heftigstroemenden Traenen sie aus dem schoenen Traume erweckt hatten. * * * * * DIE BEICHTE. Am andern Morgen sehr frueh stand der Hofrat schon vor des Praesidenten Haus und zog die Glocke. Er musste ja sein holdes Idchen fragen, wie es zum erstenmal wieder in Freilingen geschlafen habe. Nebenbei hatte er so viel zu fragen, so viel mitzuteilen, dass er nicht wusste, wo ihm der Kopf stand. Nur soviel war ihm klar, als er den hellpolierten Handgriff der Glocke in der Hand hielt, dass er um keinen Preis von dem interessanten Herrn von gestern zuerst sprechen werde; sie soll mir daran, sagte er, sie soll mir beichten. Er tat sich auf seinen Witz nicht wenig zugut und laechelte noch still vor sich hin, als er die breite Treppe hinanstieg. Der Praesident sei schon in die Session gefahren, gaben ihm die Bedienten auf seine Anfrage zur Antwort, aber gnaediges Fraeulein nehme ihn vielleicht an, obwohl ihre Toilette noch nicht fertig sei. Man meldete ihn; er wurde sogleich vorgelassen. In ihrem kleinen, aufs geschmackvollste dekorierten Boudoir sass Ida auf einer Estrade am Fenster, das Lockenkoepfchen in die Hand gestuetzt. War es doch, als sei das Maedchen in dieser Nacht noch tausendmal schoener geworden! Der Hofrat bekam ordentlich Ehrfurcht vor ihrer Schoenheit; es lag so viel Schmachtendes in ihrem Auge, so viel ernste Sanftmut auf dem lieben Gesichtchen, das ihn begruesste, dass er gar nicht wusste, woher dies alles das Wunderkind gestohlen hatte. Er sagte ihr auch, wie schoen er sie finde; sie aber lachte ihm geradezu ins Gesicht; sie finde, dass sie weit bleicher aussehe als sonst, der Ball koenne einesteils daran schuld sein, sagte sie; dazu komme, dass sie heute nacht so dumm getraeumt habe und alle Augenblicke aufgewacht sei. Sie wollte bei dieser Behauptung recht ernst aussehen; aber das kleine Schelmchen flog ihr doch beinahe unmerklich um den Mund, als wuesste es, was dem huebschen Engelskind getraeumt habe. Der Hofrat sprach vom gestrigen Ball, von Herren und Damen, von allen moeglichen Schoenen; aber er haette sich lieber die Zunge abgebissen, ehe er von Martiniz zuerst angefangen haette, obgleich er wohl sah, dass Ida darauf warte. Er sah sich daher, als alle Taenze und Touren bekrittelt waren und das Gespraech zu stocken drohte, im Zimmer umher. "Nein," sagte er, "wie wunderschoen Ihnen Papa das Boudoir da dekorieren liess, die bronzierte Lampe am gewoelbten Plafond, die freundliche Tapete! Wie werden sich Ihre Besucher erfreuen, wenn man sich nicht mehr um den Rang auf dem Sofa streiten darf! denn jener von hellbraunem Kasimir, der sich an drei Waenden hinzieht, den eleganten Teetisch von Zedernholz in der Mitte, kann ja eine ganze Legion von Daemchen in sich aufnehmen. Der franzoesische Kamin mit dem deckenhohen Spiegel scheint aber nicht sehr warm geben zu wollen; doch Hoffart muss schon auch ein wenig Schmerz leiden. Die geschmackvolle Etagere dort haben Sie gewiss selbst erst aus der Residenz geschickt; denn hier wuesste ich niemand, der solche Arbeit lieferte." Das ging ja dem alten Herrn aus dem Mund wie Wasser; schade nur, dass er den tauben Waenden predigte; denn Ida schaute stillverklaert durch die Scheiben und hatte weder Augen noch Ohren fuer ihren alten Freund. Dieser sah sich um, sah das Hinstarren des Maedchens, folgte ihrem Auge und--drueben in der ersten Etage des ehrsamen Gasthofes "Zum goldenen _Mond_" hatten sich die rot und weissen Gardinen aufgetan, und im geoeffneten Fenster stand--nein, er machte es gerade zu, als der Hofrat hinsah, und liess die Gardine wieder herab; das selige Kind drehte jetzt das Koepfchen, und ihr Blick begegnete dem lauernden Auge des Hofrats. Die Flammenroete schlug ihr ins Gesicht, als sie sich so verraten sah; aber dennoch sagte Trotzkoepfchen kein Wort, sondern arbeitete eifrig an einer Zentifolie. Nun, dachte der Alte, wenn du es durchaus nicht anders haben willst,--auf den Zahn muss ich dir einmal fuehlen, also sei's! "Sie haben brave Nachbarschaft, Ida," sagte er, "da koennen Sie Ihre astronomischen Beobachtungen nach den Glutsternen des Herrn von Martiniz recht kommode anstellen; ich habe zu Haus einen guten Dolland, er steht zu Diensten, wenn Sie etwa--" "Wie Sie nur so boes sein koennen, Berner!" klagte das verschaemte Maedchen. "Wahrhaftig, ich habe bis auf diesen Augenblick gar nicht gewusst, dass er nur im Mond logiert; und dass ich gestern diesen Mann schon wegen seines Aeusseren gehaltvoller gefunden habe als unsere jungen Herren hier, um die ich nun einmal kein Floeckchen Seide gebe, --ist das denn ein so schweres Verbrechen, dass man es noch am andern Tage buessen muss? Ist es denn so arg, wenn man Mitleiden hat mit einem Menschen, der so ungluecklich scheint?" "Nun, da bringen Sie mich just auf den rechten Punkt," sagte der Hofrat; "dass der junge Herr im Mond drueben gestern nacht in der Muensterkirche war, habe ich Ihnen gesagt; aber was er dort tat, das wissen Sie nicht,--und was bekomme ich, wenn ich es sage?" "Nun, was wird er viel dort getan haben?" antwortete Ida, vergeblich bemueht, ihre Neugierde zu bekaempfen. "Er hat sich wahrscheinlich die Kirche zeigen lassen, wie die Fremden auf der Durchreise immer tun?" "Durchreise? Als ob ich nicht wuesste, dass Herr von Martiniz die drei Zimmer Ihnen gegenueber auf vier Wochen gemietet hat--" "Auf vier Wochen?" rief Ida freudig aus, erschrak aber im naemlichen Augenblick ueber die laute Aeusserung ihrer Freude. "Vier Wochen?"-- setzte sie gefasster hinzu. "Wie freut mich das fuer die gute Mondwirtin! Sie muss immer Schelte hoeren von ihrem Mann, dass ihre _Table d'hote_ nicht so gut sei wie im _Hotel de Saxe_, und kein Mensch bleibe recht lange; da hat sie nun doch einen Beweis fuer sich." "Die arme Mondwirtin," spottete der Hofrat, "die gute Seele! Muss sie jetzt auch noch zur Entschuldigung dienen, wenn man seine Freude nicht recht verbergen kann! Und, um aufs vorige zurueckzukommen, Sie glauben also, der Mann im Monde da drueben habe sich als durchreisender Fremder unsern Muenster zeigen lassen und dazu die glueckliche Stunde nachts von zwoelf bis ein Uhr gewaehlt, habe den Kuester mit seiner Laterne alles beleuchten lassen, nur um die Finsternis desto deutlicher zu sehen?" Der kleine Schalk lachte verstohlen auf seine Arbeit hin und liess den Hofrat immer fortfahren-- "Heute in aller Frueh war ich beim Kuester, dem ich vorzeiten einmal einen Prozess gefuehrt und ein Kind aus der Taufe gehoben hatte; gewiss, ohne diese Empfehlung waere ich bei dem Alten nicht durchgedrungen. 'Gevatter!' sagte ich zu ihm, 'Er kann mir wohl sagen, was der Fremde, der Ihn gestern nacht noch besuchte, im Muenster getan hat.' Der Mann wollte im Anfang von gar nichts wissen; ich rief aber meinen alten Balthasar,--Sie kennen ihn ja, wie geschickt er ist, alles aufzuspueren,--diesen rief ich her und konfrontierte beide; der Balthasar hatte den Bedienten des Fremden in des Kuesters Haus gehen und beide bald darauf mit dem Fremden im Muenster verschwinden sehen. Er gab dies zu, bat mich aber, nicht weiter in ihn zu dringen, weil es ein furchtbares Geheimnis sei, das er nicht verraten duerfe. So neugierig ich war, stellte ich mich doch ganz ruhig, bedauerte, dass er nichts sagen duerfe, weil es ihm sonst eine Bouteille Alten (seine schwache Seite) eingetragen haette; da gab er weich und erzaehlte--" "Nun, fahren Sie doch fort!" sagte Ida ungeduldig, "Sie wissen von frueher her, dass ich fuer mein Leben gerne Geschichten hoere, namentlich geheimnisvolle, die bei Nacht in einer Kirche spielen." "So, so? Man hoert gerne Geschichten von interessanten, geheimnisvollen Leuten? Nun ja, hoeren Sie weiter! Der Kuester, der fuer seine Muehe einen harten Taler bekam, fuehrte gestern nacht einen Herrn, der bleich wie der Tod, aber so vornehm wie ein Prinz ausgesehen haben soll, in den Muenster. Dort habe sich der Fremde auf die Altarstufen gesetzt und in voller Herzensangst gebetet. Dann sei ein Sturm gekommen, wie er fast noch nie einen gehoert; er habe an den Fenstern geruettelt und geschuettelt und die Scheiben in die Kirche hereingeschlagen; der Herr aber habe wunderliche Reden gefuehrt, als reite der Teufel draussen um die Kirche und wolle ihn holen. "Der Kuester glaubt auch daran wie ans Evangelium und weint wie ein Kind um den bleichen jungen Mann, der schon so frueh in die Hoelle fahren solle. Dabei verspricht er aber ganz getrost, wenn der Herr alle Nacht bei ihm einkehre und sich in den Schutz seines Muensters begebe, solle ihm vom Boesen kein Haar gekruemmt werden. Sehen Sie, das ist die Geschichte; da werde jetzt einer klug daraus! Was halten Sie davon?" In aengstlicher Spannung hatte Ida zugehoert; in hellem Wasser schwammen ihr die grossen blauen Augen, die volle schoene Schwanenbrust hob sich unter der durchsichtigen Chemisette, als wolle sie einen Berg von sich abwaelzen; die Stimme versagte ihr; sie konnte nicht gleich antworten. "O Gott!" rief sie, "was ich geahnt, scheint wahr zu sein: der arme Mensch ist gewiss wahnsinnig; denn an die toerichte Konjektur des Kuesters werden Sie doch nicht glauben?" "Nein, gewiss glaube ich an solche Torheiten nicht; aber auch was Sie sagen, scheint mir unwahrscheinlich; sein Auge ist nicht das eines Irren, sein Betragen ist geordnet, artig, wenn auch verschlossen." "Aber haben Sie nicht bemerkt," unterbrach ihn Ida, "nicht bemerkt, wie unruhig er wurde, wie sein Auge rollte, als es elf Uhr schlug? Gewiss hat es eine ganz eigene Bewandtnis mit dieser Stunde, und irgend eine Gewissenslast treibt ihn wohl um diese Zeit, Schutz in dem Heiligtum zu suchen, das jedem, der muehselig und beladen koemmt, offen steht." "Ihr Frauen habt in solchen Sachen oft einen ganz eigenen Takt," antwortete der Hofrat, "und sehet oft weiter als wir; doch will ich auch hier bald auf der Spur sein; denn mich peinigt alles, was ich nur halb weiss, und mein Idchen weiss mir vielleicht auch Dank, wenn ich mit dem Herrn Nachbar Bleichwangioso aufs reine komme; das greifen wir so an: Der Mondwirt ist mein spezieller Freund, weil ich gewoehnlich abends mein Schoeppchen bei ihm trinke und mir seit zehn Jahren das Essen von ihm holen lasse. Ich speise nun die naechsten paar Tage an seiner Tafel, und er muss mein Kuvert neben das seines bleichen Gastes setzen lassen; bekannt will ich bald mit ihm sein, und habe ich ihn nur einmal auf einem freundschaftlichen Fuss, so will ich den alten Diener aufs Korn fassen. Natuerlich holt man weit aus und faellt nicht mit der Tuere ins Haus; aber ich habe schon mehr solche Kaeuze ausgeholt, es ist nicht der erste." * * * * * DAS DEJEUNER. "Das ist herrlich," sagte Ida und streichelte ihm die Wangen wie ehemals, wenn er ihr etwas geschenkt oder versprochen hatte. "Das machen Sie vortrefflich; zum Dank bekommen Sie aber auch etwas Extragutes, und jetzt gleich!" Sie stand auf und ging hinaus; dem Hofrat pupperte das Herz vor Freude, als er das wunderherrliche Maedchen dahingehen sah; die zarten Fuesschen schienen kaum den tuerkischen Fussteppich zu beruehren, der einfache, blendendweisse Batistueberrock verriet in seinem leichten Faltenwurf das Ebenmass dieses herrlichen Gliederbaues, diese frische, jugendliche Kraeftigkeit! Er versank in Gedanken ueber das holde Geschoepf, das allen Lockungen der Residenz Trotz geboten, sich das jungfraeuliche Herz frei bewahrt von Liebe und jetzt, als sie in ihre kleine Vaterstadt zurueckkommt, am ersten Abend einen Mann findet, den sie-- nein! sie konnte es nicht leugnen, es war ja offenbar, dass sie ihm mit der hohen Glut der ersten jungfraeulichen Liebe zugetan sei. Aber wie? Durfte er, der gereifte Mann, diese Neigung, die doch wahrscheinlicherweise kein vernuenftiges Ende nehmen konnte, durfte er sie unterstuetzen? Konnte nicht der landfremde, wie es schien, sogar gemuetskranke Mensch alle Augenblicke wieder in seinem Landau sitzen und weiterfahren? Doch der Karren war jetzt schon verfahren.-- Ida trat ein, das Gesichtchen war hochgeroetet, sie trug einen silbernen Teller mit zwei Bechern, ein Kammermaedchen folgte mit allerlei Backwerk. "Schokolade mit Kapwein abgeruehrt," sagte Ida laechelnd, indem sie ihm einen Becher praesentierte; "ich kenne den Geschmack meines Hofraetchens gar wohl, darum habe ich dieses Fruehstueck gewaehlt, und--denken Sie, wie geschickt ich bei Madame La Truiaire geworden bin,--ich habe ihn ganz allein selbst gemacht, Gesicht und Arme gluehen mir noch davon; versuchen Sie doch, er ist ganz delikat ausgefallen." Sie lueftete, ohne sich vor dem alten Freund zu genieren, das leichte UEberroeckchen; eine himmlische Aussicht oeffnete sich, der weisse Alabasterbusen schwamm auf und nieder, dass der Hofrat die alten Augen in seine Schokolade heftete, als solle er sie mit den Augen trinken. "Hierher sollte einer unserer jungen Herren kommen," dachte er, "Kapweinschokolade in den Adern, ein solches Himmelskind mit dem offenen leichten Ueberroeckchen vor sich--ob er nicht rein von Sinnen kaeme!" Beinahe ebenso grossen Respekt als vor ihren entfesselten Reizen bekam er aber vor der Kochkunst des Maedchens. Die Schokolade war so fein, so wuerzig, das rechte Mass des Weines so gut beobachtet, dass er bei jedem Schlueckchen zoegerte zu schlucken. Idchen aber schien ihre Schokolade ganz vergessen zu haben; denn ein neues Schauspiel bot sich ihren Augen dar. Der wohlbekannte Diener des Fremden fuehrte ein Paar prachtvolle Pferde vor das Portal des goldenen Mondes. Sie selbst war soviel Reiterin, dass sie wohl beurteilen konnte, dass besonders das eine Pferd, ein majestaetischer Stumpfschwanz, Tigerschimmel, von unschaetzbarem Wert sei. Auch Berner, der in allen Saetteln gerecht war, stimmte bei und pries die einzelnen Schoenheiten des Schimmels, besonders auch das elegante, geschmackvolle Reitzeug. Ida wagte voll Erwartung kaum Atem zu holen; der Mondwirt, ein stattlicher Vierziger, trat gravitaetisch aus dem Torweg und bekomplimentierte sich mit dem alten Diener um die Ehre, die Zuegel des Tigerschimmels zu halten. Als aber dieser sich dieses Geschaeft nicht nehmen liess, hielt er den Steigbuegel. Emil von Martiniz, in einem eleganten Morgenueberrock, trat jetzt aus der Halle, gefolgt von dem Oberkellner; er streichelte den schlanken Hals seines Schimmels und warf ueber ihn weg oft seine Blicke zu dem Fenster gegenueber, wo Ida neben dem Hofrat sass. Indem toente der Hufschlag eines in kurzem Galopp ansprengenden Pferdes die Strasse herauf; es kam naeher, es war der junge Dragoner- Freier, Leutnant von Schulderoff. Er hatte die gute Uniform an und von einem seiner Kameraden eine prachtvolle Tigerdecke entlehnt und langte jetzt in vollem Wichs vor des Praesidenten Haus an. Nach Vorschrift der gnaedigen Mama liess er jetzt mit einem Blick auf die Holdselige seine Reitpeitsche fallen; im Nu war der geuebte Voltigeur herab von seinem Rappen; aber gerade, als er wieder aufspringen wollte, scheute sein Ross an denen, die vor dem goldenen Mond standen, machte einen Seitensprung und dann im Karriere davon, gerade auf einen Kirchplatz zu, wo viele Kinder, die gerade aus der Schule kamen, ihre unschuldigen Spiele trieben. Der Mondwirt, der bis letzt noch immer den Buegel gehalten, flog rechts, der alte Diener links, und _ventre a terre_ flog Martiniz mit Windeseile dem Rappen nach, ueberholte ihn noch drei Schritte vor einem Haufen Kinder, die keinen Ausweg mehr hatten und klaeglich schrien, riss sein eigenes Ross herum, packte mit Riesenkraft den Ausreisser und brachte ihn zum Stehen. Alles dies war das Werk eines Augenblicks. Der liebende Dragoner hinkte auf seinen Freiersfuessen dem Rappen nach, murmelte einige Flueche, die wie ein Dank lauten sollten, sass auf und jagte davon. Martiniz aber ritt, ohne auf den tausendstimmigen Beifall, der ihm von der Menge, die sich versammelt hatte, zugejubelt wurde, zu achten, zurueck, gruesste ehrerbietig an des Praesidenten Haus hinauf und zog, gefolgt von dem alten Diener, auf seinem Morgenritt weiter. Ida hatte in dem schrecklichen Moment das Fenster aufgerissen; sie hatte die Gefahr der armen Kleinen, hatte mit steigender Angst den gefaehrlichen Moment gesehen, wo Martiniz in gestreckter Karriere sein Pferd herumriss, auf die Gefahr hin, zu ueberstuerzen; sie haette moegen mit jener Menge laut aufjauchzen und konnte sich nicht enthalten, als er vor ihrem Fenster vorbeikam, seinen Gruss so freundlich als moeglich zu erwidern. Dieser Moment war entscheidend; in der Angst, die sie fuehlte, ward sie sich bewusst, wie teuer ihr der Mann war, der dort hinflog. Das gepresste Herz, die stuermisch wogende Brust rang nach einem Ausweg. Der Hofrat wollte seinen alten Sarkasmus wieder spielen lassen; aber er draengte ihn zurueck, als ihn das Maedchen so bittend ansah, als sie seine Hand drueckte und die hellen, vollen Traenen aus den sanften Augen herabfielen. "Ich bin ein rechtes Kind, nicht wahr, Hofrat? Aber ueber solche Szenen kann ich nicht anders, muss ich unwillkuerlich weinen. Lachen Sie nur nicht ueber mich! Es wuerde mir gerade jetzt recht wehe tun." "Gott bewahre mich, dass ich lache," entgegnete der Hofrat; "wenn eines im hoechsten Fieberparoxismus ist, wie Sie, Goldkind, so lacht man gewoehnlich nicht." Er dankte ihr fuer ihre Schokolade, nahm Stock und Hut und liess das Maedchen mit ihrem siebzehnjaehrigen, von dem Keim der ersten Liebe stuermisch bewegten Herzchen allein. * * * * * DER BRIEF Als Hofrat Berner nach Tisch wieder in des Praesidenten Haus kam, um ihn, da er ihn heute frueh verfehlt hatte, zu besuchen, traf er Ida wieder so vergnuegt und froehlich wie immer. Das ewige Aprilwetter! dachte er, auch bei ihr bleibt es nicht aus; wenn wir morgens weinen, so darf man gewiss sein, dass uns auch der Abend noch traurig oder doch ernst findet; aber das weint und lacht, klagt und tollt durcheinander wie Heu und Stroh. Er setzte sich zum Praesidenten, der gewoehnlich vor dem Kaffee noch ein halbes Stuendchen tischelte; gegenueber hatte er das liebe Aprillen-Kind und noetigte sie durch sein beredtes Mienenspiel, wodurch er sie an heute frueh erinnerte, alle Augenblicke zum Lachen oder Rotwerden. "Apropos! Sie kommen gerade recht, Berner," sagte der Praesident, "haette ich doch beinahe das Beste vergessen. Sie koennen mir durch Ihre Umgaenglichkeit und Gewandtheit, durch die viele freie Zeit, die Sie haben, einen sehr grossen Gefallen tun. Ich bekam da heute vom Minister-Staatssekretaer ein Brieflein, worin mir unter den groessten Elogen der ganz sonderbare Auftrag wird, neben meinem Amt als Praesident auch noch den gehorsamen Diener anderer Leute zu spielen. Da haben Sie," fuhr er fort, indem er einen Brief mit dem grossen Dienstsiegel hervorzog, "lesen Sie einmal vor! Aber da, die Elogenstelle bleibt weg; ich kann das Ding fuer meinen Tod nicht leiden, wenn man einen so ins Gesicht hinein lobt." Berner nahm den Brief, der, weil in solchen Faellen der Staatssekretaer von Pranken selbst schrieb, ein wenig schwer zu lesen war, und begann: "--Naechstdem wurde mir hoeheren Orts der Wink gegeben, dass, da ein sicherer Graf von Martiniz den Kreis Ew. Exzellenz bereisen werde, ihm aller moegliche Vorschub und Hilfe zuteil werden soll. Besagter Herr von Martiniz wurde unserem Hofe durch den ---schen _Ministre plenipotentiaire_ aufs angelegentlichste empfohlen. Er hat im Sinn, bei uns, aller Wahrscheinlichkeit nach in Ihrem Kreise, sich bedeutende Gueter zu kaufen, ist ein Mensch, der seine drei Millionen Taler hat und vielleicht noch mehr bekommt, und muss daher womoeglich im Lande gehalten werden. Ew. Exzellenz koennen, wenn solches gelingen sollte, auf grossen Dank hoehern Orte rechnen, da, wie ich Ihnen als altem Freunde wohl anvertrauen darf, im Fall er sich im Lande ansiedelte und sein Vermoegen hereinzoege, die Hand der Graefin Aarstein Exzellenz demselben nicht vorenthalten werden wird." Im Anfang dieses Brief es war Ida bei dem Namen Martiniz hoch erroetet; denn sie begegnete dem Auge des Hofrats, der ueber den Brief weg zu ihr hinueber sah; als die Stelle von den drei Millionen kam, wurde die Freude schwaecher; ein dreifacher Millionaer war nicht fuer Idas bescheidene Wuensche; als aber die Hand der Graefin Aarstein nach ihrem sanften, liebewarmen Herzen griff, da wich alles Blut von den Wangen des zitternden Maedchens, sie senkte das Lockenkoepfchen tief, und eine Traene, die niemand sah als Gott und ihr alter Freund, stahl sich aus den tiefsten Tiefen des gebrochenen Herzens in das verdunkelte Auge und fiel auf den Teller herab. Sie kannte diese Graefin Aarstein aus der Residenz her. Sie war die natuerliche Tochter des Fuersten .....; von ihm mit ungeteilter Vorliebe erzogen, mit einem ungeheuern Vermoegen ausgestattet, lebte sie in der Residenz wie eine Fuerstin. Sie war einmal einige Jahre verheiratet gewesen; aber ihre allzu vielseitige Menschenliebe hatte den Grafen Aarstein genoetigt, seine Person von ihr scheiden und ihr nur seinen Namen zurueckzulassen. Seitdem lebte sie in der Residenz; sie galt dort in der grossen Welt als Dame, die ihr Leben zu geniessen wisse; wenn man aber nur eine Stufe niederer hinhorchte, so hoerte man von der Graefin, dass sie dieses angenehme Leben auf Kosten ihres Rufes fuehre, zehn Liebeshaendel, zwanzig Prozesse auf einmal, Schulden so viel als Steine in ihrem Schmuck habe und eine Kokette sei, die sich nicht entbloede, mit dem Geringsten zu liebaeugeln, wenn seine Formen ihr gefielen. So war Graefin Aarstein. Ein unabweislicher Widerwille hatte schon in der Residenz die reine jungfraeuliche Ida von dieser ueppigen Buhlerin zurueckgeschreckt; so oft sie zu ihren glaenzenden Soirees geladen war, wurde sie krank, um nur diese frivolen Augen, diese bis zur Nacktheit zur Schau gestellten Reize nicht zu sehen; und diese Frau, deren Geschaeft ein ewiges Gurren und Lachen, Spotten und Persiflieren war, sie sollte der ernste, unglueckliche junge Mann mit dem ruehrenden Zuge von Wehmut, dem gefuehlvollen, sprechenden Auge-- Berner hatte schweigend den Brief noch einmal ueberlesen und legte ihn dann mit einem mitleidigen Blick auf Ida zurueck. "Nun, was sagen Sie zu dem sonderbaren Auftrag?" fragte der Praesident. "Wahr ist es, der Martiniz ist nach dieser Beschreibung ein Goldfisch, den man nicht hinauslassen darf, ja, ja,--man muss negoziieren, dass er in unserem Kreise bleibt. Da koennte er zum Beispiel Woldringen kaufen: um zweimalhunderttausend Taelerchen ist Schloss, Gut, Wiesen, Feld, Fluss, See, Berg und Tal, alles, was man nur will, sein; und dieser Preis ist ein Pappenstiel. So, so? Die Aarstein also? Nicht uebel gekartet von den Herren. Sie soll enorme Schulden haben, die am Ende doch der Fuerst uebernehmen muesste; die bekommt der Herr Graf in den Kauf. Du kennst die Aarstein, Ida? Sahst du sie oft?" "Nie!" antwortete Ida unter den Loeckchen hervor und sah noch immer nicht vom Teller auf. "Nie?" fragte der Praesident gereizt. "Ich will nicht hoffen, dass die gnaedige Graefin meine Tochter nicht in ihren Zirkeln sehen wollte; hat sie dich nie eingeladen, wurdest du ihr nicht vorgestellt?" "O ja," sagte Ida, "sie schickte wohl zwanzigmal, ich kam aber nie dazu, hinzugehen." "Was der T--! Ich haette geglaubt, du waerest ein vernuenftiges, gesittetes Maedchen geworden; wie kannst du solche Sottisen begehen und die Einladungen einer Dame, die mit dem fuerstlichen Hause so nahe liiert ist, refuesieren?" "Man hat mich deswegen bei Hof nicht weniger freundlich aufgenommen," antwortete Ida und hob das von Unmut geroetete Gesichtchen empor; "man hat sich vielleicht gedacht, dass es der Ehre eines unbescholtenen Maedchens wohl anstehe, so fern als moeglich von der Frau Graefin zu bleiben." "So sieht es dort aus?" fragte der Praesident kopfschuettelnd. "Nun, nun! Heutzutage setzt man sich, wenn man ein wenig Welt hat, darueber weg. Ich mag dir hierueber nichts sagen, ihr jungen Maedchen habt eure eigenen Grundsaetze; nur waere es wegen der jetzigen Verhaeltnisse besser gewesen, du haettest sie oefter gesehen; denn wenn sie sich hier in der Gegend ankaufen, nach Freiling kommen sie doch auch alle Jahre ein paar Mal. Wir machen das erste Haus hier, du sollst in Zukunft die Dame des Hauses vorstellen; wie kannst du nun die Graef in Martiniz empfangen, wenn du in der Residenz sie so ganz negligiertest?" "Nun, Graefin Martiniz ist sie ja noch nicht," meinte der Hofrat und laechelte dabei so geheimnisvoll, dass es sogar dem Praesidenten auffiel. "Nun, Er spricht ja so sicher ueber diesen Punkt," sagte dieser, "als kenne Er den Grafen Martiniz und seine Herzensangelegenheiten aus dem Fundament." "Seine Herzensangelegenheiten nun freilich nicht," laechelte Berner; "aber den Grafen hatte ich die Ehre gestern kennen zu lernen--" "Wie," unterbrach ihn der Praesident, "er ist schon hier? Und wir schwatzen schon eine Stunde von ihm, und Sie sagen nichts--" "Fraeulein Tochter ist nicht minder in der Schuld als ich," entgegnete jener; "sie kennt ihn sogar genauer als ich." "Ich glaube, Ihr seid von Sinnen, Berner, oder mein Laubenheimer hat Euch erleuchtet. Du, Idchen, du kennst ihn?" "Nein--ja--" antwortete Ida, noch hoeher erroetend. "Ich habe mit ihm getanzt, das ist alles." "Er war also gestern auf dem Ball? Schon bei Jahren, natuerlich, ein aeltlicher Mann? Schon in unserem Alter, Berner?" "Nicht so ganz," sagte dieser mit Hohn, "er mag so seine drei- bis vierundzwanzig Jaehrchen haben. Uebrigens koennen Exzellenz seine Bekanntschaft recht wohl machen; er logiert drueben im Mond." Der Praesident war zufrieden mit diesen Nachrichten; er sann nach, wie der junge Mann am besten zu halten sein moechte; denn er trieb alles gerne nach dem Kanzleistil. Freund und Tochter, die er zu Rate zog, rieten, ihn einzuladen und ihm so viel Ehre und Vergnuegen als moeglich zu geben. Der Hofrat nahm es ueber sich, die Sache einzuleiten, und der Praesident ging um ein Geschaeft leichter in sein Kollegium. * * * * * OPERATIONSPLAN. Als er weg war, sahen sich Ida und Berner eine Zeitlang an, ohne ein Wort zu wechseln. Der Hofrat, dem das lange Schweigen peinlich wurde, zwang sich, obgleich ihm die wehmuetige Freundlichkeit in Idas Gesicht, ihr traenenschwerer Blick bis tief ins Herz hinein wehe tat, zum Laecheln. "Nun, wer haette es," sagte er, "wer haette es dem leidenden Herrn von gestern nacht angesehen, dass er drei Millioenchen habe? Wie dumm ich war, dass ich glaubte, er weine in seinem Landau, weil er keine Wechselchen mehr habe! Wer haette es dem truebseligen Schmerzenreich angesehen, dass er bald eine so glaenzende, lustige Partie machen wuerde!" Ida schwieg noch immer; es war, als scheute sie sich vor dem ersten Wort, das sie vor dem Freund, der ihr Herz so tief durchschaut hatte, auszusprechen habe. "Oder wie?" fuhr er fort. "Wollen wir eine Allianz schliessen, mein liebes Aprillen-Wetterchen, dass die Graefin Aarstein ihre Schulden nicht zahlen kann, dass--" "O Berner, verkennen Sie mich nicht," sagte Ida unter Traenen; "es ist gewiss nur das reine Mitleiden, was mich noetigt, auszusprechen, was sonst nie gesprochen worden waere. Sehen Sie, dieses Weib ist die Schande unseres Geschlechts! Sie ist so schlecht, dass ein ehrliches Maedchen erroeten muss, wenn es nur an ihre Gemeinheit denkt. Pruefen Sie den jungen Mann da drueben, und wenn er ist, wie er aussieht, wenn er edel ist und trotz seines Reichtums ungluecklich, so machen Sie, dass er nicht noch ungluecklicher wird; suchen Sie ihn aus den Schlingen, die man um ihn legen wird, zu reissen--" "Das kann niemand besser als mein Idchen," entgegnete jener und sah ihr recht scharf in das Auge; "wenn mich nicht alles truegt, haengt das Goldfischchen an einem ganz anderen Haken als dem, womit ihn der Minister koedern will; nur nicht gleich so rot werden, Kind! Ich will alles tun, will ihm sein Leben angenehm machen, wenn ich kann, will ihm die Augen auftun, dass er sieht, wohin er mit der Aarstein kommt, will machen, dass er sich in unserer Gegend ankauft und seine drei Millionen ins Land zieht, will machen, dass er mein Maedchen da lie--" "Still, um Gottes willen," unterbrach ihn die Kleine und prusste ihm das kleine, weiche Patschhaendchen auf den Mund, dass er nicht weiter reden konnte. "Wer spricht denn davon? Einen Millionaer mag ich gar nicht; es waere ganz gegen meine Grundsaetze; nur die Schlange im Residenzparadies soll ihn nicht haben; vom uebrigen kein Wort mehr, unartiger Mann!--" Verschaemt, wie wenn der Hofrat durch die glaenzenden Augen hinabschauen koennte auf den spiegelklaren Grund ihrer Seele, wo die Gedanken sich insgeheim draengten und trieben, sprang sie auf und an den Fluegel hin, uebertoente die Schmeichelworte des Hofrats mit dem rauschendsten Fortissimo, drueckte sich die weichen Knie rot an dem Saitendaempfer, den sie hinauftrieb, um die Toene so laut und schreiend als moeglich zu machen, um durch den Sturm, den sie auf den Elfenbeintasten erregte, den Sturm, der in dem kleinen Herzchen keinen Raum hatte, zu uebertaeuben. Verzweiflungsvoll ueber den halloenden Schmetter dieses Furioso enteilte der Hofrat dem Salon. Aber kaum hatte er die Tuere geschlossen, so stieg sie herab aus ihrem Tonwetter; die gellenden Akkorde loesten sich auf in ein suesses, fluesterndes Dolce, sie ging ueber in die schoene Melodie: "Freudvoll und leidvoll"; mit Meisterhand fuehrte sie dieses Thema in Variationen aus, die aus ihrem innersten Leben herauf stiegen; durch alle Toene des weichsten Moll klagte sie ihren einsamen Schmerz, bis sie fuehlte, dass diese Toene sie viel zu weich machen, und ihr Spiel, ohne seine Dissonanzen aufzuloesen, schnell wie ihre Hoffnung endete. * * * * * DIE MONDWIRTIN. Im Goldenen Mond drueben ging es hoch her. Drei Zimmer in der Beletage vorn heraus hatte schon lange Zeit kein Fremder mehr gehabt. Die Mondwirtin hatte daher alles aufgeboten, um diese Zimmer so anstaendig als moeglich zu dekorieren; das mittlere hatte sie durch einen eleganten Armoir zum Arbeits-, durch ein grosses Sofa zum Empfangzimmer eingerichtet. Das linke nannte sie Schlafkabinett, das rechte, weil sie ihren ganzen Vorrat ueberfluessiger Tassen und eine bronzierte Maschine auf einen runden Tisch gesetzt hatte, das Teezimmer. Auch an der _Table d'hote_, wo sonst nur einige Individuen der Garnison, einige Forst- und Justizassessoren, Kreissteuereinnehmer und dergleichen, selten aber Grafen sassen, waren bedeutende Veraenderungen vorgegangen. Zum Dessert kam sogar das feinere Porzellan mit gemalten Gegenden und die damaszierten Strassburger Messer, die sonst nur alle hohen Festtage aufgelegt wurden. Dass ihr angesehener Goenner und spezieller Freund, der Hofrat Berner, jetzt im Mond statt zu Haus essen wollte und augenscheinlich dem Grafen zu Ehren, zog einen neuen Nimbus um die Stirne des letzteren in den Augen der Frau Mondwirtin. Sie war ganz vernarrt in ihren neuen Gast. Schon als er in dem herrlichen Landau mit den vier Postpferden, den aus Leibeskraeften blasenden Schwager darauf, vorfuhr, als der reichbordierte Bediente dem jungen Mann heraushalf, sagte sie gleich zu ihrem Ehezaerter: "Gib acht, das ist was Vornehmes." Als sie aber dem Brktzwisl,--so nannte sich der gute alte Diener,-- die Kommoden in den drei Zimmern oeffnete, ihm die Kleider und Waesche seines Herrn aus den Koffern nehmen, sortieren und ordnen half, da schlug sie vor Seligkeit und Staunen die Haende zusammen. Sie hatte doch von ihrer Mutter gewiss recht feine, sanfte Leinwand zum Brauthemdchen bekommen; aber das war grober Zwillich gegen diese Hemden, diese Tuecher--nein, so etwas Extrafeines, Schneeweisses konnte es auf der Erde nicht mehr geben wie dieses. Es ist kein uebles Zeichen unserer Zeit, wo der Edelmann seinen Degen abgelegt hat und Grafen und Barone im naemlichen Gewand wie der Buergerliche erscheinen, dass die Frauen dem Fremden, der zu ihnen kommt, nach dem Herzen sehen, das heisst nach seiner Waesche. Ist sie grob, unordentlich oder gar schmutzig, so zeigt sie, dass der Herr aus einem Hause sein muesse, wo man entweder seine Erziehung sehr vernachlaessigte, oder selbst _malpropre_ und unordentlich war. Wo aber der blaeuliche oder milchweisse Glanz des Halstuches, die feinen Faeltchen der Busenkrause und des Hemdes ins Auge fallen, da findet gewiss der Gast Gnade vor den Augen der Hausfrau, weil sie immer dieses Zeichen guter Sitte ordnet und aufrecht erhaelt. Auch die Freilinger Mondwirtin hatte diesen wahren Schoenheitssinn, diese angeborene Vorliebe fuer schoenes Linnenzeug in ihrer oft schmutzigen Wirtschaft noch nicht verloren; daher der ungemeine Respekt vor dem Gast, als sein Diener ihr die feinen Hemden dutzendweis, bald mit gelockten, bald mit gefaeltelten Busenstreifen, bald mit, bald ohne Manschetten aus den geoeffneten Koffern hinueberreichte. Und als er vollends an die Unzahl von Hals- und Sacktuechern kam, wovon sie jedes zum hoechsten Staat in die Kirche angezogen haette, da vergingen ihr beinahe die Sinne. "Ach, wie fuerstlich ist der Herr ausgestattet! Das hat gewiss die gnaedige Frau Mama ihm mitgegeben?" "Der tut schon lange kein Zahn mehr weh," gab Brktzwisl zur Antwort. "Ist sie tot, die brave Frau, die so schoene Linnen machte?" sagte die mitleidige Mondwirtin. "Aber die gnaedigen Fraeulein Schwestern haben--" "Hat keine mehr. Vor einem Jahre starb die Graefin Crescenz." "Auch keine Schwester mehr? Der arme Herr! Aber auf solche exquisite Prachtwaesche verfaellt kein junger Herr von selbst. Ich kann mir denken, der gnaedige Herr Papa Exzellenz--" "Ist schon lange verstorben," entgegnete das alte Totenregister mit einem Ton, vor welchem der Wirtin die Haut schauderte. "Der arme junge Herr!" rief sie, "was hat er jetzt von seinem schoenen Linnenzeug, wenn er nach Haus kommt und trifft keine Mutter mehr, die ihn lobt, dass er alles so ordentlich gehalten, und keine Fraeulein Schwester, die ihm das Schadhafte flickt und ordnet. Jetzt kann ich mir denken, warum der gnaedige Herr immer so schwarz angezogen ist und so bleich aussieht,--Vater tot, Mutter tot, Schwester tot, es ist recht zum Erbarmen." "Ja, wenn's das allein waere!" seufzte der alte Diener und wischte sich das Wasser aus dem Auge. Doch, als haette er schon zu viel gesagt, zog er murrend den zweiten Koffer, der die Kleider enthielt, heran und schloss auf. Die Wirtin haette fuer ihr Leben gerne gewusst, was sonst noch fuer Unglueck den bleichen Herrn verfolge, dass der Verlust aller Verwandten klein dagegen aussehe. Aber sie wagte nicht, den alten Brktzwisl, dessen Name ihr schon gehoerig imponierte, darueber zu befragen; auch schloss der Anblick, der sich jetzt darbot, ihr den Mund. Die schwarze Kleidung hatte ihr an dem ernsten, stillen Gast nicht so recht gefallen wollen; sie hatte sich immer gedacht, ein buntes Tuch, ein huebsches helles Kleid muessten ihn von selbst freundlicher machen. Aber da blinkte ihr eine Uniform entgegen--nein! Sie hatte geglaubt, doch auch Geschmack und Urteil in diesen Sachen zu haben. Sie hatte in frueherer Zeit, als sie noch bei ihrer Mutter war, die Franzosen im Quartier gehabt, schoene Leute, huebsch und geschmackvoll gekleidet; spaeter, als sie schon auf den Mond geheiratet hatte, waren die Russen und Preussen dagewesen, grosse stattliche Maenner wie aus Gusseisen. Freilich hatten sie nicht die lebhaften Manieren wie die frueheren Gaeste; aber die knappsitzenden Spenzer und Kutkas waren denn doch auch nicht zu verachten. Aber vor der himmlischen Pracht dieser Uniform verblichen sie samt und sonders zu abgetragenen Landwehr- und Buergermilizkamisoelern. Sie hob den Uniformsfrack vom Sessel auf, wohin ihn Brktzwisl gelegt hatte, und hielt ihn gegen das Licht; nein, es war nicht moeglich, etwas Schoeneres, Feineres zu sehen als dieses Tuch, das wie Samt glaenzte, das brennende Rot an den Aufschlaegen, die herrliche Posamentierarbeit an der Stickerei und den Achselschnueren. "Das ist die polnische Garde bei uns zu Haus in Warschau," belehrte sie der alte Diener, dem dieser Anblick selbst das Herz zu erfreuen schien. "Moechte man da nicht gleich selbst in die mit Seide gefuetterten Aermel fahren und das spannende Jaeckchen zuknoepfen? Und, weiss Gott! So wie mein Herr gewachsen, war keiner unter allen! Der Schneider wollte sich selbst nicht glauben, dass die Taille so fein und schmal sei, gab noch einen Finger zu und brachte unter Zittern und Zagen, es moechte zu eng sitzen, sein Kunstwerk; aber Gott weiss, wie es zugeht, sie war zwar ueber seine breite Heldenbrust gerade recht, aber hier in den Weichen viel zu weit, und dabei ist an kein Schnueren zu denken, mein Herr verachtet diese Kunststuecke. Der Schneider machte einen Sprung in die Hoehe vor Verwunderung; er konnte es rein nicht begreifen. Die andern Herren beim Regiment liessen sich Korsette machen mit Fischbein, schnuerten sich zusammen, dass man haette glauben sollen, der Herzbuendel wolle ihnen zerspringen, und dennoch rissen die Knoepfe alle drei Tage, wenn sie nur ein wenig mehr als zu viel gegessen hatten--mein Herr war immer der Fixeste, gedrechselt wie eine Puppe, und alles ohne ein Lot Fischbein, so wahr ich lebe!" "Es ist unbegreiflich, was es fuer herrliche Leute unter den Militaers gibt," unterbrach ihn die Wirtin, andaechtig staunend. "Und dann, Madame, lassen Sie ihn erst noch die Galabeinkleider da anlegen, den Federhut aufsetzen, seine goldenen Sporen mit den silbernen Raedchen an den feinen Absaetzchen,--denn Fuesschen hat er trotz einer Dame,--lassen Sie mich ihm den St. Wladimir in Diamanten auf die Brust haengen, den Ehrensaebel, den sein Herr Vater vom Kaiser bekommen und den er aus hoher Gnade als Andenken tragen darf, um den Leib schnallen--Frauchen, wenn ich ein Maedchen waere, ich floege ihm an den Hals und kuesste ihm die schwarzen Locken aus der schoenen Stirne. Und dabei war er so froehlich, die Wangen so rot, das Auge so freudig blitzend, und alles hiess ihn nur den schoenen, lustigen Martiniz. Das alles ist jetzt vorbei," setzte der treue Brktzwisl seufzend hinzu, indem er die Staatsuniform der Wirtin abnahm und in die Kommode legte, "da liegt das schoene Kleid, nach dem Zehntausend die Finger leckten; so liegt es seit drei Vierteljahren, und wie lange wird es noch so liegen!" "Aber sagen Sie doch, lieber Herr Wiesel,--Sein Vorderteil kann ich nicht aussprechen,--sagen Sie doch, warum dies alles? Warum sieht Sein Herr so bleich und traurig? Warum kleidet er sich wie ein junger Kandidat, da er unsere ganze Garnison in den Boden glaenzen koennte? Warum denn?" Der Alte sah sie mit einem grimmigen Blick an, als wollte er ueber diesen Punkt nicht gefragt sein. Aber die junge, reinliche, appetitliche Wirtin mochte doch dem tauben Mann zu zart fuer eine derbe Antwort vorkommen. "Bassa manelka!" sagte er unfreundlich. "Warum? Weil--ja, sehen Sie, Madame, weil, weil wir, richtig--weil wir als Zivil reisen," und nach diesem war auch kein Sterbenswoertchen mehr aus ihm herauszubringen. * * * * * DER POLNISCHE GARDIST. Dies alles hatte die Wirtin dem Hofrat erzaehlt, der sich in dem schoenen Speisesaal wohl eine Stunde frueher als die uebrigen Gaeste zur Abendtafel eingefunden hatte, um so allerlei Nachrichten, die ihm dienen konnten, einzuziehen. Er hatte sie ganz aussprechen lassen und nur hie und da seinen Graukopf ein wenig geschuettelt; als sie zu Ende war, dankte er fuer die Nachrichten. "Und ihn selbst, Ihren wunderlichen Gast, haben Sie noch nicht gesprochen oder beobachtet? Ich kenne Ihren Scharfblick; Sie wissen nach der ersten Stunde gleich, was an diesem oder jenem ist, und auch ueber Leben und Treiben fangen Sie hie und da ein Woertchen weg, aus dem sich viel schliessen laesst." Die Geschmeichelte laechelte und sprach: "Es ist wahr, ich betrachte meine Gaeste gern, und wenn man so seine acht oder zehn Jaehrchen auf einer Wirtschaft ist, kennt man die Leute bald von aussen und innen. Aber aus dem da droben in der Beletage werde ein anderer klug. Mein Mann, der sich sonst auch nicht uebel auf Gesichter versteht, sagt: 'Wenn es nicht ein Polack waere, so musste er mir ein Englaender sein, der den Spleen hat.' Aber nein, wir hatten auch schon Englaender, die den Spleen faustdick hatten, tage-, wochenlang bei uns; aber die seien griesgraemig, unzufrieden in die Welt hinein; aber die Frauen, nehmen Sie nicht uebel, Herr Hofrat, haben darin einen feinern Takt als mancher Professor. Der Graf sieht nicht spleenigt und griesgraemig aus, nein, da wette ich, der hat wirkliches Unglueck; denn die Wehmut schaut ihm ja aus seinen schwarzen Guckfenstern ganz deutlich heraus. Denke ich den Nachmittag, du gehst einmal hinauf und sprichst mit ihm, vielleicht, dass man da etwas mehr erfaehrt als von dem alten Burrewisl. Im Teezimmer sitzt mein stiller Graf am Fenster, die Stirne in die hohle Hand gelegt, dass ich meine, er schlaeft oder hat Kopfweh. Drueben spielte gerade die Fraeulein Ida auf dem Fluegel so wunderschoen und ruehrend, dass es eine Freude war. Dem Grafen musste es aber nicht so vorkommen; denn die hellen Perlen standen ihm in dem dunklen Auge, als er sich nach mir umsah." "Wann war denn dies?" fragte der Hofrat. "So gegen vier Uhr ungefaehr; wie ich nun so vor ihm stehe und er mich mit seinem sinnenden Auge mass, da muss ich feuerrot geworden sein; denn da fiel mir ein, dass doch nicht so leicht mit vornehmen Leuten umzugehen sei, wie man sich sonst wohl einbildet; er ist auch nicht so ein Herr Obenhinaus und Nirgendan wie unsere jungen Herren, mit denen man kurzen Prozess macht; nein, er sah gar zu vornehm aus. 'Ich wollte nur gefaelligst fragen, ob Ew. Exzellenz mit Ihrem Logis zufrieden seien?' hub ich an. "Er stand auf, fragte mich, ob ich Madame waere, holte mir,--denken Sie sich, so artig, als waere ich eine polnische Prinzess,--einen Stuhl und lud mich zum Sitzen ein. Es ist erstaunend, was der Herr freundlich sein kann; aber man sieht ihm doch an, dass es nicht so recht von Herzen gehen will. "An dem Logis hatte er gar nichts auszusetzen, und auch die Strasse gefiel ihm. Das Gespraech kam auf die Nachbarschaft und auch auf Praesidents Haus; ich erzaehlte ihm von dem wunderschoenen Fraeulein, die erst aus der Pension gekommen, und wie sie so gut und liebenswuerdig sei, von dem alten Herrn drueben, und dass die gnaedige Frau schon lange tot sei, und ich hatte mich so ins Erzaehlen vertieft, dass ich gar nicht merkte, wo die Zeit hinging, und statt ihn auszufragen, hatte ich die Gelegenheit so dumm verplaudert!" "Schade! Jammerschade!" lachte Berner ueber die sprachselige Wirtin. "Und wie gut der Herr ist! Denken Sie sich nur, hinten im Garten, wo es nun freilich zu jetziger Jahreszeit nicht mehr schoen ist, sitzt mein Luischen,--das Dingelchen ist jetzt acht Jahre und schon recht vernuenftig,--sitzt es im Garten und weiss nicht, dass ein so vornehmer Herr hinter ihm steht. Ich war in der Kueche und sah alles mit an; mein Luischen kann allerhand schnackische Lieder, auch ein schwaebisches, ich weiss nicht, wer sie es gelehrt hat; wie nun der Graf hinter ihr steht, faengt der Unband an zu singen: "''n bissel schwarz und 'n bissel weiss, 'n bissel polnisch und 'n bissel deutsch, 'n bissel weiss und 'n bissel schwarz, 'n bissel falsch ist mei Schatz!' "Ich glaube, ich muss vor Scham in den Wurstkessel springen, dass mein Kind so ungebildetes Zeug singt; was musste nur der Graf von meiner Erziehung denken! Ihm aber schoss das helle, klare Schmerzenswasser in die Augen; er bog sich nieder, nahm das Dingelchen auf den Arm, herzte und kuesste es; dass mir bruehsiedheiss wurde, und fragte, wo sie das Liedchen her habe. "Das Kind weiss vor Schrecken gar nicht zu antworten; mein Herr Graf aber langt in die Tasche, kriegt einen blanken Taler heraus und verspricht, wenn es das Verschen noch einmal deutlich sage und zweimal singe, so bekomme es den Taler. Ich haette ihm befehlen moegen, wie ich haette moegen, es haette nicht gesungen. Der Taler aber tat seine Wirkung; sie sagte ihr Spruechlein ganz mir nichts dir nichts auf und sang nachher das 'bissel polnisch und 'n bissel deutsch', wie wenn es so sein muesste. Den Taler bekam es richtig; er liegt in der Sparbuechse, in ein Papier geschlagen, und darauf steht deutlich, dass sie es in zwoelf Jahren noch lesen und einmal ihren Kindern noch zeigen kann: _Den 12. November 1825 bekommen vom polnischen Gardeoffizier, Grafen von Martiniz._" * * * * * DER HOFRAT AUF DER LAUER. Die Gaeste waren nach und nach alle zur Abendtafel herbeigekommen. Madame trennte sich von dem Hofrat mit dem Versprechen, ihm naechstens wieder zu erzaehlen. Der Hofrat sann nach ueber das, was er gehoert; die Szenen und Winke, die ihm Madame Plappertasche vorgesetzt hatte, gingen ihm wie ein Muehlenrad im Kopfe herum; sinnend kam er an seinen Platz und setzte sich nieder. "Vater tot, Mutter tot, Schwestern tot, und dennoch hatte der alte Diener gesagt: 'Ja, wenn es dies _allein_ waere!', Was konnte ihm denn sonst noch gestorben sein? Etwa eine Gel--Nein! Geliebt konnte er nicht haben; denn wie koennte er nach drei Vierteljahren,--so lange hatte der Diener gesagt, sei er traurig,--wie koennte er nach so kurzer Frist schon wieder um eine Graefin Aarstein auf die Freite gehen? Unmoeglich!--Haette, wenn jenes doch der Fall waere, haette Ida auf ihn einen solchen Eindruck--" Ja, was wollte er eigentlich, der gute Hofrat? Ida hatte bestimmt auf ihn einen grossen Eindruck gemacht, das war auf dem Ball ganz und gar sichtbar; denn er schaute ja nur nach ihr und immer wieder nach ihr, und sein ernstes Gesicht, wie klaerte es sich auf, als sie ihn im Kotillon holte! Heute frueh, hatte er nicht einen Feuerblick gegen sie heraufgeworfen, als haette er eine Congrevesche Batterie hinter den Wimpern aufgefahren? War es ihm selbst nicht, als sollte die Schokolade in seiner Hand, von diesen Brennspiegeln getroffen, anfangen zu sieden? Heute abend, wer hatte denn da hinter den roten Gardinen auf des Maedchens gefuehlvolles Spiel gelauscht als er? Wer war so geruehrt davon, dass ihm die hellen Traenen hervorperlten, als der gute Graf Martiniz? Und Idchen--nun, die war ja rein weg in den Mondgast verschossen. "Die Aktien stehen gut!" lachte der Hofrat in sich hinein und rieb sich unter dem Tisch die Haende; "bin neugierig, ob diesmal der alte vergessene Hofrat nicht weiter kommt mit seinem guten, ehrlichen Hausverstand als der Herr Minister-Staatssekretaer Superklug und Uebergescheit in der Residenz mit seinen diplomatischen, extrafeinen Kniffen; mir muss das Goldfischchen in das Netz, mir muss--" "Wenn ich nicht irre, mein Herr, so hatte ich gestern schon das Vergnuegen--" toente dem alten Traeumer, der ueber seinen staatsklugen Plaenen die Tafel, Nachbarschaft und alles vergessen hatte und jetzt erschrocken auffuhr und sich umsah, ins Ohr--es war Martiniz, der sich unbemerkt neben ihn gesetzt hatte. Er haette vor Schrecken in den Boden sinken moegen; denn sein erster Gedanke war, dieser muesse seine Gedanken erraten haben, besonders da er sich nicht mehr deutlich erinnern konnte, ob er nicht etwa, was ihm oft passierte, laut mit sich selbst gesprochen habe. Die Naehe des Fremden uebte eine beinahe magische Gewalt auf den Hofrat aus, die sinnende, kluge Miene, das neben seinem schwaermerischen Glanz Verstand und Nachdenken verratende Auge imponierte ihm, jedoch auf eine Weise, die ihm nicht unangenehm war; es war ihm, als muesse er sich vor dem jungen Manne recht zusammennehmen, um nirgends eine Bloesse zu geben oder einen seiner Plaene zu verraten. Die gewoehnlichen Fragen, wie sich der Gast hier gefalle, Komplimente ueber seine Reitfertigkeit, mit welcher er heute frueh einem Kinde das Leben gerettet, und dergleichen, waren bald abgemacht, ohne dass er ueber des Fremden Gesinnungen naehern Aufschluss bekommen haette. Es kam an die Gegend des Freilinger Kreises, es wurde gelobt, gepriesen, einzelne Gueter, die durch Lage und Ertrag sich auszeichneten, naeher beschrieben; aber auch hier ging der Gast nicht ein; er verlor kein Woertchen, als wolle er sich nur um einen Taler Land mieten oder kaufen. Der Hofrat haute sich jetzt einen neuen Weg ins Holz, er lobte die Residenz, das angenehme Leben dort, die Schoenen der Stadt und des Hofes; jetzt musste er etwas sagen, es musste sich zeigen, ob er die Aarstein--Der Gast sprach von der Residenz, von den schoenen Anstalten dort, von der Militaerverfassung, schien namentlich ueber die Kavallerie sich gerne genauere Aufschluesse geben zu lassen, aber kein Woertchen ueber die Damen. Endlich, der Hofrat hatte gerade eine trefflich bereitete _Ortolane a la Provencale_, seine Leibspeise, am Mund und einen tuechtigen Biss hineingetan, da wandte sich Martiniz zu ihm herueber und fragte, ob er nicht in der Residenz die schoene Ar--- schnell wie der Wind fuhr Berner mit seiner Ortolane auf den Teller, wischte den Mund ab und war ganz Ohr; denn jetzt musste ja die Graefin aufs Tapet kommen--"ob er nicht die schoene Armenanstalt kenne, die er in solcher Vollkommenheit nirgends gesehen habe." Dem Hofrat war es auf einmal wieder froh und leicht um das Herz; denn solange er ja ueber das Verhaeltnis des Polen zur Graefin Aarstein nichts Gewisses wusste, durfte er immer der Hoffnung Raum geben. Als die Abendtafel zu Ende war, rief Martiniz nach Punsch und lud seinen Nachbar ein, mit ihm noch ein Stuendchen zu trinken. Berner sagte zu und hat es nie bereut; denn hatte ihm der interessante junge Mann zuvor durch seine aeussere Persoenlichkeit imponiert, so gewann er jetzt ordentlich Respekt vor ihm, da jener, wie es schien, von dem Punsch, dem die Mondwirtin eine eigene geheimnisvolle Wuerze zu geben verstand, aufgetaut, eine so glaenzende Unterhaltungsgabe entwickelte, wie sie dem Hofrat, obgleich er in seinem Leben vieles gesehen und gehoert hatte, selten vorgekommen war. Wie freudig war aber sein Erstaunen, als er nach einer Viertelstunde schon bemerkte, dass er und sein Nachbar die Rollen getauscht zu haben schienen. Der kluge Alte bemerkte naemlich bald, dass der Graf auf allerlei Umwegen sich immer nur einem Ziele, naemlich Ida, naehere. Er konnte dieses Flankieren dem Ulanenoffizier gar leicht verzeihen; hatte er doch nicht den Dienst der schweren Kavallerie gelernt, die, wenn "Marsch, Marsch" geblasen wird, im Karriere gradaus sprengt, das feindliche Viereck durch ihre eigene Wucht und Schwere im Chok zu zerdruecken. Der Ulan umschwaermt seinen Feind, sticht nach ihm, wo er eine Bloesse entdeckt, und sucht auf gefluegeltem Ross das Weite, wenn der Feind sich zu einer Salve sammelt. So der Garde-Ulan Martiniz. Aber der tapfere Pole mochte sich tummeln, wie er wollte, seine Angriffe so versteckt machen, als er wollte, sein Gegner durchschaute ihn; auf Idchen ging es los, und dem alten Mann pochte das Herz vor Freude, als er es merkte: auf Idchen ging es los, sie wollte der Pole rekognoszieren. Er glaubte den Hofrat drueben am Fenster gesehen, auch gestern auf dem Ball ein engeres Verhaeltnis bemerkt zu haben; er pries des Maedchens koeniglichen Anstand, der sie vor den uebrigen Freilinger Damen so hoch erhebe; er lobte die Zurueckhaltung, mit welcher sie die ungestuemen Herren zurueckgewiesen habe, pries ihr Spiel und ihren Gesang, womit sie unbewusst sein einsames Zimmer erheitert habe--eine schoene Roete war durch das warmgewordene Gespraech auf den Wangen des jungen Mannes aufgegangen, jener Zug von Unglueck und Wehmut, der sich sonst um seinen schoenen Mund gelagert hatte, war gewichen und hatte einem feinen, holden Laecheln Platz gemacht, das Auge strahlte von freudigem Feuer; er ergriff das Glas, als er ausgesprochen hatte, und zog es bis zum letzten Tropfen so andaechtig aus, als haette er in seinem Herzen einen Toast dazu gesprochen. * * * * * DER SELIGE GRAF. "Herzensjunge! liebstes, bestes Graefchen! Soehnchen! Goldpolaeckchen!" alle Schmeichelnamen haette der Hofrat ausschreien, den trefflichen Redner an sein Herz reissen und mit vaeterlichen Kuessen bedecken moegen --aber das 'ging nicht; ein Diplomat vom Fach--und das war er ja bei seinen jetzigen Negoziationen durch und durch--durfte seine Freude ueber eine glueckliche Entdeckung, ueber einen unverhofften, koestlichen Fund nicht laut werden lassen; er schluckte alle jene Ausbrueche des Vergnuegens wieder hinunter, fasste den Grafen nur mit einem recht zaertlichen, seligen Blick und bestaetigte weitlaeufig sein treffendes Urteil. Er beschrieb ihm das Maedchen, wie er es, seit es den ersten Schrei in die Welt getan, kenne, wie es frueher ein lustiger, froehlicher Zeisig war, wie es jetzt zur ernsten Jungfrau herangewachsen sei; ihre Anmut, ihre Geschicklichkeit in Sprachen und allen Dingen, die ein Maedchen zieren, als da sind: Stricken, Naehen, Schneidern, Sticken, Kochen, Fruechteeinmachen, Backen, Blumenmachen, Zeichnen, Malen, Tanzen, Reiten, Klavier- und Gitarrespielen; wie es in der Residenz trotz der hohen Stellung, die es in der Gesellschaft eingenommen, doch immer seinem Sinn fuer reine Weiblichkeit gefolgt sei, wie es seinen reinen, keuschen, kindlichen Sinn auf dem Boden, wo schon so manches gute Kind ausgeglitscht sei, bewahrt habe. "Es ist mir unbegreiflich," setzte er, von dem Eifer, der ihn beseelte, fortgerissen, hinzu, "rein unbegreiflich, wie dieses, fuer alles Schoene und Gute gluehende Herz sich in der Residenz so vor aller Liebe bewahrt hat. Unsere jungen Herren schreien gewoehnlich bei solchen Maedchen ueber Eiskaelte und Phlegma; aber Gott weiss, _diesem_ Maedchen kann man dieses nicht nachsagen. Aber unsere jungen Herren sind meistens selbst daran schuld. Kraft- und marklos schlendern sie einher auf den Baellen, stehen sie scharweise zusammen, gucken durch Glaeser von Nr. 4 und 5, die fuer Blinde scharf genug geschliffen waeren, nach den Reizen der Ballschoenen, lassen ganze Reihen sitzen und tanzen nicht, und geben sie sich auch einmal zu einem Walzerchen und Kotilloenchen her, so meint man, sie wollen den letzten Atem ausschnaufen, so wogt es in den ausgedoerrten Herzkammern. Kann solche Lumperei einem jungen, schoenen, in der Fuelle der Kraft strotzenden Maedchen, das zwei solcher Flederwische an die Wand schleuderte, gefallen? Kann man es einem folgen Engelskind, das sich so gut wie jede andere abends im Bettchen mit verschlossenen Augen und verstohlenem Laecheln sein Ideal vormalt und vortraeumt, kann man es ihr verargen, wenn sie solche Vogelscheuchen gering achtet und kalt abweist? "Ein solches Maedchen soll dann kalt sein wie Eis, soll kein Feuer im Leib haben! Habe ich doch ueber mein Goldmaedchen gestern abend solche Urteile hoeren muessen; geschossen haette ich mich um sie, waere ich nur dreissig Jahre juenger gewesen. Sie haette kein Feuer? Habe ich nicht gesehen, wie sie heute frueh, als Sie, Herr Graf, das Kind retteten, das Fenster aufriss und beinahe hinaussprang aus purem Mitgefuehl! Und dies es Maedchen haette kein Feu--" "Das hat sie getan?" fragte der glueckliche Martiniz, bis an die Stirn erroetend. "Sie hat das Fenster ein wenig geoeffnet und herausgesehen?" "Was oeffnen und heraussehen! Dazu braucht man zwei Minuten; aber aufgerissen hat sie das Fenster, dass sie mir den Schokoladebecher beinahe aus der Hand schlug, sie war in zwei Sekunden fertig! Sehen Sie, so ist das Maedchen; Feuer und Leben, wo es etwas Schoenes, wahrhaft Freudiges, Erhabenes gilt, schwaermerisch empfindsam, wenn sie wahre Leiden der Seele sieht aber kalt und abgemessen, wenn die leere, schale Alltaeglichkeit sich ihr aufdraengen will." Mit einem Feuerblick an die Decke, die Rechte auf das lautpochende Herz gelegt, trank Graf Martiniz wieder einen stillen Toast, der nirgends widerklang, als in seinem tiefen Herzen; aber dort traf er so viele Anklaenge, dass dieses wehmuetige, traurige Herz, das solange nichts kannte--als die Wehmut und den Kummer heimlicher Traenen, im stillen, aber vollen Jubel aufschwoll und sich stolz wie vor Zeiten unter dem Ordensband hob, das es von aussen zierte. Er sagte dem Hofrat, dass er, wenn es moeglich waere, waehrend seines hiesigen Aufenthalts gerne von einem Empfehlungsschreiben an den wuerdigen Herrn Praesidenten Gebrauch machte, das er heute durch den Gesandten seines Herrn von dem Minister-Staatssekretaer bekommen habe. Der Hofrat versprach freudig, ihn dort einzufuehren und seine Abende im Umgange mit diesem trefflichen Menschen erheitern zu helfen. Bei sich lachte er aber ueber den Staatssekretaer, der seine Sachen so geschickt einzufaedeln wisse; der Graf soll dem Lande bleiben mit seinen drei Millioenchen, aber die Graefin soll ihn nicht bekommen, dafuer steht der Hofrat Berner. Auch trank er jetzt im stillen ein Toastchen und liess mit einem freundlichen, wohlwollenden Seitenblick die kuenftige Frau Graefin leben. Vivat hoch! scholl es in allen Winkeln. seines alten treuen Herzens, hoch und abermal h-- Da brummte in dumpfen Toenen die Glocke vom Muensterturme elf Uhr. Mit wehmuetigem Blick sprang Martiniz auf, stammelte gegen den erschrockenen Hofrat eine Entschuldigung hervor, dass er noch einen Besuch machen muesse, und ging. Berner konnte sich wohl denken, wohin der unglueckliche Junge ging. Mitleidig sah er ihm nach und lehnte sich dann in seinen Stuhl zurueck, um ueber das, was diesen Abend besprochen worden war, nachzudenken; der Graf hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; es hatte ihm nicht leicht ein junger Mann so wohl gefallen wie dieser; so viel Grazie und Feinheit des Umgangs, so viele Bildung und Kenntnisse, so viel anspruchslose Bescheidenheit bei drei Millionen Talern; so hohe maennliche Schoenheit und doch nicht jenes eitle, gefallsuechtige Sichzeigenwollen, das schoenen jungen Maennern oft eigen ist--nein, es ist ein seltener Mensch und gewiss beinahe so viel wert als mein Idchen, dachte er; wenn die beiden erst einmal ein Paar--Die Mondwirtin unterbrach ihn; mit zorngluehendem Gesichte setzte sie sich hastig auf den Sessel, den Martiniz soeben verlassen hatte. "Nein, da traue einer den Maennern!" wuetete sie, "haette ich doch mein Leben eingesetzt fuer diesen Herrn Grafen, haette geglaubt, er waere ein unschuldiges, reines Blut und kein so Bruder Liederlich, die an jede Schuerze tappen--" "Nun, was ist denn geschehen?" unterbrach sie der aus allen Himmeln gefallene Hofrat. "Was haben Sie denn, das Sie so aufbringt, Frauchen?" "Was ich habe? Moechte da einem nicht die Galle ueberlaufen? So ein schoener, reicher Herr, wo es sich manche Dame zur Ehre rechnen wuerde, in naehere Bekanntschaft--geht auf naechtlichen, liederlichen Wegen, glaubt, es sei hier in Freilingen auch so eine grossstaedtische Nachtpromenade; tief in seinen Mantel gehuellt, ist er zum Torweg hinausgewischt mit dem alten Kuppler, dem Brktzwisl. Will haben, man solle das Haus offen lassen bis ein Uhr! Aber die Tuere schlage ich ihm vor der Nase zu; ich brauche keinen solchen Herrn im Hause, der bei Nacht und Nebel nicht weiss, wo er steckt." "Habe ich doch Wunder geglaubt, was es gibt," sagte der Hofrat, wieder freier atmend; "da duerfen Sie ruhig sein. Der geht nicht auf schlimmem Wege; er macht noch einen durchaus ehrbaren Besuch; ich weiss wo, darf es aber nicht sagen." Die Wirtin sah ihn zweifelhaft an. "Ist es aber auch so?" sprach sie freundlicher. "Ist es auch so, und machen Sie mir keine Flausen vor? Doch Ihnen glaube ich alles aufs Wort, und ich aergere mich nur, dass ich gleich so Schlimmes dachte, aber die Welt liegt jetzt im argen, unsern jungen Herren ist nicht mehr ueber die Strasse zu trauen. Sagen Sie ihm aber um Gottes willen nichts! Ich glaube, er koennte mich mit einem einzigen Blick verbrennen; es war ja lauter christliche Liebe zu meinem Nebenmenschen." Der Hofrat laechelte fein, indem er ihr die Hand zum Versprechen und zugleich zum Abschied bot, er jagte ihr alle Roete auf die huebschen Wangen, sie wusste nicht, wo sie hinsehen, ob sie lachen oder zuernen solle; denn schon im Fortgehen begriffen, wisperte er ihr ins Ohr: "Es war all nichts als lauter christliche, nebenmenschliche-- Eifersucht!" * * * * * GUTE NACHRICHT. Man haette glauben sollen, das Haus des Praesidenten sei ein grosser Vogelbauer geworden, in welchem Nachtigallen, Kanarienvoegel, Staerchen und alle Gattungen gefiederter Bewohner waeren. Es huepfte etwas Treppe auf, Treppe ab; ein suesses Stimmchen hoerte man bald in gehaltenen, wehmuetigen Toenen singen, bald in froehlichen, scherzenden Rouladen jauchzen und jodeln wie die Kanarienhaehnchen, bald zwitschern und plaudern wie Staerchen; aber Haehnchen, Nachtigallen und Staerchen, sie alle waren in _einer_ Person, Idchen, das vor Freude, vor Sehnsucht, vor Langeweile und Geschaeftigkeit Treppe auf- und abflog, mit allen Menschen anband, alle auslachte, alle begruesste und neckte, allen zugleich befahl und schalt. Graf Martiniz hatte dem Vater eine Karte und den Empfehlungsbrief des Staatssekretaers geschickt; der alte Herr war mit beidem zu ihr gekommen und hatte sie foermlich um Rat gefragt, was nun zu beginnen sei: nach seiner Ansicht,--wenigstens war es vor zwanzig Jahren noch so,--musste man den Fremden zum Mittagessen bitten, zwei Tage nachher zum Tee, nach zwei Tagen wieder zum Nachtessen, und vor seiner Abreise musste ihm ein kleiner Hausball gegeben werden. Das selige Maedchen drueckte die Augen zu und biss die _Purpurlippen_ zusammen, um ihre Freude nicht zu verraten; nach ihrer Ansicht--und das war endlich doch die vernuenftigste--sollte man ihn auf Mittag zu einer Suppe laden, nachmittags setzte er sich dann zu ihr ans Klavier, abends trank er mit ihr Tee, und dann konnte ja ein kleiner Hausball mit einem Souper den seligsten Tag ihres Lebens schliessen; doch nein; sie nahm sich zusammen und erklaerte ihm, wie sie das in der Residenz ganz anders gelernt habe. "Es wuerde dem guten Grafen ein wenig kleinstaedtisch vorkommen, wollten wir ihn gleich von vornherein zum Mittagessen einladen. Wir muessen einen Bedienten hinueberschicken und ihm sagen lassen, dass wir ihn zur Teestunde erwarten, da wird er dann nicht fehlen; wir bitten Direktors Pauline und Fraeulein Sorben, den Hofrat, meinetwegen einen oder den andern Ihrer jungen Raete dazu. Ich mache die Honneurs beim Tee, und um neun Uhr marschieren die Herrschaften wieder ab. Dem Grafen sagen Sie, Sie wuenschen ihn oefter bei uns zu sehen und namentlich um die Teestunde. Ist er einigemal dagewesen, so bittet man ihn, einmal beim Nachtessen zu bleiben; nachher koche und backe ich eines Tages recht flott und anstaendig, Sie, lieber Papa, geben ihm morgens nur so en passant einen Besuch heim und lassen fallen, ob er nicht einmal, etwa heute, eine Suppe mit uns essen wolle; es waere unartig, es auszuschlagen. Die Idee mit dem Hausball ist recht huebsch, uebrigens darf nur _er_ allein merken, dass es _ihm_ zu Ehren geschieht; wir wuerden uns laecherlich machen, wollten wir den Leuten sagen, dass wir dem Grafen Martiniz einen Ball geben; es kann ja heissen, Papa gebe mir einen Einstand in sein Haus." Papa Praesident war alles zufrieden, nur wollte ihm die neue Sitte, dass man sich stelle, als sei alles Natur, was doch nur immer wieder die alte Kunst ist, nicht recht einleuchten. Er hatte ihr die Schluessel des Hauses und alle Gewalt im Boden und Keller uebergeben, und das Maedchen rumorte jetzt als taetige Hausfrau in dem grossen Gebaeude umher, als sollte sie zwanzig Wagen voll Gaeste empfangen. Sie sollte ihn sehen, sie sollte ihn sprechen, er musste, wenn er nur halbwegs so artig war, als er aussah, jetzt alle Wochen wenigstens viermal herueberkommen--Nein, es war nicht zu sagen, wie himmlisch selig das Maedchen war! Um zehn Uhr hatte es angefangen zu tollen und zu rumoren, und schon um zwoelf Uhr war das Teezimmer bereitet, wie es heute abend sein musste. Erschoepft von den Haushaltungsgeschaeften, warf sie sich in ein Sofa; sie machte die Augen zu, um sich den Abend schon recht selig zu traeumen, sie besann sich, wie man ihm den Abend recht schoen mache, dass er recht oft wiederkomme, sie suchte ihre beste Musik zusammen, um ihn zu erheitern und die Schwermut von seiner Stirne zu bannen, so--o, es musste einen herrlichen Abend geben; da fiel ihr auf einmal die Graef in Aarstein ein, und alle Freude, aller Jubel war wieder hinweggeflogen; Traene auf Traene stahl sich aus dem Auge, sie klagte alle Menschen an und war auf sich, auf die Welt bitterboese. Aber Berner, der nachmittags nur im Flug ein wenig bei ihr einsprach, verscheuchte diese Wolken. Er war zwar zu vorsichtig, um ihr den tiefen Eindruck zu schildern, den sie auf den geliebten Fremden gemacht hatte; aber das sagte er mit triumphierender Miene, dass sie vor der Aarstein nicht bange haben solle; er habe gute, koestliche Nachrichten, die dies vollkommen bestaetigen. Weg war er, ehe sie ihn noch recht fragen konnte, und sie hatte doch so viel, so unendlich viel zu fragen. Er hatte ihr nur von der Aarstein gesprochen und wollte sich nichts weiter merken lassen, der gute Hofrat! Aber wo ist ein Maedchen, das die Flamme der ersten, reinen Liebe im Herzen traegt, wo ist ein solches Engelskind, das nicht in ein paar Stunden die groessten Fortschritte in der Kunst zu schliessen und zu berechnen gemacht haette? Man sprach so viel von magnetisierten Schlaeferinnen und Clairvoyantes, man schrieb viele gelehrte Buecher ueber solche seltene Erscheinungen, und wie gewoehnlich liess man, was am naechsten lag, unbeachtet! Das sind ja die eigentlichen Clairvoyantes, die Maedchen mit der ersten, kaum erkannten Sehnsucht in der Brust; wohl haben sie die Augen niedergeschlagen, aber dennoch sehen sie weiter als unsereiner mit der schaerfsten Brille; die Liebe hat sie magnetisiert, hat ihnen das Auge des Geistes geoeffnet, dass sie in den Herzen lesen. So auch Ida; sie merkte dem Hofrat wohl an, dass er mehr wisse, als er sagen wolle; mit der Graefin war es nichts, aber ebensogut musste er wissen, dass es auch mit keiner andern etwas sei, sonst haette er nicht so vergnuegt, nicht so schelmisch gelaechelt. Er wusste,--das sah die neue Clairvoyante jetzt hell und klar,--er musste sogar wissen, dass Martiniz _sie_-- O! wer das Maedchen jetzt gesehen haette, wie es das Koepfchen in die Ecke des Sofas barg, wie alles Blut nach dem vom suessen Schauer der ersten Liebe bebenden Herzen hinauf und hinab wogte, wie der jungfraeuliche Busen zitterte und huepfte, wie ein nie gekanntes Gefuehl wie eine Mitternachtssonne in den Naechten des Nordpols im Tiefsten ihres Innern mit ihren zuckenden, blitzenden Strahlen aufging! Wahrlich, es liegt eine ruehrende Zaubermacht in einem solchen Gesichtchen voll stiller Seligkeit, es ist der Lichtpunkt des jungfraeulichen Lebens, zu dem sie einen kurzen Weg hinauf, von welchem sie lange, oft traurige Stufen hinabsteigt! * * * * * DER LANGE TAG. Aber der Nachmittag war auch gar zu lange, die Stunden gingen so traege hin! Sie konnte sich ordentlich ueber sich selbst aergern, dass sie schon heute frueh das Teezeug geruestet hatte; sie fing an zu arbeiten, zehnerlei nahm sie vor und legte es ebenso schnell zurueck. Sie hatte ein Bukett von Phantasieblumen angefangen, sie hatte sonst mit Lust und Liebe daran gearbeitet, aber nein! Es war doch auch gar zu langweilig; erfunden war etwas bald, man malte seine Gedanken recht artig aufs Papier, aber bis man alle die Blaetter und Blaettchen zusammenband--zurueckgelegt bis auf weiteres! Sie naehte so wunderhuebsche Tapisserien; sie machte ihre Kreuzstiche so fein und gleich, als habe sie in den besten Fabriken gelernt, und alles ging ihr so schnell von der Hand, dass es eine Freude war. Ihre Freundinnen in der Residenz hatten sich immer Stuecke von Paris und London kommen lassen; da waren die schoensten Girlanden von Rosen, Astern, alle moeglichen Blumen und Farben; in der Mitte war leerer Raum gelassen, dass die Damen nach ihrem Belieben hinein naehen konnten, was sie immer wollten; natuerlich stachen meistens die schoenen Pariser Girlanden sonderbar ab gegen die Dessins der Residenzdamen; Ida hatte immer nur ihr leeres Stickstramin vorgenommen, hatte sich selbst mit geuebter Hand Zeichnungen entworfen und war noch vor ihren Freundinnen fertig, die Idas Arbeit fuer Zauber, fuer nicht moeglich gehalten haetten, wenn sie nicht unter ihren Augen entstanden und vollendet worden waere. Sie hatte noch in der Residenz ein prachtvolles Fusskissen fuer Papa angefangen; sie nahm es jetzt auch wieder vor; aber sie konnte sich selbst nicht begreifen, wie sie frueher so langweilige Arbeiten machen, Stich ueber Stich und immer wieder Stich um Stich machen konnte--zurueckgelegt bis auf weiteres! Sie zeichnete mit schwarzer Kreide so fein, so gefaellig fuer das Auge, dass sie der Stolz ihres Zeichenlehrers war; auch hier war ihre Geduld unermuedlich gewesen; wenn andere ihre Kopien kaum durchgezeichnet und, mit den ersten Schatten versehen, schon weggeworfen oder dem Zeichenmeister zur Vollendung auf einen Geburts- oder Namenstag uebergeben hatten, so hatte Ida fortgemacht, und man sah allen ihren wunderlieblichen Bildern an, dass sie _con amore_ ausgefuehrt waren; denn hatte sie einmal etwas angefangen, so musste es auch vollendet werden. Sie hatte eine angefangene _Madonna della sedia_ mitgebracht; sie oeffnete jetzt die Mappe, breitete das Bild, das schon in seinen Umrissen viel versprach, vor sich aus, spitzte die Kreide, nahm sich vor, mit recht viel Geduld zu zeichnen, aber bald gab die Kreide keine Farbe, bald wurden die Striche zu dick und mussten verwischt werden; sie wurde von neuem gespitzt, aber--war die Spitze zu fein oder die Zeichnerin zu ungeduldig oder die Kreide zu grobkoernig?--alle Augenblicke brach sie unter dem Messer ab, und Finger bekam man so schwarz, dass sie kaum mehr rein gemacht werden konnten; sie entsetzte sich wie Lady Macbeth vor ihren eigenen Haendchen, packte die Madonna schnell ein und legte sie _ad acta_. Sie setzte sich vor ihre Kommode, zog alle Schubfaecher heraus, wuehlte in Blonden und Baendern und besah sich Stueck vor Stueck, auch der Schmuck wurde hervorgezogen und gemustert; aber hatte sie dies alles nicht hundertmal gesehen und wiedergesehen? Schnell Schmuck, Baender und Blonden in die Faecher und zugeschlossen! Alle diese Herrlichkeiten wollten das unruhige Herzchen nicht zerstreuen. Endlich, endlich schlug es fuenf Uhr, und sie konnte sich jetzt doch, ohne sich von ihrem Zoefchen auslachen zu lassen, zum Tee anziehen. Sie studierte jetzt recht ernsthaft, was sie waehlen sollte; einen vollen Anzug oder ein Hausneglige? In der Residenz haette sie, ohne sich zu besinnen, das erstere gewaehlt. Dort fing ja der Tag eigentlich erst abends recht an, und zur zweiten Toilette konnte sie dort kein Neglige waehlen; aber hier in Freilingen, wo Morgen Morgen, der Mittag Mittag, der Abend nur Abend war, hier schien ein Neglige fuer den Abend ganz am Platz, um so mehr, da die paar Fraeulein, die sie geladen hatte, wahrscheinlich recht geputzt kommen wuerden. Sie waehlte daher ein feines Hausneglige, ein allerliebstes weisses Batistueberroeckchen, das nach einem Muster, wie man es hierzulande noch nie gesehen hatte, gemacht war; und wie gluecklich hatte sie gewaehlt! Das knappe, alle Formen hervorhebende Ueberroeckchen zeigte den in jugendlicher Frische bluehenden Koerper; den Teint hob zwar keine Perle, kein Steinchen, aber er war so schneefrisch, so zart, so blendend weiss, dass er ja gar keines Schmuckes bedurfte. Aber das Haar wurde dafuer so sorgfaeltig, so glaenzend als moeglich geordnet. Die seidenen Ringelloeckchen schmiegten sich eng und zart um Schlaefe und Stirne, die Pracht ihrer Haarkrone war so entzueckend, dass sie sich selbst gestand, als sie beim Glanz der Kerzen in den Spiegel blickte, als sie ihre hoeher geroeteten Wangen, ihr glaenzendes Auge sah, mit Lust und heimlichem Laecheln sich gestand, heute ganz besonders gut auszusehen. Und nun musterte sie noch einmal mit Kennerblicken den Teetisch. Der grosse Luester verbreitete eine angenehme Helle ueber das ganze Zimmer. Die Sitze waren im Kreise gestellt; ihr Platz neben dem Sofa; neben ihr musste der Graf sitzen; die silberne Teemaschine, den Hahn ihr zugekehrt, dampfte und sang lustige Weisen, die Tassen standen in voller Parade, die goldenen Loeffelchen alle rechts gekehrt. Die Vasen mit Blumen von ihrer eigenen Arbeit nahmen sich gar nicht uebel zwischen dem Backwerk und den Kristallflaschen mit Arrak und kaltem Punsch aus. Die kleineren Partien, als Zucker, geschlagener Rahm, kalte und warme Milch, Zitronen, waren in ihren silbernen Huellen gefaellig geordnet,--es fehlte nichts mehr als--weil es einmal in Freilingen Ton war, beim Tee zu arbeiten--eine geschickte Arbeit fuer sie; auch diese war bald gefunden, und kaum hatte sie einige Minuten in Erwartung gesessen, so fuhr ein Wagen vor. "Wenn dies Marti--" doch nein, er konnte es nicht sein, die paar Schritte aus dem Goldenen Mond herueber machte er wohl ohne Wagen; die Fluegeltuere rauschte auf--Fraeulein von Sorben! "Wenn nur die andern auch bald kaemen," dachte Ida, indem sie das Fraeulein empfing; denn diese war nicht die angenehmste ihrer Freilinger Bekannten; sie war wenigstens acht Jahre aelter als Ida, spielte aber doch immer noch das naive, lustige Maedchen von sechzehn Jahren, was bei ihrer stattlichen Korpulenz, die sich fuer eine junge Frau nicht uebel geschickt haette, schlecht passte. Sie musste uebrigens von Praesidents mit Schonung und Achtung behandelt werden, weil sie einigermassen mit ihr verwandt waren und ihr Oheim in der Residenz eine der wichtigsten Stellen bekleidete. Sie flog, als sie eingetreten war, Ida an den Hals, nannte sie Herzenscousinchen und gab ihr alle moegliche suesse, verbrauchte Schmeichelnamen. Nachdem sie ihr Haar vor dem deckenhohen Spiegel ein wenig zurecht geordnet, die Falten des Kleides glattgestrichen hatte, fragte sie, wer heute abend mit Tee trinken werde. Kaum hatte Ida zoegernd, als wuerde er dadurch entheiligt, den Namen Martiniz ausgesprochen, so machte sie einige muehselige _Entrechats_ und kuesste Ida die Hand: "Wie danke ich dir fuer deine Aufmerksamkeit, dass du mich zu ihm eingeladen hast! Du bemerktest gestern gewiss auch, wie er mich mit seinen schwarzen Kohlenaugen immer und ewig verfolgte? Und heute frueh, ich hatte mich kaum frisieren lassen, war schon mein guter Graf zu Pferd vor meinem Haus, das macht sich herrlich, so ein kleiner Liebeshandel _en passant_. Lache mich nur nicht aus, Herzenscousinchen! Aber du weisst, junge Maedchen, wie wir, plaudern gern, und die andern nehmen es nicht so genau, wenn eine eine Eroberung gemacht hat." Ida hatte zwar auch die Kohlenaugen leuchten sehen, aber nicht nach der alten, gelblichen Cousine; sie stand noch neben ihr vor dem Trumeau, sie warf einen Blick in das helle, klare Glas und ueberzeugte sich, dass Emil nicht nach der Cousine geschaut haben koenne. Das "mein guter Graf" und das "wir jungen Maedchen" aus dem Munde der alten schnurrenden Hummel kam ihr so possierlich vor, dass sie, statt in Eifersucht zu geraten, des heitersten, froehlichsten Humors wurde. "O du Glueckliche," sagte sie boshaft, "wer auch so im Flug Eroberungen machen koennte!"--"Es gehoert nichts dazu, mein Kind, als Routine, nichts als eine gewisse Gewandtheit, die man freilich so schnell nicht erlernt; die Gewohnheit, der Geist muss sie geben. Du bist huebsch, Cousinchen, du bist gut gewachsen, an Anstand, an schoenen gesellschaftlichen Formen fehlt es dir auch nicht,--ehe drei Jaehrchen ins Land kommen, angelst du Grafen, als haettest du von Jugend auf gefischt." Ida brach, weil sie das Lachen nicht mehr halten konnte, in lauten Jubel aus. "Das waere schoen, das waere herrlich, Grafen fangen!" rief sie, nahm ihre naive Lehrerin unter dem Arm und flog mit ihr im rasenden Schnellwalzer um den Teetisch. Von Anfang liess sich die Sorben diese rasche Bewegung gefallen, obgleich ihr, da sie bei ungemeiner Korpulenz bis zum Ersticken geschnuert war, der Walzer nicht sehr behagte; aber sie wusste, wenn man nur erst aufhoere zu tanzen, so werde man gleich unter das alte Eisen gezaehlt, und gab sich also alle Muehe, leicht zu tanzen. Als aber das Teufelskind, dem der Schelm aus Augen, Mund und Wangen hervorsah, immer rasender walzte, immer rascher im Wirbel tollte, da stoehnte sie: "Ich kann nicht mehr--o--hoe--re auf!" Aber Idchen riss sie noch einmal herum und liess sie dann, weil sie das Geraeusch der Kommenden hoerte, atemlos und bis zum Tod gepresst vor der Fluegeltuere stehen, die in diesem Augenblicke von zwei Lakaien aufgerissen wurde. * * * * * DER TEE. Martiniz und der Hofrat traten ein. War es Emils hoher, kraeftiger Tannenwuchs, war es die ungezwungene Grazie seiner wuerdigen Haltung, war es das Geistvolle seines sprechenden Auges, war es der wehmuetige Ernst, der auf diesem schoenen Gesichte lag und ihm einen so unendlichen Liebreiz gab, waren die Traeume der Ballnacht wieder aufgestiegen, um suesse Erinnerungen zu fluestern?--Ida stand versteinert, als sie den Grafen erblickte. Ach, sie haette viel darum gegeben, in diesem Augenblicke nicht die Hausfrau machen zu duerfen! Sie haette ganz von ferne ihn betrachten und selig sein wollen. Hofrat Berner stellte ihn mit einem vielsagenden Blicke seiner Ida vor; aber diese haette sich in diesem wichtigen Moment selbst Schlaege geben moegen; so links, meinte sie, so albern hatte sie sich noch nie benommen. Was musste er nur von ihr denken? War sie doch gerade aus der Residenz gekommen, wo ihre Erziehung nach allen Regeln vollendet worden war, hatte sich in allen Zirkeln, in den feinsten Salons ohne Aengstlichkeit bewegt, und hier stand sie erroetend, mit niedergeschlagenen Augen--und stammelte recht kleinstaedtisch "von der Ehre, die Seine Exzellenz ihrem Hause erzeige". Aber bei dem feinfuehlenden Manne, der schon frueher ihren Anstand, ihre Wuerde, ihre Erhabenheit ueber jedes Verlegenwerden bewundert hatte, erhoehte gerade diese suesse Verlegenheit den Wert des Maedchens. Mit unendlicher Gewandtheit wusste er sie aus der peinlichen Verlegenheit dieser ersten Minuten herauszufuehren; in wenigen Augenblicken war sie wieder das frohe, unbefangen scheinende Maedchen wie frueher und konnte die Albernheit ihrer Cousine beobachten. Diese war, als die Fluegeltuere aufging, dagestanden wie Frau von Loth bei Sodom, als sie in Steinsalz verwandelt wurde, starr, steif, atemlos, nur die beiden ungeheuern Fleischmassen ihres aufgepressten Busens arbeiteten, von dem rasenden Schnellwalzer in Aufruhr gebracht, noch immer fort. Als ihr Martiniz vorgestellt wurde, war sie noch nicht zu Atem gekommen; sie liess also nur einen Liebesblick auf ihn hinueberspazieren und verneigte sich hin und wieder. Als sie aber wieder Atem geschoepft hatte, fing sie in ihrer naivsten Manier an zu kichern und erzaehlte, dass sie fuer ihr Leben gern tanze und dass es ihr und dem kleinen Herzenscousinchen unwiderstehlich in die Fuesse gekommen sei. Sie plapperte fort und fort, aber leider schien ihr nur der Hofrat zuzuhoeren; denn Martiniz, der neben Ida Platz genommen hatte, war mit dieser schon in so tiefem Gespraech, dass er auf das Geschnatter der Dicken nicht hoeren konnte. Sich so vernachlaessigt zu sehen, konnte das fuenfundzwanzigjaehrige Kind nicht dulden; sie erhob also ihre Stimme noch lauter und wurde sogar witzig; aber der Graf, dachte sie, nein, einen so verschaemten Anbeter hatte sie noch nicht gehabt, nicht einmal die Augen wagte er zu ihr aufzuschlagen; aber der Graf, denken wir, _wie_ konnte sie auch nur verlangen, dass er zu ihr aufsehe? Hatte er denn jetzt nicht gerade alle Augen noetig, um die unnachahmliche Grazie zu sehen, mit welcher das Engelskind Ida ihren Tee machte? Wie appetitlich sah es aus, wenn sie in die Tassen warmes Wasser stroemen liess, um sie in dem Guempchen zu reinigen; wie allerliebst drehte sie den Hahn in der Maschine auf und zu, wie verbindlich wusste sie die Tasse zu reichen; ach, er haette sich auch die Butterbroetchen, den Zucker, den Arrak und alle andren Beduerfnisse viel lieber von ihr reichen lassen als von den fuenf reich galonierten Dienern, die solches umherboten! Mit welchen Augen hing er an ihr, an allen ihren Bewegungen! Und Ida haette nicht das pfiffige Maedchen sein muessen, wenn sie nicht in diesem sprechenden Auge das Gefuehl bemerkt haette, das fuer sie in seiner Brust lebte. Die Gesellschaft war nach und nach groesser geworden; der Praesident hatte einige seiner jungen Assessoren und Raete mitgebracht, einige junge Damen von Idas Bekanntschaft hatten sich eingefunden, und die Freilinger mussten sich alle, mit Ausnahme der Sorben, die sich schrecklich ennuyierte, gestehen, dass sie selten einen so geselligen, interessanten Abend verlebt hatten. Es kam dies wohl daher, dass der Praesident, der Hofrat und Idchen alles aufboten, um ihren neuen Gast zu erheitern; dadurch werde das Gespraech allgemein und anziehend. Es ist eine alte Erfahrung, dass der allgemein anerkannte Wert des Geliebten ihn in den Augen seines Maedchens noch unendlich reizender macht, ihm noch eine erhabenere Stellung in ihrem Herzen gibt; so ging es auch Ida. Der Umfang des Wissens, den Martiniz im Gespraech mit den Maennern an den Tag legte, seine interessanten Mitteilungen von seinem Vaterlande, von den vielen Reisen, die er gemacht hatte, seine feine Gewandtheit, womit er auch die Damen in das Gespraech zog, die verbindliche Artigkeit, womit er jeder zuhoerte und ihr Urteil weiter auszufuehren und unbemerkt so zu drehen wusste, dass es wie etwas Bedeutendes klang, sein glaenzender, lebhafter Witz, den ihm das immer rascher fortrollende Gespraech entriss--dies alles gewann ihm die Achtung der Maenner, riss die Herzen der Damen zu dem glaenzenden Fremden hin. Und Ida--sie war ganz weg! Seine Reden hatten allen, seine Feuerblicke nur ihr gegolten; ihr Herzchen pochte stolz und froh; wo die Sorben und die andern Freilingerinnen seinen kuehnen Ideen nicht mehr folgen konnten, da fing fuer sie erst die rechte Strasse an, sie plauderte, wie ihr das Rosenschnaebelchen gewachsen war, lachte, scherzte in Witz und Schwank, dass dem Praesidenten vor Freuden das Herz aufging, wie gebildet, wie gesellschaftlich sein Kind geworden war. Er nahm sich in seinem Entzuecken vor, gleich morgen ein Belobungsschreiben an Madame La Truiaire zu schreiben, die ihm eine so glaenzende Weltdame mit ungetruebter Unschuld und Natuerlichkeit erzogen habe. Die gute Madame La Truiaire aber hatte _dieses_ Wunder nicht bewirkt; zwar galt Ida von Sanden in den ersten Haeusern der Residenz fuer eine sehr feine und anstaendig erzogene junge Dame; doch war sie dort ernst, zurueckhaltend, so dass, wer sie nicht naeher kannte, ueber ihren Geist wenig oder gar nicht urteilen konnte; nein, eine andere Lehrmeisterin, die reine Seligkeit der ersten erwiderten Liebe, hatte sie so freudig, so selig gemacht, hatte alle Pforten ihres tiefen Herzens aufgeschlossen und den Reichtum ihres Geistes ans Licht gelockt. Der Hofrat war ein feiner Menschenkenner; von Anfang, als das Gespraech noch nicht recht fortwollte, hatte er alles getan, um es ins rechte Geleis zu bringen. Nachher aber hatte er sich zurueckgezogen und nur beobachtet. Da entging ihm denn nicht, dass der Graf, je laenger er mit dem suessen Zauberkind sprach, je tiefer er ihm in das geistvolle Veilchenauge sah, je mehr sich vor ihm diese zarte Maedchenhaftigkeit, dieser reiche Geist, diese hohe Herzensguete entfaltete, immer maechtiger zu ihr hingezogen wurde; wie gestern, als er ihm von des Maedchens gebildetem Geist, seinen stillen Tugenden erzaehlte, so verschwand auch jetzt nach und nach die Wehmut aus seinen Zuegen; eine rosige Laune, die diesem Gesicht unendlichen Reiz gab, ging an ihm auf; er konnte, was der Hofrat bei diesem Ungluecklichen nicht fuer moeglich gehalten haette, sogar recht herzlich lachen; er konnte--Nein, der alte Mann war selbst verliebt in ihn, er sah ja vor Seligkeit und Liebe aus wie ein verklaerter Cherub. Kam uebrigens der Graf dem Hofrat wie ein Cherub vor, so sah in ihm die Sorben den leibhaftigen Satan. Hatte sie sich doch alle erdenkliche Muehe gegeben, ihm ihre Neigung zu ihm zu zeigen. Hatte sie nicht die kleinen Kalmuckenaugen aufgerissen, dass ihr das Wasser daran aufstieg, nur um ihm das Feuer zu zeigen, das fuer ihn strahle? Hatte sie nicht alle naiven Kuenste aufgeboten, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Aber jetzt sah sie klar: die kleine, unzeitige Kokette, ihre Cousine, hatte ihr den herrlichen Mann weggeschnappt. Sie warf allen Hass auf diese; hatte sie sich doch vorhin so kindisch gestellt, als koennte sie nicht fuenfe zaehlen. Sie selbst--o, sie haette sich koennen auf den Mund schlagen fuer die Dummheit--ja, sie selbst hatte offenbar das Maedchen, das eigentlich noch ein Backfisch war, dazu aufgereizt, den Grafen zu fangen. Waere sie mit ihrer Anleitung zur Routine zurueckgeblieben, das Kind haette nie daran gedacht, ihr Auge zu dem schoenen Fremden zu erheben. So dachte die Sorben. Ihr pomeranzenfarbiger Teint roetete sich vor Zorn, sich so hintangesetzt zu sehen; hatte ja doch, wenn sie recht darueber nachdachte, der Graf sogar ihrer gespottet, als sie glaubte, etwas recht Witziges gesagt zu haben. Es war davon die Rede gewesen, dass jetzt alles Fraeulein heisse, was man sonst wohl auch schlechthin Mamsell genannt habe. Man sprach her und hin darueber, und um Ida einen Stich zu geben, die zwar von vaeterlicher Seite von altem Adel war, aber eine Buergerliche zur Mutter gehabt hatte, warf sie die witzige Bemerkung ein: Die Fraeulein kommen ihr gerade vor wie die Spitzen. Es heisse alles Spitzen, und doch sei ein so grosser Unterschied zwischen den echten und unechten, dass jedes Kind die Feinheit der echten von den groeberen unterscheiden koenne. Sie hatte triumphierend ueber ihr Bonmot im Kreise umhergesehen; die Antwort des Grafen machte sie aber stutzen. "Sie haben recht, gnaediges Fraeulein," hatte er gesagt, "und die echten unterscheiden sich, wenn ich nicht irre, hie und da auch durch ihre Farbe von den unechten; wenigstens habe ich mir sagen lassen, dass die ganz echten gelblichbraun aussehen." Hatte er auf ihre braeunliche Haut anspielen wollen? Die Herren, und namentlich der Hofrat, hatten so hoehnisch dabei ausgesehen. Das Betragen des Grafen, der sie ueber Ida gaenzlich zu ignorieren schien, bestaetigte die Meinung. Sie kochte Rache in ihrer Brust und schwur sich mit den fuerchterlichsten Eiden, dass der Backfisch seine Eroberungen nicht weiter fortsetzen solle. Sie war auch die erste, welche aufstand, und weil es schon ziemlich spaet war, folgten die uebrigen. Nein, es war ihr unertraeglich! An der Tuere noch musste sie mit ansehen, wie der Graf, welcher sich auch verabschiedete, mit seinen Blicken Ida beinahe verzehren wollte. Sie musste hoeren, wie er versprach, recht oft herueberzukommen. Verachtungsvoll wandte sie ihrer Cousine, die ihre Freundinnen zum Abschied kuesste, den Ruecken, stuermte die Treppe hinab und setzte sich, mit der ganzen Welt zerfallen, in ihren Wagen. "Herrlicher Mensch, der Martiniz," sagte der Praesident, als die Gesellschaft auseinander gegangen war, zu Ida und dem Hofrat, die noch bei ihm sassen; "scharmanter Mensch! Wie gewandt, wie fein! Schade nur, dass er sich nicht aufs diplomatische Fach gelegt hat! Wie er alles so artig zu geben weiss; wie er allem, auch dem Trivialsten, was unsere Damen sagten, mit einer Engelsgeduld zuhoerte und gutmuetig ein glaenzendes Maentelchen umhing, wenn sie etwas Dummes plapperten. Er waere eine wahre Zierde des Landes, wenn er sich bei uns ankaufte. Die Graefin Aarstein mag ich ihm auch ganz wohl goennen, moechte uebrigens wissen, wie weit er mit ihr steht--" Ida, die dem Lob des Geliebten mit niedergeschlagenen Augen und fliegender Brust zugehoert hatte, fuehlte bei den letzten Worten nicht nur einen Stich ins Herz, sondern auch einen leisen Druck auf ihr Fuesschen. Sie merkte gleich, woher dies kam, und begegnete dem listigen Auge des Hofrats, der ihr Trost zuwinkte und den alten Papa ueber seine Fehlschuesse auszulachen schien. Ja, es stieg reiner, suesser Trost in ihr auf. Zwar sie hatte schon von der hohen Verstellungsgabe der Maenner gehoert und gelesen; sie wusste das Sprichwort solcher Reisenden: "Ein ander Staedtchen, ein ander Maedchen". Sie erinnerte sich an die ueppigen Reize der Aarstein, an ihre Verfuehrungskunst, die schon so manches junge unerfahrene Maennerherz betoerte, an ihre wichtigen Verbindungen mit dem Hof, an ihre eigene, nicht ganz streng stiftsfaehige Geburt. Aber was wollte sie denn? Sie wollte ja gar nicht an das Glueck denken, Hand in Hand mit diesem Manne durchs Leben zu gehen, sie wollte ja nur geliebt sein, und dass sie es war, sagte ihr scharfes Auge, ihr Herz, das jeden Ton der Liebe verstanden hatte. Aber konnte dieses alles nicht dennoch Verstellung sein? Wer sagte ihr, dass dieser fremde Mann sie nicht betr-- Nein, betruegen konnte dieses edle, reine Gesicht nicht, die Glut dieser Augen konnte nicht taeuschen! Froh dieser Ueberzeugung, die sie waehrend des Auskleidens gewann, huepfte sie in ihr Schlafzimmer und machte dort vor dem Spiegel einen komischen Knix. "Habe die Ehre, mich zu empfehlen, Frau Exzellenz, Graefin von Aarstein," sprach die Mutwillige, "hier steht eine junge Dame, die sich mit Ihnen in den Kampf um den schoenen Polacken einlassen will, welchen Eure Exzellenz als Sattelpferd an Ihren Triumphwagen spannen moechten. Ich bin zwar weder so dick, noch so geschminkt als Sie; aber dennoch wagt es meine Wenigkeit, gegen Hoechstdieselben zu streiten." Noch einen Knicks und dann Unterroeckchen und Struempfchen herunter und mit einem Satz in das weiche Bettchen! Dort streckte sie das Engelskoepfchen noch einmal aus der Decke hervor, warf ein Kusshaendchen nach dem Goldenen Mond hinueber und fluesterte: "Gute Nacht, mein armer Emil, schlafe sanft und traeume suess, traeume auch ein ganz klein wenig von Ida!" Sie schloss selig die Augen und legte sich zurecht, wollte eben hinueberwandern in das unbekannte Land der Traeume; da schuettelte sie ein jaeher Schrecken wieder auf und jagte sie aus dem Bette.-- * * * * * DAS STAENDCHEN. Dem Oberleutnant von Schulderoff hatte die Demonstration seiner gnaedigen Frau Mama zu wohl gefallen, als dass er sich durch den ersten, ziemlich bedeutenden Durchfall, den er ueberall lieber als vor Praesidents Haus erlebt haette, abschrecken liess. Im Gegenteil, wenn er recht darueber nachsann, so schien ihm die Sache eine gluecklichere Wendung genommen zu haben, als er dachte. Schon oft hatte er ja von dem zarten Mitleiden der Maedchen gelesen, und dass aus Mitleid leicht Liebe werde, hatte er an sich selbst erfahren. Einer seiner Kameraden hatte einen Hund gehabt, eine prachtvolle englische Dogge. Dieser war der Fuss abgefahren worden, und,--wie es mit den Invaliden zu gehen pflegt,--der Herr Bruder wollte Diana dem Schinder geben. Schulderoff aber bat, von Mitleiden ergriffen, um ihr Leben, erhielt sie als Geschenk, und jetzt laeuft sie auf allen Vieren so gut als zuvor. Ihr Herr aber liebt sie, wie man nur einen Hund lieben kann, und das alles aus Mitleiden! So konnte auch ihr Mitleiden bald in Liebe verwandelt werden. Dass sie aber Mitleiden fuehle, war gar keine Frage. War sie nicht, als er die verdammte Maehre nicht mehr erreichen konnte, ganz bleich mit dem Kopf zum Fenster hinausgefahren, als wollte sie durch die Tafelscheiben brechen? Hatte sie nicht seinem Ross mit einem Jammerblick nachgesehen, der ihm deutlich sagte, dass sie den innigsten Anteil an seiner Fatalitaet nehme? Der erste Coup war solchergestalt ungluecklich und dennoch gluecklich ausgefallen; der zweite sollte um so brillanter werden. Mama hatte auf Nr. 2 im Eroberungsplan die ungemeine Nachtmusik mit den Regimentstrompetern angegeben, sie hatte ihm noch einmal eingepraegt, wie er sich dabei zu gebaerden habe, und endlich schritt man an das grosse Werk. Schulderoff hatte einige Kameraden, denen auch Rollen von diesem neuen Don Juan zugeteilt worden waren, in ein Weinhaus gefuehrt, wo sie sich guetlich taten, bis der entscheidende Moment kam. Je naeher es aber an zwoelf Uhr ging, desto besorgter sahen sich die Freunde an; denn Schulderoff hatte, sie wussten nicht wie, einen kapitalen Hips bekommen, dass er allerlei tolles Zeug untereinander vorbrachte. Aber die Kaelte draussen konnte ihn schon zur Besinnung bringen; man brach also Schlag zwoelf Uhr auf, rief die Regimentsmusik aus einem Bierhaus, wo sie sich versammelt hatte, und fort ging es vor des Praesidenten Haus. Da man voraussetzen konnte, dass Ida schon sanft entschlafen sei, so werde zum ersten Stueck kein Adagio gewaehlt, sondern das rauschendste Fortissimo, das unter den Dragonern _Tagwache_ oder Reveille genannt wurde, weil die achthundert Dragoner alle Morgen mit diesem Stueck aus ihrem sanften Morgenschlummer trompetet wurden. Zu dieser Reveille setzten die zwanzig Trompeter ihre Hoerner, Posaunen und Trompeten an, der Stabstrompeter oder--wie er sich lieber nennen liess--Kapellmeister winkte, und in rauschendem Geschmetter, als wollten sie den juengsten Tag anblasen, toente die Reveille durch die stille Mitternacht zu dem einsamen Bettchen Idas und weckte sie aus suessen Traeumen. Diese Art von Attention war ihr so ungewohnt, dass sie von Anfang glaubte, es brenne irgendwo im Staedtchen; als sie aber nachher deutlich einige Walzer unterschied, so war kein Zweifel mehr, dass es eine Nachtmusik sei, die ihr gelte. Es war kalt; sie huellte sich froestelnd wieder in ihre seidene Decke und dachte unter den lockenden Toenen nach, ob wohl Martiniz auf so unzarte Weise ihr eine Aufmerksamkeit erweisen wolle. Nein, der Unglueckliche musste ja der Zeit nach jetzt in der Kirche sein; und er, der sich in allem so zartfuehlend, so sinnig bewies, er konnte nicht diese Trompeten zu Organen waehlen, um seine Empfindungen auszudruecken; in Walzerchen und Polonaisechen, in diesem rauhtoenenden Deideldum und Schnirkeldum konnte Emil seine Liebe nicht ausdruecken. Jetzt schwieg die Musik; sie hoerte Stimmen auf der Strasse. Die Offiziere hatten Schulderoff in den Schein einer Strassenlaterne an eine Mauer gelehnt. Verabredeterweise fingen sie nach dem dritten Walzer an: "Herr Bruder Schulderoff! Wo steckst du denn? Ich glaube, die Liebe hat den armen Kerl ganz voll gemacht." "Ach, Kameraden, mir ist so weh, so weh!" stammelte der begeisterte Liebhaber, dem nur noch ein Teil seiner Rolle beifiel, und zwar gerade der Teil, welchen er in seiner jetzigen Lage mit grosser Wahrheit spielte. "Blast, blast!" rief er dann und focht mit den Armen in der Luft. "Blast! O waeren das die schwedischen Hoerner und ging's von hier gerade ins Feld des Todes!" "Wie der Herr Leutnant befehlen," antwortete der Stabstrompeter. "Frisch auf, Nr. 62, die Galoppade!" Und jetzt ging der Tanz von neuem los, dass alle Hunde in der Nachbarschaft laut wurden und die Nachbarn sich beklagten, dass man ihre Nachtruhe stoere. Ida war kein Woertchen des Gespraeches entgangen, und sie schaemte sich ordentlich, dem Herrn von Schulderoff, der ihr gerade nicht von der empfehlendsten Seite bekannt war, diese Musik zu verdanken. Es schlug ein Uhr, als die Kuenstler abzogen, und von Idas Augen war aller Schlaf gewichen. Sie warf sich hin und her; aber es wollte ihr nicht gelingen, den mohnbekraenzten Gott, den Schulderoff so unzarterweise verscheucht hatte, zurueckzurufen. Sie ging noch einmal die Bilder dieses Abends und der letzten Tage durch; durfte sie auch mit Recht hoffen, dass sie ihm nicht gleichgueltig-- Der Ball? Es ist wahr, er hatte immer nach ihr gesehen; aber das bewies nur, dass auch sie immer nach ihm gesehen hatte; konnte ihm nicht ihr wiederholtes Hinsehen aufgefallen sein? Konnte er nicht deswegen so oft nach ihr gesehen haben?--Bei dem Souper, ja, da war er hinter ihr gestanden, hatte, als sie anstiessen auf Liebe und Freude, tief geseufzt; aber durfte sie dies auch auf sich beziehen? Konnte ihn, der so ungluecklich schien, nicht so manches seufzen machen?--Nachher bei dem Kotillon,--ja, er erroetete, als sie ihn zum Tanz aufzog; aber etwa nur wegen ihr? Nicht, weil sie die einzige war, die es wagte, ihn aufzuziehen?--Heute abend, als er beim Tee neben ihr gesessen, da hatte er oft sonderbare Winke ihr zugefluestert: einmal, als man ihn fragte, was ihm an der hiesigen Gegend so anziehend sei, hatte er ihre Hand unter dem Tische gefasst, sie gedrueckt und ihr zugefluestert: "Ich weiss wohl, darf es aber nicht sagen." Was konnte er damit gemeint haben? Es war wohl blosse Galanterie gegen sie, als Dame des Hauses. Schelmchen Ida wusste es wohl, was es war; aber sie belog sich selbst, um immer wieder aufs neue zu zweifeln und zu hoffen. Sie laechelte sich selbst aus ueber ihren Zweifel. "Nein, der Hofrat muss mir beichten," sagte sie zu sich und klopfte auf die seidene Decke, "der muss beichten; hat er doch so geheimnisvoll getan, als habe der Graf sein ganzes Herz gegen ihn ausgeschuettet; da will ich schon erfahren, ob er mich lie--" Einige rasche, volle Griffe auf einer Gitarre unterbrachen ihr Selbstgespraech; sie setzte sich im Bettchen auf, sie lauschte; ein suesses, melancholisches Adagio wurde gespielt; Ida hatte selbst etwas Weniges klimpern gelernt, sie kannte hinlaenglich die Schwierigkeit dieses Instruments, wenn es ohne Begleitung der Stimme oder eines andern Instruments die Gefuehle in wohlgerundeten vollen Saetzen ausdruecken sollte; aber so hatte sie dieses Instrument nie spielen gehoert. Es graute ihr vor diesen fliessenden Laeufen, wenn sie daran dachte, wie schwer sie seien, und diese vollen, runden Klaenge, diese melodischen Klagen, die den aermlichen sechs Saiten entlockt wurden! Wer konnte nur in Freilingen so hinreissend, so suess spielen? Sie huschte schnell in die Pantoeffelchen, zog die seidene Mantille um und schlich sich ans Fenster; sollte Mart-- Ja, weiss Gott! Seine Zimmer waren noch hell erleuchtet, die Gardinen waren herabgelassen; aber deutlich konnte sie den Schatten eines an den Fenstern Auf- und Abwandelnden erspaehen. Es war Martiniz; und jetzt gewann sein Spiel erst volle Bedeutung, jetzt verstand sie seine fluesternden Klagen, seine sehnenden Uebergaenge, die suesse Melancholie seiner Moll-Akkorde. Er schwieg, er stand--sie sah deutlich seinen Schatten--er stand ihr gegenueber am Fenster. Ein bedeutungsvolles Vorspiel begann. "O, wenn er auch singen koennte, wie koestlich, wie wunderschoen waere es!" dachte Ida, huellte sich tiefer in ihr Maentelchen und setzte sich ans Fenster; ihr Herzchen pochte voll Erwartung.--Er sang; eine tiefe, volle, klare Maennerstimme trug eines jener polnischen Nationallieder vor, wie sie schon mehrere gehoert hatte und die jedes fuehlende Herz durch ihre Innigkeit, durch ihre sanften Klagen so tief ansprechen; er sang,--sie verstand kein Silbchen von den polnischen Woertern; aber dennoch fasste sie den Sinn so gut als irgend eine polnische Schoene; ach, es waren ja die Toene, die man auf der ganzen Erde versteht, die Klagen der Liebe, die sich nach dem geliebten Gegenstande sehnt, die um Erwiderung fleht, die ihren Schmerz in den fluesternden Toenen der Wehmut ausweint. Traenen stuerzten dem liebenden Maedchen aus den Augen; sie schlich sich zurueck zu ihrem einsamen Lager; Emils Toene begleiteten sie. Die geheimnisvolle Stille der Nacht, das raetselhafte Leiden des interessanten, ungluecklichen Mannes, sein Liebe atmender Gesang, der ja ihr allein in der schweigenden Mitternacht galt, dies alles erfuellte sie mit einer nie gekannten Sehnsucht, es war ein unaussprechliches, aber suesses Gefuehl der Wehmut und des Glueckes; ja, sie war geliebt--diese liebewarmen Toene wisperten es ihr in die Seele--sie war geliebt, wahr und innig, wie auch sie liebte; sie presste ihre weichen Haendchen auf das lautpochende Herz, auf die entfesselte Brust, wo es siedete und brannte, als habe das dunkle Feuerauge des Geliebten das wallende Blut wie duerren Zunder angezuendet. Verschaemt, als koenne er durch die finstere Nacht, durch ihre dichten Jalousien zu ihr heruebersehen, verhuellte sie das pochende Herzchen, zog die Decke bis an den Mund herauf, presste die AEuglein zu und fluesterte hinueber in die weichen Toene seiner Laute noch ein herzliches: "Schlaf wohl!" * * * * * DIE FREILINGER. Die Leute in Freilingen sind wie ueberall; es vergingen keine acht Tage, so wusste jedes Kind, dass Praesidents Ida und der reiche Pole ein Paar seien. Die Freilinger aergerten sich nur darueber, dass man ihnen Sand in die Augen streuen wolle; dass die beiden Leutchen einander vorher schon gekannt hatten, war am Tage; denn wie sollte Martiniz an gleichem Tage mit ihr ankommen, was sollte er ueberhaupt in dem obskuren Freilingen so lange tun, als weil er Ida liebte, die, Gott weiss durch was fuer Kunstgriffe, den Goldfisch in ihr Netzchen gelockt hatte? Papa-Praesident--nun, dem schwefelte man etwas Blaues vor, dass der Herr Graf doch mit Ehren ins Haus kommen konnte; was da beim Tee vorging, das wusste freilich jedermann, weil man hie und da so ein paar Respektspersonen dazu einlud; aber was vormittags im Zimmer, nachmittags im Garten, abends nach dem Tee vorging, das wusste niemand; beten werden sie nicht mit einander, sagten die Leute; da spricht man wohl immer von dem Hofrat Berner, der sei ja hinten und vorn dabei, dass ja nichts Unrechtes geschehen koenne; aber man wusste ja von frueher her, wie er dem Maedchen alle losen Streiche durch die Finger sah; jetzt wird es nicht viel anders sein, da sie groesser ist. So urteilte die Welt; sie urteilte aber noch weiter: das Maedchen, die Ida, tut jetzt so juengferlich und so zimperlich, als waere sie in der Residenz eine Vestalin geworden, und vorher war sie wild, ausgelassen, trotzig; das muesste ja ein Gott sein, der aus einer solchen Hummel ein reputierliches Maedchen ziehen wollte. Aber in allen Instituten ist man seit neuerer Zeit viel pfiffiger geworden; da sagt man den Maedchen: Ihr koennt alles tun; aber haltet Mass und treibet es fein! Daher kommt es, dass jetzt lauter Tugendspiegel aus den Instituten kommen. Sonst kamen sie ein wenig affektiert, ein wenig frei nach franzoesischem Schnitt und Ton; jetzt weiss man das ganz anders; sittsam, keusch, ehrbar, alles, was sie sein sollten, sind sie, da fehlt sich's nicht, vollkommen, wenn man es so von der Seite sieht. Kommt aber so ein Pole, so ein Graf Weissnichtwoher und Baron Nirgendan, so bewahrt man den Schein, und damit holla! So urteilten die Freilinger von dem edelsten, besten Maedchen, das in ihren Mauern war; so urteilten sie, und wie das Boese ueberall schneller um sich greift als das Gute, so wusste und glaubte schon nach acht Tagen die ganze Stadt, was ein paar Muhmen bei einer Tasse Kaffee ausgeheckt hatten. Auch ueber den harmlosen Martiniz erging das naemliche Gericht. Leute wie die Freilinger koennen nichts weniger leiden, als wenn Menschen unter ihnen umherwandeln, von denen sie nicht alles vom A bis zum Z wissen, woher und wohin, was sie fuer Plaene haben usw. Kauft einer nicht ein Pferd oder ein Paar Ochsen oder ein paar Hufen Landes, so ist er ein unertraeglicher Geheimniskraemer, der allein das Vorrecht haben wolle, dass die Leute nicht wissen sollen, was an ihm ist. Dieser Pole vollends versuendigte sich auf die impertinenteste Art an Freilingen. Er schien kein Frauenzimmer zu bemerken als Ida; und doch gab es viele, die ihm ihre Aufmerksamkeit da und dort bezeigt hatten; er war reich, gab viel Geld aus, und doch konnte niemand sagen, was er denn eigentlich im Staedtchen zu tun habe; schon sein ernstes, bleiches Gesicht war ihnen wie ein verschlossenes Buch, das sie gar zu gerne durchblaettert haetten. Das ist ein Bruder Liederlich, sagten die einen, man sieht es ihm an der Farbe an, ein Mensch ohne ein Fuenkchen Lebensart; sonst wuerde er wenigstens seine Tischnachbarn mit seinen naeheren Verhaeltnissen bekannt machen, wuerde auch in andere anstaendige Zirkel kommen als nur zu Praesidents. So urteilten sie von Martiniz, zuckten die Achseln, wenn sie von ihm und seinem Verhaeltnis zu Ida sprachen; darin waren sie aber alle einverstanden, dass der Praesident von seinen Verhaeltnissen doch etwas wissen muesse; denn er laechelte so geheimnisvoll, wenn man ihn wegen des Fremden anbohrte. Alt und jung kannte bald den fremden Grafen, und ueberall kursierte er unter dem Namen "der Mann im Mond"; denn sein geisterhaft bleiches Gesicht, sein Aufenthalt im Goldenen Mond hatte dem Volkswitz Anlass zu diesem Spottnamen gegeben, und selbst Ida, als sie es erfuhr, nannte ihn nie anders als den "Mann im Mond". * * * * * FEINDLICHE MINEN. Wie es uebrigens zu gehen pflegt: die aergsten Feinde Idas und des Grafen liessen sich oeffentlich am wenigsten ueber dies Verhaeltnis aus. Frau von Schulderoff und Fraeulein von Sorben fuehlten sich bis zum Tod beleidigt; aber sie hielten oeffentlich an sich und schwiegen. Beide hatten sich vorher wenig gesehen; denn sie waren etwas ueber den Fuss gespannt; der Leutnant Schulderoff hatte einmal einen ganzen Winter hindurch dem Fraeulein die Cour gemacht; das Verhaeltnis hatte sich aber aufgeloest, man wusste nicht wie. Jetzt, da sie in _einem_ Spital krank waren, jetzt naeherten sie sich wieder, und obgleich das Fraeulein in ihrem Herzen der Frau von Schulderoff schuld gab, sie habe den Sohn aus ihren Netzen gezogen, so vergass sie doch einstweilen diese Kraenkung, um diese neuere besser zu tragen oder zu raechen. Die Frauen sehen in solchen Sachen feiner und viel weiter als jeder Mann an ihrer Statt; so hatte die Sorben bald weggehabt, dass das Unglueck des Leutnants vor dem Hause des Praesidenten, von dem die ganze Stadt sprach, wohl nicht so zufaellig sei, als man es erzaehlte; sie hatte durch ihre Kundschafter bald weggehabt, dass die Nachtmusik, von den zwanzig Regimentstrompetern aufgefuehrt, nicht den Grafen, sondern Leutnant Schulderoff zum Urheber habe, der, wie die Juden die Mauern von Jericho, so die Steinwaelle und Gusseisentore von Idas Herzen mit Zinken und Posaunen habe niederblasen wollen. Dies alles fuehlte sie recht gut und kalkulierte, was sie _nicht_ wusste, so richtig zusammen, dass sie ueber den ganzen Roman des Herrn von Schulderoff Rechenschaft geben konnte. Die Mama des verunglueckten Liebhabers, der seit der Nachtmusik nur noch sproeder behandelt worden war,--mochte sie nun ahnen, dass die Sorben auch ein wenig verletzt sei, oder mochte sie nur einen gewissen Verwandtschaftsneid zwischen dem Fraeulein und Ida voraussetzen,--sie besuchte von freien Stuecken die Sorben, teilte ihr mit, was sie wusste, und liess sich mitteilen, was das Fraeulein im stillen erlauscht und erspaeht hatte. Uebrigens lebte auch sie in der festen Ueberzeugung, Martiniz und Ida haben sich schon lange gekannt und er sei ihr nach Freilingen nachgefolgt; denn von den naechtlichen Leiden des ungluecklichen Grafen ahnte niemand auch nur ein Silbchen, so verschwiegen war der Kuester des Muensters in dieser Sache. Unbegreiflich war und blieb es uebrigens sowohl der Frau von Schulderoff, als der Sorben, warum der Graf, der doch sein eigener Herr schien, nicht schon lange bei dem Praesidenten um Idas Hand gefreit habe; sie, die sich kein anderes Hindernis dachten, sie, die nur einen Grund sehen wollten, waren einig darueber, dass es dem Grafen entweder nicht recht ernst sei, oder dass es sonst irgendwo ein Haekchen haben muesse. So hatten beide Damen schon seit vielen Nachmittagen und Abenden, die sie bei Kaffee oder Tee miteinander zubrachten, kalkuliert, und immer schien es ihnen, sie haben noch nicht das Rechte getroffen; da traf es sich, dass ein Kammerherr, den Frau von Schulderoff kannte, durch Freilingen kam und der gnaedigen Frau, bei welcher Fraeulein Sorben gerade auf Kaffee war, waehrend man umspannte, einen Besuch machte. Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund ueber. Der Kammerherr hatte kaum seine Tagesneuigkeiten vom Hof ausgepackt, als Frau von Schulderoff auch auf Ida und den Grafen kam und den Kammerherrn fragte, ob sie wohl schon in der Residenz liiert gewesen seien. Der Kammerherr horchte hoch auf bei dem Namen des Grafen Martiniz. "Wie ist mir denn?" sagte er. "Ist das nicht der polnische Graf mit den drei Millioenchen, der unsere Graefin Aarstein--Ja, wahrhaftig! Jetzt faellt es mir erst ein--in dieser Gegend, sagte man, werde er sich ankaufen, und darum ist er wohl hier. Nein, meine Gnaedigen, mit Fraeulein Ida von Sanden war der Pole in der Residenz nicht liiert; denn er war noch nie in der Residenz, wird aber dort jeden Tag erwartet; das Verhaeltnis, das er hier angeknuepft hat,--da koennen Sie sich auf Ehre darauf verlassen,--ist nur so _en passant_, weil er vielleicht nichts zu tun hat; nein, der ist nicht fuer die Sanden!" Die beiden Damen warfen sich bedeutende Blicke zu, als sie diese Nachrichten hoerten. "Sie sprachen vorhin von der Graefin Aarstein," sagte die Schulderoff, "darf man fragen, wie diese--" "Die Aarstein will ihn heiraten," warf der Kammerherr leicht hin, "sie hat es jetzt genug, die Witwe zu spielen; der Hof wuenscht sie wieder vermaehlt zu sehen, und zwar soll es, weil der Fuerst ueberdruessig ist, ihre enormen Schulden zu bezahlen, etwas Reiches sein. Da kommt wie ein Engel vom Himmel dieser Pole ins Land, um sich hier anzukaufen; er ist von seinem Gesandten der Regierung aufs dringendste empfohlen; denn man macht hauptsaechlich wegen seines Oheims, der Minister in ....schen Diensten ist, ein grosses Wesen aus ihm; kaum hoert die Aarstein von den drei Millionen und dem alten Oheim, der ihm einmal ebensoviel hinterlaesst, so erklaert sie mit schwaermerischer Liebe--Sie kennen ihr liebevolles, ahnendes Herz---: 'Diesen und keinen andern!' Man ist hoeheren Orts schon gewoehnt, ihrem Trotzkoepfchen nachzugeben, und diesmal traf es ja ueberdies ganz herrlich mit allen Plaenen zusammen; kurz, die Sache ist eingeleitet und, so viel ich weiss, schon so gut als richtig." "_Est-il possible, est-il croyable?_" toente es von dem Mund der erfreuten Damen; die Sorben aber traute doch nicht so ganz. "Ich kann Sie versichern," sagte sie zum Kammerherrn, "Fraeulein von Sanden, die Sie aus der Residenz kennen muessen, ist sehr liiert mit dem Grafen, und ich fuerchte, ich fuerchte, die Graefin kommt nicht zum Ziel!" "Nicht zum Ziel?" lachte der Kammerherr. "Nicht zum Ziel? Das waere doch kurios; man spricht ja in allen Cercles von dieser Verbindung; die Graefin nimmt zwar noch keine Gratulationen an; aber ihr Laecheln, mit dem sie es ablehnt, ist so gut als Bestaetigung; und wenn er auch nicht wollte, er muss sie heiraten; denn er kann doch nicht unsern Hof vor den Kopf stossen. Was wird er aber nicht wollen? Bedenken Sie, die Graefin ist so gut als anerkannt von unserem Hof, hat unleugbar mehr Gewicht als alle uebrigen zusammen, ist schoen, bluehend, macht das beste Haus; er waere ja ein Narr, wenn er nur den leisesten Gedanken haette, sie auszuschlagen. Und Fraeulein Ida? Nun, das soll mich doch wundernehmen, wenn die sich endlich einmal hat erweichen lassen. Unsere Herren in der Residenz knieten sich die Knie wund vor diesem Marmorengel, aber alles soll umsonst gewesen sein; zwar erzaehlte man sich allerlei von dem Rittmeister von Sporeneck; sie sollen aber gebrochen haben, weil sie seine Liaison mit der Aarstein erfuhr. Nun, Glueck auf! Wenn der Graf _die_ zahm gemacht hat, dann passt er zu der Graefin; und ich sehe nicht ein, was dieses Verhaeltnis schaden koennte; die Graefin Aarstein wird als Gemahlin des Polen ihre Liebhaber nebenher auch nicht aufgeben. Doch was schwatze ich! Ihr Onkel, Fraeulein von Sorben, kann Ihnen ueber diese Sache die beste Auskunft geben; denn ich muesste mich sehr irren, wenn er nicht die Hand dabei im Spiel hat." Der Reisewagen fuhr vor; der Kammerherr empfahl sich und liess die beiden Damen in frohem Staunen und Verwunderung zurueck. "Arme Ida!" sagte die Sorben spoettisch. "So viel Routine hast du denn doch noch nicht, dass du Geschmack daran finden koenntest, die Nebenbei des Grafen Martiniz zu spielen. Nein, wie das Daemchen, das also in der Residenz die Sproede so schoen zu spielen wusste, aufschauen wird, wenn der gute _Mann im Mond_, den sie schon ganz sicher in Ketten und Banden hat, wenn der amoroso Bleichwangioso auf einmal morgens verschwunden ist, am naechsten Posttag aber ein Paket einlaeuft mit Karten, worauf _Graf Martiniz mit seiner Gemahlin, verwitwete Graefin von Aarstein_, deutlich zu lesen ist." "Nicht mit Gold ist sie zu bezahlen, diese Nachricht," bemerkte die Schulderoff mit triumphierender Miene, "und um so mehr wird sie sich aergern, dass es die Graefin Aarstein ist; denn diese hat ihr ja, wie Sie hoerten, auch den herzigen Jungen, den Sporeneck, abgespannt--" "Sie kennen den Sporeneck, gnaedige Frau?" fragte die Sorben, und ihr gelbliches Gesicht schien tief ueber etwas nachzusinnen. "Wie meinen Sohn," versicherte jene; "wie oft war er aus Besuch bei uns in Schulderoff, als er in Garnison in Tranzow lag! Mich nimmt es nicht wunder, wenn er Ida kirre gemacht hat; denn wo lebt ein Maedchen, das er, wenn er es einmal auszeichnete, nicht fuer sich gewann!" "Herrlich, das muss uns dienen," fuhr das Fraeulein fort; sie setzte auseinander, dass ihr scheine, als habe der Graf doch etwas zu tief angebissen bei Praesidents und als wolle er vor der Hand nicht an die Graefin denken; da wolle sie nun ihren Onkel, den geheimen Staatsrat von Sorben, gehoerig praeparieren, und sie stehe davor, dass der Graf die laengste Zeit im Mond logiert haben werde. Am besten waere es, wenn man die Aarstein selbst in Freilingen haben koennte; doch sei dies bei dieser Jahreszeit nicht wohl moeglich; darum solle auch Frau von Schulderoff Schritte tun. Sporeneck werde ihr schon die Gefaelligkeit erweisen, auf einige Tage hieherzukommen; seine Sache sei es, den Grafen recht eifersuechtig zu machen. Habe man diesen nur erst dahin, dass er nicht so ganz auf die Scheinheiligkeit Idas baue, so sei auch im uebrigen bald geholfen. Frau von Schulderoff umarmte die Rednerin stuermisch und ergaenzte den Plan vollends--"und wenn der Graf aus dem Netz ist, wenn man dann fuehlt, dass man sich doch ein wenig sehr prostituiert hat, dann ist auch mein Leutnant wieder gut genug; aber dann soll er mir sie auch nicht nehmen, die stolze Prinzessin, als bis der Herr Papa-Praesident mit seinen Friedrichsdors herausrueckt und unsern Schulderoff wieder flott macht; um die zimpferliche Schwiegertochter bekuemmere ich mich dann nicht so viel; die mag sehen, wie sie mit meinem Monsieur Tunichtgut auskommt." Der Traktat, der noch einige geheime Artikel enthielt, war gemacht und beschworen. Schon nach zwei Stunden ging eine Depesche von Fraeulein von Sorben an ihren Onkel in die Residenz ab, worin mit bewunderungswuerdiger Klarheit dargetan war, wie die Tochter des Praesidenten einen jungen Polen in ihre Netze zu ziehen suche, dass man schon von einer Heirat zwischen beiden spreche, und dass sie nur bedaure, dass dadurch der Residenz ein glaenzendes Haus entzogen werde; denn Ida scheine darauf zu bestehen, dass der polnische Graf sich in Freilingen niederlasse. Der Brief, das wusste sie, konnte seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn auch der Oheim-Geheime Rat nicht daran gedacht haette, bei der eingeleiteten Heirat zwischen Martiniz und der Graefin Aarstein seine Hand im Spiel zu haben, so haette ihn doch der letzte Punkt des Briefes dazu vermocht, alles aufzubieten, um die Niederlassung des Grafen in Freilingen zu hintertreiben. Der Gedanke, dass ein grosses Haus mehr in die Residenz kommen koennte, war begeisternd fuer ihn. Unter allen Sterblichen schaetzte er die am hoechsten, welche Haeuser machten; darunter verstand er freilich nicht Zimmerleute oder Maurer, sondern die, welche ihm Schildkroetensuppen, fette Austern, feine Ragouts, gute fremde Weine vorsetzten, die, welche regelmaessig einmal in der Woche des Abends Tueren und Tore oeffneten, um frohe Gaeste bei sich zu sehen, hohe Spiele arrangierten, koestliche Baelle zu geben wussten. Solche Haeusermacher liebte der alte Sorben; denn er war ein altes Weltkind und ein feiner Schmecker aller Delizen, sie mochten tot oder lebendig, vier- oder zweifuessig sein, mochten dem Gaumen oder der Nase, dem Ohre, dem Auge oder dem Tastsinne schmeicheln--er war ein Kenner, und daher musste es in seinen Wuenschen liegen, ein Dreimillionen-Graefchen in die Residenz zu bekommen. So hatte ihn seine gewandte Nichte, ohne dass er es merkte, bei allen fuenf Sinnen zumal nur durch ein paar kleine Worte gefasst, und sie durfte ueberzeugt sein, er fange Feuer. Aus dem Freiherrlich Schulderoffschen Palais, das fuer jetzt, in Ermangelung eines bessern, nur aus einigen Mansardenstuebchen bestand, lief ein Brief ab, der keinen geringeren Hagelslaerm, kein schwaecheres Hallo in die Residenz machen sollte als die zwanzig Trompeter letzthin, als sie die Reveille vor Idas Fenster bliesen. Er war an Se. Freiherrliche Gnaden, den Herrn Rittmeister von Sporeneck, bei Husaren Nr. 3, ueberschrieben und lautete wie folgt: "_Freilingen_, 11. Dez. 1825. "Herr Bruder! "In meiner Garnison dahier geht es eigentlich noch immer so ledern zu wie vordem. Das halbe Dutzend Reitpeitschen habe ich erhalten und sende hier den Betrag. Sie sind recht schwank und sehen flott genug aus. Den Saebel erwarte ich noch bestimmt vor Neujahr; vergiss nicht, dass der Korb, wie bei den badischen Dragonern, doppelt sei. Dahier hat sich vor kurzem auch etwas zugetragen, was Dir, Herr Bruder, vielleicht auch interessiert; die junge Sanden ist mit einem Galan hier angekommen, der ihr jetzt taeglich und stuendlich die Cour schneidet. Begreife uebrigens nicht, wie sie dazu kommt, da man hier allgemein sagt, sie habe _Dich_ sehr schnoede abgewiesen. Auf Ehre, Herr Bruder, es tut mir leid; aber ein Kerl wie Du, der seine vierundzwanzig Liebschaften des Monats hat, sollte nicht so von sich sprechen lassen. Solltest Du wegen dieser Affaere, was ich fuers beste hielte, selbst einige Woertchen entweder mit dem neuen Courtisan, oder mit dem Fraeulein selbst sprechen wollen, so steht Dir mein Logis zu Dienst. Der junge Herr ist ein Pole, Graf von Martiniz, soll schwer Geld haben und scheint meines Erachtens der angefuehrte Teil; denn sie hat ihn in der Kuppel, dass er weder links noch rechts kann. Lebe wohl, gruesse alle Kameraden bei Nr. 1, 2 und 3 und verbleibe in Bruderliebe Dein "_Franz von Schulderoff_, Leutnant bei Koenigin-Dragoner." Dies war das Schreiben, womit die Frau von Schulderoff den Rachegeist fuer Ida beschwor. Noch war des guten, unschuldigen Kindes Himmel rein und heiter; aber indem es in das reine Blau des Aethers hineinsah und sich dessen freute, zog Wolke um Wolke am Horizont auf und drohte ihr stilles Glueck zu suchen und zu zerschmettern. * * * * * GEHEIME LIEBE. Aber so gewiss die Freilinger alles zu wissen glaubten, so wussten sie doch nichts. Es ist eine eigene Sache um die Liebe, besonders um die erste. Es gehen so zwei Menschen neben einander hin, still vergnuegt, still selig; sie sehen aus wie Kinder, denen etwas recht Huebsches traeumt, und einem andern kaeme es grausam vor, sie aufzuwecken. Sie gehen neben einander hin, sprechen von den gleichgueltigsten Dingen und denken an das, was ihr Herz erfuellt; sie wagen es nicht auszusprechen, und doch verstehen sie sich so gut durch die Augen; denn sie tragen den Schluessel zu dieser Zeichensprache nebst Woerterbuch und Formenlehre in ihrem treuen Herzen. So war es auch bei Martiniz und Ida. Sie wussten, dass sie sich liebten; aber noch hatte der Graf nie deutlich darueber gesprochen, noch hatte ihm Ida keine Gelegenheit gegeben, sich zu erklaeren. Der Hofrat Berner sah diesem allem halb freudig, halb unmutig zu. Er liebte die beiden guten Leutchen, als waeren es seine eigenen Kinder; darum haette er ihnen auch alles Gute und Liebe gegoennt, eben darum konnte er aber dieses verschaemte Treiben nicht leiden. Er war so halb und halb des Grafen Vertrauter; denn dieser hatte ihm ja alle Tage von des Maedchens Schoenheit, seinem Reichtum an stillen Tugenden vorgeschwatzt, hatte ihm gestanden, dass er glaube, Ida sei ihm gut; aber dabei blieb es auch, und Berner war zu zart, bei dem Grafen den Kuppler zu spielen. Auch Idas Vertrauter war er, er kannte ja ihr Herzchen beinahe, seit es schlug; er wusste jede Schattierung in ihren Lebenssternen zu deuten, er sah ganz deutlich den Schelm mit Pfeil und Bogen in ihren klaren Pupillen, und doch wollte auch sie nicht recht voran; doch konnte er es ihr, als einem Maedchen, weniger uebel nehmen als ihm. "Nein, wer mir je so etwas gesagt haette," dachte er, "dem haette ich mit Fug und Recht unter die Nase gelacht; ein polnischer Garde- Ulanen-Rittmeister, mit dem Rang eines Oberstleutnants in der Linie, und wagt nicht einmal, ein Maedchenherz, das ihm gewogen ist, anzugreifen." Er haette moegen aus der Haut fahren, wenn er daran dachte, wie man zu seiner Zeit gelebt und geliebt habe und wie die Welt in den letzten Jahrzehnten sich so aendern konnte. Aber wie, wenn Martiniz aus Gewissenh--ja, das war nicht unmoeglich, es konnte Gewissenhaftigkeit sein, dass er sich nicht erklaerte; befand er sich, der unglueckliche junge Mann, ja doch immer noch in demselben Zustande, wie er hier angekommen war. Der Kuester, der jetzt regelmaessig nachmittags sein Daepschen hatte, ohne dass seine Frau begreifen und ergruenden konnte, wo er das Geld dazu herbringe, der Kuester hatte dem Hofrat alle morgen referiert, wie es in der Nacht zuvor mit dem Grafen in der Kirche gegangen sei; er hoerte zwar, dass er seit neuerer Zeit weniger stark wuete; dass er aber desto mehr weine und jammere. Es war ein eigenes Ding mit diesem Zustand; es war kein Zweifel, dass der Graf jede Nacht um dieselbe Stunde davon befallen werde, und doch sah man ihm den Tag ueber keine Spur von Wahnsinn an; nur seine zarte Blaesse, das Wehmuetige, das noch immer in seinem Wesen vorherrschte, konnte darauf hindeuten, dass er koerperlich oder geistig angegriffen sei. Seinen Entschluss, den alten Brktzwisl um die Krankheit seines Herrn zu fragen, hatte der Hofrat noch immer nicht ausfuehren koennen; je naeher er den jungen Mann kennen lernte, je mehr Achtung er taeglich vor seinem gediegenen Charakter, vor seinem ausgebreiteten Wissen bekam, desto unzarter schien es ihm, auf diesem Wege in seine Geheimnisse eindringen zu wollen. Aber unablaessig verfolgte ihn der Gedanke, dass er vielleicht, wenn er das Naehere ueber des Grafen Krankheit wuesste, helfen koennte. So sass er eines Morgens in seinem Zimmer, dem man die Junggesellenwirtschaft wohl ansah; der Kuester hatte im Vorbeigehen zum Schnapshaus ein wenig bei ihm eingesprochen und erzaehlt, gestern nacht sei der fremde Herr so zahm gewesen wie ein Lamm, aber geweint habe er wieder, dass ein Toepfer die Haende darunter haette waschen koennen. Er sann hin und her, wie man dem Geheimnis benommen koennte; da klopfte es bescheiden an der Tuer, und der alte Brktzwisl trat zu ihm ins Zimmer. Der Hofrat konnte den alten Diener wohl leiden; er schien so fest an seinem jungen Herrn zu haengen, schien so vaeterlich fuer ihn besorgt zu sein, dass man sah, er muesse ihn schon seit Kindesbeinen gekannt und gepflegt haben; recht erwuenscht kam er daher gerade in diesem Augenblick, wo Berner so ganz mit Gedanken an seinen Herrn erfuellt war. Der Alte war anfangs ein wenig in Verlegenheit, was er sagen solle; denn dass er nicht aus Auftrag des Grafen komme, hatte Berner gleich weggehabt. Nachdem er sich in allen Ecken sorgfaeltig umgesehen hatte, ob nicht sonst wer im Zimmer sei, trat er naeher. "Mit Exkuese, Herr Hofrat," sagte er, "nehmen Sie es einem alten Dienstboten, der es gut mit seiner Herrschaft meint, nicht ungnaedig, wenn er ein Woertchen im Vertrauen sprechen moechte!" "Wenn es keine Klagen ueber deinen Herrn sind, so rede immerhin frisch von der Leber weg!" sagte Berner. "Klagen! Jesus Maria, wie kaeme ich bei unserem jungen Herrn zu Klagen; habe ich ihn doch auf den Haenden getragen, als er's Vaterunser noch nicht kannte, und ihm gedient bis auf den heutigen Tag, und er hat mir noch kein unschoenes Wort gegeben, so wahr Gott lebt, Herr, und das sind jetzt fuenfundzwanzig Jahre. Nein, aber sonst etwas haette ich anzubringen, wenn es der Herr Hofrat nicht ungnaedig nehmen wollen. Ich weiss, Sie sind meines Herrn bester Freund in hiesiger Stadt, ja, ich darf sagen, im ganzen Land hier, und mein Herr hat mir dies nicht nur zehnmal versichert, ich weiss auch vom Kuester, dass Sie schon seit dem ersten Tag unseres Hierseins etwas wissen, das Sie keiner Seele wiedergesagt haben, was Ihnen Gott lohnen wolle--" "Nun ja," unterbrach ihn der Hofrat, "und Du willst mir erzaehlen, wie Dein Herr in diesen ungluecklichen Zustand kam, dass er alle Nacht von einer Art von Wahnsinn befallen wird, willst mich fragen, ob ich nicht etwa helfen koenne?" "Ja, das wollte ich," fuhr jener fort, "aber--eine Art von Wahnsinn nennen Sie das? Ich versichere Sie, es ist ein Wahnsinn von so echter Art, wie man sie nur im Tollhaus finden kann; aber ich will erzaehlen, wie er dazu kam." * * * * * EMILS KUMMER. "Mein Herr war nicht von jeher so, wie Sie ihn jetzt sehen; jetzt ist er bleich, still, finster, spricht wenig und lacht nie, geht langsam seine Strasse, und wenn er allein ist, so weint er. Ach! Sie haetten ihn sehen sollen, als noch die gnaedige Frau Graefin und die Fraeulein Schwester lebten. Keinen frischeren, kraeftigeren jungen Herrn gab es in ganz Polen nicht mehr; das sprang, ritt, tanzte, focht, liebte und lebte, lachte und tollte, wie man nur in der Jugend sein kann. Keinen schmuckeren Offizier habe ich mein Tage nicht gesehen, und es traten mir immer die Traenen in die Augen, wenn er wie ein Hauptmann aus den himmlischen Heerscharen an der Spitze seiner Schwadron zur Parade zog, wenn die Trompeter an unserem Hotel aufbliesen, die Ulanen ihre Faehnlein senkten und der junge Graf zu seiner Fraeulein Schwester herauflaechelte wie verklaert und seinen Tigerschimmel dazu tanzen liess. "Das ging nun so seinen guten Gang, bis der Teufel den Herrn Vetter Antonio nach Warschau fuehrte. Das war ein Schwestersohn von der Frau Graefin Exzellenz, ein schoener, schmucker Italiener mit braunroten Wangen, blitzenden Augen, und wenn er sprach, glaubte man, er singe. Der war eigentlich nur so weit herausgekommen aus seinem schoenen Land, um die Familie seiner Frau Mutter zu besuchen; aber ehe man sich's versah, nahm er Dienste bei uns und blieb; denn er sagte, es gefalle ihm nirgends so wie in Polen; muss auch so gewesen sein; denn --wie sich nachher zeigte--er war zum Sterben verliebt in des Grafen Schwester, die junge Graefin Crescenz. Im Hause hatte ihn jedermann lieb; absonderlich aber der junge Graf, mein Herr, war ihm mit uebermenschlicher Freundschaft zugetan und tat ihm alles, was er ihm nur an den Augen absehen konnte. "Das ging nun lange Zeit gut; kein Mensch merkte, dass Herr Baron Antonio die junge Graefin liebte; denn diese hatte viele Liebhaber, welche grosses Geraeusch und Aufsehen machten; der Italiener aber trieb seine Sache im stillen und kam wohl baelder ans Ziel als die andern; denn er hatte, ich stand dabei, eines Tages einen schoenen Brillantring am Finger, der auch mir bekannt vorkam. Ploetzlich fasste Graf Emil seine Hand und fragte: 'Wo hast du den Ring her?' Er aber sagte laechelnd und ganz gelassen. 'Von deiner Schwester.' Nun wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte; der Graf sah ihn mit einem sonderbaren Blick an, gab ihm die Hand und sprach: 'Ich habe nichts dagegen, nur sei ihr treu!' Es verging wieder ungefaehr ein Vierteljahr, da kam mein Herr auf einmal nach Hause, wie ich ihn noch nie gesehen hatte; seine Augen rollten und blitzten schrecklich, zweimal schnallte er den Saebel um, und ebenso oft warf er ihn wieder hin. Ich fragte, was ihm waere, er aber gab mir gar keine Antwort, was er sonst nie getan hatte. Ich habe nachher den ganzen Handel erfahren und darf ihn wohl erzaehlen. Der Graf war an jenem Nachmittag in ein Kaffeehaus gekommen; da kam ein Offizier zu ihm, nahm ihn auf die Seite, zeigte ihm einen Ring und fragte, ob er ihn wohl kenne. Der Graf besah ihn genau und erkannte, dass es derselbe Ring sei, den seine Schwester dem Marchese geschenkt. Er aeusserte dies aber nicht gegen den Offizier, sondern fragte nur, woher er den Ring habe. Der Offizier sagte ihm, dass er diesen Ring an Personen gesehen habe, die dem Grafen Martiniz nahe angingen; er sei daher gekommen, um ihm freundschaftlich zu sagen, dass er diesen Ring auf eine Stunde von Madame Trizka entlehnt habe, die ihn vom Italiener, seinem Vetter, zum Praesent bekommen zu haben behaupte. "Madame Trizka aber war die beruechtigte Kurtisane der Stadt und um Geld zu haben. Der Herr Graf fragte den Offizier auf sein Ehrenwort, ob alles sich so verhalte, und nahm ihn auf seine Versicherung sogleich zum Sekundanten an. Er schickte ihn mit dem Ring an seinen Vetter und liess ihn fragen, ob die Trizka denselben von ihm bekommen habe. Der Italiener antwortete mit einem kalten einfachen Ja, das meinen Herrn nur noch wuetender machte. Seiner Fraeulein Schwester mochte er das Herzeleid nicht antun, ihr etwas von diesem Bubenstueck zu sagen, und beschloss daher, den treulosen Vetter sobald als moeglich aus der Welt zu schaffen. "In einem Garten der Krakauer Vorstadt schossen sie sich gleich den Morgen darauf. Mein Herr wurde an der rechten Schulter leicht gestreift, er aber, der eine sichere Hand hatte und einen Rubel auf dreissig Schritte traf, schoss den Marchese durch die Brust, dass er keine Ader mehr zuckte. Man brachte beide in die Stadt und machte mit dem Italiener noch einige Versuche, ihn wieder zum Leben zu bringen, aber alles vergeblich. Es war zwar noch Leben in ihm; aber er lag ohne Besinnung, und die Aerzte gaben gar keine Hoffnung. "Mein Herr, der den Herrn Vetter trotz seiner Schlechtigkeit dennoch beweinte, war so um ihn besorgt, dass er sogar nicht auf seine Rettung bedacht war, sondern sich an das Sterbebett des Vetters bringen liess. Dieser lag immer ohne Besinnung und, wie es schien, ohne Rettung. Mein Herr sass bis tief in die Nacht bei ihm; am Ende gegen zwoelf Uhr hin in der Nacht war niemand mehr zugegen als er, zwei Freunde, der Wundarzt und ich. Mit dem Schlag zwoelf Uhr aber schlug der Italiener seine graeulichen dunkeln Augen auf. Er richtete sich in die Hoehe und sah sich im Zimmer um. "Uns alle wandelte ein Grauen an; denn man konnte glauben, er sei schon gestorben, so gestanden und glaesern war sein Blick. Endlich sah er meinen Herrn; wuetend riss er seine blutigen Binden von der durchschossenen Brust, dass das Blut herausstroemte. '_Maledetto diavolo!_' bruellte er und warf dem Grafen die Binden an den Kopf, sank zurueck auf die Kissen, und als wir hineilten, um ihn zu unterstuetzen, hatte er seinen wilden Geist schon aufgegeben. "Mein Herr aber war bei dem schrecklichen Fluch des Toten in Ohnmacht gesunken. Er fiel in eine lange Krankheit, aus der er so ungluecklich wiedererstand, wie Sie ihn jetzt sehen. Als er aber aus seinem Wahnsinnfieber, in welchem er drei Wochen gelegen, wieder aufwachte, da ging erst der Jammer von neuem an; denn waehrend der Krankheit war er vollends ganz zur Waise geworden. Die junge Graefin war ein paar Tage nach dem traurigen Vorfall ploetzlich gestorben. Man sagt arge Sachen in Warschau von Gift und dergleichen, die aber ein alter Diener nicht glauben darf. Die Frau Graefin Mutter, die immer gesiecht hatte, ueberlebte sie wenige Tage; dann trug man auch sie zu Grabe. "Der junge Herr vernahm dies alles mit grosser Fassung; als man ihm aber einen Brief seiner Schwester brachte, da kam er ausser sich, so dass wir fuerchteten, er komme wieder vom Verstand. "Ich vermute, der Italiener war doch nicht so schuldig, als wir alle glaubten; denn der Graf liess sich auf sein Grab fuehren, weinte dort lange und rief mit flehender Stimme in die Erde hinein um Vergebung. Als ich in der naechsten Nacht neben dem Zimmer des Herrn zum ersten Male seit langer Zeit ruhig schlief, weckte mich ein schreckliches Geschrei--es kam aus seinem Zimmer--ich eilte hinein, und sah ihn in Schrecken und Wahnsinn; denn er glaubte, der Italiener sei in seinem blutigen Hemde zu ihm gekommen, habe die Binden abgerissen, sie ihm an den Kopf geworfen und sein _Maledetto diavolo_ dazu geschrien. Mit dem Schlag ein Uhr hoerte auch sein Wahnsinn auf. Aber seitdem kehrte er jede Nacht wieder. Er bekam wegen des Duells Begnadigung, musste aber auf einige Zeit sich ausser Landes begeben. "Diese Weisung kam erwuenscht; denn die Aerzte rieten zur Zerstreuung durch eine Reise. Ach! wir fahren jetzt seit einem Jahr durch ganz Europa, und dennoch kehrt sein Zustand jede Nacht wieder. Ich glaube nicht an Gespenster, Herr; aber oft ist es mir doch auch, als habe mein Herr recht, und der selige Herr Antonio folge uns auf den Fersen. In Rom, wohin wir auf unserer Irrfahrt kamen, entwischte er mir in seinem Anfall und lief in eine Kirche; wie es nun sein mag, von da an behauptet er, der Spuk koenne nicht zu ihm herein, wenn er am Altar sitze. "Wer war froher als ich ueber dieses Auskunftsmittel! Aber auch nicht jede Kirche war ihm recht; bald ist sie zu gross, bald zu klein, wie es so mit kranken Leuten geht. Hier geht es nun unbegreiflich gut. Die Kirche behagt ihm wie beinahe keine, und seit acht oder zehn Tagen hat er gar nicht mehr gewuetet, sondern nur geweint." Der alte Diener hatte, oft unterbrochen von dem Hofrat, seine Erzaehlung beendigt. Berner konnte kaum seine Ruehrung zurueckhalten. Es wollte ihm das Herz abdruecken, dass ein Mensch, so schoen, mit allen Gaben des Glueckes so reichlich versehen, mit _einem_ Schlage in so namenloses Unglueck stuerzen sollte. Er war voll Eifer zu helfen; aber welchen Weg konnte man einschlagen, um dem Grafen seinen schrecklichen Wahn zu benehmen? Waren nicht gewiss alle Mittel schon versucht worden, ihn zu heilen? Er fragte den Alten, wozu er ihm behilflich sein koennte bei dieser Sache. Der alte Brktzwisl laechelte geheimnisvoll vor sich hin und begann dann: "Wenn ich recht gesehen habe, so ist mein Herr auf dem besten Wege zur Heilung, und der Herr Hofrat koennen als Arzt dabei dienen. Vor allem muss ich um Verzeihung bitten, wenn ich etwa nicht recht gesehen haette. Einem alten Diener, der nur fuer das Wohl seines Herrn besorgt ist, kann man ja schon etwas zu gut halten. Der Herr Onkel des Grafen, ein steinreicher Mann, der jetzt auch das Vermoegen des Grafen verwaltet, hatte mich mit reichlichen Mitteln versehen, dass ich jeden beruehmten Arzt um Rat fragen konnte. Ueberall, wohin wir kamen und uns auch nur zwei Tage aufhielten, befragte ich gleich die AErzte; die einen wollten dies, die andern jenes, was man schon oft probiert hatte, die meisten aber rieten Reisen und Zerstreuung. "In einer kleinen deutschen Stadt, wo ich gar keinen Arzt gesucht haette, traf ich durch Zufall einen in unserm Wirtshaus. Es war ein kleiner alter Mann mit einem klugen Gesicht, das mir sogleich Vertrauen zu ihm einfloesste. Er gab nicht gleich eine Antwort, sondern betrachtete den Kranken in seinem Zustand, aber von ihm ungesehen. Den andern Tag sagte er zu mir: 'Hoere, Alter! Dein Herr ist unheilbar, wenn ihn nicht Liebe heilt, und zwar recht innige, warme Liebe zu einem Maedchen, das sie erwidert. Hat ihn erst einmal eine recht gefasst, so ist es unzweifelhaft, dass sein Wahnsinn sich zerstreut und nach und nach vergeht.' "Diese Nachricht war mir nun von Anfang ein Donnerschlag; denn ich wusste, wie wenig er sich aus den Frauenzimmern macht. Wenn er durch Liebe geheilt werden soll und durch nichts anderes, so ist er verloren, dachte ich. Denn wo soll er sich verlieben? Er ging an keinen Ort, wo schoene Maedchen waren, in keiner Stadt wollte er ueber einen oder zwei Tage bleiben. Kurz, dieser Rat brachte mich erst recht zur Verzweiflung. Aber dennoch schrieb ich es treulich dem alten Herrn Onkel. "Diesem aber leuchtete das Ding ein. Er schrieb mir, er wolle seinem Neffen eine rechte gute Partie suchen, und wir sollen einstweilen hieher ins ----sche gehen. "Hier in Freilingen geschah nun, was ich fuer meine Seele nicht fuer moeglich gehalten haette. Er blieb vor vierzehn Tagen bis nach elf Uhr auf dem Ball, dass ich ihn sogar abrufen musste; nach der Kirche geht er wieder auf den Ball, was er in einem Jahre nie getan, und kommt ganz still selig nach Haus. Gleich den andern Morgen laesst er mich das Logis im Goldenen Mond auf vier Wochen bestellen; ich glaubte, mir solle Hoeren und Sehen vergehen; er merkte auch, dass ich mich so verwundere, und gab vor, dass ihm die Kirche so wohl gefallen habe. Aber wie ich aus unserem mittleren Zimmer einmal hinausschaue, werde ich in dem Haus drueben einen Engel gewahr, der so holdselig herueberlaechelte, dass mir altem Kerl ganz warm ums Herz wurde. Da ging mir denn ein Licht auf! Schon aus der Herreise hatten wir dieses Fraeulein gesehen; auf dem Ball war sie auch gewesen, und tagelang schaute jetzt mein Herr hinter dem Vorhang nach dem Fenster im Haus gegenueber. "Und das ist niemand als die wunderschoene Fraeulein Ida. Meinen Sie, mein Herr sei frueher in Gesellschaft gegangen? Zu keiner Seele, obgleich ich fuer jede Stadt eine Handvoll Empfehlungsbriefe hatte; aber ich will die Tasse Tee mit Loeffel und Stiel aufessen, die er seit einem Jahre in Gesellschaft getrunken hat, und seit er ins Haus hinueberkommt, geht er alle Abende, die Gott gibt, zum Tee hinueber. "Seit der Zeit laesst aber auch sein Zustand mehr und mehr nach; er raset gar nicht mehr, er richtet sich nicht mehr auf, er bleibt ganz ruhig am Altar setzen und weint aber nur desto mehr. Ich hatte eine Freude, als ich dies bemerkte, dass ich dem alten Doktor auf der Stelle mein Hab und Gut geschenkt haette; dem Engelsfraeulein aber, das dies Wunder bewirkte, moechte ich, so oft ich es sehe, vor purer Freude zu Fuessen fallen. "Wenn es nun Gottes Wille waere, dass das Fraeulein meinen Herrn liebte, ach, da waere ihm geholfen, so gewiss ich selig werden will! Und wenn sie nicht schon einen andern hat, der kann ihr ja doch gewiss recht sein. Lassen Sie ihn nur wieder einmal zu roten Wangen kommen, lassen Sie ihn nur ein wenig laecheln wie frueher, lassen Sie ihn erst einmal wieder in die Uniform schlupfen statt des schwarzen Zeugs, das er anhat,--da muss er ja einem Maedel gefallen, und wenn sie einen Marbelstein in der Brust haette statt eines Herzens. Ueber das Vermoegen will ich gar nichts sagen; sehen Sie, da ist das herrlich eingerichtete Hotel in Warschau, da sind die Gueter Ratitzka, Martinizow, da ist Flazizhof, da--" "Lass gut sein, Alter," bat der Hofrat, "mit _einem_ davon koennten wir samt und sonders zufrieden sein. Was deinen Herrn betrifft, so glaube ich selbst, dass er das Fraeulein gerne sieht; wie das Fraeulein ueber ihn denkt, weiss ich nicht so genau, doch kann sie ihn nicht uebel leiden. Das Ding muss sich uebrigens bald geben, glaube mir! Hat dein Herr das Fraeulein recht von Herzen lieb, so soll er, merke wohl auf, so soll er es ihr sagen; ich meine, ich koennte dafuer stehen, dass sie nicht Nein sagt." Der alte Brktzwisl war ausser sich vor Freude, als er dies hoerte. "Nun, das muss wahr sein, wenn sich vernuenftige Menschen miteinander besprechen, gibt es ein Stueck; mein Herr soll dran, soll Hochzeit haben und wieder froehlich sein, und der alte Brktzwisl will kuppeln, und all sein vierzigjaehriges Dienen soll umsonst sein, wenn er nicht, ehe acht Tage ins Land kommen, den Herrn Grafen auf der rechten Faehrte hat." "Aber meinst du auch, du verdienst dir beim alten Onkel Dank, wenn du den Herrn Neveu verheiratest? Das Fraeulein ist eigentlich doch keine rechte Partie fuer einen polnischen Grafen--" "Wird ihm wohl an ein paar hunderttausend Taler mehr liegen als an der gesunden Vernunft seines Brudersohnes? Nein, der alte Graf ist ein raesonabler, nobler Herr, der nicht auf solche Sachen viel sieht. 'Mache mir meinen Emil gesund,' hat er zu mir gesagt, als wir abfuhren, 'bringe ihn vernuenftig zurueck _a tout prix_!' Da darf man ja wohl auch eine Heirat dazu rechnen! Und ueberdies bekuemmern wir uns eigentlich nicht sehr viel um den alten Herrn; der junge Graf ist eigentlich sein eigener Herr, und der Onkel hat ihm nicht so viel zu gestatten oder zu verbieten. Doch besser bleibt besser, und dass der Alte mit Freuden seinen Segen gibt, dafuer stehe ich! Ach, wenn er nur das liebe Engelskind selbst sehen koennte!" Dem alten Mann schien der Mund zu waessern; er bat den Hofrat noch einmal, recht zu sorgen, und ging. * * * * * DER SELIGE BERNER. Als Brktzwisl fort war, schlug der Hofrat ein Schnippchen nach dem andern in die Luft. Er hatte sich ja seine Herzensfreude vor dem klugen Alten nicht merken lassen duerfen, und doch haette er dem alten verwitterten Polacken um den Hals fallen moegen, so recht ins Schwarze seiner Seele hatte er mit seinen Plaenchen getroffen. "Ein kapitaler Kerl, der Brktzwisl," dachte der Hofrat, "ohne den waeren wir doch samt unserer stillen Liebe und unsern geheimen Plaenchen ganz und gar den Katzen. Beim alten Oheim scheint er einen Stein im Brett zu haben und nicht nur so einen Bauern oder lausigen Laufer, wie man von der alten Tressenrockseele glauben sollte, sondern einen gewichtigen Rochen, der dem ganzen feindlichen Hof, der Koenigin Aarstein und dem Staatssekretaer Springer mit seinen Winkelzuegen ein verdecktes und entscheidendes Schach geben soll!" So waren des Hofrats Gedanken; es war ihm dabei so federleicht und stolz zu Mut wie einem Kandidaten, der sein letztes Examen im Ruecken und vor sich die Aussicht auf eine fette Pfarre hat, wo er mit Frauchen, Pferdchen, Kindchen, Kuehen, Schafen und Schweinen mitten unter seiner lieben Pastoralherde residieren kann. Ja, es war ihm sogar ein wenig goettlich zu Mut, als haette er Stangen, Zaum und Trense der Welt unter der Faust und regiere an geheimen Schicksalsfaeden das Los des Grafen und seiner Ida. Alle Leute blieben auf der Strasse stehen, als Berner vorueberkam. Man kannte ihn sonst als einen lieben, freundlichen Mann, der gerne jedermann gruesste und hier und dort mit einem sprach; aber heute-- nein, es sah zu possierlich aus, wie der gute alte Herr vor sich hin sprach und laechelte, alle Maedchen in die Wangen kniff, allen Maennern zuwinkte und ein paar Bettelbuben, die sich am Markt pruegelten, einige Groschen schenkte, dass sie sich einen vergnuegten Tag machen moechten. Den Praesidenten traf er auf der Treppe; er bot ihm einen guten Morgen, schuettelte ihm recht treuherzig die Hand und dachte sich, wie sich wohl der Alte freuen werde, wenn der polnische Freier angestiegen komme, um sein eheleibliches Toechterchen zu freien. "Alte Exzellenz," wisperte er ihm ins Ohr, "aus der Heirat des Polen mit der Graefin Aarstein wird--nichts."--"Nichts?" fragte der Praesident mit langem Gesicht. "Nichts? Hat Er Nachrichten, Berner? Hat etwa der Hof andere Absichten mit dieser Dame?" "Was der Hof! Was der Staatsminister!" lachte der Hofrat. "Es gibt noch ganz andere Diplomaten, als die Herren in der Residenz! Meinst denn du, wenn so ein echter feuriger Pole liebt, dass ihm das Feuer aus den Kohlenaugen herauspfupfert, er werde erst vor dem Staatssekretaer den Hut abziehen und fragen: Erlauben Sie guetigst, wollen Ew. Gnaden mir einen Gegenstand fuer meine zaertlichen Neigungen rekommandieren? Nein, Herr Bruder! Auf Ehre, wir haben das anders gehalten anno achtundachtzig, und ich mag es dem guten, reichen Jungen nicht verdenken, wenn er es auch so macht."--"Wie, so waere der Graf in eine andere verliebt?" unterbrach ihn der Praesident. "Verliebt, wie ich sage, und fuer die Graefin so gut wie verloren."-- "Ei, ei," sagte der Praesident mit einem klugen Gesicht, indem er die Finger an die Nase legte; "siehst du, das habe ich mir neulich gleich gedacht, dass das Attachement an die hohe Person nicht so gar gross sein muesse. Du weisst von den Auftraegen, die mir in einem Handschreiben des Staatssekretaers zukamen; ich richtete mich mit aller Gewissenhaftigkeit nach meiner Vorschrift und bohrte ihn zuerst ueber die hiesige Gegend an; weiss Gott, ich meine, der Mensch wird mir naerrisch, lobt und preist die Gegend bis an den Himmel, hat in den vierzehn Tagen, wie er mich versichert, mit seinen scharfen Augen Lokalschoenheiten entdeckt, die ihn unwiderstehlich anziehen und fesseln, ja sogar unser gutes, ehrliches Freilingen, das nun in meinen Augen eben nichts Apartes hat, liebt er so, dass ihm die hellen Traenen liefen. Nun haben wir ja den Goldfisch, denke ich, ja, ja, der Freilinger Kreis ist nicht uebel; aber die Graefin Aarstein ist wahrscheinlich der Koeder. Ich wende also das Gespraech auf den Hof und endlich auch auf die Graefin; da ist er aber so kalt und gleichgiltig wie Eis. Ich frage ihn endlich, als er gar nicht anbeissen wollte, ob er die Graefin denn nicht kenne, und da machte er ein ganz eigenes Gesicht, wie wenn man beim ueberzuckerten Kalmus endlich aufs Bittere kommt, und sagte: 'Nicht anders kenne ich sie als _par renommee._' Das ist nun freilich bei der Frau Graefin nicht das beste, das man haben kann. Wenn er sie daher nur und zuerst von dieser Stelle kennt, so hat der Herr Staatssekretaer schlecht manoevriert." "Weiss Gott, das hat er," lachte der Hofrat; "ich koennte dir Dinge sagen--doch gedulde dich noch ein paar Wochen, und du siehest den Herrn Grafen als Braeutigam! Eine Dame aus der Residenz ist es nicht, an die er sein Herz verlieren wird; nichtsdestoweniger ist es ein Landeskind unseres allergnaedigsten Herrn, und zwar ein gutes, liebes, schoenes--" "Nun, nun, so arg wird der Engel auch nicht sein," meinte der Praesident, indem er sich verabschiedete; "aber ordentlich wohl ist es mir, dass es die Graefin nicht ist, denn ich sammelte mir so unter der Hand Nachrichten ueber sie, und die lauteten denn doch gar zu fatal." War es dem Praesidenten ordentlich wohl, so war es dem Hofrat ausserordentlich selig zu Mut, als er vollends die Treppe hinanstieg, als er naeher und naeher an Idas Zimmer kam, als ihn das Maedchen Wunderhold empfing. Er haette moegen nur gleich mit allem, was er im Herzen und Gedaechtnis hatte, herausplatzen; aber nein! Hand auf den Mund! So ging's nicht; vor seinem Schicksalspuppenspiel, das er jetzt dirigierte, waere _das_ Maedchen bis in das Herz hinein erroetet und davongelaufen. Daher liess er seine Gedanken eine kleine Schwenkung rechts machen, um dem Maedchen mit den Plaenklern der Neugierde und mit den schweren Kavalleriemassen der Ruehrung in die linke Flanke zu fallen und ihr Herzchen zu nehmen. Darum erzaehlte er ihr das Unglueck des Martiniz; aus seiner eigenen Phantasie tat er die ruehrendsten Farben hinzu, um den tiefen Jammer des Grafen zu schildern. Doch das bedurfte es ja nicht; des innigliebenden Maedchens Traenen flossen, als er noch nicht zur Haelfte fertig war. Wenn sie sich den froehlichen, kraeftigen Juengling dachte, geliebt, geachtet von allen, und ploetzlich so unendlich ungluecklich--ja, jetzt hatte sie den Schluessel zu seinem ganzen Wesen, zu seinem ganzen Betragen. Jetzt wusste sie, warum er damals, als sie ihn zuerst im Walde sah, so bitter geweint habe; jetzt ward es ihr auf einmal klar, warum er niemals wieder recht froehlich sein koenne. Er hatte seinen liebsten Freund getoetet, und, wie die Erzaehlung des alten Dieners merken liess, unschuldig getoetet; je zarter ihr eigenes Gefuehl war, desto tiefer fuehlte sie den Schmerz in dieser fremden und ihr dennoch so verwandten Brust. Sie weinte lange, und ihr alter, treuer Freund wagte es nicht, dieses Traenenopfer zu unterbrechen. Noch hatte er ihr aber nichts darueber gesagt, wie der Graf aus seinem Wahnsinn zu retten sein moechte; so schonend als moeglich beruehrte er diese Saite, indem er nicht undeutlich zu verstehen gab, dass ihre Naehe wunderbar auf ihn zu wirken scheine. Sie sah ihn lange an, als ob sie sich besaenne, ob sie auch recht verstanden habe; eine hohe Roete flog ueber das liebliche Gesichtchen, ein schelmisches Laecheln mitten durch die Traenen zeigte, dass sie dies selbst wohl gedacht habe; sie schien zu zoegern, das auszusprechen, was sie dachte, aber endlich warf sie sich an die Brust des alten Mannes, verbarg ihr gluehendes Gesichtchen und fluesterte kaum hoerbar: "Wenn er durch warme Teilnahme, durch lautere, innige Freundschaft zu retten ist, so will ich ihn retten!" Sie weinte an Berners Brust leise fort und fort; ihre Schwanenbrust hob und senkte sich, als wolle sie alle sechsunddreissig Schnuerloecher des Korsettchens zumal zersprengen. Dem Hofrat aber kam dies mitten in seinem Schmerz hoechst komisch vor. Die weint, dachte er, weil sie einen schoenen Mann und drei Millionen verdienen soll! Er konnte sich nicht enthalten, sie, vielleicht auch um das Maedchen wieder aufzuheitern, recht auszukichern. "Ist es doch, als ob es Ihnen blutessigsauer wuerde, dass Sie den schoenen, edlen Grafen aus seinem Wahnsinnsfegefeuer herauslangen sollen! Es ist ja nicht die Rede von einem solchen leeren Schniffel und Musje Unausstehlich, wie sie jetzt zu Dutzenden herumschlendern; nein, um solche waere es nicht der Muehe wert, sich die Hand nass zu machen, und wenn sie im Sumpf bis unter die Nase staeken und nicht mehr um Hilfe schreien, sondern nur ein wenig naeseln und rueffeln koennten. Aber nein, da ist der Ausbund von Maennerschoenheit, der Mann mit dem interessanten, feurigen Auge, mit der zarten Blaesse, welche die Gemueter so anzieht, mit dem feinen Baertchen ueber den Lippen, das ein ganz klein wenig sticht, wenn er den wuerzigen Mund woelbt zum Ku--" "Nein, es ist zu arg!" maulte Idchen und tat so ernst und reputierlich wie eine Karthaeuserin, und doch musste das lose Ding die Knie zusammenpressen, um nicht zu lachen. "Zu arg, nicht einmal ein Fuenkchen Mitleiden darf man zeigen, ohne dass die boese Welt, den Herrn Hofrat an der Spitze, gleich darueber kritisiert, ob es einem _schoenen_ Herrn gegolten oder nicht." "Nun, nun," lachte der Hofrat noch staerker als zuvor, "es kommt immer besser; Sie machen ja, weiss Gott, ein Gesichtchen, als wollten Sie mir nichts dir nichts der ganzen Welt ein Pereat bringen; aber im Hintergrunde lauert doch der Schelm; denn mein Idchen hat es faustdick hinter den Ohren. Ich mache gewiss nicht wie Fraeulein von Sorben und Frau von Schulderoff, die grosse Stadtklatsche, aus jedem Maulwurfshaufen einen Himalaya, aber--wer schaut denn immer hinter dem Vorhang hinueber in den Mond, um den Mann im Mond, wie ihn die boesen Stadtkinder heissen, herauszuaeugeln. Aber freilich, die jungen Damen machen jetzt gerne astronomische Versuche, sehen nach den schoenen Sternen, welche das schoenste Feuer haben,--da muss man ja doch auch in den Mond sehen; aber Fraeulein Ida wird nicht, wie jener scharfsichtige Astronom, Staedte, Festungen, ganze Waelle und Verschanzungen darin erschauen, sondern hoechstens die Besatzung selbst, den Gr-" Idchen hielt es nicht mehr aus; sie wurde roeter als ein Purpurroeschen, sie presste dem Hofrat die weiche Flammenhand auf den Mund, dass ihm Hoeren und Sehen verging, und schmaelte ihn jetzt so tuechtig aus, wie er frueher sie selbst geschmaelt hatte, als sie noch ein ganz kleines unreifes Ding war. "Wie oft habe ich hoeren muessen," eiferte sie, "man soll die schoenen Pueppchen nicht beschmutzen, und Sie, boeser Hochverraeter, machen ja Ihr armes Pueppchen Ida ganz schwarz; wie oft haben Sie gesagt, man solle nicht alles untereinander werfen, sondern jedes Ding ordentlich an seinem Platz lassen, wo es steht, und Sie nehmen da und dort etwas, rudeln und nudeln es recht bunt durch einander wie ein Apotheker und malen die Leute damit an. Ist das auch recht? Kann das Ihr sonst so geordnetes Oberbuchhaltergewissen vertragen?" Der arme Hofrat bat nur durch die Augen um Pardon; denn der Mund war ihm so verpetschiert, dass er nicht einmal ein Ach! oder Au! hervorgurgeln konnte. Endlich gab sie Pardon; der Hofrat schoepfte tief Atem und sagte endlich: "Das verdient Strafe, und die einzige Strafe sei, dass Sie auf der Stelle ueber und ueber rot werden!" Ida behauptete zwar, das lasse sich nicht nur so befehlen; aber es half nichts. Der Hofrat begann: "So wissen Sie denn, dass der Graf seit einem Jahre Europa durchfliegt, durchrennt, an keinem Orte laenger als einen, hoechstens zwei Tage verweilt, dass er auch eigentlich hier nur einen Rasttag halten wollte--es sind Wochen daraus geworden; ich gebe Ihnen mein Wort: wegen Ihnen allein ist er hier geblieben." Der Hofrat hatte seine Strafe richtig beurteilt; sie schrak zusammen, als er es aussprach. "Wegen mir waere er hier geblieben? Meinetwill--" sie konnte nicht weiter; ein holdes Laecheln geschmeichelter Selbstzufriedenheit schwebte um die roten, frischen Lippen; der zarte Inkarnat ward ueberall zur Flamme, und wie von alters her das weibliche Geschlecht ein tiefes Raetsel fuer den Forscher war,--war es Freude, war es Schmerz?--das ueberraschte Herzchen machte sich in heissen Traenen Luft. Das hatte der Hofrat nicht gewollt; er wollte wieder von neuem anfangen, wollte die lindernden Mittel der Froehlichkeit und des Scherzes auf die Wunde legen, die er so ganz ohne Absicht geschlagen hatte, wollte das Maedchen aufheitern, zerstreuen; aber war es denn moeglich, war das moeglich, wenn man _dieses_ Auge in Traenen sah? So mit ihrem Schmerz beschaeftigt, hatte er ganz ueberhoert, dass man schon zweimal an der Tuere geklopft habe; leise wurde sie endlich geoeffnet, auf dem weichen Fussteppich hallte kein Schritt--Ida war es, als wehe sie ein kuehlendes Lueftchen an, es war ihr so wunderwohl und suess zu Mut, sie nahm das Tuch von den weinenden Augen und tat einen lauten Schrei; denn vor ihr stand in voller Lebensgroesse Graf Martiniz. Auch dem Hofrat erstarb das Wort auf den Lippen vor Staunen, gerade in diesem Augenblick den Mann zu sehen, von welchem er und Ida gesprochen hatten. Doch der gewandte junge Mann liess sie nicht lange in diesem peinlichen Stillschweigen; er entschuldigte sich, so unberufen eingetreten zu sein; er habe aber niemand zum Anmelden gefunden, und auf sein wiederholtes Pochen habe niemand geantwortet. Er setzte sich neben Ida und fragte mit der Zutraulichkeit eines Hausfreundes, ob er den Grund ihres Kummers nicht wissen duerfe. Ach! er war ja der Grund dieses Kummers, ihm galten ja diese Traenen, die aus den geheimnisvollen Tiefen des liebevollen Maedchenherzens heraufdrangen. Sie wollte antworten, die Stimme versagte ihr; sie wollte laecheln, aber ihre unwillkuerlich stroemenden Traenen straften sie Luegen; er hatte so freundlich, so zart gebeten, an ihrem Schmerz teilnehmen zu duerfen, dass es sie immer mehr und mehr ruehrte. Mit einem Feldherrnauge schaute der Hofrat in diese wirren Verhaeltnisse; rasch mussten die Bloessen benuetzt werden. Der Zweck heiliget die Mittel, dachte er, wirf sie beide in einen wirbelnden Strom, sie werden sich eher finden, sich vereint an den Strand hinausretten. Er ergriff also sein Huetchen, brach auf und fluesterte dem Grafen laut genug, dass es Ida hoeren konnte, ins Ohr: "Und wenn Sie noch zehn Jahre so dasitzen und nach ihrem Kummer fragen, sie sagt Ihnen doch nicht, warum sie weint. Um Sie, bester Graf, weint das Fraeulein, weil sie meint, Sie seien ungluecklich, und doch nicht helfen kann." Mit schnellen Schritten witschte er aus dem Zimmer; es war ihm zu Mut wie einem, der gesaeet hat und doch nicht weiss, was aufgehen wird. "Der Wuerfel liegt," sprach er bei sich, als er die Treppe hinabeilte, "er liegt; zaehlet nun selbst die Augen und vergleichet euer Gerad oder Ungerad!" * * * * * ENTDECKUNG. Die beiden jungen Leutchen sassen sich gegenueber wie die Oelgoetzen; keines wagte von Anfang ein Woertchen zu sagen, selbst den Atem hielten sie fest an sich. Dem Fraeulein hatte der Hofrat durch seinen gewagten Scherz alles Blut aus den rosigen Wangen gejagt; es war ihr, als staeche ihr einer einen Dolch von Eiszapfen in das gluehende Herz, und ein anderer schuette eine Kufe des kaeltesten Wassers ueber sie herab, und im naechsten Augenblick war ihr wieder so bruehsiedheiss zu Mut, als ob die Feuerflammenbrandung der Lava in ihren Adern siede und ein Rheinstrom von rotgluehendem, fluessigem Eisen durch alle ihre Nerven sich ergoesse. Sie wusste nicht, sollte sie aufspringen und davonlaufen, sollte sie lachen oder vor Unmut ueber diese Unzartheit weinen; ein tiefer Seufzer entriss sich dem gepressten Herzen-- Und Martiniz--was hilft in solchen Momenten das vollendetste Studium dessen, was wir Welt nennen? Er war auf Hofbaellen von Kaisern und Koenigen gewesen, er hatte mit einer Fuerstin eine Polonaese eroeffnet und ihr dabei die Schleppe von der _drap d'argent_'nen Hofrobe abgetreten, dass ihr die Fetzen vom Leibe hingen, und hatte dennoch dabei die Fassung behalten, obgleich die Durchlaucht einen ganzen Kartaetschenhagel aus ihrer Augenbatterie auf ihn spielen liess. Er hatte--doch was konnte es ihm in diesem suessen Augenblicke helfen, dass er sich sonst nicht so leicht verblueffen liess? Der Moment riss ihn hin; sie, die er mit aller Macht heimlicher Glut liebte, sie, die in seinen Traeumen allnaechtlich ihm erschien und ihn zum Gott machte, sie hatte um ihn geweint, weil sie ihn fuer ungluecklich hielt! Und als er jetzt zu ihr hinaufblinzelte, als er die ruehrende Scham aus dem engelreinen Gesichtchen, das holde Laecheln um den Mund, tiefer hinab die Schneepracht des Halses, dieses Nackens, dieser Brust ansah--er hatte auf seiner grossen Tour alle Galerien der Welt, die Kunstschaetze der Malerei, die lockenden, majestaetischen, niedlichen Formen der alten und neuen Bildhauerkunst gesehen, mit wahrhaftem Kunstfleiss studiert, und was waren sie, was war Venus und alle Grazien, was war Madonna und alle die herrlichen, heiligen Gesichtchen aller Zeiten und Schulen gegen dieses geheimnisvolle Amorettenkoepfchen? Es lag ein Liebreiz in diesem suessen Wesen.--Er hoerte sie seufzen, eine grosse, helle Perle hob sich unter den seidenen Wimpern; er ergriff ihre Hand und drueckte seinen Mund darauf; sie zog das weiche Wunderpatschchen nicht weg. "Koennen Sie zuernen, mein Fraeulein," hub er an, "dass ich zu so ungelegener Zeit"--er hielt inne, um ihre Antwort zu erwarten--keine Antwort. "Wenn ich gewusst haette, dass ich Sie nicht heiter finden wuerde, ich haette mir gewiss nicht die Freiheit"--noch keine Antwort. "Sie haben einem Ungluecklichen eine Traene des Mitleids geschenkt; zarte Herzen wie das Ihrige verstehen einen tiefen Schmerz viel frueher als andere; moege Gott Ihnen diese Traenen des Mitgefuehls vergelten, die mir so unendlich wohltun"--keine Antwort, nur Perlchen um Perlchen draengt sich ueber den feinen Rand der Wimpern. "Sie zuernen mir also dennoch," fuhr Martiniz truebe laechelnd fort; "das beste wird sein, ich nehme mir die Freiheit, Sie ein ander Mal zu besuchen." Er wollte seine Hand aus der ihrigen ziehen; aber Ida hielt ihn fest. "Herr Graf!" fluesterte sie leise bittend-- "Warum nennen Sie mich Herr Graf?" antwortete Martiniz. "Wie oft haben Sie versprochen, Martiniz, und wenn ich recht gut bin, Emil zu sagen?" "Martiniz!" fluesterte sie wieder. "O, bin ich denn nicht mehr so gut wie gestern, oder sind Sie nicht mehr die freundliche, troestende Ida wie frueher?" "Emil!" hauchte sie kaum hoerbar; aber in diesem einzigen Woertchen lag ein so suesser Ton, dem alle Saiten in Emils Brust antworteten; voll namenloser Seligkeit beugte er sich von neuem auf ihre zarte Hand; doch er fasste sich wieder, und, es war ihm zwar sauer genug, aber dennoch kam er halb wieder in den rechten Takt der vertrauenden Freundschaft. Er bat sie, ihn geduldig anzuhoeren, er wolle ihr sagen, warum er so truebe und traurig durchs Leben gehe, und vielleicht werde sie ihn entschuldigen. Er erzaehlte ihr die Geschichte seines ungluecklichen Hauses, wie sie der alte Brktzwisl dem Hofrat erzaehlt hatte; aber den schrecklichen Verdacht, den der alte Diener nur ahnte und sich selbst nicht zu gestehen wagte, bestaetigte er. Er erzaehlte, dass, als er aus jener langen Krankheit wieder zu voelligem Bewusstsein und dem Gebrauch seiner Verstandeskraefte gekommen sei, habe ihm das Leben und die ganze Erde so oede geschienen, dass er seiner Mutter und Schwester die selige Ruhe im Grabe gegoennt, ja beneidet habe; besonders seine Schwester habe er gluecklich gepriesen; denn, betrogen von dem Manne, den sie liebte--wie haette sie ferner gluecklich leben koennen? Aufs neue sei damals eine grosse Bitterkeit in seiner Seele gegen den Italiener aufgestiegen, der nur nach dem fernen Norden gekommen schien, um ein holdes Maedchen auf wenige Stunden gluecklich zu machen und dann zu betruegen, einen Freund zu gewinnen und ihn dann zum unerbittlichen Raecher zu machen. Da habe man ihm einen Brief gebracht, den seine Schwester kurz vor ihrem Ende geschrieben habe; er enthielt das Bekenntnis einer tiefen Schuld, einer unwuerdigen Schande. Antonio habe lange geahnt, dass er, obgleich ihr Verlobter, doch nicht der einzig Beguenstigte sei. Er habe sie in einem Augenblick getroffen, der ihm keinen Zweifel ueber die Unwuerdigkeit der Geliebten gelassen. Doch zu edel, sie der Schmach und dem Unwillen ihrer Familie preiszugeben, habe er ihr erlaubt, seinen Verlobungsring fortzutragen, in wenigen Wochen wolle er Warschau verlassen und sie nie mehr sehen; ihren Ring, bei welchem sie ihm mit den heiligsten Eiden Treue geschworen, wolle er der naechsten besten Metze schenken. "Dies war die einzige Strafe," fuhr Martiniz fort, "die sich der edle, so schaendlich betrogene Mann erlaubte. Wie unselig rasch ich handelte, wissen Sie, mein Fraeulein. Meinem Sekundanten wollte er die Schande meiner Schwester nicht anvertrauen, eine persoenliche Zusammenkunft mit ihm schlug ich in meiner Wut aus; so stellte er sich denn mit seinem ganzen Unglueck, mit seinem noch groesseren Edelmut vor die Muendung meiner Pistole. Jenen ganzen Tag, da ich die Schuld meiner Schwester und seine Unschuld erfuhr, wuetete ich gegen mich selbst. "Ich wurde ruhiger, als es Abend wurde; aber zu derselben Stunde, wo er verschieden war, fuehlte ich auf einmal seine Naehe, sein blutbedecktes Bild stand vor mir da; meine Seele fasste das Schreckliche nicht, ich verfiel in Wahnsinn. Seit jener schrecklichen Stunde naht er mir alle Nacht und zeigt mir seine klaffende Wunde, kein Raum ist ihm zu weit, kein Gebet verscheucht ihn, er wuerde mir im frohesten Zirkel meiner Freunde erscheinen. "Nur in eine Kirche scheint er sich nicht zu wagen, und meine letzte Zuflucht ist, mich jede Nacht an den Altar zu retten. Mein Leben ist fuer jede Freude verloren, mir blueht kein Fruehling mehr; die Natur ist mir erstorben; ein rastloser Fluechtling, eile ich ueber die Erde hin, verfolgt vom Gespenste dessen, den mein unueberlegter Rachedurst erschlug. Ich bin Kain, der seinen edlen Bruder ermordete; ich fliehe und fliehe, bis sich mir eine fruehe Grube oeffnet, wohin sein blutiger Schatten nicht mehr dringt, wo ich ausruhe, ungekannt, unbeweint, der letzte Sprosse meines Stammes, ohne Denkmal als das der Blumen, die der Fruehling aus meiner Asche keimen laesst."-- Ohne Idas Antwort abzuwarten, hatte sich nach den letzten Worten Martiniz erhoben und war davon geeilt. Er war von seiner eigenen Erzaehlung so ergriffen, dass er die laute Teilnahme des geliebten Maedchens in diesem Augenblick nicht haette ertragen koennen. Ihre zarte stille Teilnahme, die tausend Zeichen der lautlosen Liebessprache hatten ohnedies schon so heftig auf ihn gewirkt, dass er die rasende Glut in seinem gepressten Herzen kaum mehr beschwichtigen, dass er sich kaum enthalten konnte, die Traenen, die seinem Unglueck flossen, von den zarten Wangen zu kuessen. Wie eine trauernde Andromache sass Ida, das Engelskoepfchen auf ihr schneeweisses Haendchen gestuetzt, und liess die Traenen herab in den Schoss rollen. Nach und nach schien sie aber ruhiger zu werden; sie sah oft auf, und dann lag in dem schoenen Auge etwas Schwaermerisch-Sinnendes, dass man glauben durfte, sie sinne ueber einen grossen Entschluss nach. So traf sie Berner, der mit einem Armensuendergesicht zur Tuere hereinguckte. Es hatte ihm unterwegs, nachdem der erste Kitzel ueber seinen gewagten Feldherrn-Einfall vorueber war, doch ein wenig das Gewissen geschlagen, dass er die Leutchen so im heillosen Zappel zurueckgelassen habe. Er musste sich gestehen, dass die Sache auf diese Manier ebenso leicht ganz ueber den Haufen gerannt werden konnte.-- Doch, da war er ja der Mann dazu, auch die verzweifeltsten Verhaeltnisse wieder zu entwirren. "Haben sie sich auch, wie ungeschickte Hauderer, ein wenig verfahren," dachte er, "der alte Berner weiss sie schon wieder ins rechte Geleis zu bringen." Als er aber den Grafen nicht mehr traf, als er sah, dass das Maedchen so gar bitterlich weinte und schluchzte, dass es einen Stein in der Erde haette erbarmen moegen,--da grieselte es ihm doch den Ruecken hinauf, eine Gaensehaut flog ueber seinen Kadaver und schnuerte ihm die Brust zusammen.--"Sicher einen dummen Streich gemacht," brummte er vor sich hin. Da schaute sich Ida nach ihm um. Unter den verweinten Augen hervor traf ihn doch ein so mildes Laecheln, dass es ihm wieder wohl und warm wurde, als haette er den besten _Extrait d'Absinthe_ vor den Magen geschlagen.--"Habe ich ein dummes Streichelchen gemacht, mein Kindchen?" fragte er kleinlaut, machte aber so verschmitzte, kluge Aeuglein dazu, dass Ida, so ernst sie sein wollte, laecheln musste. Sie gab ihm die Hand und erzaehlte ihm, wie sie von Anfang durch seine doch etwas gar zu indiskrete Aeusserung sehr ausser Kontenance gekommen, dass sie ihm aber jetzt nicht genug danken koenne; denn der Graf habe ihr all sein Unglueck, sein Leiden erzaehlt, und sie sei wie von ihrem Leben ueberzeugt, dass er von seinem Phantome koenne befreit werden. Jetzt hatte ja der Hofrat Ida auf dem Punkte, wo er sie haben wollte; jetzt war er mit der ganzen Geschichte auf einmal im klaren und rieb sich unter dem Tisch vor Freuden und lauter Seligkeit die Haende. "Sie koennen und muessen ihn retten, und darum hat mir mein Genius das tolle Wagestueck von vorhin eingegeben. _Sie_ muessen ihn ueberzeugen, dass alles Ausgeburt seiner Phantasie ist. Sie muessen machen, dass er wieder den Menschen angehoert, der gute Junge, dass er bei Tag freundlich und gesellig ist und nachts nicht mehr in die Kirche laeuft. Ich will davon gar nicht sagen, dass es fuer seine Gesundheit hoechst nachteilig ist, alle Nacht sich vor einem blutigen Gespenst zu fuerchten. Aber bedenken Sie nur alle andern Unannehmlichkeiten, die ein solcher Umstand mit sich fuehrt. Der Graf, ist er nun so recht im Feuer, so recht, was man sagt, im Zug, gibt es dann einen herrlicheren, angenehmeren Gesellschafter als ihn? Da ist alles Leben, alles Feuer, das sprudelt von dem feinsten Witz, von der zartesten Geselligkeit, und um die Zeit, wo gewoehnlich, der Champagnerpunsch, den Sie so trefflich zu bereiten wissen, oder Kardinal und fuer Liebhaber des Roten auch Bischof aufgesetzt werden soll, wenn man glaubt, jetzt geht es erst recht an, da wird er nach und nach ernster und stiller, zieht einmal um das andere die Uhr aus der Tasche oder laesst sie in der Tasche repetieren, dass man glaubt, er habe ein Glockenspiel im Magen, und--hast ihn gesehen--schleicht er sich _sans adieu_ fort und eilt der Kirche zu. Der Mondwirtin kann ich es, ob ich gleich die heiligsten, fuerchterlichsten Eide dazu schwoere, noch immer nicht begreiflich machen, dass er nicht auf ganz schlimmen Wegen im Dunkeln schleiche. 'Ich weiss das besser,' sagt sie immer; 'im Dunkeln ist gut munkeln--das mache mir ein anderer weis!' Und dann, wie unangenehm ist ein solches Verhaeltnis, wenn der Herr Graf einmal in den heiligen Stand der Ehe sich begeben soll. Zur Zeit, wenn da sein Weibchen ihre Tuecher und Tuechelchen, ihre Roecke und Roeckchen abgeworfen hat, wenn sie im Hemdchen und Nachtkorsettchen ins Bettchen schluepft--" "Was weiss ein alter Hagestolz wie Sie?" unterbrach ihn das Fraeulein eifrig, indem sie ihm mit dem weichen Patschchen, ueber und ueber erroetend, eines hinter das Ohr versetzte, schelmisch laechelte und innerlich beinahe platzte. "Was wissen Sie von Nachtkorsettchen und Schlafhaeubchen? Solche Dinge gehoeren ganz und gar nicht in Ihr Fach, und der Schuster, heisst ein altes Sprichwort, der Schuster bleibe bei seinem Leisten!" "Leider, Gott erbarm's!" seufzte und knurrte der alte Kater-Murr-Berner mit komischem Pathos, "leider heisst es bei mir: _ne ultra crepitam_, [Fussnote: Nicht ueber den Leist hinaus!] ich darf nichts sehen als die huebschen Fuesschen und hoechstens, aller--allerhoechstens jahrs einmal ein huebsches Waed--; doch um wieder auf Martiniz zu kommen! Ich habe hin- und hergedacht, ich weiss nur ein Mittel, wie man ihn der Welt wiedergeben kann. Wir moegen ueber die Torheit des Gespensterglaubens an ihn hin predigen, so lange wir wollen, er gibt uns Recht, und in der Nacht sieht er dennoch wieder sein Phantom. Nein, man muss ihm auf ganz anderem Wege beikommen. Sie, Ida, Sie muessen in der Stunde der Mitternacht zu ihm an den Altar gehen, bei ihm bleiben in den Augenblicken der Angst, und ich stehe dafuer, er wird so viel an Sie denken, dass das Bild seiner Phantasie verschwindet." Ida straeubte sich vor diesem Hilfsmittel mit maedchenhafter Scheu. Sie gab dem Hofrat zu bedenken, dass das sich aufbringen heisse, was die Welt dazu sagen werde, wenn sie einem landfremden Menschen in die Kirche nachlaufe, und dies und jenes-- aber der Hofrat, der das Maedchen von seiner Kindheit an kannte, sah tiefer. Er sah, wie sich in ihr zwar das Maedchenhafte gegen das Unschickliche, das nach den Begriffen der Welt darin liegen koenne, straeube, dass aber das Edle und Grosse, das sie, nur von wenigen gekannt, tief in der stolzen, jungfraeulichen Brust verschloss, schon jetzt diesen Rettungsgedanken mit Waerme ergriffen haben muesse; denn in ihrem Auge sah er jenes stille Feuer ernsten Nachdenkens, ihre Brust hob sich stolzer, wie wenn sie eines grossen Entschlusses maechtig geworden waere. Er troestete sie ueber den Gedanken, was die Welt sagen wuerde; unerkannt wolle er sie in der dunklen Nacht in die Kirche fuehren,--"und landfremd," fuhr er mit schalkhaftem Laecheln fort, "landfremd nennen Sie diesen Menschen? Mir wenigstens ist es in den vierzehn Tagen geworden, wie wenn ich ihn lange, lange gekannt haette; und wer war es denn, der in jener Ballnacht, als wir den landfremden Menschen zum allererstenmal sahen, sagte: ich _moechte hingehen und fragen, warum bist du nicht froehlich mit den Froehlichen? Sage mir deinen Kummer, ob ich nicht helfen kann_!"--Es ist etwas im weiblichen Herzen, das sie in einzelnen Momenten so hoch erhebt, dass sie Entschluesse fassen und ausfuehren, wovor ein Mann vielleicht sich gescheut haette. Auch Idas Herz war nicht unempfaenglich fuer solche grosse Entschluesse, die der kaeltere Beobachter mit Unrecht Schwaermerei nennt; sie lehnte sich an die Brust des alten Freundes und lispelte mit geschlossenen Augen kaum hoerbar, aber fest entschlossen: "Ich will es tun, denn ich fuehle es: _der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!_" ZWEITER TEIL. DIE HEILUNG Es war vierundvierzig Minuten auf Mitternacht, als aus des Praesidenten Haus ein paar dunkle Gestalten traten; die eine, groessere, war in einen dicken Ueberrock geknoepft, den Hut tief ins Gesicht gedrueckt; die andere, kleinere, hatte einen Schal von dunkler Farbe um den Kopf geschlagen, war tief in einen Karbonaro eingewickelt, der aber zu lang schien; denn die Person, die ihn trug, musste ihn alle Augenblicke aufnehmen. Die beiden Gestalten schlichen sich dicht an den Haeusern hin, gingen mehrere Strassen entlang und verschwanden endlich im Portal der Muensterkirche. Bald darauf kam ein Mann mit einer Laterne ueber den Muensterplatz; es war der Freilinger Kuester; er schloss schweigend die grosse, knarrende Kirchtuere auf und winkte den beiden Gestalten, einzutreten. Die kleinere schien zu zoegern, als scheue sie sich, in den nachtrabenschwarzen Dom zu treten; als aber der Kuester mit seiner Laterne voranleuchtete, schien sie mutiger zu werden und folgte; doch sah sie bei jedem Schritt unter dem Schal hervor, als fuerchte sie, irgend etwas Greuliches hinter den grossen Saeulen hervorgucken zu sehen. Am Altar machten sie Halt. Der Kuester zeigte auf einen breit vorspringenden Pfeiler, von wo aus man den Altar und einen grossen Teil der Kirche uebersehen konnte, und die beiden Verhuellten nahmen dort ihren Platz; die Laterne gab uebrigens so wenig Licht, dass man, ohne naeher zu treten, die an dem Pfeiler Sitzenden von dem uebrigen Dunkel nicht unterscheiden konnte. Indem hoerte man den Glockenhammer im Turme surren und zum Schlag ausholen; der erste Glockenschlag von Mitternacht rollte dumpf ueber die Kirche hin, und zugleich hallten eilende Schritte den mittleren Saeulengang herauf dem Altar zu. Es war Martiniz mit seinem Diener. Blass und verstoert setzte sich jener, wie er alle Nacht zu tun pflegte, auf die Stufen des Altars. Zuerst sah er still vor sich hin; er weinte und seufzte, und wie in jener Nacht, da ihn der Kuester zum erstenmal gesehen hatte, rief er mit wehmuetiger, bittender Stimme: "Bist du noch immer nicht versoehnt? Kannst du noch immer nicht vergeben, Antonio?" Seine Stimme toente voll und laut durch die Gewoelbe der Kirche; aber kaum war der letzte Laut verhallt, da rief eine silberreine, glockenhelle Stimme wie die eines Engels vom Himmel: "_Er hat vergeben!_" Freudiger Schrecken durchzuckte den Grafen; seine Wangen roeteten sich, sein Auge glaenzte; er streckte seine Rechte zum Himmel hinauf und rief: "Wer bist du, der du mir Vergebung bringst von den Toten?" Da rauschte es an jenem vorspringenden Pfeiler, eine dunkle Gestalt trat hervor; der Graf trat bebend einen Schritt zurueck, sein Haar schien sich emporzustraeuben, sein Blick hing starr an jeder Bewegung des Nahenden; die Gestalt kam naeher und, naeher, der milde Schein der Laterne empfing sie, noch einige Schritte und--der dunkle Mantel fiel, ein seraphaehnliches Wesen--Ida mit der Taubenfrommheit eines himmlischen Engels schwebte auf den Grafen zu. Dieser war in ein willenloses Hinstarren versunken; noch immer glaubte er einen Bewohner hoeherer Raeume zu sehen, bis ihn die suesse, wohlbekannte Stimme aus der Betaeubung weckte. "Ich bin es," fluesterte, als sie ganz nahe zu ihm getreten war, das mutige, engelschoene Maedchen, "ich bin es, die Ihnen die Vergebung eines Toten verkuendigt. Ich bringe sie Ihnen im Namen des Gottes, der ein Gott der Liebe und nicht der Qual ist, der dem Sterblichen vergibt, was er aus Uebereilung und Schwachheit gesuendigt, wenn ernste Reue den Richter zu versoehnen strebt. Dies lehrt mich mein Glaube, es ist auch der Ihrige; ich weiss, Sie werden ihn nicht zuschanden machen. Du aber", setzte sie mit feierlicher Stimme hinzu, indem sie sich gegen das Schiff der Kirche wandte, "du, der du durch die Hand des Freundes fielst, wenn du noch diesseits Ansprueche hast an dieses reuevolle Herz, so erscheine in dieser Stunde, zeige dich unseren Blicken oder gib ein Zeichen deiner Naehe!" Tiefe Stille in dem Gotteshause, tiefe Stille draussen in der Nacht, kein Lueftchen regte sich, kein Blaettchen bewegte sich. Mit seligem Laecheln, mit dem Sieg der Ueberzeugung in dem strahlenden Auge wandte sich Ida wieder zum Grafen. "Er schweigt," sagte sie, "sein Schatten kehrt nicht wieder,--er ist versoehnt!" "Er ist versoehnt!" jubelte der Graf, dass die Kirche droehnte. "Er ist versoehnt und kehrt nicht wieder! O Engel des Himmels, Sie, Sie haben ihn gebannt; Ihre treue Freundschaft fuer mich Ungluecklichen, die ebenso hoch, ebenso rein ist als Antonios Treue und Grossmut, sie hat den blutigen Schatten versoehnt. Wie kann ich Ihnen danken--" "Danken Sie dem, der stark war in mir Schwachen," sagte Ida, indem sie ihm sanft die Hand entzog, die er gefasst und mit gluehenden Kuessen bedeckt hatte; "wollen Sie aber mir etwas mehr goennen als das Bewusstsein, dem Freunde genuetzt zu haben, so danken Sie mir dadurch, dass Sie sich wieder den Menschen schenken, dass Sie wieder heiter und froh sind, wie es Menschen gebuehrt, denen Gott die schoene Erde zu einem Orte der Freude geschenkt hat." Sprachlos fasste er das zarte Haendchen wieder und drueckte es an sein klopfendes Herz, sein freudiges Laecheln, ein seliger Blick sagten ihr, dass er erfuellen wolle, was Sie ihm geheissen. Der Hofrat war indes naeher getreten und hatte mit freudiger, zuweilen etwas schalkhafter Miene die schoene Gruppe betrachtet. Man konnte aber auch nichts Schoeneres sehen. Der hohe, schlanke, junge Mann mit dem zarten, sprechenden Gesicht, aus dem jetzt alle Wehmut, alle Trauer gewichen war, das jetzt nur Freude und Glueck aussprach, an seiner Seite die feine Seraphgestalt mit dem lieblichen Engelskoepfchen, das aus den sinnigen, schmelzenden Augen so freudig, so schmachtend an jenem hinaufsah,--sie beide umstrahlt von dem ungewissen, milden Schein der Laterne, an den Seiten und im Hintergrund der Altar und die wunderlich geformten Bogen und Saeulen des majestaetischen Tempels. "Nun," dachte Berner, "sei es um ein paar Wochen, dann sind wir zu guter Tageszeit wieder hier am Altar; dort auf den Stufen steht dann der Herr Pastor primarius, und weiter unten muessen mir die beiden Leutchen dort knien: der Herr Pastor spricht dann den Segen, und sie sind kopu--" Es zupfte ihn etwas am Rockschoss, er sah sich um. Der alte Brktzwisl stand hinter ihm und wischte sich einmal ueber das andere die alten Augen, die vor seliger Ruehrung uebergingen. "Das ist Ihr Werk, Herr Hofrat," schluchzte er, "moege es in Zeit und Ewigkeit--" "Sei still," fluesterte Berner, "dein Werk ist es; denn haettest du nicht endlich geschwatzt, so spukte der Herr Antonio nach wie vor." Der alte treue Diener nahm aber das Lob nicht an. "Nun, am Ende ist es doch der Himmelsengel dort," schluchzte er weiter, "der es vollbracht hat, ohne sie haetten wir anzetteln koennen, was wir haetten wollen, wir haetten doch nichts zuwege gebracht. Morgenden Tages schreibe ich alles dem alten Herrn Onkel, und der kann nicht anders, er muss seinen Segen zu der holdseligen, zukuenftigen Frau Graef--" Ein Wink seines Herrn unterbrach ihn; er eilte zu ihm hin, kuesste die Haende des Grafen und den Saum von Idas Gewand und brachte dann, wie ihm der Graf befahl, Idas Mantel. Scherzend, als ging es von einem Ball nach Hause, hing Martiniz dem holden Maedchen den Mantel um und huellte ihr das Koepfchen so tief in den Schal, dass nur noch das feine Naeschen hervorsah; der Hofrat fuehrte sie, der stillselige Graf ging neben seiner Retterin her, und Berner wurde gar nicht eifersuechtig, dass diese das Gesichtchen immer nur dem Grafen und viel seltener ihm zuwandte. Brktzwisl und der Kuester, der ganz traurig schien, dass seine Talerquelle doch endlich versiegt war, schlossen den Zug. "So Gott will," sagte zu ihm der alte Diener, als er die Tuere schloss, "sind wir zum letztenmal nachts da drinnen gewesen; dir soll es uebrigens dennoch nichts schaden, alter Kauz. Wenn deine durstige Seele nach einem Glas Wein verlangt, so komme nur zum alten Brktzwisl in den Mond; da setzen wir uns denn hinter den Tisch, die Frau Wirtin muss alten geben, und wir trinken dann aufs Wohlsein meines Herrn und des schoenen Fraeuleins." * * * * * NEUE ENTDECKUNG. Der alte Brktzwisl kam am andern Morgen mit einem Gesicht, aus welchem man sich nicht recht vernehmen konnte, zum Hofrat; er wuenschte mit freundlichem Grinsen guten Morgen und zischte doch dabei, wie wenn er Rhabarber zwischen den Zaehnen haette, ein "wenn nur das heilige Kreuz-Donner--" oder "wenn nur das Mohren-Kraut-Stern-Elementerchen" um das andere heraus. Er rapportierte, dass er einen Brief von der alten Exzellenz, dem Oheim, habe, worin ihm dies er ankuendige, dass er seine Briefe nach Fuselbronn, einer Badeanstalt zwischen Freilingen und der Residenz seitwaerts gelegen, zu schicken habe. "Der Kuckuck!" rasaunte der alte treue Knecht, "haette der alte Herr nicht die vierzehn Meilen weiter machen koennen? Jetzt waere er hier in Freilingen und schaute das Glueck seines Herrn Brudersohnes mit leiblichen Augen, koennte nebenbei auch den Hochzeitvater vorstellen! Was hilft mich das, dass er wieder schreibt: 'Brktzwisl, scheue keine Kosten, wir koennen es ja bezahlen, wenn der Himmel unserem Emil wieder gesunden Menschenverstand verleihen will!' Was hilft mich das? In allen Nestern von Italien, Frankreich, Schweden, Norwegen, England, Holland, wo wir herumfuhren, habe ich keine Kosten gescheut; ich mag gar nicht denken, was nur die Doktores kosteten, wenn ich allemal die Antwort bekam: 'Reise weiter! Zerstreuung hilft! Glueckliche Reise!'--Jetzt, wo wir hier Zerstreuung und Freude umsonst hatten, wo ein Engelchen meinen armen Herrn kuriert hat, jetzt soll ich keine Kosten scheuen? Was hilft da der verfluchte Mammon? Kann ich dem Fraeulein sechs Louisdors geben wie einem Doktor oder Professor?" So knurrte der alte Kauz bei dem Hofrat; die Worte pullerten ihm nur so hervor, es war ihm ganz ernstlicher Ernst mit der Sache, und er war auf sich und die ganze Welt ergrimmt, dass er jetzt nicht _stante pede_ eine Hochzeit herhexen konnte. Der Hofrat sah ihn ganz erstaunt an und hielt sich den Bauch vor Lachen, so komisch kam ihm des alten Gesellen Wueten vor. "Alter Narr!" rief er endlich, "muss man dir denn die Nase drauf stossen und eine Brille aufsetzen, dass du findest, was du suchst? Kannst du dich denn nicht hinsetzen und die ganze Geschichte von den letzten vierzehn Tagen deinem alten Herrn schreiben und dabei einfliessen lassen, dass dein Herr zum Sterben in das Maedchen verschammeriert sei? Und wenn der Herr Onkel das weiss, nun ja--das Fraeulein ist von gutem Adel, ich sehe nicht ein, was fuer ein besonderes Hindernis--" "Weiss Gott, so tu' ich," rief Brktzwisl und setzte vor Freuden den Respekt so ganz aus dem Auge, dass er einen Katzensprung in die Luft machte; "aber eines fehlt doch immer noch: mein Herr sollte nur erst mit dem Fraeulein im reinen sein. Aber geben Sie acht, geben Sie acht, der macht uns einen Streich! Er ist so bloede, so furchtsam--" Wenn er es nur gewusst haette, der alte Brktzwisl! Sein Herr sass, indem sein Diener von seiner Bloedigkeit perorierte, bei Ida auf dem Sofa, der Praesident, der nur so auf ein Viertelstuendchen in seiner Tochter Boudoir eingesprochen hatte, neben ihm. Was es doch eine eigene freie Kunst um das Augenparlieren ist! Da schwatzten jetzt die guten Leutchen ein Langes und Breites mit dem Herrn Papa von Bergen und liegenden Gruenden, nebenher hielten sie sich die schoensten Reden durch verstohlene Blicke mit einer Beredsamkeit, einem rednerischen Feuer, von dem selbst Cicero in seiner Rednerkunst keine Aufschluesse gibt und wovon auch kein Woertchen weder in der Syntax der deutschen Sprachlehren, noch in den verschiedenen Rhetoriken und aesthetischen Vorlesungen steht, die alljaehrlich von den Kathedern abgehaspelt werden. Der Praesident taute immer mehr auf; denn Martiniz sprach von einem bedeutenden Gueterkauf, den er in hiesiger Gegend im Sinne habe, und der gute Praesident glaubte nicht anders, als seine Aufmunterungen haben den Grafen auf diesen vernuenftigen Gedanken gebracht, und wenn er es vollends dazu bringen koennte, dass der Graf die Graefin Aarstein--er gratulierte sich schon im voraus zu einem allergnaedigsten Handschreiben, besah laechelnd seine Brust, wo naechstdem das Grosskreuz des Zivil-Verdienst- Ordens paradieren werde, nannte Martiniz seinen neuen Landsmann und sein liebes Graefchen und zog kichernd und schnalzend ueber seine vortrefflich gelungene Negoziation zum Zimmer hinaus. * * * * * DAS TETE-A-TETE. So lange er da war, war es dem Grafen und Ida ziemlich leicht zu Mut; zwar prickelte es beiden ein wenig aengstlich im Herzen; denn das Wiedersehen nach einem so wichtigen Moment, wie die gestrige Mitternacht war, fuehrt immer eine kleine, unabweisbare Verlegenheit mit sich; man ist nicht sicher, den Ton gleich wiederzufinden, in welchem man sich verlassen hat. Denn das ist keinem Zweifel unterworfen, dass man, wie in jedem Gespraech, so auch in dem Fluestern der angehenden Liebe, abends waermer ist und in einer Viertelstunde weiter kommt als den Morgen nachher, wo schon der Verstand mehr mit der Phantasie ueber die Haushaltung rechnet. Daher war es Martiniz auf den ersten Augenblick des Alleinseins mit Ida bange; er war so traulich von ihr geschieden, er haette ihr gestern abend alles, alles sagen koennen, wovon sein Herz so voll war--und jetzt, jetzt hatte er wieder allen Mut verloren. Er hatte mit den ersten Damen von vier grossen Reichen gescherzt und gelacht, ohne sich von den imposantesten Schoenen verblueffen zu lassen, --wo war sein Mut, seine Gewandtheit diesem Maedchen gegenueber? Es war aber auch unmoeglich, bei dem Engelskind die Fassung zu behalten;--erfreute der herrliche Tannenwuchs, das Ungezwungene, Grazioese der Haltung das Auge, war man beinahe geblendet von dem Lilienschnee der Haut, von der jungfraeulichen Pracht des Alabasterbusens, war man entzueckt von dem Rosensamt der bluehenden Wangen, von den zum Kuss geoeffneten Korallenlippen, war man wunderbar bewegt von dem lieblichen Kontrast, den ihre brand-brand-brand- raben-raben-kohlen-tinten-schwarzen Ringelloeckchen und orientalisch geschweiften Brauen mit den Cyanenaugen machten, war man hingerissen von dem Zauberlaecheln, das die Gruebchen in den Wangen, die Perlen hinter dem schoengeformten Mund zeigte, haette man hinfliegen moegen, die zarte Taille mit dem einen Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenkoepfchen recht fest Mund auf Mund zu druecken--o! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfraeulicher Hoheit auf den suendigen Menschen und seine Begierden herabblicken lassen, so schlich man sich so duchs und geschmiegt hinter die Grenzbarrieren der Bescheidenheit zurueck, als haben einen zehn Passvisitatoren und zwanzig; Gendarmen dahinter zurueckgedonnerwettert. Das ist der Zauber reiner Jungfraeulichkeit. Man sage, was man will, von Verdorbenheit der Sitten und dass kein reputierliches Frauenzimmer mehr allein auch nur eine Meile weit reisen koenne! An den Maennern liegt es wahrhaftig nicht, sondern an jenen selbst, die ohne den Schutz- und Geleitsbrief jungfraeulicher Reinheit in Blick und Mienen hinausgehen. Der Graf war kein solcher Geck wie viele unserer heutigen jungen Herren, welche glauben, jedes Herz, das sie lorgnettieren, muesse auch unwillkuerlich von ihrer interessanten Erscheinung hingerissen sein. Nein, seinem scharfen Auge war es nicht entgangen, wie Ida diese saubern Herren, als sie sich mit ihrer dreisten, handgreiflichen Unverschaemtheit an sie draengten, hatte ablaufen lassen; wenn auch ihm keine solche Zurechtweisung bevorstand, wenn er sich auch schmeicheln durfte, von diesem Phoenix von Maedchen vor allen ausgezeichnet worden zu sein, wenn er sich auch eines hoeheren Wertes bewusst war, wer stand ihm dafuer, dass nicht dieses Maedchen, das gewiss auf ihre Freundschaft einen hohen Wert legte, sich tief beleidigt fuehlen werde, wenn er zaertlichere Gefuehle aeusserte? Wer stand ihm dafuer--zwar der Hofrat hatte es ihm zu dutzend Malen mit den fuerchterlichsten Eiden geschworen, dass es nicht so sei; aber was wusste der Hofrat von den Heimlichkeiten eines tiefen Maedchenherzens?--Wer stand ihm dafuer, dass sie nicht schon einen anderen, wuerdigeren lie-- Nein, er konnte den Gedanken nicht ertragen; die ganze Nacht hatte es ihn gepeinigt; die guten Betten, ueber welche er jenen Morgen der Frau Mondwirtin viel Schoenes gesagt hatte, waren hart und schneidend wie die Latten, auf welche er sonst seine ungezogensten Ulanen geschickt hatte; die Kopfkissen--Jakob's Stein muss ein Eiderdunenpfuehl dagegen gewesen sein; denn er konnte ja darauf schlafen und sogar eine Himmelsleiter traeumen, die ihn in den Himmel--es peinigte ihn den ganzen Morgen und Vormittag, bis er endlich den Riesenentschluss fasste, sich _Gewissheit_ zu verschaffen. Noch auf der Treppe hatte er Loewenmut, er stieg die Stufen hinan, als waeren es die schiefen Seiten einer feindlichen Batterie; noch so lange der Papa dabeisass, fluesterte er sich zu, dass er mehr Mut besitze, als er gedacht habe; ihr Blick schien ihm heute besonders glaenzend, schien ihn selbst aufzumuntern; aber nein, es war ja nur das gewoehnliche freundschaftliche Wohlwollen; er wuenschte den Papa zum Henker oder in seine Kanzlei, und doch haette er ihn, als er ging, beim Frackzipfel nehmen und festhalten moegen; jetzt Mut!--Aber es schnuerte ihm die Kehle zusammen, er konnte nicht anfangen, alles schien ihm zu gemein, zu trivial fuer diese Stunde-- "Warum so still und truebe, Martiniz?" fragte Ida, als der Graf immer noch keine Worte finden konnte. "Sie sind doch wohl nicht krank?" Wie wohl tat ihm diese Teilnahme!--Das Gespraech war eingeleitet, und dennoch konnte er nicht weiter. Da fiel ihm auf einmal ein Gedanke ein--er beschloss ihn auszufuehren; er nahm noch einmal das Thema von vorhin auf und ging die Landsitze, die ihm angeboten worden waren, einzeln durch; auf allen war Idchen bekannt, und wie unendlich huebsch stand es dem Maedchen, wenn sie von der Landoekonomie so kunterbunt plapperte, wie ihr das Schnaebelchen gewachsen war. Es war ihm, als saesse er schon mit ihr abends vor der Tuere seines Schloesschens, die Kinderchen alle um ihn her im Gras, wie es auf seines Vaters Schloss gehalten wurde, und neben ihm, neben ihm Ida als zuechtiges, huebsches, allerliebstes Frauchen; und wie sie dann--nein, es war zu huebsch, wenn er es sich so vorstellte,--wenn sie dann sorglich die Kinder hineinschickte--und selbst aufstand--und ihn bei der Hand nahm--und die andere Hand ihm auf die Stirne legte--und, ja--und dann sagte: Maennchen, es macht hier unten schon etwas kalt, wollen wir nicht zu Bet-- "Da sitze ich schon ein gutes Halbviertelstuendchen," unterbrach Ida mit froehlichem Lachen sein Selbstgespraech, "und sehe Ihnen zu, wie Sie so gar nachdenklich sind, als wollten Sie die Quadratur des Zirkels auskluegeln; wo haben Sie nur Ihre Gedanken? Gewiss sassen Sie schon auf irgend einem Landgut und sannen nach, wie lustig Sie sich dort die Tage vertreiben wollen." "Ach," antwortete Emil, "so lustig wird es wohl dort nicht werden, wenn man so allein, so ganz allein auf der Erde ist." "Nun, das koemmt ja nur auf Sie an, Sie koennen sich die Einoede froh machen, koennen Freunde zu sich bitten--" "Freunde?" fragte Martiniz mit sonderbarem Ausdruck der Stimme. "Es ist wohl etwas Gutes um Freunde; aber sie kommen und gehen, und das Herz verlangt nach etwas Bleibendem."-- "Wer bedenkt," antwortete Ida mit geruehrtem Blick auf den jungen Mann, "wer bedenkt, wie viel Sie schon verloren haben, wird Sie um diese Ansicht nicht schelten; Sie haben recht, es ist nichts Bleibendes auf der Erde." So hatte aber der Graf auch wieder nicht gemeint. "Nein," sagte er, "es hiesse dem Leben seinen schoensten Reiz abluegen, wollte man dies so streng behaupten. Etwas ist, was dem Mann in jedem Wechsel bleibt. Ihnen darf ich es sagen, was ich meine, Ihnen, die in dem ersten Augenblick dem Ungluecklichen ihre zarte Teilnahme schenkte, die durch die zarten Bande der Gastfreundschaft mein Herz wieder fuer die edlen Freuden der Geselligkeit oeffnete, die, wenn alle Menschen mich verkannten oder ueber mein Unglueck spotteten, mir treue Teilnahme und reichen Trost gewaehrte, die mir aus glaeubiger, frommer Freundschaft selbst in jene Schreckensstunde, die mich von den Menschen verbannte, nachfolgte, die den Fluch von mir nahm, der mich von Land zu Land rastlos fortscheuchte, dir, du reines, holdes, ewig heiteres Engelskind, darf ich sagen, was mir fehlt, du hast mir ja immer geholfen, mir fehlt--sei du es mir--ein liebes Weib--" Mit steigendem Erstaunen war Ida der Rede Emils gefolgt--ihr Auge hing an seinen Lippen, ihre Hand zitterte in der seinigen; denn sie meinte nicht anders, als ein neues, noch furchtbareres Geheimnis zu vernehmen. Mit einem Schrei der Ueberraschung, der Freude, der Verlegenheit flog sie daher vom Stuhle auf, als er endete. "Herr Graf--Marti--" stammelte sie in steigender Verlegenheit, ihr Gesicht brannte in den hohen Gluten braeutlicher Scham. "Mein Maedchen, meine Ida!" fluesterte Martiniz und zog sie zu sich herab in seine Arme; er nannte sie mit den suessesten Schmeichelnamen. "O lass mir noch _einen_ Glauben, noch _eine_ Hoffnung, lass mir noch _einen_ Trost, den deiner Liebe!"--"Mein Emil!" hauchte sie aus den suessen Lippen hervor--und der Graf presste sie in stuermischem Entzuecken an die Brust; wollte eben den ersten, heiligen Kuss reiner Lie-- Da schmetterten Posthoerner die Strasse herab; ein schwerer Reisewagen rasselte droehnend ueber das Pflaster und hielt vor des Praesidenten Haus; aufgeschreckt wie ein Reh flog Ida aus des Grafen Armen und riss das Fenster auf; aber erbleichend trat sie zurueck.--"Mein Gott im Himmel!" rief sie, "es ist die Graefin Aarstein."--Die Saat des Boesen reift schnell. * * * * * DAS UNKRAUT IM WEIZEN Die hoellischen Latwergen und Rhabarbermueschen aus der Leumundsiederei _Schulderoff_ und _Komp._ taten ihre Wirkung vollkommen. Kaum hatte Onkel Sorben, eine jener Hofseelen, die durch Intrigen geboren, mit Intrigen gross gezogen werden und sicher einmal in einer Intrige sterben, die sie gegen den Tod oder den Meister Urian anzetteln--Onkel Sorben hatte kaum den Brief seiner liebenswuerdigen Posaunen-Seraphs-Nichte zu Gesicht bekommen, als er wie wuetend nach seinem Stadtwagen schrie. War doch die Geschichte so geschickt, so fein eingefaedelt gewesen, und Geschenke--vom Herrn eine Dose, vom Staatssekretaer ein Staatssouper, von der Graefin ein Paar Pferde und sonst noch was, was ein alter Kauz wie er nie verschmaeht, und dies alles sollte ihm ein so naseweises Ding, die kaum hinter den Ohren trocken, wegliebaeugeln. Die Roete des Zorns lag noch auf seinem Gesicht, als er bei der Graefin vorgelassen wurde; er traf sie allein, nur der Rittmeister Sporeneck, ihr taeglicher Gesellschafter, war dort. Der letztere hatte einen Brief in der Hand, aus welchem er soeben etwas Unangenehmes vorgelesen haben mochte; denn die Graefin schien mit Muehe sehr heiter zu sein; ihr kolossaler Busen wogte ungestuem auf und ab. "Exzellenz," kraechzte Sorben aus seiner angegriffenen Brust hervor, "Exzellenz! Da bekomme ich soeben ganz sonderbare Nachrichten von Ihrem Zukuenftigen aus Freilingen."--Die Graefin und der Rittmeister warfen sich bedeutende Blicke zu; aber der graue Hofmann liess sich nicht merken, dass er es gemerkt habe,--"ja, aus Freilingen; er soll dort _en passant_ ein galantes Verhaeltnis mit einer jungen Dame, des Praesidenten v. Sanden Tochter, angeknuepft haben. Solches waere nun unter andern Umstaenden ziemlich gleichgueltig; Exzellenz werden sich aber vielleicht noch aus dem Brief aus Warschau erinnern, dass der Herr Graf ein Schwaermer genannt wurde, und einem solchen, wissen Sie wohl, ist nicht zu tr--" "Nicht zu trauen, da haben Sie recht, lieber Sorben, da haben Sie recht, und ich danke Ihnen fuer Ihren Eifer. Die Sache ist uebrigens einmal so weit eingeleitet, dass das Graefchen daran muss, es mag wollen oder nicht;--was schreibt sein Onkel?" Diese Querfrage brachte den Geheimrat beinahe ganz ausser Fassung; denn sein Gewissen sagte ihm, dass er in dieser Hinsicht ein gewagtes Spiel spiele; als naemlich Graf Martiniz ins Land kam, als man ueberall von seinem Reichtum sprach, der Staatssekretaer ihn fuer eine gute Prise erklaerte und alle Segel aufspannte, um ihn fuer die Graefin zu kapern, da wollte es Sorbens Glueckstern, dass ihm eine bedeutende Rolle zufiel. Er hatte in Karlsbad den alten Onkel Martiniz kennen gelernt und stand jetzt noch in einiger Korrespondenz mit ihm. Sein Geschaeft war es daher, den alten Polen fuer die Heirat seines Neffen mit der Graefin Aarstein zu gewinnen; er hatte sich auch nicht anders gedacht, als er werde leichtes Spiel haben, der alte Graf wusste ja nichts von den fatalen Verhaeltnissen der Aarstein, und--ja, es musste gehen; er schrieb dem alten Martiniz und trug ihm gleichsam die Hand der Graefin fuer den Neffen an. Mittlerweile hatte er, um sich bei der Graefin, die dem regierenden Hause so nahe verwandt war, wichtig und unentbehrlich zu machen, viel von seinem grossen Einfluss peroriert, den er auf seinen Intimus, den alten Martiniz, habe und jedesmal, so oft auf die Heirat die Rede kam, ganz zuversichtlich gesagt: "Es fehlt sich gar nicht, der alte Pole muss wollen, was ich will, und damit holla!" Das Ding hatte aber doch einen Haken; der Graf hatte seinem Karlsbader Freund wieder geantwortet, dass diese Verbindung mit einer so erlauchten Dame seinem Neffen wie dem ganzen Hause Martiniz nicht anders als zur groessten Ehre gereichen koenne und dass er sich unendlich freue, die schoene Graefin einmal als seine Schwiegerniece zu umarmen; bis hieher war es nun ganz gut, jetzt aber kam der Haken,--was uebrigens sein Votum in der Sache betreffe, schrieb er weiter, so muesse er sich mit Wuenschen begnuegen; denn er habe den Grundsatz, in solche Affaeren sich auch nicht im geringsten einzumischen; sein Neffe kenne ihn auch von dieser Seite vollkommen und wisse, dass er ihm zu keiner Verbindung weder zu- noch abraten werde. Er solle einmal nach Liebe heiraten, natuerlich nicht unter seinem Stand; wenn er aber diese Grenze nicht ueberschreite, gebe er seinen Segen zu jeder Wahl. Das war nun ein verzweifelter Haken; Sorben hatte sich vorgestellt, der Alte werde bei einer Graefin Aarstein sogleich mit beiden Haenden zugreifen und sie dem Herrn Neveu als Frau Gemahlin praesentieren ohne weitere Sperranzien; wahrhaftig, man musste im Norden noch weit, sehr weit in der Kultur zurueck sein, dass man von einer _Heirat nach Liebe_ sprechen konnte; doch der Karren war schon einmal verfahren und konnte auf dieser Seite nicht mehr herausgehaudert werden; der alte Herr von Sorben dachte also: "_Vogue la galere_, der alte Narr _muss_ wollen!" machte gute Miene zum boesen Spiel und sagte dem Staatssekretaer und der Graefin, der alte Martiniz sei vollkommen damit einverstanden. Ein boeses Gewissen behielt er aber bei der Sache noch immer; wenn ja das Graefchen Goldfischchen doch nicht anbeissen mochte--Nein! Er konnte den Gedanken nicht ausdenken, er waere ja um Ehre und Reputation gekommen; denn auf _seine_ Nachricht von dem alten Grafen hin hatte man sich nicht mehr geniert und von der Verbindung als von etwas, das sich von selbst verstuende, ueberall gesprochen. Wie jetzt die Sachen standen, ging ihm das Wasser bis an die Kehle, und die fatale Querfrage der Graefin: "Was schreibt sein Onkel?" haette ihn beinahe aus aller Kontenance gebracht. Doch er fasste sich und antwortete mit der heitersten Miene von der Welt: "Der ist, wie ich schon oft gesagt habe, durchaus damit einverstanden, und diese Verbindung liegt ganz in seinen Wuensch--" "Wie? Ganz in seinen Wuenschen? Damit einverstanden?--Das sind nicht die Ausdruecke, die Sie mir frueher sagten; erinnern Sie sich, Sie sagten mir: er schreibe, er sei von selbst auf den Gedanken gekommen, dass sein Neffe mich--" Hoellenangst, Hoellenpein nagte in Sorbens Brust; nein! wenn er kompromittiert wuerde! Doch da galt kein Besinnen mehr. "Vollkommen damit einverstanden, meine Gnaedige, so vollkommen, sage ich, dass er selbst zuerst auf den gluecklichen Gedanken kam." "Nun, was wollen wir weiter?" fuhr die Graefin ruhig fort. "Mein Graefchen wird nicht ungehorsames Soehnchen spielen wollen; denn die drei Millioenchen, die er von dem Onkel erben soll und die, wie Sie mir sagen, wegfallen, wenn er mich nicht--" Sorben schnitt greuliche Gesichter; es war ihm, als sollten ihm die hellen Traenen hervorstuerzen, dass er sich so dumm verplaudert hatte, und dennoch sollte er laecheln und freundlich sein; er grinste daher furchtbar, wie einer, der _Asa foetida_ oder recht bitteres Salzkonfekt im Mund hat und doch zuckerhonigsuess dabei aussehen will. * * * * * DAS UNKRAUT WAECHST Der Rittmeister hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen; aber die Miene des alten Fuchses mochte ihm doch nicht so ganz spasshaft vorkommen, als sie aussehen sollte. "Mir scheint es, als duerfe man die Sache nicht nur so gehen lassen, wie sie geht, und am Ende warten, ob der Graf gehorsam sein will oder nicht; denn hole mich der--verzeihen Sie, gnaedige Graefin--wenn ich selbst drei Millionen haette wie der Goldfisch, der jetzt in Freilingen vor Anker liegt, so taete ich nach meinem Sinn und nicht, wie mein alter Oheim wollte." "Das heisst also," rief die Graefin pikiert, "Sie wuerden Ihrem Kopf folgen, auch zu den Fuessen des Fraeuleins Ida liegen und die Graefin Aarstein refuesieren?" "Wie Sie nur so reden moegen?" antwortete der Rittmeister empfindlich. "Sie wissen ja selbst, wie ich mit Ida stehe; aber ich wollte damit sagen, dass der Graf Sie sehen muss. Und hat er Sie nur erst einmal gesehen, nun, so stehe ich dafuer, dass er keine weitere Vergleichung anstellt, sondern zu Ihren Fuessen liegt." Die Geschmeichelte schlug ihn mit der Eventaille auf die Hand und meinte selbst, indem sie einen Blick in den deckenhohen Spiegel warf, dass dieser Rat vielleicht so uebel nicht waere. Auch Sorben schien er das einzige Rettungsmittel in seiner peinlichen Lage. Kommt die nur erst einmal hinter den Polen, dachte er, dann sei ihm Gott gnaedig; denn wenn _die_ einen lieben und von einem geliebt sein will, dann kostet es vierundzwanzig Stunden, und er ist im Netz. Sie hielten jetzt grossen Kriegsrat. Die Nachrichten, die der Rittmeister von seinem Kameraden Schulderoff aus Freilingen erhalten und kaum zuvor der Graefin mitgeteilt hatte, stimmten auf ein Haar mit dem ueberein, was Fraeulein Sorben ihrem Onkel geschrieben hatte. Ueber den Tatbestand war also nicht der geringste Zweifel mehr. Aber wie dem Grafen beikommen? "Ist sie denn wirklich so huebsch?" fragte Sorben, um die feindliche Stellung recht genau zu rekognoszieren. "Huebsch?" lachte die Graefin bitter. "Huebsch? Nun, das muessen Sie ihren _primo amoroso_, den Rittmeister, fragen. Wenn durch einander gefitztes Rabenhaar, ein Maul voll gesunder Zaehne, ein paar rote Baeckchen, eine gedrechselte Hopfenstange von Koerper, die mir die Nerven angreift, weil man sie nicht beruehren darf, ohne fuerchten zu muessen, dass man eines der zarten Gliederchen abknicke,"--bei der kolossalen Riesenkuerassierfigur der Graefin war dies nicht zu befuerchten--"wenn dies alles fuer huebsch gelten soll, so ist sie wunderschoen! Ha, ha, ha, wunderschoen! Nun, und das--muss man ihr lassen, viel Welt und _bon ton_ hat sie auch. Denken Sie sich, ich lasse mich herab, sie mir letzten Winter praesentieren zu lassen, lade sie zu meinen Soirees und Hausbaellen ein; aber siehe da, Mamsell Zimperlich setzte mir keinen Schritt wieder ins Haus. Ob dies nicht eine Sottise ohnegleichen ist? Und als ich mich einmal bei ihrer Frau Pate, die einen Affen an ihr gefressen haben musste, als ich mich bei der Fuerstin Romanow beklagte, warum die junge Dame sich so impertinent gegen mich betrage, was meinen Sie, dass ich zur Antwort erhielt? Denken Sie sich: das gute Kind sei zu unverdorben und keusch, als dass sie sich in meinen Cercles gefallen koennte! Dergleichen kann man von der Fuerstin sich sagen lassen und es ohne Replik einstecken, aber, _ma foi_! sonst von niemand. Also zu unverdorben und keusch! Nun, der Herr Rittmeister da wird von ihrer Keuschheit zu sprechen wissen. Wie ist es damit? Gestehen Sie!" Der Rittmeister versicherte zwar auf das heiligste, dass er Ida immer nur als ein reines Kind der Natur gefunden habe; aber sein hoehnisches Teufelslaecheln bei diesen Schwueren, die Art, mit welcher er den Stutzbart bis an die Ohren zurueckriss und die Augen einkniff, liess fast erraten, dass er mehr wisse und erfahren habe, als er sagen wolle. "Nun," sagte Sorben, "wenn die Aktien so stehen, so ist es nicht schwer zu agieren. Sie, Exzellenz, heben den Grafen durch Ihre Reize aus dem Sattel, der Rittmeister aber Ida, und zwar dadurch, dass er den Grafen eifersuechtig macht. Er darf nur dem suessen Schwaermer schwoeren, dass er die Gunst des Fraeuleins Engelrein noch nie ganz genossen habe, und dazu ein Gesicht machen, wie wir es eben gesehen haben, so muss der gute Mann abgekuehlt sein, als sei er nie entbrannt gewesen." "Aber wie soll dies alles geschehen? Wir koennen doch die Mamsell Zimperlich nicht mit Extrapost kommen lassen, da sie erst vor vierzehn Tagen die Residenz verlassen hat, und der Graf ist auch nicht so schnell zu meinen Fuessen zitiert, als Sie sich wohl vorstellen." "Ist gar nicht noetig," replizierte Sorben, indem er seine Karte immer huebscher mischte, "nicht noetig. Wie waere es--ja, das waere am Ende das beste, wenn Sie selbst nach Freilingen gingen und dort dem ganzen Spass auf einmal ein Ende machten!" Der Gedanke schien der Graefin nicht uebel zu gefallen. "Wahrhaftig, es waere so uebel nicht," antwortete sie sinnend; "der alte Praesident-- wahrhaftig, ich quartiere mich selbst bei ihm ein--erst vor einem Jahr hat er mich eingeladen, wenn ich einmal auf der Durchreise auf meine Gueter durch Freilingen komme, bei ihm abzusteigen. Das waere ein zu huebscher Spass, Fraeulein Ida in ihrem eigenen Hause den Galan abzuspannen. Nein, der Einfall ist goettlich, und ich bin fest entschlossen, ihn auszufuehren." Sorben atmete wieder freier, als er die Graefin auf so gutem Wege sah. Jetzt konnte, jetzt musste ja noch alles gut werden, und sein Ansehen, seine Ehre war gerettet. Er tat sich nicht wenig auf seinen Witz zugut, mit welchem er so huebsch die Volte geschlagen und sein zweifelhaftes Spiel korrigiert hatte. Noch einmal riet er dringend zur Reise und empfahl sich. Als er fort war, gestand die Graefin ihrem Cicisbeo, dass sie nach Freilingen reisen werde, und zwar gleich morgen, aber nur unter _einer_ Bedingung, naemlich er muesse sie eskortieren. Einmal wuerde ihr die Reise zu langweilig ohne ihn, und dann habe sie ihn auch hoechst noetig, um Ida bei dem Grafen aus dem Felde zu schlagen. Der Rittmeister sagte freudig zu. Eine Reise mit einer solchen Frau war eine herrliche Aussicht. Dass er als Reisestallmeister den Wein nicht zu schonen habe, wusste er wohl. Nach Freilingen war es drei Tagreisen; wie angenehm liess es sich bei der Graefin im Wagen sitzen, wie interessant liessen sich die Verhaeltnisse weiter spielen, wenn man abends ins Nachtquartier einrueckte.--Und dann, er kitzelte sich schon mit dem Gedanken, sich an Ida zu raechen, in die er--er musste es sich zu seiner Schande gestehen--bis zum Tollwerden verliebt war und die ihm nicht einmal ein Kuesschen--nein, es war zu unverschaemt; bei andern hatte er nach den ersten Praeliminarien beinahe ohne Schwertstreich gesiegt, und dieses Landpomeraenzchen hatte ihm so imponiert, dass er es nicht wagte, nachdem sie ihn einmal mit Verachtung abgewiesen hatte, noch einmal einen Versuch zu machen. Und diese Blame war ausgekommen, man wusste es sogar in dem kleinen Nest Freilingen, zwanzig Meilen von der Residenz, sein Kamerad Schulderoff, die ehrliche Haut, hatte ihn beschworen, sich zu raech--. Es musste sein. Rache wollte er nehmen an der stolzen Jungfrau, dass ihr die Haut schaudern sollte. Am andern Morgen fuhr ein Reisewagen mit dem graeflich Aarsteinischen Wappen zum Tor hinaus. Bald nachher jagte der Rittmeister von Sporeneck mit seinem Jockei hintendrein, eine Stunde vor der Stadt gab er das Pferd dem Jockei und setzte sich in den graeflichen Reisewagen, und fort ging es ueber Stock und Stein, bis man den Muensterturm von Freilingen sah. Dort stieg er aus, kuesste noch einmal eine schoene Hand, die ihm aus dem Wagen geboten wurde, sass auf und ritt auf einem Umweg in die Stadt, wo er sich im Gasthof zum Goldenen Mond einquartierte. * * * * * TRUEBE AUGEN. Ida fuehlte einen tiefen Stich im Herzen, als sie die Graefin aus dem Wagen steigen sah. "Nun adieu, Liebes- und Lebensglueck!" seufzte sie, indem sie einen trueben Blick ueber Martiniz hinfliegen liess und zur Treppe eilte, um den erlauchten Gast zu empfangen. "Nun adieu, Liebesglueck, wenn dieses Weib in mein Leben greift!" Sie zerdrueckte eine Traene des Unmuts ueber ihr Geschick und ging weiter. So ungefaehr muss es jenen unschuldigen Tierchen zu Mut sein, wenn sie die Riesenschlange erblicken und, von ihrem greulichen Anblick uebertaeubt, nicht auf ihre Flucht denken, sondern in geduldiger Resignation dem Verderben entgegengehen. Mit jener Leichtigkeit und Grazie, die man in hoeheren Verhaeltnissen von Kindheit an studiert, wusste die Graefin schnell ueber das Unangenehme der ersten Augenblicke hinueberzukommen. Sie war die Freundlichkeit, die Herzlichkeit selbst. So weit hatte es freilich Ida in der Bildung nicht gebracht, dass sie denen, die sie nicht lieben konnte, wie ihren waermsten Freunden begegnete. Auch war _sie_ die Ueberraschte und die Graefin die Ueberraschende; daher war Ida etwas befangen und zeremonioes beim Empfang der hohen Dame; aber ihr natuerlicher Takt sagte ihr, dass sie jede andere Ruecksicht beiseite setzen muesse, um nur die im Auge zu haben, die Graefin, die nun einmal ihr Gast war, anstaendig und wuerdig zu behandeln. Um wie viel edler waren die Motive, welche Ida bei ihrem Betragen leiteten, als die der Graefin! So verschieden als Natur und Kunst. Die Aarstein wusste gegen jeden, auch wenn sie ihn bitter hasste und ihm haette den Dolch in den Leib rennen moegen, freundlich und leutselig zu sein. Sie konnte ihm etwas Verbindliches sagen, wenn sie das bitterste Wort auf der Zunge hatte. Aber so sind jene Gesellschaftsmenschen, die nichts Hoeheres kennen, als sich zu produzieren. Wenn man in ihre Cercles tritt, glaubt man in die alten Zeiten zu kommen, wo noch alles so bruederlich und freundlich war; da ist alles uebertuencht, alles hat den schoenen Anstrich der Geselligkeit; aber man soll nur einmal hinhorchen, wie es da ueber die ehrlichen Leute hergeht, wie medisant da alles bekrittelt wird, wie da der Bruder, der Freund gewiss sein darf, von dem, der ihm gerade noch so schoen getan, ohne Schonung bitter bespoettelt zu werden. Aber ist es nicht ueberhaupt in der Welt so? Sucht nicht immer einer dem andern so viel als moeglich Abbruch zu tun? Wohl dem, der es dahin gebracht hat, dass er ruhig in dieses boese Treiben hineinsieht und dazu laechelt! Mit Ruhe und dem Bewusstsein, Gutes gewollt zu haben, in der zufriedenen Brust, lache ich ueber den Spott meiner Neider, ueber die haemischen Bemuehungen jener Falschmuenzer, die mit schnoeder Schadenfreude aus allem, was man je gesagt und gedacht, nicht gesagt und nicht gedacht hat, Gift saugen und in ihrer frechen Leumundsiederei ein Gebraeu zusammenkochen, das sie gerne mir unterschieben moechten! Sie sind zu bedauern, solche schlechte Menschen, die, von Neid und Scheelsucht gestachelt, so ganz den wahren Lebenszweck aus dem Auge verlieren, gluecklich und bruederlich untereinander zu wohnen! So denke ich und viele Tausende mit mir ueber jene boesen Mensen in den gesellschaftlichen Zirkeln und in der Welt ueberhaupt, so denken wir und lachen; denn _das Spiel des Lebens sieht sich heiter an, wenn man ein sicheres Glueck im Herzen traegt, und froher kehr' ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schoenern Eigentum zurueck_. So dachte auch Ida, als sie an der Hand der Graefin die Treppe hinanstieg; ein troestender Gedanke lag recht hell in ihrer Seele; sie verglich ihren innern Wert mit dem ihres Gastes und dachte: wenn Martiniz mich liebt, wie ich ihn liebe, in wird er diese Frau verachten, und wenn--ach, sie durfte den Gedanken nicht recht ausdenken, ohne dass ihr das Wasser in die Augen trat!--nun, wenn er an _sie_ verloren geht, so habe ich wenig verloren. Es gab einen sonderbaren, aber schoenen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Graefin Aarstein, eine kolossale Figur,--sie haette ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen koennen,--voll, ueppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestaetisches, Gebietendes, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Uebermut grenzte. Ihre dunkeln Augen hatten das holde, maedchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unstaeten Feuer umher, als suchten sie luestern einen Gegenstand der Begierde oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehoerige Ehrfurcht gegen einen Sproessling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfaellig, weil die korpulente Figur fuer die in die feinsten Pariser Atlasschuhe eingepressten Fuesse etwas zu schwer war. Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenaehnliche Gestalt Idas--nein, dieser Kontrast! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenkoepfchen ein wenig vorwaerts gesenkt; das sanfte Auge, oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glaenzenden Mut, so feurige Lust und Liebe, so gebietenden Ernst, dass es durch die sanfte Beredsamkeit ueberzeugender gebot als das Rollauge der gebietenden Graefin. Und um wie viel anziehender war das Schelmengruebchenlaecheln des suessen Maedchens als das schrankenlose Lachen und Gurren der Graefin, die durch ihre rauhe; tiefe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Graefin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer. Martiniz sah finster durch die Scheiben auf den Wagen hinab, der ihn so unbarmherzig aus dem suessesten Moment seines Lebens herausgerasselt hatte. Er verwuenschte den Gast, der gerade jetzt kommen musste, wo er endlich seinem Herzen Luft gemacht, wo er dem Maedchen, das er liebte, das er anbetete, seine Gefuehle gestanden hatte, wo er Gegenliebe, suesse verschaemte Gegenliebe in ihren sanften Augen las, wo, wie von Engeln des Himmels gesungen, "_mein Emil_" von ihren Lippen toente, wo er, das Engelskind im Arm, die Seligkeit erwiderter Liebe in der Brust, Himmel und Erde vergass und auf diese wuerzigen Purpurlippen, auf die braeutlich erroetenden Wangen den ersten, seligen Ku-- * * * * * DIE GRAEFIN AGIERT. Die Fluegeltueren flogen auf, und Ida, hoch erroetend beim Anblick des Geliebten, fuehrte die Graefin herein. Sie zitterte, von so vielen gegeneinander kaempfenden Empfindungen bestuermt; die Stimme wollte ihr beinahe versagen, als sie den "Grafen Martiniz" der "Graefin Aarstein" vorstellte. Sie sah die Erz-General-Kokette erroeten, sie sah, wie sie den bildschoenen Mann mit ihren Feuerraedchen beinahe zu versengen drohte; es zuckte ihr ganz eisig in das liebende, aengstliche Herzchen hinein, als die Graefin sich in einer nachlaessigen Stellung auf den Sofa warf, ihr zurief, sie moechte sich doch gar nicht genieren und ihre Arrangements treffen, die ein so ploetzlicher Ueberfall wie der ihrige immer notwendig mache, sie moechte sich doch durchaus nicht genieren, der Graf werde schon die Gnade haben, sie zu unterhalten. "Da sei Gott gnaedig," fluesterte Ida in sich hinein, indem es ihr froestelnd und doch wieder siedheiss durch alle Glieder ging, "wenn die so fortmacht, so muessen wir ja alle samt und sonders, den Grafen mit eingeschlossen, zu ihren Fuessen knien." Sie nahm ihre Schluessel und ging; aber noch in der Tuere warf sie einen Blick auf Martiniz zurueck, so voll Liebe und Besorgnis, als muesse sie ihn bei einem reissenden Tier allein lassen. "Ein liebes Kind, die Ida," wandte sich die Graefin an Martiniz, der schweigend und gedankenvoll neben ihr Platz genommen hatte, "ein liebes Kind; schade nur, das; man sie so bald aus der Pension genommen hat, ehe sie noch die letzte Vollendung, das freiere Sichbewegen angenommen hat. Nun, das macht sich nachgerade immer noch, wenn auch hier nicht gerade der Ort ist, wo sie anstaendige Vorbilder dazu haben mag; in groesseren Staedten findet sich dies eher." Sie hielt inne, als erwartete sie eine Antwort von dem Grafen; diesem aber schien sein Kopf mit dem Herzen Ida nachgesprungen zu sein, und jetzt erst, als die Graefin nicht mehr sprach, nahm er sich zusammen und beantwortete ihre Frage durch ein leises Kopfnicken. "Warte, ich will dich schon aufmerken lehren," dachte die Aarstein, der die Zerstreuung des jungen Mannes nicht entgangen war. "In einer Hinsicht ist es gut, dass das Fraeulein aus der Residenz wegkam; Sie koennen sich gar nicht denken, unsere Herren waren ganz rabiat, als sie so lieblich aufbluehte; die Strasse vor dem Haus der Madame La Truiaire wurde nicht leer von den Anbetern, und natuerlich--ein solches Maedchen hat denn doch auch ein Herzchen und fuehlt sich durch diese Aufmerksamkeit geschmeichelt. Uebrigens, das muss man ihr lassen, mit dem groessten Anstand wusste sie den Herren zu imponieren und sie sogar zu verscheuchen; dass sie nun freilich bei dem Rittmeister von ....... es nicht ebenso machte, kann man ihr nicht verdenken." "So--o?" fragte der Graf, indem ein dunkles Rot seine Wangen ueberzog. "Der Rittm--"--"Nun ja," lachte die Graefin, "da ist es auch kein Wunder, dass sie ihn liebte und vielleicht noch liebt; wo ist denn in der Residenz ein Damenherz, das er zu ueberwinden sich vorsetzte und das er nicht ueberwunden haette? Er hat zwar etwas leichte Grundsaetze, ist aber sonst ein artiger Mensch; _au fond_ ist es uebrigens dennoch gut, dass man das Maedchen schnell aus der Pension nahm; denn sehen Sie--doch, da kommt sie ja selbst," lachte sie Ida entgegen, die mit liebenswuerdiger, wirtlicher Geschaeftigkeit Tee fuer ihren Gast brachte. Beinahe haette sie das ganze zierliche Dejeuner auf den Boden fallen lassen; denn der Graf--was musste ihm nur begegnet sein?-- er sass da, bleich wie der Tod, den starren Blick auf sie geheftet-- "Nun, da erzaehle ich," fuhr die Graefin Satanas, die mit teuflischer Freude das zarte Band, das diese liebenden Herzen kaum erst umschlungen hatte, zu zerreissen strebte, "da erzaehle ich gerade dem Herrn Grafen Ihre Affaere mit dem Rittmeister, und wie ich die arme Ida bedaure, dass man sie so grausam herausriss aus der Wonne der ersten Lie--" "Gnaedige Frau!" rief Ida mit den Toenen des Schreckens und setzte die Tasse nieder, die in ihrer zitternden Hand zu klirren begann. "Nun, so erschrecken Sie doch nicht so, dass ich aus der Schule schwatze; das nimmt man bei uns nicht so genau; wahrhaftig, der Papa haette auch keine ungeschicktere Zeit zu Ihrer Zurueckberufung waehlen koennen--" "Ich muss Sie bitten, gnaedige Frau--" "Ei, so lassen Sie doch die gnaedige Frau," fiel ihr die Aarstein ins Wort, "ich kann das Wort Frau nicht ausstehen. Es ist mir gar nicht, als ob ich Frau waere, und wahrhaftig, ich bin es ja eigentlich gar nicht," setzte sie naiv und mit einem schalkhaften Laecheln gegen Martiniz hinzu; "ich lebte nur ein paar Wochen mit meinem Herrn Gemahl, Gott hat uns kein Kind beschert, und da bin ich ja eigentlich so gut als Maedchen."-- Ida schlugen die Flammen ins Gesicht; solche frivole Aeusserungen mussten ihre unentweihten jungfraeulichen Ohren hoeren, ohne dass sie diese wegwerfende Gemeinheit bestrafen konnte; und dann das dumme Aufziehen mit dem Rittmeister; es war ja kein wahres Wort an der Sache; sie konnte gar nicht begreifen, was nur die Graefin damit wollte; hatte sie ihn denn nicht so gut abgetrumpft wie jeden andern? Was musste nur Martiniz von ihr denken! Sie nahm sich vor, bei der naechsten Gelegenheit ihn zu ueberzeugen, dass gewiss an der Geschichte mit dem Rittmeister kein wahres W--. Aber nein, wie sah der Graf aus! Er hatte die Lippen zusammengekneipt, dass sie ganz weiss wurden, sein Auge rollte unstaet umher, schien sie zu suchen, zu fassen, und doch schlug er es nieder, so oft er ihrem Blick begegnete. Es war ihr ganz bange ums Herzchen, als ahne sie irgend ein Unglueck; sie kluegelte hin und her, was ihm sein koennte, und fand immer nichts. Die Graefin zog sich letzt in ihre Zimmer zurueck, um sich umzukleiden. Ida sah ihr mit leichterem Herzen nach; denn sie hoffte--sie gestand es sich nur so halb und halb, dass sie es hoffte--aber sie hoffte, der Graf werde vielleicht an dem Gespraech von vorhin fortmachen; aber sie taeuschte sich bitter; er sagte kaum ja oder nein, wenn sie ihn etwas fragte, finster sah er immer vor sich hin, und nach ein paar Minuten sprang er auf und ging. Was hatte man ihm doch getan? Es war und blieb ihr unbegreiflich. Endlich aber fiel ihr ein, der Rittm--, ja, das war es: eifersuechtig war der gute Graf. Sie musste lachen, als ihr der Gedanke kam. Sie fuehlte sich so rein und unschuldig, dass es ihr ein leichtes schien, den Grafen zu ueberzeugen; aber Strafe soll er leiden, der Unartige, nahm sie sich vor; wenn er mir die Aarstein zu viel ansieht, so will ich immer von dem Rittmeister sprechen und ihn recht boes machen. Das gute, froehliche Kind, wie wenig dachte sie daran, was Eifersucht Boeses anrichten koenne, wie wenig ahnte sie, was ihrer wartete! * * * * * EIFERSUCHT. Das Gift, das die Graefin Natterzunge ausgespritzt hatte, wirkte viel toedlicher auf Martiniz, als man haette denken sollen. Ein anderer haette entweder der Graefin keinen Glauben beigemessen, haette gedacht: nun, das ist so das gewoehnliche Sekkieren und wieder Sekkieren unter den Damen, und damit holla; aber auf sein Gemuet, das kaum erst von seinem Truebsinn, von seinem Missmut, seinem Unglauben an die Welt geheilt war, auf ihn machte es einen viel tieferen Eindruck, dieses Maedchen, das so hoch stand in seiner Meinung, auch dieses sollte so leicht wiegen wie alle? Auch sie sollte so zwanzig, dreissig Liebschaeftchen und am Ende noch eine recht tuechtige Amour mit einem leichten Rittmeister gehabt haben? Aber wie? Wenn er sich recht fragte, was ging es denn ihn an, ob ein Maedchen in der Residenz sich verliebt oder nicht, ob sie einem Rittmeister viel oder wenig Gehoer gibt? Was ging es denn ihn an? Das fluesterte ihm sein tief zerrissenes Herz zu, das, dass sie die Maske der hohen, reinen Jungfrau so kuenstlich vorhielt, dass sie ihn beguenstigte, ja, er durfte sagen, an sich zog, waehrend sie noch einen andern, wie es schien, Unwuerdigen im Herzen trug; aber vielleicht, es war ja doch moeglich, vielleicht war es doch nicht wahr, vielleicht hatte jener nur sich eingebildet, von ihr geliebt zu werden, und er, er war vielleicht doch ihre erste Lie-- "Bitte untertaenigst um Vergebung, wenn ich stoere," schnatterte ein Jockei, der waehrend des Grafen Selbstgespraech ins Zimmer gekommen war; "der Rittmeister von Sporeneck--" Was Teufel! Hatte nicht die Aarstein jenen "Sporeneck" genannt? Sollte er hier sein? "--lassen sich Exzellenz zu Gnaden empfehlen," fuhr jener fort, "und ob der Herr Graf dem Herrn Rittmeister nicht eines Ihrer Zimmer vornheraus abtreten wollten?" Da hatte er es ja; ein Zimmer sollte er abtreten, weil gerade gegenueber Idas Boudoir, Besuch- und Schlafzim-- nein, er konnte es nicht tun, diese Forderung war zu unverschaemt--gedankenlos starrte er den Bedienten an, der ihm die Ungluecksbotschaft hinterbracht hatte. Dieser glaubte, der Graf wolle noch weitere Auftraege von seinem Herrn und schnatterte weiter: "Die Zimmer im oberen Stock sind zwar auch nicht zu verachten; aber mein Herr hat gesagt, es sei ihm nur um die schoene Aussicht, und da hat er gemeint, Exzellenz koennten vielleicht eines von den drei--" "Nein!--" rief der Graf mit einem so schrecklichen Ton und rollte so finster die Augen dazu, dass dem armen Jockei ganz wind und weh dabei wurde und er sich das Abschiedswinken des Grafen nicht zweimal vormachen liess. Da hat er es ja sonnenhell, dass ihm das Licht in den Augen weh tat, da hat er es; der Rittmeister, nichts Gewisseres, war bestellt worden und hatte jetzt noch die Unverschaemtheit, ihm ein Zimmer abzufordern, dass er besser hinueber zu seiner Dulcinea--Nein, in diesem Tone _konnte_ es nicht fortgehen; die Wehmut war staerker als die Bitterkeit und wurde Herr ueber sie; er warf sich in seinen Sofa und weinte bitterlich. So war gewiss noch kein Mensch getaeuscht worden wie er; der Zufall, der blinde Zufall laesst ihn ein Maedchen finden, so hold, so schoen, so ganz Unschuld und reine Jungfraeulichkeit; er muss sie lieben, und wie gluecklich ist er in dieser Liebe! Trost, Freudigkeit, Ruhe--Dinge, die er seit langer, langer Zeit nicht gekannt--ziehen wieder ein in sein Herz, er fuehlt sich gluecklich, wie er selbst damals, als noch sein Haus in Fuelle des Gluecks und der Freude prangte, sich nie gefuehlt hatte; er sah, ja, er durfte es sich gestehen, er sah das Morgenrot der ersten zarten, jungfraeulichen Liebe auf ihren Wangen aufgehen, und diese Liebe galt ihm; mit einem Zauberschlag schuf sie aus ihm, dem Ungluecklichsten der Sterblichen--den Gluecklichsten. Jetzt hatte er ja alles, was die kuehnsten Wuensche nur verlangen moegen; Gesundheit, Jugend, hohe Geburt, Ehre und Ansehen, Geld, dass er den Markt von Freilingen mit Talern haette belegen lassen koennen, ohne dass er es sonderlich gefuehlt haette; es fehlte ihm nichts mehr als das eine: ein holdes, tugendsames Weib, und auch dieser hohe Wurf war ihm gelungen; er hielt im seligsten Moment seines Lebens ein Maedchen im Arm, ein Maedchen, fuer dessen Tugend er sein Leben gegeben haette. Da sendet in dem Augenblick, wo er sein Herz hingeben will, der Himmel eine Dame, die unwillkuerlich den Schleier ein wenig lueftet und ihn das Maedchen ein wenig naeher kennen lehrt, die ihn merken laesst, dass dieses Auge nicht zum erstenmal von Liebe leuchte, dieser keusche Mund nicht zum erstenmal gekuesst werde, die, wenn man es gleich in der grossen Welt nicht so genau nimmt, doch selbst eingestand, dass es gut sei, dass man das Maedchen aus einem unschicklichen Verhaeltnis herausgerissen --abscheulich! Ein Teufel in Engelsgestalt!--An eine Schlange, an eine Kokette hat er sein Herz verloren; da, wo er schuechtern mit der verschaemten Zartheit erster Liebe um ein einziges Kuesschen gebeten hatte, da hatten andere geschwelgt! Er schaemte sich wie ein Primaner, der die Rute bekommen hatte, so betrogen, so schnoede angefuehrt worden zu sein; er goennte ihr, obgleich sein Herz dabei blutete, er goennte ihr den Rittmeister; es reute ihn beinahe, dass er ihm sein Logis versagt hatte, alle Zimmer haette er ihm geben sollen, er wollte morgen in alle Weite fortziehen.--Und dennoch draengte es ihn, noch dazubleiben; wenigstens raechen wollte er sich an ihr, er wollte hinueber zu ihr, wollte sehen, wie sie sich jetzt gegen ihn betragen wuerde, wollte sehen, ob sie jetzt, da der rechte Liebhaber gekommen, ob sie jetzt noch die Stirne habe, ihn, wie bisher, an der Nase herumzuziehen. Tausenderlei nahm er sich vor, ihr zu sagen; aber das eine war ihm zu spitzig und schneidend; er wollte ihr nicht so arg wehtun; dass andere war ihm zu weich, zu gefuehlvoll; er wollte ihr nicht zeigen, wie tief sie sein Herz verletzt habe,--das beste schien ihm, er wollte ganz und gar nichts mit ihr reden; wollte tun, als ob gar keine Ida in der Welt sei oder als sei sie ihm wenigstens sehr gleichgueltig, wollte ihr zeigen, dass er sie verachte. Die Stunde, zu der man gewoehnlich beim Praesidenten Tee trank, hatte schon geschlagen; er wischte sich daher schnell die letzte Traene, die er der Dirne geweint haben wollte, hinweg, besorgte eilends seine Toilette, warf sich in die Kleider, presste das weichgewordene Herz mit beiden Haenden zusammen und ging dann den schweren Gang hinueber in jene Zimmer, wo er einst so unendlich gluecklich gewesen war. * * * * * DER NEUE NACHBAR. Es war, als sei ein feindlicher Daemon mit der Graefin in Praesidents Haus eingezogen. In wenigen Stunden war alles, das ganze ruhige, stille Leben des Hauses veraendert. Alles rannte und flog, um den hohen Gast zu bedienen; es war ein Jagen und Treiben, ein Rennen und Laufen, dass man glaubte, der Feind sei vor den Toren. Der Aergste war der Praesident selbst; ganz still verklaert schluepfte er in allen Ecken des Hauses umher, zankte und hantierte, dass die Konfusion nur noch aerger wurde und sein Maedchen, das vor Haushaltungsgeschaeften und Herzensangelegenheiten nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, ihn um Gottes willen bat, sie doch ganz allein machen zu lassen. Es war aber auch kein Wunder, dass er sich ein wenig verrueckt gebaerdete. Der Himmel hing ihm voller eigenhaendig-durchlauchtigster Belobungsschreiben, voll grosser Verdienstkreuze mit breitem Band ueber die Brust, voll Dotationen und Standeserhoehungen; jetzt war er in seinem _Esse_, jetzt konnte er negozieren und zeigen, dass er nicht umsonst in Regensburg und Wetzlar in seiner fruehen Jugend Diplomatie studiert hatte: Was er mit seinen kuehnsten Wuenschen nicht fuer moeglich gehalten haette, fuehrte ihm ganz bequem der Zufall in die Haende. Der Staatssekretaer hatte ihm aufgetragen, dafuer zu sorgen, dass Martiniz sich ankaufe und fuer die Idee einer Verbindung mit der Aarstein gewonnen werde; es hatte ihm wahrhaftig schon manche Sorge gemacht, ob er diesen Ausbruch allerhoechsten Vertrauens auch gehoerig rechtfertigen werde. Jetzt gab der Himmel der Graefin ein, auf ihre Gueter zu reisen. Was doch nicht der Zufall tut! Ohne daran zu denken, dass es wirklich einmal in Erfuellung gehen koenne,--denn der gerade Weg fuehrte zwei Meilen seitwaerts an Freilingen vorbei,--hatte er einmal in der Residenz in einem Anfall von galanter Laune der Graefin das Versprechen abgenoetigt, einmal auf ihrer Reise bei ihm einzusprechen. Und wie gluecklich fuegte es sich jetzt! Sie, die beim Herrn alles galt, die er behandelte wie seine eigene Tochter und der er alles zu Gefallen tat, sie, nach deren Wink die ersten Chargen sich richten mussten, die, ohne dass man es merkte, an ganz geheimen Faeden das Land regierte, sie besuchte _ihn_. Aber sie sollte auch gehalten werden, als waere sie in ihrem eigenen Hause, dass sie recht viel Schoenes und Gutes hoeheren Orts von ihm und seinem Hause sagen konnte. Kaum hatte sie geaeussert, sie finde Idas Zimmer im ersten Stock so huebsch, so musste das Fraeulein das Feld raeumen und in die zweite Etage wandern. Es kam dem Maedchen sauer an, als sie so die Plaetze wechseln wusste, und in ihrem traurigen, ahnungsvollen Herzen wollte es ihr beinahe beduenken, als sei dies eine schlimme Vorbedeutung. Und es war ihr auch gar nicht zu verdenken; sie hatte das Fenster mit der Estrade so gerne gehabt; dort sass sie am liebsten, dort las, dort arbeitete sie; sie durfte ja nur das Koepfchen ein wenig heben, Den blauseidenen Vorhang nur ein wenig aufheben, nur einen kleinen Viertelsseitenblick hinueberwerfen, so sah sie ja auch schon ihn; und jetzt sollte sie der verhassten Nebenbuhlerin, die ja offenbar nur gekommen war, um den Grafen in ihre Fesseln zu schlagen, jetzt sollte sie dem ueppigen Weib, die gewiss alle Kuenste der Fensterkoketterie aufbieten werde, ihr heimliches Plaetzchen am Fenster, ihr lauschiges Schlafstuebchen abtreten und dafuer, weiss Gott wie lange, in den weiten, unheimlichen Zimmern des oberen Stockes wohnen. Mit Seufzen richtete sie ihre kleine Haushaltung oben ein. Der Stickrahmen, die Staffelei, die Toilette, die paar Kistchen und Kaestchen waren bald gestellt; jetzt setzte sie einen Stuhl ins Fenster; sie probierte, ob man nicht auch von da in den ersten Stock des Mondes hinabsehen koenne; es ging wohl, aber sie sah nichts als die Wolken seiner Gardinen; er musste schon herausschauen, wenn sie ihn von diesem Platz aus zu Angesicht bekommen sollte, und das merkte sie schon, einen steifen Hals konnte sie sich fueglich gucken, wenn sie immer das Koepfchen hinabbog. "Doch was schadet das," laechelte sie, "das tu' ich ihm schon zu Gef--" Mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf; hatte sie recht gesehen? oder hatte ihr nur die Phantasie diese Gestalt--als sie von der Beletage des Mondes zurueckkehrte und ihr Blick zufaellig an den Fenstern des zweiten Stockes vorbeistreifte, erblickte sie--"Nein, was bin ich fuer ein Kind," dachte sie. "Wie, waere es moeglich? Was koennte er nur hier zu tun haben?" Sie wagte noch einen Blick--richtig; der Rittmeister von Sporeneck lag geradeueber von ihr im Fenster und bueckte und verbeugte sich herueber und tat und laechelte so vertraut und so freundlich, als haette er sie jahrelang gekannt. Voll Unmut ueber den Unverschaemten riss sie an der seidenen Schnur, welche den Vorhang am Fenster emporhielt, und rauschend rollte derselbe zwischen sie und den verhassten Luestling. Dieser Mann war ihr der widerwaertigste auf der Erde; er war ein schoener, kraeftiger Soldat, gebildet, von glaenzendem Witz, angenehm in der Unterhaltung; er wusste den Bescheidenen zu spielen, aber nicht laenger als ein paar Tage; dann--das Maedchen, das er belagerte, _musste_ ja in dieser Frist kirre gemacht sein--dann kehrte er seine wahre Seite heraus; sein Auge wurde luestern, seine Reden, lockend, schluepfrig, mussten jedes zarte, weibliche Ohr aufs tiefste beleidigen, wenn es nicht schon ganz fuer ihn gewonnen war. So hatte er sich auch Ida genaehert. Das unschuldige Kind hatte Gefallen an seinen Gespraechen, die ihr ein wenig mehr Gehalt zu haben schienen als die der uebrigen jungen Herren; sie ging oft in seinen Witz, in seine heitere Laune ein. Er aber hatte sich ein rasendes Dementi bei diesem Maedchen gegeben. Er hatte sie in _eine_ Klasse gerechnet mit den verdorbenen Kindern der Residenz, die, zur Jungfrau herangewachsen, unter dem Schleier der Sittsamkeit eine kaum verhaltene Luesternheit, ein suendiges Sinnen und Begehren verbergen. Diese hatte er immer bald aufs Eis gefuehrt, und waren sie nur einmal in einem Woertchen geglitscht und geschluepfert, husch--; so hatte er auch bei Ida endlich, nachdem er alle edlern Farben hatte spielen lassen, die herausgekehrt, die jede andere geblendet haette, aber vor dem strengen Blick der reinen Jungfrau nicht Farbe hielt. Mit Schanden, man sagt sogar mit einer tuechtigen Ohrfeige, war er abgezogen, erklaerte Ida ueberall fuer ein Gaenschen, schwor ihr bittere Rache und warf sich in die Arme der Aarstein, wo ihm ohne langweilige Praeliminarien bald wurde, was er bei Ida durch tausend Kuenste umsonst gesucht hatte. "Das ist aber auch zu abscheulich," dachte Ida, "so wenig sich zu genieren!" Denn dass die Graefin ihren Liebhaber mitgenommen, dass er auf keinem anderen Wege nach Freilingen gekommen sei, das hatte sie gleich weggehabt. Weiter dachte sich aber das gute unschuldige Kind nichts dabei. Sie kannte zwar die grundlose Schlechtigkeit der Aarstein so ziemlich, sie wusste, dass diese gekommen sei, um den Grafen zu gewinnen; aber das ahnete sie nicht, dass man den Rittmeister nur dazu mitgenommen haben koennte, um sie von Martiniz' Herzen loszureissen, um sie in eben jenem Lichte zu zeigen, in welchem sie die Graefin sah. Nein, an diesen wahrhaft hoellischen Plan dachte das engelreine Herzchen, das allen Menschen gerne ihr Gutes goennte, nicht. Und wie sollte sie auch daran gedacht haben? Sie glaubte ja gar nicht anders, als die Graefin koenne von ihrer Liebe zu Martiniz auch nicht die leiseste Ahnung haben; wusste ja sogar sie kaum seit Stunden, dass sie ihn so recht innig liebe, hatte sie ja doch all ihre Sehnsucht, all ihre Liebe recht tief und geheimnisvoll im Herzchen verschlossen, und niemand koenne, glaubte sie, da hinein sehen als vielleicht hoechstens Mart--ja, er musste ja gefuehlt haben, dass sie ihm gut sei, sonst haette er wohl nicht jenes Gestaendnis gewagt, dass er sie lie-- Aber da schellte es schon zum zweitenmal in des Vaters Zimmer; wahrhaftig, die Teestunde war da, und noch manches war zu ruesten; die Gedanken an Rum und Zitrone, Zucker und Tee, Milch und Broetchen, Tassen und Loeffelchen verdraengten alle andern; sie flog die Treppe hinab, um schnell alles zu ordnen. Dort stand schon Papa und fluesterte ihr zu: "Schicke dich nur; es sind allerhand Besuche da, und du koenntest leicht mehr Rum brauchen als das Bouteillchen da!" * * * * * TRAU--SCHAU--WEM? Als Ida in das Teezimmer trat, stellte ihr der Praesident--Nein, sie haette moegen gerade in den Boden sinken--"Siehe da, Ida," sagte er, "ein Bekannter von dir aus der Residenz, Herr von Sporeneck, hat uns diesen Abend mit seinem Besuch beehrt. Nun, das wird mein Kind freuen; wenn so einer von euch Herren in unser kleines Freilingen hereinkommt, ist es gleich ein Jubel und ein Fest fuer alle Maedchen, die nur einmal in der Residenz waren; da werden dann allemal in Gedanken alle Baelle und die kleinsten Touren noch einmal durchgetanzt und in der Erinnerung viel getollt; ich kenne das," setzte der freundliche Alte hinzu, indem er sein Toechterchen in die Wange knipp, "war auch einmal jung und kenne das." Er ging weiter und liess den Rittmeister vor Ida stehen. Diese wurde bald blass, bald rot und zitterte, als sollte sie gerade umfallen. Dieser Mensch, den sie so schnoede abgewiesen hatte, dieser konnte es wagen, in ihres Vaters Haus zu kommen! Sollte sie ihn nicht oeffentlich prostituieren, ihn einen impertinenten Menschen heissen und fortschicken? Doch nein, sie wusste, wie heilig das Gastrecht ihrem Vater war, sie wollte ihn schonen. So hing sie ihren Gedanken nach und bemerkte nicht, wie der Rittmeister schon seit einigen Minuten neben ihr stand und an sie hin sprach. Jetzt kam sie wieder zu sich--was musste nur der Graf denken, wenn sie so lange bei dem Menschen stand, mit welchem sie die Aarstein bei ihm so verdaechtig gemacht hatte! Ihre Augen suchten den Geliebten--er sass neben der Graefin; traulich hatte sie ihre Hand auf die seine gelegt, unverwandt sahen beide nach ihr und dem Rittmeister herueber--die Graefin mit hoehnischer Schadenfreude, mit triumphierendem Blick, der Graf starr und finster, als sehe er etwas, das er gar nicht fuer moeglich gehalten haette. Und so war es ihm auch; noch waren immer Zweifel in ihm aufgestiegen, ob denn auch wirklich alles so sei, wie die Aarstein gesagt hatte, wie sein Misstrauen ihm zufluesterte; zwar das Hiersein des Rittmeisters--doch er konnte ja auch in Geschaeften an das hiesige Regiment geschickt worden sein; dann die Zumutung, ihm ein Zimmer Ida gegenueber abzutreten--nun ja, das war allerdings stark, und der boese Geist wollte ihm zufluestern, dass dies schon sehr viel beweise. Aber sein besserer Sinn siegte doch wieder; das alles bewies ja nur hoechstens, dass der Rittmeister in Ida verliebt sei; von ihrer Seite hatte er ja keinen Beweis gesehen. Aber recht Achtung wollte er geben auf Ida; das war sein Entschluss gewesen, als er durch die hellerleuchtete Enfilade von Praesidents Zimmern ging. Er war heute einer der ersten und in den hohen, weiten Zimmern beinahe niemand, den er naeher kannte oder mit welchem er in ein Gespraech sich haette einlassen moegen. Daher ging er allein und in tiefen Gedanken durch die Zimmer. Da tippte es ihm leise auf die Schultern. "Wenn das Ida" dachte er; er sah sich freundlich um--es war die Graefin. Sie verwickelte ihn bald in ein Gespraech, aus welchem er sich nicht so bald herauswirren konnte. Das Fatalste war, dass er dem Redegang der Graefin Plapperinsky immer folgen musste, um nicht zerstreut zu erscheinen, und doch ging ihm immer der Rittmeister und sein Logis im Kopf herum. "Nein, aber sagen Sie selbst, Graf," fuhr sie fort, nachdem sie in einer Pause wieder Altem geschoepft hatte, "sagen Sie selbst, kann man artiger und aufmerksamer fuer seine Gaeste sein als Ida? Denken Sie sich, meine Coffres und Vachen waren schon in den obern Stock gebracht worden; es wohnt sich dort ganz huebsch; zwar sind die Zimmer nicht so elegant eingerichtet wie hier unten; doch Sie wissen selbst, auf Reisen macht man keine so grossen Ansprueche, besonders wenn man so schnell und unangemeldet kommt wie ich. Ich war also schon ganz zufrieden in meinem Sinn und liess auspacken. Da kommt das gute, liebe Engelskind, denken Sie sich, und ruht nicht eher, bis ich von ihrem schoenen Boudoir, Schlafzimmerchen und allem hier unten Besitz nehme, und sie selbst zieht in ihrem Edelmute hinauf in den obern Stock. Nein, sagen Sie selbst, kann man die Gastfreundschaft weiter treiben als die gute Ida?" "Sehr viel, sehr viel!" presste Emil heraus; es war ihm, als schnuerte ihm etwas die Kehle zusammen, als ob eine eiskalte Hand ihm in die Brust fuehre und das warme, liebe gluehende, treue Herz umdrehte und schmerzlich hin- und herreisse. Jetzt war es ja sonnenklar, entschieden war jetzt die fuerchterliche Verstellungskunst dieser----Dirne, die so schaendlich mit ihm gespielt hatte; dass zwischen dem Logis des Rittmeisters und ihrer ungemeinen Gefaelligkeit gegen die Graefin ein geheimer Zusammenhang stattfand, konnte ein Blinder sehen. Er lachte; es war das Lachen der Verzweiflung, und die ganze Hoelle lachte aus ihm heraus. "Wahrhaftig, ein grosses Opfer," sagte er mit schrecklicher Lustigkeit zu der Graefin, "eine ungeheure Grossmut, die ganz allein aus der allerausgedehntesten _Naechsten_liebe und _Gast_freundschaft hervorgeht!". Die Graefin Aarstein-Satanas wusste wohl, dass sie sein Herz mit gluehenden Zangen zwickte, wusste auch nur gar zu gut, woher die Logisveraenderung kam; aber so vollstaendig, so schnell hatte sie sich ihren Sieg, ihren hoellischen Triumph nicht vorgestellt. Sie hatte ja nie so recht geliebt; sie wusste daher auch nicht, dass die staerkste, gluehendste Liebe zugleich die schwaechste und empfindlichste ist. Jetzt kam auch der Rittmeister, der mit Empfehlungen an den Praesidenten reichlich versehen war. Der Graf bebte zurueck vor ihm. Dieses gierige Auge, dieses hoehnische Laecheln, diese falsche, schlaue, lauernde Miene, so ganz ohne hoehere Bedeutung, ohne edlere Zuege--diesen Menschen konnte Ida lieben? Er haette jedem unter die Nase gelacht, der ihm so etwas vor zwei Tagen, als er noch an die Engelsunschuld des lieben Maedchens glaubte, haette weismachen wollen. Er haette jeden einen Schurken geheissen, der _dieses_ heilige, keusche Geschoepf mit diesem Mann, in dessen Gesicht schon alle Leidenschaften gewuehlt hatten, nur im leisesten Verdacht gehabt haette.--Jetzt musste er ja selbst daran glauben. Wie ein Kind liess er sich von der Aarstein leiten; sie zog ihn zu sich nieder, sie spielte die Verwunderte, den Rittmeister hier zu sehen, sie liess manche giftige Bemerkung schluepfen --er hoerte nichts, er sah nichts; nur ein Gedanke beschaeftigte ihn: er wollte recht haarscharf acht geben, wenn sie kaeme, wie sie sich gegen Sporeneck benehmen wuerde. Die Tuere ging auf, sie kam. An der Hand des Vaters ging ihr der Geliebte entgegen, er sah, wie sie ihr Entzuecken unterdrueckte, wie Blaesse und Roete auf ihrem Gesicht wechselten, wie sie ganz versunken in Liebe dem Rittmeister zuhoerte, und wie gluehende Dolche fuhr die bitterste Eifersucht durch sein Herz.--"Sehen Sie nur hin, Graf," fluesterte ihm die Aarstein ins Ohr, "sehen Sie nur, wie gluecklich die Leutchen dort sind! Das ist ein Erzaehlen, das ist eine Wonne, dass man einander nach ein paar Wochen wieder hat. Dass sie sich nicht auf der Stelle abherzen und kuessen, ist alles!" Dem Grafen wuerde gruen und gelb vor den Augen.--Jetzt nahte Ida, der Gesellschaft am Teetisch ihr Kompliment zu machen. Die Roete des Unmuts und der Verlegenheit lag noch auf dem Gesichtchen und gab ihm einen so eigenen Reiz, dass der Graf nur um so tiefer fuehlte, wie schrecklich sich hier die Natur vergriffen und um ein so falsches, zweideutiges Herz eine so herrliche Gestalt gezogen. Warum sie gerade ihr, die es so gar nicht verdiente, diese sanften Taubenaugen, dieses holde Gruebchen in den Wangen, dieses bezaubernde, huldvolle Laecheln gegeben? Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft; die Graefin drohte ihr laechelnd mit dem Finger; sie erroetete von neuem. Sie musste noch die Zuckerdose herbeiholen; sie haette einen viel naeheren Weg gehabt, aber sie machte einen Umweg an Martiniz vorueber; er wagte nur einen leichten Viertelsseitenblick--auf ihn war ihr strahlendes Auge gerichtet, ihm laechelte sie, ihm fluesterte sie im Vorbeigehen kaum hoerbar zu: "Guten Abend, Freund! Warum so ernst und duester?" Er fuehlte den suessen Hauch an seiner Wange; ein solcher Gruss haette ihn sonst bis in den dritten Himmel erhoben, ein solches Zauberwort haette sonst alle Wolken von seiner Stirne gebannt und die traurigsten Falten geebnet. Heute--er blieb starr und stumm. Nein, eine solche Erz-General-Armee-Kokette musste es ja auf dem weiten Erdenrund nicht geben! Ist fuenf Minuten ausser sich, weil sie den alten Liebhaber wiedersieht, und um es doch mit dem neuen nicht zu verderben, fluesterte sie ihm--nein! jetzt sprudelte das Mass ihrer Schuld ueber. Der reine, wahrheitsliebende Juengling konnte ihr verzeihen, dass sie einem so zweideutigen Menschen, wie dieser Sporeneck offenbar sein musste, ihr Herz schenkte; er konnte ihr verzeihen, obgleich es ihm das Herz brechen wollte, dass sie mit ihm ein so grundfalsches Spiel gespielt hatte; er konnte es der schwachen weiblichen Natur beimessen, dass sie sich, als der alte Liebhaber nahte, so ungeheure Bloessen gab,--er konnte dies alles verzeihen. Dass sie aber auch jetzt noch ihr Spiel fortspielen wollte, dass sie Zweien auf einmal gehoeren wollte, nein, das ging ueber seine Begriffe. Er musste, seine Natur mochte sich dagegen straeuben, wie sie wollte, es war ihm, als muesse er sie verachten. Aber sie hatte recht, obgleich in einem andern Sinn. Seine Ehre forderte es, dass er nicht dasass wie ein armer Suender, ueber welchen der Stab gebrochen wurde. Wenn auch besiegt, durfte er nicht traurig aussehen. Er wollte, er _musste_ lustig sein, und sollte sein Herz dabei aus allen Wunden bluten. Der Hohn gegen die ganze Welt, der in der Brust des Tiefgekraenkten aufstieg, gab ihm Kraft dazu. Eine Lustigkeit bemaechtigte sich seiner, die er seit Jahren nicht gekannt hatte. Er riss das Gespraech an sich, er strahlte von Witz und Leben, dass alle weiblichen Herzen dem herrlichen Mann, dem schoenen, witzigen Grafen zuflogen. Allen galt sein Gespraech; sein feuriges Auge schien jeder Dame etwas Schoenes sagen zu wollen, ausschliessend aber galt es der Graefin. Er wusste selbst nicht, was ihn antrieb, ihr so sehr als moeglich den Hof zu machen; aber es war ein dunkles Gefuehl in ihm, als muesse es Ida recht tief verletzen, wenn er die Graefin so sehr auszeichne, wenn er alle Damen fuer sich gewinnen wollte und ihr, ihr allein keinen Blick, kein Laecheln goennte, nicht einmal zu hoeren schien, wenn sie hie und da ein Woertchen mit einschluepfen lassen wollte. Und in der Tat erreichte er seinen Zweck voll--kommen; er hatte es getroffen, tief bis ins innerste Leben getroffen, dieses treue Herz, das nur fuer ihn, mit dem Feuer der ersten jungfraeulichen Liebe nur fuer ihn schlug! Ihr Blick hing an seinen Lippen; sie freute sich anfangs, dass er so froehlich sei, sie glaubte nicht anders, als die paar Woertchen die sie ihm zufluesterte, haben ihn aus seiner finstern Laune hervorgezaubert; ihr kleines Herzchen triumphierte. Als sie aber sah, wie er sich an alle wandte, nur an sie nicht, wie auch nicht ein Blick der Freundin galt, wie er nur fuer die Aarstein zu leben schien, als sie seinen schneidenden Hohn, die grelle Lustigkeit, den schillernden Witz, der ihm sonst gar nicht eigen war, bemerkte, da ahnete ihr wohl, dass ihm jetzt ein anderes Gestirn aufgegangen sein muesse, das seinen Einfluss auf ihn uebe. Und wer konnte dies sein als die, die ihr von jeher feindlich entgegengetreten war--die Aarstein! Der Glanz der ueppigen Rose hatte ihn geblendet,--was konnte es ihm auch ausmachen, dass er nebenbei das Veilchen zertrat? Sie klagte nicht, sie weinte nicht; aber eine furchtbare Blaesse lag auf dem holden Engelsgesichtchen, ein wehmuetiges Laecheln spielte um ihren Mund; sie sah ja alle die leise geahnten Hoffnungen ihres Herzens; die sie, ach! nur in einem einzigen seligen Augenblicke, recht klar sich gestanden hatte, sie sah sie alle mit _einemmal_ versinken und--mit dem Freunde untergehen. Von Anfang war es ihr noch, als flattere eine Art aengstlicher Eisersucht in Gestalt einer Fledermaus durch den kaum daemmernden Morgenhimmel ihrer Liebe. Dann aber war alles stille Nacht in ihr. Es blieb ihr nichts mehr als ein grosser Schmerz. Sie fuehlte, dass sie diesen ewig, ewig in ihrem treuen BUSEN tragen werde. * * * * * DER GRAM DER LIEBE Wie es an jenem Abend war, ebenso war es auch in den naechsten Tagen. Der Hofrat haette vielleicht alles bald wieder ins Gleis bringen koennen; aber das Unglueck wollte, dass er in wichtigen Angelegenheiten an demselben Abend verreisen musste, an welchem die Graefin ankam. Die Graefin schrieb, so oft sie es unbemerkt tun konnte, an den Rittmeister in den Mond hinueber und spornte ihn an, Ida nur noch immer mehr zu verfolgen. Nach den letzten Briefen schien es zwar wegen ihr selbst nicht mehr noetig zu sein, weil sie den Grafen schon so umgarnt zu haben glaubte, dass an kein Entrinnen zu denken sei. Dem war aber nicht also. Dem Grafen, der nur durch die Brille der Eifersucht sah, wollte es trotz seiner Resignation fast das Herz abdruecken, dass Ida in solchen Verhaeltnissen mit dem Rittmeister sei. Wenn er bei Praesidents war--ach, es war ja nicht wie ehemals; sonst war sie ihm wohl bis an die Treppe entgegengesprungen, hatte mit lachendem Mund ihn geneckt oder ihm eine neue Schnacke aufgetischt, hatte ihn dann unter Tollen und Lachen hereingezogen ins Zimmer; dort war dann das Maeulchen gegangen wie ein oberschlaechtiges Muehlchen, und keine fuenf Minuten hatte sie ruhig sitzen koennen, ohne dass sie aufgesprungen waere, dort was zu holen, hier was zu zeigen; und welche Freude gewaehrte es dann, das Maedchen dahinhuepfen zu sehen! Ihr Gang war dann Tanz, alles war Leben, alles Grazie und Anmut; es war, wie wenn ueber die ganze Gestalt ein zauberisches Laecheln gewoben gewesen waere, und jetzt--und jetzt! Kalt und ernst sah sie ihn an, wenn er kam; oft wollte es ihn zwar beduenken, sie setze schon an, um ihm wie sonst entgegenzuhuepfen, da musste sie aber wohl an den Sporenecker denken; denn sie neigte sich so abgemessen, als waere er ihr ganz und gar fremde; oft kam es ihm sogar vor, als liege etwas so Wehmuetiges in dem lieben Gesichtchen, das er sich nicht anders erklaeren konnte, als dass es sie reue, ihn so am Narrenseil gefuehrt zu haben, dass sie sich schaeme, so unverhofft demaskiert worden zu sein. Zu Zeiten wuenschte er sich auch den Hofrat herbei, um mit ihm ueber das Maedchen und seine grenzenlose Koketterie zu sprechen. Dass doch die Maenner gewoehnlich so grausam sind und nicht sehen, was so offen vor den Augen liegt! Sie lesen in Taschenbuechern und Romanen alle Folgen ungluecklicher, verschmaehter Liebe, alle Zeichen eines gebrochenen Herzens; sie koennen es sich auch in der Phantasie recht lebhaft vorstellen, wie ein gutes, liebes Engelskind mit einem vom Gram der Liebe gebrochenen Herzen aussehen muesse, sie nehmen sich vor, das nicht zu vergessen; aber wenn es drauf und dran kommt, wenn sie selbst aus Uebermut oder toerichter Eifersucht ein schoenes, nur fuer sie schlagendes Herz gekraenkt, geknickt, gebrochen haben, da merken sie es nicht, sie koennen sogar noch ein recht unglaeubiges Hohngelaechter der Hoelle aufschlagen, wenn man ihnen die stille Traene im trueben Auge, den wehmuetig ansprechenden Zug um den Mund zeigt, wenn man sie aufmerksam macht auf die immer bleicher werdenden Wangen. "Da wird man seine Gruende haben." lachen sie und gehen ungeruehrt vorueber und denken nicht, dass man auch ohne Doktor und Apotheker am gebrochenen Herzen sterben koenne. Die Eifersucht macht blind; nirgends schien dieser Ausspruch besser in Erfuellung zu gehen als hier bei Martiniz und Ida. Fuer ihren traenenschweren Blick, fuer ihren wehmuetigen Ernst wusste er tausend Gruende anzugeben, wusste sich mit wieder tausend Vermutungen zu quaelen und zu haermen; die rechten fand er nicht. Es war eine wunderbare Veraenderung vorgegangen mit diesem Maedchen in den paar Tagen. Sonst das Leben, die Froehlichkeit selbst, jetzt ernst und abgemessen. Die bleicheren Wangen, das truebere Auge, das ja so deutlich von traenenvollen Naechten, von gramerfuellten Traeumen sprach, wollte niemand verstehen, am wenigsten der, um welchen diese stillen Traenen flossen. Es war ihr oft zu Mut, als sollte sie nur eben die heissen, ausgeweinten Augen zuschliessen und sich in das Grab legen lassen; dort, wenn die Erde so kuehl um die vier Bretter und zwei Brettchen, welche die arme Ida umschliessen, sich legen werde, dort, wo sie nicht mehr gefoltert werde von dem Anblick, wie ihr geliebter Juengling naeher und naeher, enger und enger in die Schlingen jener Sirene sich verwickle,--dort, dachte sie, muesse es gut schlummern sein. Denn das war ihr ja das aergste nicht, dass sie zurueckgesetzt war; nicht dass sie es war, die er verliess, um sich dem Triumphzug der allgemeinen Siegerin anzuschliessen, nicht das brach ihr das Herz. Zwar, es hatte ihr Muehe und Traenen gekostet, bis sie es dahin gebracht hatte, dass sie nicht mit Bitterkeit daran dachte, dass er, als kaum das Gestaendnis seiner Liebe ueber seinen Lippen war, schon andern Sinnes sein konnte; aber sie hatte ueberwunden; sie war tief in sich eingekehrt; aus den geheimnisvollen, unergruendlichen Tiefen der heiligen jungfraeulichen Brust hatte sie Mut heraufgeholt, um den Gedanken zu ertragen, dass der, den sie liebe, einer andern angehoeren koenne. Aber dagegen straeubte sich mit aller Macht ihr keusches, braeutliches Herz, dass er _jene_, auf welche die Kinder in der Residenz mit Fingern deuteten und sich ihre Schandtaten erzaehlten, dass er an _jene_ verloren gehen sollte. Waere er ein Mann gewesen, der frech mit ihrem armen, unerfahrenen Herzchen gespielt haette, sie haette es ertragen, dass er bei der Graefin dafuer buessen sollte; aber Emil,--ihr feiner, weiblicher Takt, der darin so weit und so scharf sieht, sagte ihr, dass er noch ein Neuling in der Liebe sei, dass er sein Herz frei bewahrt, bis sie ihn kennen gelernt habe, dass sie seine erste Neigung gewesen sei; und doch--er, der so namenloses Unglueck schon erduldet hatte, auch er sollte durch dieses Weib ungluecklich werden? Ach, wie oft wuenschte sie sich ihren alten Freund, den Hofrat, herbei! Ihm haette sie alles, alles vertraut, auch jenen Augenblick der seligen Liebe, wo er ihr gestand, dass er sie liebe, wo er sie umschlang und an sein pochendes Herz drueckte, wo er sie mit den suessesten Schmeichelnamen der Zaertlichkeit genannt, wo ihr Mund sich schon zum ersten heiligen Kuss der Liebe ihm entgegengewoelbt hatte. Dies _alles_ war ja laengst vorueber, war begraben, tief, tief in ihrem Herzen, mit aller Hoffnung, aller Sehnsucht, die es einst erweckt hatte; aber Berner durfte es wissen, ihm haette sie alles gesagt und ihn dann zum warnenden Schutzgeist fuer den Grafen aufgerufen. Aber er war noch nicht zurueck; darum verschloss sie ihren Schmerz in die Seele; aber mit Angst und Zittern sah sie, wie der Graf um die Aarstein flatterte wie die Fliege um das Licht. Alle Beispiele von den sinnlichen Lockungen dieser Sirene, die man sich in der Residenz in die Ohren gefluestert, fielen ihr bei; wie leicht konnte er in einem unbewachten Augenblick, hingerissen von den verfuehrerischen Reizen der ueppigen, buhlerischen Dame Potiphar--sie erroetete von dem Gedanken und presste die Augen zu, als sollte sie was Schreckliches sehen. Wenn etwas solches geschah--dann war er der Graefin und dem Satan auf ewig verschrieben. * * * * * FEINE NASEN. So verdeckt hier jedes sein Spiel spielte, so geheim alle diese Faeden gesponnen, angeknuepft und nach und nach zu einem dichten Gewebe verschlungen werden, so merkte man doch hin und wieder, was vorging. Fraeulein Sorben und die alte Schulderoff wurden von Tag zu Tag durch die getreuen Rapporte des Rittmeisters von Sporeneck ueber den Stand der Dinge belehrt. Ihre scheelblickenden Augen glaenzten vor Freude, wenn sie wieder neues erfuhren. Der Graf war ihnen ein verlorener Posten, den Fraeulein Ida weder mit Traenen, noch Gebet wieder heraushauen koennte. Nichts war ihnen aber groesseres Labsal als das Fraeulein von der traurigen Gestalt selbst, wie sie Ida nannten. Dass sie ernster, blaesser, trueber war als sonst, war weder ihrem, noch des Rittmeisters Scharfblick entgangen, und eine wahrhaft teuflische Schadenfreude, die sich in einem vierstimmigen Gelaechter Luft machte, befiel sie, als Sporeneck erzaehlte, dass er sie durch seinen Tubus, mit welchem er hinter seinen Gardinen nach Idas Fenster visierte, bitterlich habe weinen sehen. Aber Fraeulein von Sorben sorgte auch dafuer, dass Ida in ihrer Verzweiflung sich nicht dem Rittmeister in die Arme werfen konnte; sie hatte alle ihre Geistes- und Koerperreize teils vor ihm entfaltet, teils durchschimmern lassen, und ihrem scharfsinnigen Auge konnte es nicht verborgen bleiben, dass er ganz bezaubert davon war. Es ist nur schade, dass er auf die Liebe so trefflich eingeschult war, dass er sechs oder acht der zaertlichsten Liebschaften zumal haben konnte und jede die Betrogene war. So hatte also die beleidigte Dame dem naseweisen Backfisch, der sich erdreistet hatte, in ihrer Gegenwart Grafen in sich verliebt zu machen, zwei Liebhaber auf einmal weggeputzt. "Da kann man sehen," sagte sie zu sich, "was die Routine macht. Das armselige Ding ist kaum sechzehn Jahre gewesen, ich habe sie noch in den Windeln gesehen, und sie will sich mir gleichstellen! Aber das Affengesicht hat jetzt seinen Lohn, man hat dem unreifen Ding den Mund sauber abgewischt, hat ihr die verliebten Aeugelein ausgeputzt, dass sie sieht, dass in der ganzen Welt vierundzwanzig vor sechzehn kommt." Aber auch der alte Brktzwisl, die gute ehrliche Seele, hatte das Ding so ein wenig gemerkt. Als sie damals mit einander aus der Kirche gekommen waren--seitdem hatte der schreckliche Wahnsinn seinen Herrn kein einziges Mal mehr befallen--damals hatte er sich ein Herz gefasst und zu dem Grafen gesagt: "Wie doch das Fraeulein so huebsch, so tausenddonnernett aussah am Altar. _Bassa manelka_, wie muesste sie erst aussehen bei Tag und als Braeutchen--!" Dem Grafen schien der Gedanke nicht uebel einzuleuchten; denn er hatte zufrieden gelaechelt und gesagt: "Nun, was nicht ist, kann noch werden." Er aber hatte sich folgenden Tages gleich hingesetzt und an den alten Herrn Grafen geschrieben: "So und so, und dem gnaedigen Fraeulein und sonst auf Gottes weitem Erdboden niemand ist man die Rettung meines Herrn schuldig. Es kann aber auch in sechs Herrenlaendern kein solches Wunderkind mehr geben. Die selige Komtesse war doch auch nicht, mit Respekt zu vermelden, aus Bohnenstroh; aber, Gott weiss, sie reichte dem schoenen Fraeulein das Wasser nicht. Und vornehm sieht sie aus, als waere sie allerwenigstens ein Stueck von einer Prinzess. Der junge Herr ist aber auch rein in sie verschossen, und ich meine, dass es nicht menschenmoeglich gewesen waere, ihn zu kurieren, ausser durch so grosse Inbrunst und Liebhaberei. Das hat ja auch schon der deutsche Doktor prophezeit, wie ich Euer Exzellenz, meinem gnaedigsten Herrn Grafen, vermeldet habe." So lautete die Freuden-Epistel an den alten Onkel, worin die Errettung vom Wahnsinn gemeldet werde. Die Freude wollte dem alten Diener beinahe die Herzkammertuere zersprengen, bis er die Buchstaben alle aufs Papier gemalt hatte. Bisher hatte er allwoechentlich Bericht erstatten muessen. Da hatte es denn aus Italien, Frankreich, Holland, vom Genfersee, am Rhein, an der Seine und an der Nordsee immer geheissen: "Der Herr Graf befindet sich noch im alten Zustande."--"Die Krankheit scheint zuzunehmen."--"Die Aerzte wussten wieder nichts."--"Die Aerzte geben ihn auf." Hier, in dem unscheinbaren Staedtchen, hier endlich sollte das Heil, der Stern des Segens aufgehen. Er konnte sich die Freude des alten Herrn denken, der so ganz an Emil wie an einem Sohn hing; er sah schon im Geiste, wie der Herr Graf laecheln, die Haende reiben und rufen werde. "Nun, in Gotts Namen, macht Hochzeit!" Aber jetzt musste der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt haben; denn sein Herr--der sah gar nicht mehr so gluecklich und selig aus wie damals, als jene Freudenbotschaft abging--er war niedergeschlagen, traurig; fragte der alte Brktzwisl, dem aus alten Zeiten eine solche Frage zustand, was ihm denn fehle, so erhielt er entweder gar keine Antwort, oder der Graf stoehnte so schmerzlich, dass es einen Stein haette erbarmen moegen, und sagte, dabei: "Du kannst mir doch nicht helfen, alte Seele!" Es wollte ihm nun gar nicht recht gefallen; er kluegelte hin und her, was es denn wohl sein koenne, das seinen Herrn auf einmal so stutzig und trutzig mache--da ist ein Gast drueben bei Praesidents, eine Grosse, Dicke, so halb Jungfer, halb Frau, hat die vielleicht Unkraut gestr-- Ja, das konnte sein, das schien dem alten Brktzwisl sogar wahrscheinlich; wenn er aber dieser nachlief und das schoene Fraeulein im Stich liess-- nein, er wollte seinem Herrn nichts Boeses wuenschen, aber da soll ihm doch das siedende Donnerwetter auf den Leib--er schlug zu diesem Gedanken so grimmig auf seines Herrn Rock zu, den er im Hausgang ausklopfte, dass der Staub in dichten Wolken umherflog. "Ja, da wollte ich," rief er in seinem Selbstgespraech weiter und klopfte immer schrecklicher, "wenn du die dicke Trutschel nimmst und das schoene Fraeulein, die dich aus den Klauen des schwarzen Teufels herausklaubte, wenn du die fahren laesst, alles siedende Schwefelpech des Fegefeuers soll dich dann kreuzmillionenmal--" "Wen denn?" fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Er sah sich um und glaubte nun gleich in den Boden sinken zu muessen. Ein grosser aeltlicher Mann, mit seinen, klugen Gesichtszuegen, in einem schlichten Reiseueberrock, dem nur ein vielfarbiges Band im Knopfloch einige Bedeutung gab, stand vor ihm. "Alle guten Geister!" stammelte endlich Brktzwisl, indem er den Fremden noch immer mit weit Aufgerissenen Augen anstarrte--"wie kommen Ew. Ex--" "Halt jetzt dein Maul von dergleichen!" sagte der Herr mit dem Ordensband freundlich, "ich reise inkognito und brauche diesen Firlefanz nicht; wo ist dein Herr?" Starr und stumm bueckte sich der alte Diener mehrere Male, fuehrte dann den fremden Herrn den Korridor entlang zur Tuere seines Herrn, erwischte dort noch einen Rockzipfel, kuesste diesen mit Inbrunst und sah zu seiner grossen Herzensfreude, wie sein junger Herr mit einem Ausruf der Freude dem Fremden in die Arme sank. Der Fremde war aber niemand anders als----Doch gerade faellt uns ein, dass der Herr, wie er sich gegen Brktzwisl aeusserte, inkognito reiset, und es waere daher auch von uns hoechst indiskret, wenn wir dieses Inkognito frueher verrieten, als der fremde Herr selbst fuer gut findet, es abzulegen. * * * * * DER HERR INKOGNITO. Ein stiller, aber scharfer Beobachter erschien jetzt auf dem Schauplatz; es war der fremde Herr, den der Graf unter dem Namen eines Herrn von Ladenstein bei dem Praesidenten einfuehrte. Die Empfehlung eines Hausfreundes, wie der Graf war, haette schon hingereicht, ihn in diesem Hause willkommen zu machen; aber die vom Alter noch nicht gebeugte Gestalt des alten Herrn voll Wuerde und Anstand, sein sprechendes Gesicht erwarben ihm Achtung, und als vollends der Praesident, ein Kenner in solchen Dingen, das Theresienkreuz auf seiner Brust wahrnahm, stieg seine Achtung zur Verehrung. Er wusste, dass, wer dieses Zeichen trug, ein Ritter im vollen Sinn des Wortes war und dass ein solcher sich gewiss einer Tat ruehmen durfte, die nicht die Laune des Gluecks oder Hohe Protektion zu einer glaenzenden erhoben, sondern die, _aufgesucht_ unter der Gefahr, hohen Mut und tiefe Einsicht bewaehrte. Vorzueglich Ida fuehlte sich von diesem Mann wunderbar angezogen. Seit der Spannung zwischen ihr und Martiniz hatte sie immer mit geheimem Widerwillen der Teestunde, sonst ihre liebste im ganzen Tag, entgegengesehen. Der Graf kam entweder gar nicht, oder sehr spaet, oder unterhielt er sich mit der Aarstein. Die Sorben und andere dergleichen Fraeulein und Damen kamen ihr schal und langweilig vor, dass sie glaubte, nicht eine Stunde bei ihnen sitzen zu koennen; der Rittmeister, dessen Geschaefte beim hiesigen Regiment noch immer nicht zu Ende gehen wollten, war ihr am fatalsten von allen. Sein erstes war immer, dass er sich mit seinem Stuhl neben sie draengte und dann so bekannt und vertraut tat, als waeren sie Zeltkameraden; er half ihr Tee einschenken, Arak und Milch umherreichen und verrichtete alle jene kleinen Dienste, die einem beguenstigten Liebhaber von seiner Dame erlaubt werden. Dabei nahm er sich oft die Freiheit, ihr in die Ohren zu fluestern, aber die gleichgueltigsten Dinge, etwa: ob sie noch mehr Milch oder noch mehr Zucker beduerfe, sah aber dabei aus, wie wenn er die zaertlichste Liebeserklaerung gewagt haette. Daher kam ihr der alte Ladenstein sehr zu statten. Sie sorgte dafuer, dass er neben sie zu sitzen kam, und nun durfte sie doch fuer diesen Abend sicher sein, dass der Rittmeister nicht ihr Nachbar wuerde. Und wie angenehm war seine Unterhaltung! Alles, was er sagte, war so tief und klar gedacht, so angenehm und interessant, und trotz seines grauen Haares, trotz seiner sechzig Jaehrchen, die er haben mochte, war eine Kraft, ein Feuer in seinen Reden, das einem Juengling keine Schande gemacht haette. Aber auch dem alten Herrn schien das Maedchen zu behagen; sein ernstes Gesicht heiterte sich zusehends auf, seine lebhaften Augen werden glaenzender--solch ein Maedchen hatte er selten getroffen, und er war doch auch ein bischen in der Welt gewesen. Diesen klaren Verstand, dieses richtige Urteil, diese Gutmuetigkeit neben so viel Humor und Witz--er war ganz entzueckt. Und ueberall war sie zu Haus; er bewunderte die wunderherrlichen Blumen, die sie machte; man kam von diesen auf die natuerlichen Blumen, auf seltene Pflanzen. Er beschrieb ihr eine Blume, die so wunderschoen aussehe und die sich zu Girlanden gar huebsch ausnehmen wuerde, aber der Name fiel ihm nicht ein. Kaum hatte er die Form der Blaetter erwaehnt, so sagte sie ihm auch schon, dass die Blume _Calla aethiopica_ heissen muesse, weiss bluehe und auch aethiopische Drachenwurz genannt werde. Er bekam ordentlich Respekt vor dem holden Kind, das so gelehrt sein konnte; aber da war nicht jenes Prahlen mit Kenntnissen, das man bei gelehrten Damen so oft findet. Nein, als die Blume abgemacht war, sprach sie auch kein Woertchen mehr von Botanik, und es war, als habe sie nie davon gesprochen. Er kam auf die neueste Literatur und pochte da an; wahrhaftig, sie hatte alles gelesen, und zwar nicht nur, was man so aus Leihbibliotheken bekommt oder in einem Almanach findet; nein, sie hatte interessante Geschichtswerke gelesen und eigentlich studiert. Aber auch daraus machte sie nichts Grosses. Je wichtiger das Werk war; desto bescheidener war ihr Urteil, und dabei tat sie so unbefangen, als ob jedes Maedchen dergleichen gelesen haette. Und als sie auf auslaendische Literatur kamen, als sie von Lord Byron, seinen herrlichen Gedichten und seinem ungluecklichen Ende sprachen, als der alte Herr mit dem Theresienkreuz ihn dennoch gluecklich pries, weil sein Geist sich hoeher als alle andern geschwungen, weil er den Menschen und die ganze Natur so tief erkannt habe, da antwortete ihm--nein, es ging ueber seine Begriffe-- antwortete ihm die kleine Wetterhexe mit Byrons eigenen Worten, als haette sie seinen Manfred eben erst gelesen: "The tree of knowledge is not that of life." [1] Er war ganz selig, der alte Herr; ein solches Maedchen hatte er in vielleicht zwanzig Jahren nicht gefunden. Und das schnepperte und bepperte mit seinem lieben huebschen Schnaebelchen so unschuldig in die Welt hinein, das blickte ihn mit seinen frommen Taubenaugen, in welchen doch wieder ein wenig der lose Schalk sass, so wundervoll an! Er war ganz weg und dankte dem Grafen tausendmal, als sie wieder in den Mond zurueckgekommen waren, dass er ihn mit einem so interessanten Geschoepf bekannt gemacht habe. [Fussnote 1] Erkenntnisbaum ist nicht des Lebens Baum. * * * * * EMIL AUF DER FOLTER. Dieser sah ihn wehmutig an und seufzte. "Glauben Sie mir," sagte er, "auch ich war einst erfuellt von diesem Himmelskind; auch mir war sie eine Erscheinung wie aus Jenseits, wie des grossen Dichters Maedchen aus der Fremde; ich sah, wie sie mit ungetruebtem Frohsinn und dennoch mit einer Wuerde, einer Hoehe jedem eine Gabe reichte; mir, waehnte ich, mir habe sie der Gaben schoenste aufbewahrt--ach! da gewahrte ich, dass schon ein anderer diesen Kranz zerpflueckt--" "Nein, ich kann's nicht glauben," rief der ehrwuerdige Theresienritter; "dieses Maedchen kann nicht so niedrig denken, kann nicht das tiefe, herrliche, jungfraeuliche Herz an einen Windbeutel verlieren, wie der Sporeneck ist, dessen seichtes Wesen, dessen Gemeinheit ihr ja gleich den ersten Augenblick nicht verborgen bleiben konnte!" "Aber, mein Gott," rief Emil ungeduldig, "habe ich Ihnen nie gesagt, was mich die Graefin merken liess, was ich mit eigenen Augen sah? Nehmen Sie doch nur zum Beispiel, dass sie ihm gleich in den obern Stock nachzog, um ihn recht vis-a-vis zu haben--" "Beweist viel, recht sehr viel, und doch wieder nichts, gar nichts; denn ein so kluges Maedchen wie die Ida traegt ihre Liebe nicht so schamlos zur Schau." "Aber die Graefin sagt mir ja, die Graefin--" "Eben die Graefin sagte dir alles, Freundchen, und eben der Graefin traue ich nicht; dazu habe ich meine vollkommen gegruendeten Ursachen. Ich habe sechzig Jahre in der Welt gelebt, du erst deine zwanzig; darum darf ich auch meinem Blick trauen; denn ich bin unparteiisch und schaue nicht durch die gruene Konversationsbrille der Eifersucht. Ich habe diesen Abend Dinge gesehen, die mir gar nicht gefielen; doch der Erfolg wird lehren, dass ich recht hatte." So sprach der alte Theresier mit dem Grafen; doch auf ihn schien es wenig Eindruck zu machen; denn er murmelte. "Weiss alles, und ist alles gut, wenn nur der verdammte Rittmeister nicht waere!" * * * * * DER RITTMEISTER. Was doch oft an einem kleinen, unscheinbaren Zufall das Glueck der Menschen haengt! So fragte an diesem Abend der Kellner die beiden Fremden, ob sie unten an der Tafel oder hier oben in ihren Appartements speisen wollen. Der Graf, der seit des Hofrats Reise abends selten mehr hinabgekommen war, stimmte dafuer, auf dem Zimmer zu speisen, indem er die schlechte Unterhaltung unter den Offizieren, Assessoren, Ober- und Unterjustizleuten versprach. Der aeltere Herr aber redete ihm zu; man sehe und hoere doch manches unter den Gaesten, was zum Nachdenken oder zur Augen- und Ohrenweide dienen koenne;--sie gingen. Gerade an diesem Abend hatte der Rittmeister von Sporeneck einige Freunde der Garnison zu sich auf ein Abendbrot in den Mond gebeten. Sie hatten schon auf seinem Zimmer mit Rheinwein angefangen und waren bereits ganz kordial. Der Rittmeister hatte auch alle Ursache, ein kleines Sieges- und Jubelfest zu veranstalten. Die Graefin hatte ihm, wie gewoehnlich, durch ihre Zofe, die mit seinem Bedienten in telegraphischer Verbindung stand, geschrieben, dass Idas Niederlage jetzt vollkommen sei. Der Graf sei nie so warm gegen sie gewesen wie diesen Abend, und sie sehe naechstens einer Erklaerung von seiner Seite entgegen. Das hatte der Rittmeister seinen Vertrauten, dem Leutnant von Schulderoff und einigen anderen, vorgetragen; man stiess an auf das neue graefliche Paar und auf den galanten Hausfreund, und so kam man auch, weiss nicht wie, darauf, ob man nicht den Grafen auch einmal ein wenig schrauben sollte. Sie stimmten alle darin ueberein, dass dies sehr dienlich waere, um Unterhaltung fuer den heutigen Abend zu haben, und sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus. "Ja, wenn er Soldat waere, dann waere es etwas anderes; einen Kameraden schraubt man nicht gerne; aber solch ein ziviles Graefchen, das in der Welt umherreist, um den Damen schoen zu tun und sein Geld auf die langweiligste Manier totzuschlagen--nun, das kann man mit gutem Gewissen." Mit diesem loeblichen Vorsatz hatten sich die Marssoehne nicht weit von der Stelle placiert, wo Martiniz gewoehnlich zu sitzen pflegte, und harrten, ob er nicht komme. Er kam und mit ihm der andere Gast, aber diesmal ohne Ordensband; denn er hatte nur einen unscheinbaren Oberrock an. Martiniz und der aeltere Herr unterhielten sich fluesternd mit einander; um so lauter waren die Kriegsgoetter; die Pfropfen der Champagnerbouteillen fingen an zu springen, und in kurzem waren die Herren allesamt kreuzfidel und erzaehlten allerlei Schnurren aus ihrem Garnisonsleben. Die uebrigen Gaeste hatten sich nach und nach verlaufen. Das Kapitel der Hunde und Pferde war schon abgehandelt, und der Rittmeister hielt es jetzt an der Zeit, die _Schraube anzuziehen_. Er gab also Schulderoff einen Wink, und dieser ergriff sein Champagnerglas, stand auf und rief: "Nun, Bruder Sporeneck, eine Gesundheit recht aus dem Herzen--deine Ida!" Auf flogen die Dragoner von ihren Sitzen, tippten die feinen Lilienkelche aneinander und sogen den weissen Gischt mit einer Wollust aus, als haette die Gesundheit ihnen selbst gegolten. Martiniz biss die Lippen zusammen und sah den Theresienritter an. "Auf Ehre, ein Goetterkind, Herr Bruder," fuhr Schulderoff fort; "ich waere selbst imstande gewesen, sie zu lieben, haette ich nicht deine fruehern Rechte gewusst und mich daher bescheiden zurueckgezogen." "Auf Ehre, ich haette es ihr wohl goennen moegen," antwortete der grossmuetige Liebhaber; "wenn man so einen Winter allein zubringen soll, ist es fuer ein junges, warmes Blut immer fatal, wenn es sich nicht Luft machen soll. Einen braven Kerl, wie du bist, haette ich ihr zum Intermezzo wohl gewuenscht; waere mir lieber gewesen, als hoeren zu muessen, dass mir so ein fremder Gelbschnabel ins Nest habe sitzen wollen." Das Herzblut fing dem Grafen an zu kochen. In solchen Ausdruecken von einem Maedchen reden zu hoeren, das er liebte und ehrte--es war beinahe nicht zu ertragen; doch hielt er an sich; denn er wusste, wie schlimm es ist, in einem fremden Lande ohne ganz gegruendete Ursache Haendel anzufangen. "Hattest du bange?" lachten die Reiter den Rittmeister an. "Nicht im geringsten," replizierte dieser; "ich kenne mein Taeubchen zu gut, als dass ich haette eifersuechtig werden sollen; wenn auch zehn solcher Wichte ins Nest gesessen waeren, sie haette sich doch von keinem andern schnaebeln lassen als von ihrem Haehnchen." Allgemeines Gelaechter applaudierte den schlechten Witz. Der Graf--es war ihm kaum mehr moeglich, anzuhalten; er sah voraus, es werde so kommen, dass ihm nur zwei Wege offen stehen wuerden, entweder sich zu entfernen, oder loszubrechen. * * * * * UNSCHULD UND MUT. Das erstere war jetzt nicht mehr moeglich; seine Wuerde als Abkoemmling so tapferer Maenner liess einen solchen Rueckzug nicht zu, und was wuerden seine Ulanen gesagt haben, wenn er so vom Kampfplatz sich weggestohlen haette? Die naechste schickliche Gelegenheit musste entscheiden. "Nun, Bruederchen," sagte ein anderer zum Rittmeister, "wir sind hier so ziemlich unter uns;--gib weich, beichte uns ein wenig! Wie stehst du mit der kleinen Praesidentin?" Der Rittmeister spielte von Anfang den Zarten, Zurueckhaltenden; endlich aber auf vieles Zureden gab er wirklich weich und --ruehmte sich heimlich von ihr erhaltener Beguenstigungen, die Emils Blut zu Eis erstarren liessen. Ploetzlich aber, wie eine Erleuchtung von oben, trat ihm das Bild des unschuldigen, engelreinen Kindes mit ihrem sanften Blick, mit ihrem keuschen, jungfraeulichen Erroeten vor das Auge--Nein! nein! rief es mit tausend Stimmen in ihm, es kann ja nicht wahr sein, so weit verfehlt sich der Himmel nicht, dass er die heiligste Unschuld auf die Zuege einer Metze malte. Er stand auf und stellte sich dicht vor den Rittmeister. "Von wem sprechen Sie da, mein Herr?" fragte er ihn. Der Rittmeister konnte sich nichts Erwuenschteres denken, als dass endlich die Engelsgeduld von dem zivilen Graefchen gewichen sei. Er wollte ihn mit _einem_ Blicke einschuechtern und setzte daher an, die Augen recht an ihn hinrollen zu lassen; da kam er aber an den Falschen. Er begegnete einem jener Glutblicke, die dem Grafen so eigen waren; Hoheit, Mut, Zorn--alles spruehte auf einmal wie mit einem Feuerstrom aus diesen Augen auf ihn zu, dass er die seinigen betroffen niederschlug. "Was faellt Ihnen ein? Was kuemmert Sie unser Gespraech? Es ist hier niemand, der darnach zu fragen haette." "Sie haben," fuhr der Graf mit grosser Maessigung fort, "Sie haben dem ganzen Zimmer hier mit vernehmlicher Stimme Ihre Sottisen erzaehlt; es hat also auch jeder das Recht, zu fragen, von wem Sie sprachen, und _ich frage_ jetzt!" "Mein Herr, das kommt mir schnackisch vor," lachte, der Rittmeister; "es kann doch wahrhaftig jeder von seinem Schaetzchen reden, ohne dass ein anderer sich dareinzulegen haette. Wenn Sie uebrigens durchaus uns mit Ihrer Gesellschaft beehren wollen--Kellner, noch einen Kelch hierher fuer den Herrn da!" "Ist unnoetig," rief der Graf, "es ist mir durchaus nicht um Ihre werte Gesellschaft zu tun, sondern nur die Frage, die ich an Sie tat, moechte ich gerne beantwortet haben." "Nun ja," schnarrte Sporeneck, "wenn Sie sich durchaus in meine Herzensangelegenheiten mischen muessen, was ich uebrigens nicht sehr delikat finde,--ich habe von Fraeulein Ida von Sanden, meiner Nachbarin, gesprochen." "Und von dieser Dame wagen Sie auf so freche Weise zu sprechen, wie Sie vorhin taten?" "Wer will es mir wehren?" lachte der Rittmeister und mass den Grafen von oben bis unten, wobei er uebrigens sich huetete, seinem Auge zu begegnen. "Wer will es mir wehren? Ein jeder kann zu seinem Heu Stroh sagen!" "Sie beharren also auf dem, was Sie von der Dame aussagten!" "Dame hin oder her," antwortete der Rittmeister, "Sie fangen an, anmassend zu werden; ich werde vor Ihnen und zehn solcher--Polacken behaupten, was ich sagte." "Nun ja," sagte der Graf, indem er sich stolz aufrichtete und an die uebrigen Offiziere, die bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehoert hatten, wie der Graf geschraubt wuerde, sich wandte, "nun ja, so, muss ich nur _Sie_ bedauern, meine Herren, dass Sie sich auf diese Art unterhalten lassen von diesem erbaermlichen Luegner." "Donner und alle Teufel!" fuhr der Rittmeister auf, "wie kommen Sie mir vor, Herr! Ich glaube, Sie haben Platz zwischen den Rippen fuer blaue Bohnen." "Tun Sie, was Ihnen beliebt," sagte der Graf, "ich wohne hier und bin auf Nr. 2 zu finden." Er ging, der alte Theresienritter mit ihm. "Das ist spassig," lachte der Rittmeister, obgleich es ihm nicht recht frei von der Brust wegging, "das ist spassig, dass ich in Freilingen einen kleinen Gang zu machen habe!" Die Dragoner sassen noch ganz verdutzt ueber den schnellen Ausgang der Schrauberei. "Hol' mich der Teufel" sagte ein alter Leutnant, "das Kerlchen nahm sich doch so uebel nicht bei der Sache; er hat einen verfluchten Anstand, und es ist, als waere er schon mehr dabei gewesen!" Man beriet sich jetzt, was zu tun sei; man verteilte die Rollen. Schulderoff sollte des Rittmeisters Sekundant sein; den alten Leutnant bestimmte man, Martiniz denselben Dienst zu leisten, wenn er nicht sonstwo einen Sekundanten auftreiben koennte. Der Rittmeister zeigte eine ungemeine, spassige Froehlichkeit, meinte, es muesse sich ganz herrlich ausnehmen, wenn so ein Herrchen vom Zivil eine Pistole losbrenne; den uebrigen war es uebrigens nicht so ganz wohl zu Mut; das schnelle Ende des Streites hatte aus allen Koepfen den Champagnerdampf weggeblasen, man dachte doch ernstlich an die Affaere, und manchen wollte es beduenken, dass sie doch im heillosen Uebermut herbeigefuehrt worden sei. Man aeusserte dies auch unverhohlen gegen Sporeneck, und auch er schien so etwas zu denken; doch versteckte er diese Gedanken hinter lustigem Lachen und beauftragte Schulderoff, sogleich zum Grafen zu gehen, um die Sache ins reine zu bringen. Nach einer Viertelstunde kam dieser wieder sehr ernst zurueck und sagte: "Sporeneck, morgen frueh acht Uhr, auf Pistolen." Diese lakonische Meldung machte einen ganz eigenen Eindruck auf die Gesellschaft; es war allen, als sei doch etwas Ungerechtes vorgefallen, und keinem war es recht behaglich, an morgen zu denken. Man bestuermte Schulderoff mit Fragen, wie der Graf es aufgenommen, und dergleichen; er erzaehlte: "Die beiden Fremden seien in ziemlich ruhigem Gespraech miteinander im Zimmer auf- und abgegangen, als er eingetreten sei. Sie haben ihn sehr hoeflich und zuvorkommend empfangen, er aber habe seinen Auftrag ausgerichtet und den Grafen zuerst gefragt, ob er seine Beleidigung zuruecknehmen wolle. Dieser habe ganz ruhig mit 'Nein' geantwortet, worauf er ihn gefordert; sie seien auf Pistolen einig geworden und haben die Wiese hinter dem Gottesacker zum Kampfplatz ausgewaehlt. Fuer einen Sekundanten lasse er danken; der alte Herr, der bei ihm sei, werde ihm sekundieren." Der Rittmeister schien vor Freude ausser sich zu sein, dass er seinem Rivalen mit guter Manier eins auf den Pelz brennen koenne; er wollte mit dem Champagner weiter machen, die nuechtern gewordenen Kameraden liessen es aber nicht zu, baten ihn, auf morgen recht fest auszuschlafen, und versprachen, um sieben Uhr allesamt bei Schulderoff zu fruehstuecken. * * * * * NOCH EINMAL ZIEHT ER VOR DES LIEBCHENS HAUS. Als Ida am Morgen, der zu dem Duell festgesetzt war, kaum aufgestanden, eben sich mit der Toilette beschaeftigte, hoerte sie Pferdegetrappel gegenueber am Mond; sie trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zurueck. Es standen drei Pferde vor dem Wirtshaus, wovon sie das eine bestimmt fuer das von Martiniz erkannte. "Wo er nur hinreiten mag an diesem kalten Tag, ob er--" der Gedanke an eine ploetzliche Abreise ohne Abschied durchblitzte sie, dass ihr die hellen Perlen in den zarten Wimpern hingen. Doch sie hatte ja darueber einen Trost, der sie zugleich tief betruebte; die Graefin war ja noch hier, sie wusste nichts von seiner Abreise; er konnte also doch nicht so schnell reisen. Endlich glaubte sie Emils Stimme aus dem Torweg herauf zu hoeren: "Adieu, Madame, adieu!" galt offenbar der Mondwirtin; o wie gerne waere sie in diesem Augenblicke die Ehehaelfte des Mondwirts gewesen, um ihn zu sehen und das freundliche Adieu von seinen Lippen zu hoeren! Der alte Brktzwisl, die gute, treue Seele, sprang hervor, ergriff den Zuegel von Martiniz' Pferd und stellte ihn zum Aufsitzen zurecht; jetzt kam Mart-- nein, ein Offizier in fremder glaenzender Uniform. Jetzt kam auch der alte Herr von Ladenstein, der sie gestern so trefflich unterhalten hatte; wo blieb aber nur Emil? Der alte Herr, heute mit vielen Orden behaengt, schwingt sich auf sein Pferd; jetzt auch der Offizier. "Eine schoene, geschmackvolle Uniform;" dachte Ida; wenn sie nicht irrte, eine polnische oder russische, vielleicht ein Bekannter von Martiniz; aber die Gestalt kam ihr so bekannt vor; wie? sollte etwa Em-- doch nein, er war ja nicht Soldat und trug auch keinen Orden, und diesem glaenzte der Wladimir in Diamanten auf der Brust--wenn er--eine kleine Neugierde ist ja verzeihlich--wenn er doch nur den hohen Ulanen-Kalpak ein wenig hintersetzte, dass sie sein Gesicht sehen koennte. Jetzt war alles in Richtigkeit, der alte Herr schaute am Haus herauf und stiess den Offizier an; er richtete das Haupt auf, er sah herauf--es war Emil von Martiniz. Wie schoen, wie goetterschoen war dieser Mann! Wie herrlich kleidete ihn die Uniform! Wie hingegossen sass er auf seinem stolzen Ross; die dunkeln Locken stahlen sich unter dem Sturmband des Tschapkas hervor und beschatteten die blendend weisse Stirne; das dunkle Auge voll hohen Ausdrucks hatte heut eine Bedeutung, die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schoenen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen und es werde in schmetternden Toenen Marsch, Marsch! geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Neglige--sie oeffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schoeneres sehen als das Maedchen, wie es hier im Fenster stand. Die Aeuglein sahen so klar und freundlich aus dem Koepfchen, die Baeckchen von der kalten Morgenluft geroetet, das Maeulchen so suess und kusslich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthaeubchen, der Hals frei und dann ein Spenzerchen, so weiss wie frischgefallener Schnee, ueber Nacken und Brust herab. Tausend Loeckchen und Straenge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Haeubchen sich durchgestohlen hatten--das ganze Wunderkind sah aus wie ein suesser Morgentraum-- Noch einmal sah der Graf nach diesem Engelsbild herauf: das in der Glorie der jungfraeulichen Unschuld, mit der Wehmut gekraenkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah--noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Traene blitzte in seinem Auge; jetzt aber stiess er seinem Pferde beide Sporen in den Leib, dass es wuterfuellt kerzengerade aufstand; unwillkuerlich bog sich seine Hand nach dem Mund, er warf ihr einen herzlichen Kuss zu: "_Adieu mon coeur_!" rief er, und dahin flogen die Reiter; in einem Augenblicke war nichts mehr von ihnen zu sehen. "Was war das? Wem galt das?" fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zaertlich herauf--er warf einen Kuss herauf--wem flog er zu? Ihr oder der Grae-- konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein? Konnte er nicht ihr den Kuss zugeworfen--Sie musste Gewissheit haben; sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Graefin schon aufgestanden sei.--Exzellenz lagen noch schuhtief in den Federn und schliefen. "Also mir, mir,--" laechelte das stillselige Maedchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach dem Fleckchen Erde, wo er gehalten, wo er ihr seinen Gruss, seinen Kuss zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Graefin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuss geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben musste, zu kraenken? Doch nein; _ihr_ hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegruesst, sie, sie war die Glueckliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fuehlte, dass sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog. Jetzt versank sie in angenehme Traeume; sie wiederholte sich, wie engelhuebsch er ausgesehen habe! Sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander waeren, ihn recht auszuschmaelen, dass er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschoen stand. So traeumte sie, das liebliche braeutliche Maedchen; sie ahnte nicht, welchen gefaehrlichen Gang der Geliebte ging und dass die Parze so schnell den Faden ihres Gluecks zerreissen koenne, dass dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, fuer immer ausgeschlagen haben wuerde, dass die kuehnen, liebespruehenden Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schliessen koennten, aus welchem auch die suesseste Stimme, das zaertlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt. * * * * * DAS DUELL Vor der Stadt hatten die drei Reiter ihre Pferde angehalten und liessen sie jetzt im Schritt dem bestimmten Ort zugehen; sie schwiegen eine Zeitlang, und jeder schien seinen besondern Gedanken nachzuhaengen. Emils Brust erfuellte die Qual aller Zweifel an Ida. Es war ihm da einmal, als stehe sie, wie er sie eben gesehen hatte, in blendend reiner Unschuld vor ihm und fluesterte ihm mit sanfter Stimme Vorwuerfe zu, dass er auch nur einen Augenblick habe an ihr zweifeln koennen; dann kamen wieder alle Qualen der Eifersucht ueber ihn; er wiederholte sich alles, was er zwischen ihr und Sporeneck bemerkt hatte, und das Billett von gestern--"Nein! _Sie ist schuldig_," rief er laut und unmutig. Gestern abend naemlich, als Schulderoff sie verlassen hatte, war Brktzwisl gekommen und hatte einen kleinen Zettel gebracht, der wahrscheinlich dem Rittmeister entfallen sein muesse. Er war offen, Emil konnte sich nicht enthalten, einen Blick hineinzuwerfen, und ward weiss wie die Wand. Schweigend reichte er Ladenstein das Billett, und dieser las: "Du musst noch das Strumpfband haben, das Du mir letzthin mutwilligerweise abgebunden hast; ich brauche es notwendig; ist Dir uebrigens an einem Zeichen Deiner Dame gelegen, so kannst Du etwas anderes haben. Willst Du eine Busenschleife? Willst Du ein Schnuerband von meinem Korsettchen?" "Das ist freilich stark," hatte Ladenstein gesagt, nachdem er gelesen, "kennst Du die Handschrift?"--"Von wem soll es sein als von ihr, die mich um mein Lebensglueck betrogen? Haette ich den Wisch da um eine Stunde frueher gehabt, ich haette den Rittmeister wahrhaftig nicht getadelt, dass er von seinem zaertlichen Liebchen so ausdrucksvoll sprach!" "Kennst du Idas Handschrift?" fragte der alte Herr noch einmal. "Es kommt hiebei sehr viel darauf an, dass du sie genau kennst." Emil musste gestehen, dass er noch nichts von Idas Hand gesehen; es koenne es ja aber doch gar niemand anders geschrieben haben; denn die Adresse lautete ja an Herrn von Sporeneck. Der alte Herr hatte den Kopf dazu geschuettelt und gesagt, dass dieses Billett der ganzen Sache eine andere Wendung geben koennte; jetzt sei er aber schon einmal gefordert, und darum koenne vor Ausgang des Duells nicht mehr davon gesprochen werden; nachher werde sich vielleicht manches aufklaeren. Dieses Billett war nun auch auf dem Wege zum Kampfplatz Emil in den Sinn gekommen und hatte ihm jenen lauten Ausruf: "Sie ist dennoch schuldig," entlockt. Der Alte reichte ihm die Hand hinueber und sagte freundlich ernst: "Urteile nicht zu fruehe! Du gehst einen gefaehrlichen Weg, nimm nicht die Schuld mit dir, ungehoert verdammt zu haben. Du bist der letzte Martiniz. Schlaegt eine Kugel hier unter den Wladimir, so ist es vorbei mit dir und dem Heldenstamm, dessen Namen du traegst. Du schlaegst dich fuer die Ehre einer Dame; so lange du fuer sie kaempfst, darfst du nicht an ihrer Tugend zweifeln, sonst ist deine Sache nicht gut. Denke dir: das Maedchen, so hold und engelrein, wie du sie sahst, als wir zu Pferde stiegen, wie du ihr, von ihrem heiligen Anblick uebermannt, dein zaertliches Lebewohl zuriefst--und du wirst freudiger streiten." Emil hoerte nur mit halbem Ohr; seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Platz gerichtet, dem sie sich nahten. Sie bogen um die Ecke der Mauer des Gottesackers. Sein Gegner war schon auf dem Platz; er nahm sein Ross zusammen und sprengte majestaetisch im kurzen Galopp an. Sporeneck und sein Begleiter waren auf einem andern Weg herausgeritten und hatten auf der Wiese den Grafen erwartet. Sie hatten ihre besten Uniformen angezogen, alles gewichst und gebuerstet, als ginge es zur Hochzeit; denn sie wollten dem Grafen und seinem Begleiter durch Glanz und militaerische Wuerde imponieren. Wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie den strahlenblitzenden, in den schoensten Farben schimmernden Ulanen ansprengen sahen? Sie trauten ihren Augen kaum, wie gewandt, wie flink das zivile Graefchen vom Sattel sprang, mit welchem Anstand er die Zuegel seinem Diener zuwarf, sich dann zu ihnen wandte und seine Honneurs machte. Die Diamanten des Wladimir, der goldene, vom Vater ererbte Ehrensaebel glaenzten im Morgenrot; der ganze Mann hatte etwas Gewaltiges, Gebietendes, Koenigliches, das sie beinahe mit Ehrfurcht bewunderten. "Alle Teufel, wer haette das gedacht?" fluesterte Sporeneck. "Haette ich das gewusst--weiss Gott, die Uniform der polnischen Garde, wo jeder Rittmeister fuer einen Obersten in der Linie zieht! Nein, wenn ich gewusst haette, dass er Soldat ist, dann waere es wohl etwas anderes gewesen." "Und alle Wetter," fuhr ein anderer fort, "sieh nur den alten Graukopf, wie der behaengt ist, eins--zwei--drei--sieben Orden hat das Kerlchen und noch obendrein einen Stern! Siehe, des Theresienkreuz--und weiss Gott, den Kommandeur der Ehrenlegion! Das muss ein fixer Kerl sein." Der alte bekreuzte und besternte Herr nahte sich Schulderoff, zog ganz gelassen und kaltbluetig eine reich mit Brillanten besetzte Uhr heraus. "Herr Kamerad," sprach er, "wenn's gefaellig ist!" Dieser hatte sich von seinem Staunen kaum erholt. Er hatte die Aeusserung des Rittmeisters gehoert, dass, wenn er gewusst haette, dass der Graf Soldat waere, er die Sache vielleicht nicht so weit getrieben haette. Er versuchte daher noch einmal mit dem alten Herrn zu parlamentieren. Doch die Unterhandlungen zerschlugen sich an dem harten Sinn des Grafen; man mass die Schritte ab, man schuettete frisches Pulver auf die Pfannen--fertig! Sporeneck hatte den ersten Schuss. "Nun, wenn es denn einmal sein muss," sagte er, drueckte ab und--den Kalpak riss es dem Grafen von dem Kopf; mitten durch war die Kugel gegangen; er stand unverletzt. Ein sonderbares Feuer spruehte aus seinem Auge, als er jetzt die Pistole aufnahm. Es war ihm, als stehe Antonios blutende Gestalt vor dem Rittmeister und wehre ihm ab; zweimal setzte er an, zweimal liess er das Pistol wieder sinken. Da rief der Rittmeister mit bitterem Lachen: "Wird's bald, Herr Kamerad?" Und in demselben Augenblicke krachte es; Sporeneck schwankte und fiel. Er hatte genug; gerade unter der Brust hatte die Kugel durchgeschlagen. Der Regimentsarzt der Dragoner machte ein bedenkliches Gesicht und gab wenig Hoffnung. Man brachte ihn in die Wohnung eines der Offiziere, der vor der Stadt wohnte. In tiefem Ernst, schweigend ritt der Graf und sein Begleiter zur Stadt zurueck. * * * * * FINGERZEIG DES SCHICKSALS. Die Dragoner waren seit der Entdeckung, dass der Graf Offizier sei, die Artigkeit selbst. Alle Stunden kam einer, um zu rapportieren, wie der Verwundete sich befinde. Aus ihren Reden, die sie hie und da ueber die Geschichte fallen liessen, wurde man zwar nicht ganz klug; aber so viel merkte Martiniz und der alte Herr, dass der Rittmeister, indem er sich geheimer, von Ida erhaltener Beguenstigungen ruehmte, gewaltig gelogen habe. Von dem Duell war uebrigens bis jetzt noch nirgends etwas bekannt geworden. Den Reitknecht des Rittmeisters hielt man in dem Haus vor dem Tore fest, dass nicht etwa durch ihn etwas auskaeme; die uebrigen hatten sich das Ehrenwort gegeben, nichts zu verraten. Mehr denn achtmal war die Kammerzofe der Graefin im Mond gewesen und hatte heimlich nach dem Rittmeister gefragt und allemal den Bescheid erhalten, er sei auf der Jagd. Endlich kam auch, wahrscheinlich auf der Graefin Anstiften, ein Diener von Praesidents, um den Grafen zu bitten, nachmittags hinueber zu kommen. Er schlug es ab; denn er war noch zu aufgeregt von dem blutigen Morgen, als dass er mit der Graefin, die ohnehin ihn immer sehr langweilte, haette konversieren moegen. Endlich, als es schon Abend war, kam Schulderoff, der jetzt auch wie ein umgekehrter Handschuh war, und brachte bessere Nachricht. Man hatte die Kugel herausgenommen, die Aerzte behaupteten, es sei kein edlerer Teil verletzt. Zugleich lud er den Grafen und Herrn von Ladenstein ein, mit ihm zu gehen und den Kranken, dem es gewiss Freude machen wuerde, zu besuchen. Sie gingen mit. In einem der letzten Haeuser der Vorstadt lag der Rittmeister. Als die beiden Fremden mit Schulderoff die Treppe hinaufkamen, gerieten die uebrigen Offiziere augenscheinlich in einige Verlegenheit. Sie fluesterten etwas mit Schulderoff, das ungefaehr lautete, als sei der Kranke nicht recht bei sich und phantasiere allerhand verwirrtes Zeug, das nicht wohl fuer einen Fremden geeignet sei. Leutnant Schulderoff besann sich aber nicht lange. Er erklaerte, dass er es auf die Gefahr hin, seinen Freund zu beleidigen, ueber sich nehmen wolle, die Fremden einzufuehren, weil der Kranke es vor einer Stunde selbst noch gewuenscht habe. Sie traten ein. Der Rittmeister war sehr bleich, sonst aber nicht entstellt, nur dass sein Auge unstet umherirrte. Sie hatten ausgemacht, dass zuerst Ladenstein ans Bett treten solle, um zu probieren, ob ihn der Kranke erkenne. Es geschah so. Sporeneck sah ihn lange an und fasste dann hastig seine Hand: "Ach, sind Sie es, Herr Geheimrat von Sorben?" rief er. "Was schreibt der Alte aus Polen? Darf der Graf die Aarstein heiraten?" Die Anwesenden waren alle hoechst betreten, als der Verwundete so aus der Schule schwatzte. Schulderoff gab dem alten Herrn zu verstehen, es moechte doch vielleicht besser sein, wenn er zu einer andern Zeit wiederkaeme. Es scheine, der Kranke erhitze sich zu sehr. Der alte Herr schien es aber nicht verstehen zu wollen. Sein Auge nahm einen sonderbaren Ausdruck von forschendem Ernst an, der den Leutnant unwillkuerlich zum Schweigen brachte. Der Kranke aber fuhr fort: "Lass dich nicht von diesem da forttreiben, lieber Sorben, du kannst mir jetzt einen grossen Dienst erweisen. In meinem Zimmer ist ein Koffer, in diesem eine Kassette; lass dir von Schulderoff die Schluessel geben und schliess auf! Dort findest du ein Strumpfband mit goldenem Schloss--" er hielt inne, als ob er nachsaenne; der Graf aber trat in der hoechsten Spannung naeher, um jedes Woertchen zu verschlingen, das er sprechen wuerde,--"und richtig, _Honny soit qui mal y pense_ ist drauf gestickt: Das bringst Du der Graefin, sie hat den Kameraden dazu am linken Bein, und sagst, das sei das Band, um welches sie mir geschrieben habe, ich koenne heute nicht selbst kommen. Ja--und weiter sage ihr, mit der Ida sei es nichts, ich habe es satt, dem sproeden Ding die Cour zu schneiden, nur um das Graefchen eifersuechtig--ja, halt, bei dem Grafen faellt mir ein--sage ihr, den Grafen soll sie mir in Ruhe lassen, er sei kein Ofenhocker, sondern ein braver Soldat, und wenn sie ihm ferner noch was anhaben wolle, so habe sie es mit mir zu tun." Erschoepft sank er auf die Kissen zurueck, als er so gesprochen hatte. Schulderoff stand in einer Ecke und schalt sich selbst aus, so toericht gehandelt und die Fremden in diesem kritischen Momente zu dem Rittmeister gefuehrt zu haben. Gern haette er in seinem Unmut den beiden etwas Hartes gesagt; aber der Graf hatte ihm durch sein Betragen und seinen Stand, der alte Herr durch seine vielen und bedeutenden Ordenszeichen so imponiert, dass er nicht wagte, sich ihnen anders als mit der zuvorkommendsten Hoeflichkeit zu nahen. Die uebrigen Dragoner waren aber von beiden ganz entzueckt. In des Grafen Uniform verliebten sie sich ganz und gar, und wie geehrt und gehoben fuehlten sie sich, dass ein Kommandeur der Ehrenlegion, ein alter Ritter des Theresienordens, sie mit der groessten Freundlichkeit "Herr Kamerad" titulierte. Es dauerte aber keine fuenf Minuten, so war auch Schulderoff ganz von dem Alten gewonnen. Dieser fuehrte ihn naemlich in eine Ecke und machte ihm unter der Bedingung, dass er es nicht als Kraenkung aufnehme, die Proposition, ob er nicht fuer den Rittmeister, der jetzt doch so entfernt vom Haus sei, ein kleines Anlehen von ihm annehmen wolle. "Lieber Gott," sagte er, "ich weiss, wie es in der Garnison ist, habe auch lange gedient; mit dem besten Willen bringt man es selten so weit, dass man immer einen grossen Notpfennig in Bereitschaft hat. Einer muss immer dem andern aushelfen, und da ich jetzt gleichsam auch hier in Garnison liege, Herr Kamerad--ich denke, wir koennten darueber einig sein." Der herzliche Ton, mit welchem dies Anerbieten gemacht wurde, ruehrte den Leutnant zu Traenen; es konnte ihm nichts mehr zustatten kommen als ein solches Anlehen; er hatte kein Geld, die Mama hatte kein Geld, die Kameraden hatten auch kein Geld, und er waere am Ende genoetigt gewesen, sich an die Graefin zu wenden, und doch war ihm diese in der tiefsten Seele zuwider; lieber haette er sein Pferd verkauft--da kam ihm nun das Anerbieten des alten Kameraden sehr erwuenscht; es war so natuerlich und ehrenvoll angetragen, dass er ohne Bedenken einschlug, und von dieser Stunde an waere er, und wenn ihn Frau Mama, Fraeulein Sorben, die Graefin und alle Hoellengeister am Kollet gepackt haetten, fuer die beiden Fremden durchs Feuer gegangen. * * * * * LICHT IN DER FINSTERNIS. "Nun, was sagst du zu dieser Geschichte?" sprach der alte Herr zu Martiniz, als sie wieder in ihrem Zimmer waren. "Was sagst du zu der schoenen Strumpfbandgeschichte?" "Nun, was werde ich dazu sagen!" antwortete Emil nachdenklich--"dass er mit der Graefin in einem sehr unanstaendigen Verhaeltnis steht. Aber erklaeren Sie mir nur, was plauderte er nur von einem alten Sorben und von einem Grafen, der die Graefin Aarstein heiraten solle?" "Das will ich dir schwarz auf weiss zeigen," sagte jener und zog einen Pack Briefe hervor, den er Emil zur Durchsicht gab. Es waren jene Briefe, welche der alte Sorben an den aelteren Grafen Martiniz geschrieben hatte, um womoeglich eine Heirat zwischen Emil und der Aarstein zu bewirken. Immer eifriger las Emil, immer zorniger und duesterer wurden seine Zuege; der alte Herr ging indessen auf und ab und betrachtete den Lesenden. Endlich sprang dieser auf und rief: "Nein, das ist zu arg! Das ist nicht auszuhalten! Mit mir ein solches Spiel spielen zu wollen! Was sagen Sie zu diesen Briefen? Wie reimen Sie dies alles zusammen?" Der alte Herr setzte sich zu Emil nieder, legte seine Hand zutraulich auf seine Schulter und sprach: "Ich habe dir letzthin gesagt, dass ich sechzig Jahre habe und du zwanzig, dass ich also auch manches kaelter betrachte und darum schaerfer als du. Schon damals ahnte ich manches; jetzt durch die Irrereden des Rittmeisters ist mir auf einmal alles klar. Dass dich in diesen Briefen die Graefin durch den schlechten Kerl, den alten Sorben, zu angeln sucht, siehst du wohl ein; sie hoert nun durch Kundschafter, oder wie es sonst gegangen sein mag, du seiest hier, und, wie du nicht leugnen kannst, in einem zaertlichen Verhaeltnis mit Ida; dass der Graefin daran lag, dich oder vielmehr dein Vermoegen nicht hinauszulassen, kannst du dir denken. Daher kam sie eilends hieher, um dich zu erobern; dazu gehoerte aber auch, dass sie Ida von deinem Herzen losriss, und wie konnte dies besser sein als durch den Rittmeister? Wie dieser mit der Graefin stand, wissen wir aus dem Strumpfbandbillett, das also von _ihr_ ist; wie er aber mit Idchen, dem keuschen, reinen Engel, stand--und hat er sein ganzes Leben hindurch gelogen, so war er wenigstens in seinem Wundfieber wahr--erinnerst du dich, dass er mir auftrug, der Graefin zu sagen, dass mit dem sproeden Maedchen nichts anzufangen sei? Da hast du jetzt den ganzen Plan, Freundchen; so und nicht anders verhalten sich die Sachen. Was sagst du nun dazu?" Ganz versunken in Schmerz und Wehmut sass der Graf neben ihm. Er hatte sein Gesicht in das Taschentuch gedrueckt und weinte heftig. "O Ida, wie tief habe ich dich beleidigt!" fluesterte er. "Was war ich fuer ein Tor, wie war ich so stockblind, um nicht gleich alles einzusehen! Wie war ich so grausam und konnte das gute, sanfte Engelskind, das mir so gut war, das mich so lieb hatte, so tief kraenken und beleidigen!" Dem alten Herrn wurde angst und bange, Emil moechte, wenn die Reue sein Gemuet zu sehr angreife, wieder in seinen Wahnsinn verfallen, aus welchem ihn das Maedchen so wundervoll errettet hatte. "So lange man lebt, kann man alles wieder gut machen," sagte er zu dem Weinenden, "und namentlich ist nichts leichter zu schlichten als kleine Katzbalgereien unter Liebenden. Sei darum getrost und glaube, es wird sich alles noch gut machen!" Und nun setzte er dem Grafen auseinander, dass er sich so bald als moeglich mit seinem Maedchen versoehnen muesse; aber dabei duerfte er nicht stehen bleiben; er zeigte ihm, wie viel er diesem Maedchen schuldig sei, wie sie ihn zuerst mit der Welt wieder ausgesoehnt habe, wie sie nachher, erhaben ueber alle moegliche falsche Deutung, jenes unglueckbringende Gespenst seiner Phantasie entfernt, wie sie mit unendlicher Freundschaft allem aufgeboten habe, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. "Wahrlich," schloss er, "diesem Maedchen bist du mehr schuldig, als dass du ihr den argen Verdacht mit dem Rittmeister abbittest--du bist, ich sage es offen, du bist ihr deine Hand schuldig, so sehr sich auch," setzte er schalkhaft laechelnd hinzu, "so sehr sich auch dein Herz dagegen straeuben mag!" Es hat selten ein geistlicher Witwentroester, wenn er auch noch mit zehnmal groesserer Salbung sprach, mit so grossem Effekt sein "Amen, gehe hin und tue also!" gesagt, als der alte Herr auf dem Sofa neben dem Grafen. Die Traenen waren schnell getrocknet von den gluehenden Strahlen, die aus dem dunkeln Auge spruehten; ein holdes Laecheln spielte um seinen Mund, das ganze Gesicht war anmutig verklaert, er sprang auf, er ergriff die Haende des guten Alten und presste sie an sein lautpochendes Herz, an die gluehenden Lippen. "O, wie Herrliches verheissen Sie mir! Sie, Sie muntern mich dazu auf, wozu mich mein Herz schon lange zog; o, wie kann ich Ihnen danken, mein vaeterlichen Freund, mein guter, teurer O--" doch halt, beinahe haetten wir das Inkognito des Herrn von Ladenstein gebrochen und Namen genannt und Dinge geplaudert, die jetzt noch verschwiegen werden muessen. Der alte Herr schloss Emil in die Arme und ging dann an die Tuere: "Brktzwisl, alter Kerl, komm herein und teile die Freude deines Herrn; er will Hochzeit machen, und das so bald als moeglich!" Der alte Diener machte ein sauersuesses Gesicht, als ob er ein Rhabarbertraenklein im Mund haette und sollte es als den trefflichsten Xeres loben. "So--o?" sagte er, "nun, da muss ich ja gra--tulieren!" "Nun wie, alter Kauz," sagte Ladenstein, "du scheinst dich nicht recht zu freuen? Gefaellt dir denn die Braut nicht, die sich dein Herr erlesen?" "Nun," antwortete Brktzwisl, "sie ist schoen, die Frau Graefin--" "Wer spricht denn von der Graefin?" sagte sein Herr, "Fraeulein Ida meinen wir!" "Was?" rief der alte Diener und gebaerdete sich wie wahnsinnig; denn jetzt hatte er wirklich suessen Xeres im Mund. "Das Wunderengelskind? Also hat Gott Ihr Herz gelenkt zum Guten? Fraeulein Ida soll meine Frau Exzellenz werden? Hurra, das ist einmal schoen!" Man musste seinem Jubel Einhalt tun; er waere sonst spornstreichs durch die Strassen gerannt und haette die Nachricht an allen Ecken verkuendigt. Das helle Wasser der Freude stand der alten, treuen Seele in den Augen; er kuesste dem alten Herrn und dem Grafen die Roecke, und beiden war es ein neuer schoener Beweis, wie das Maedchen Wunderhold alle Herzen bezauberte; hatte sie ja doch, die holde Fruehlingssonne, den alten, eingeschnurrten, winterlichen Eisbaeren aufgeweicht und zum tollenden Kinde gemacht. * * * * * REUE UND LIEBE. "Und nun noch eine Bitte," sagte der glueckliche Graf zu seinem Retter und Ratgeber; "jetzt noch eine Bitte! Ich habe dem armen Kind diese Tage her so wehe getan; ich sah es ihr an, wie ich ihr Herzchen gebrochen habe,--lassen Sie es mich heute noch gut machen!" Der alte Herr meinte zwar, es moechte heute schon zu spaet sein, und er solle seine Ungeduld bis morgen zuegeln; aber der Graf bat immer dringender. "Kann ich es dulden, dass sie noch eine Nacht mir boese ist, dass sie auch nur noch eine Traene ueber mich weint? Nein, heute abend noch bitte ich ihr ab, was ich gefrevelt habe; aber in dem Salon, wo die Graefin, die an allem Unheil ganz allein schuldig ist, auf mich lauert, macht sich eine solche Versoehnung nicht gut. Sie muessen mir schon dazu helfen. Gehen Sie hinueber! Wenn ich nicht irre, hat Ida versprochen, Ihnen ihre Zeichnungen zu zeigen. Ich schleiche nach, wenn sie mit Ihnen hinaus geht, und vor Ihnen habe ich mich ja nicht zu genieren." "Will dir auch den Platz ganz und gar nicht versperren. Nun, in Gottes Namen, komm!--wenn so ein Herzchen von vierundzwanzig Jahren siedet und haemmert, da hilft es nichts mehr, zu raten und zu predigen. Das Hammerwerk geht fort, ob so ein alter Meister Dietrich 'halt' sagt oder nicht. Aber das sage ich dir: den fatalen Frack da ausgezogen und dein Kollett an, den Familienehrensaebel umgehaengt, dass du auch etwas gleichsiehst! darfst dich weiss Gott, vor Koenig und Kaiser darin sehen lassen; darum tritt als Soldat auf, wenn du dein Maedchen zum ersten Male ans Herz drueckst!" "Zum erstenmal ist es nun nicht," lachte der Graf, indem er den goldenen Saebel umschnallte; "aber leider war die erste Umarmung gleichsam das unterbrochene Opferfest unserer Liebe; denn die Graefin kam dazwischen, als ich schon den Mund zum ersten Kuesschen spitzte." "Kamerad, das hast du schlecht gemacht," belehrte ihn schmunzelnd der alte Theresienritter; "wenn man einmal so weit ist, so muss ausgekuesst werden, und wenn eine Kartaetschenkugel zwischendurch fahren wollte; so stand es wenigstens im Reglement zu meiner Zeit; denn es ist in der Natur nichts Schaedlicheres und Fuerchterlicheres als ein unterbrochener Kuss." Der Graf versprach, folgsam zu sein und sich ein andermal streng an das Reglement des alten Herrn zu halten. In Praesidents Haus war man beim Tee versammelt, als der alte Herr von Ladenstein hinueber kam. Die Graefin wollte ihn sogleich ins Gebet nehmen und schmaelen, wo denn die Herren heute alle bleiben; er aber gab ihr kurz zur Antwort, dass die Bewohner des Mondes und einige andere Herren auf der Jagd gewesen seien. Sie fragte sehr witzig, ob man doch keinen Bock geschossen habe, und wollte sterben vor Lachen ueber ihr eigenes Bonmot. Der Alte aber dachte: "Lache du nur immer zu; wenn du wuesstest, wie nahe dich der Bock angeht, der geschossen worden ist, du wuerdest nicht lachen; doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!" Er erinnerte Ida an ihr Versprechen, ihm ihre Zeichnungen und Malereien zu zeigen. Sie nickte freundlich ein Ja und flog vor ihm die Treppe hinan, dass er kaum folgen konnte. Es sah etwas kunterbunt in dem Zimmer aus, das sie, weil sie der Graefin Platz machen musste, einstweilen bewohnte. Sie entschuldigte sich daher bei dem alten Herrn. "Machen Sie doch nur keinen falschen Schluss auf meine Ordnungsliebe, lieber Ladenstein," sagte sie; "aber die Graefin hat uns aus aller Ordnung herausgejagt, und besonders mir kam sie gar nicht sehr geschickt; denn sie hat mich aus meinen vier Waenden, die ich so huebsch eingerichtet hatte, herausgejagt und nicht eher geruht, bis ich hier heraufzog." "So, das hat die Graefin gewollt?" sagte der Alte, dem es immer klarer aufging, dass jene ein falsches Spiel spiele; er schrieb es sich _ad notam_, um den Grafen noch mehr zu ueberzeugen. Sie schloss jetzt ihre Mappe auf und breitete ihren Schatz vor ihm aus. Der Alte vergass auf einige Augenblicke, dass er ja dies alles nur als Vorwand gebrauchen wollte; er war Kenner und ein wenig streng gegen die gewoehnlichen Dilettantinnen in der Kunst; er konnte es nicht ausstehen, wenn man die grellsten, fehlerhaftesten Zeichnungen, wenn sie nur von einer schoenen Hand waren, "wunderschoen und genial gedacht" fand; er hatte hundertmal gegen diese Allgemeinheit der Kunst geeifert, wodurch sie endlich so gemein wuerde, dass ein jeder Sudler ein Raphael oder jede Dame, die den Baumschlag ein wenig nachmachen konnte, ein Claude Lorrain wuerde. Aber hier bekam er Respekt; da war nichts uebersudelt oder schon als Skizze weggeworfen; nein, es war alles mit einem Fleiss behandelt, mit einer Sorgfalt ausgefuehrt, die man leider heutzutage selten mehr findet und die man gerade an den groessten Kunstwerken alter Meister so hoch schaetzen muss. Des Maedchens traenenschwere Miene, die seit einiger Zeit sie selten verliess, heiterte sich unwillkuerlich auf, als sie sich von einem so tiefen Kenner, als welcher der alte Herr sich zeigte, belobt, sogar bewundert fand; er stiess auf Kartons, zu denen sie sich als Urheberin bekannte, und sie waren alle meisterhaft; er wandte das letzte Blatt in der Mappe um und hielt ueberrascht inne; sie wollte ihm die Zeichnung entreissen, sie bat, sie flehte--es half nichts; es war ein zu bedeutendes Aktenstueck, als dass er es haette unbetrachtet aus den Haenden gelassen. Es stellte eine ihm unbekannte Kirche vor, am Altar stand eine hohe, erhabene Figur--bei Gott, bis zum Sprechen aehnlich--Emil; der tiefe, wehmuetige Ernst, der sonst in seinen Zuegen lag, war herrlich aufgefasst und wiedergegeben. Man fuerchtete, wenn man in diese Zuege sah, ein namenloses Unglueck zu erfahren, das auf den feinen Lippen schwebte: zur Seite standen zwei Maenner, wovon er nur den einen kannte, es war der alte Brktzwisl; auch in diesem, nichts weniger als malerischen Gesicht war die ehrliche Gutmuetigkeit, die innige, ergebungsvolle Teilnahme an dem Schicksal seines Herrn trefflich ausgedrueckt; weiter im Hintergrund sah man zwei Figuren, die, weil sie im Schatten standen, kaum fluechtig angedeutet waren; doch glaubte er in der einen die Zeichnerin selbst zu erkennen. An dem Bilde war ausser der Aehnlichkeit der Gesichter und der gelungenen Anordnung der Gruppen auch die Verteilung des Lichtes hoechst genial ausgefuehrt; es war naemlich Nacht in der Kirche, und die Helle ging nur von einer truebe brennenden Laterne aus, so dass nun die wunderherrlichen Licht- und Schattenpartien, das Verschweben der Helle im Dunkel auf ergreifende Weise angegeben war. Die Zeichnung an sich haette seine innigste Bewunderung erregt; aber er kannte auch gar wohl den Moment, der hier dargestellt war; er kannte die Gestalt, die sich so bescheiden ins Dunkel gestellt hatte; es war die Retterin seines geliebten Juenglings; geruehrt sah er zu ihr herab; auch sie war tief ergriffen. War es der furchtbare Moment des Wahnsinns, wie sie ihn erlebt und gesehen hatte, war es der Gedanke, dass der, den sie rettete, der nachher, aufgeloest von Dankbarkeit, nur ihr gehoert hatte, dass dieser auf die ersten Lockungen einer Kokette sie verlassen hatte? --Sie stand, das holde Amorettenkoepfchen tief gesenkt, voll Wehmut da; Traene um Traene stahl sich aus ihren Augen und rieselte ueber die Wangen herab. Er sah sie einige Augenblicke an und teilte stillschweigend ihren Kummer. Doch er konnte ja alles gut machen, er konnte die Traenen in Laecheln verwandeln. "Seien Sie nur ruhig, gutes herziges Kind; der tolle Patron da, den Sie so gut getroffen haben, der soll Ihnen abbitten, soll alles wieder gut machen."-- Sie sah fragend an ihm hinauf und schuettelte dann wehmuetig laechelnd das Koepfchen, als wollte sie sagen: "Das ist jetzt alles vorbei und hat ein Ende." Er aber liess sich nicht aus seinem Konzept bringen. "Wetten wir diese Zeichnung," sagte er, "der undankbare Junker Obenhinaus muss heran und muss wieder brav und mild sein und seine Ida lieb--" Das Maedchen ward feuerrot. "Herr von Ladenstein," sagte sie, zwischen Wehmut und Unmut kaempfend, "ich haette nicht geglaubt, dass Sie--" "Nun, wenn Sie nicht glauben, so muss ich Ihnen den Glauben in die Haende geben." Damit schritt er zur Tuere und riss sie auf. * * * * * VERSOEHNTE LIEBE. Das Maedchen war sprachlos vor Staunen; es wusste nicht, wie ihm geschah, und traute seinen Augen nicht. In glaenzender Uniform, schoen und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zaertlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Haendchen gefasst und presste heisse, gluehende Kuesse der Liebe darauf, Sie wollte die Hand zurueckziehen, sie zog ihn mit herauf, und ehe sie sich es recht versah--doch das konnte man doch nicht sagen--sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertelsseitenblickchen nach Ladenstein um; doch der schien gar nicht auf sie beide zu achten; denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus--also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fuehlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und--"_Solch_ ein Kuss, das ist ein Kuss!" Und nun bat der arme Suender um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Graefin so eifersuechtig gemacht hatte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache aeltere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Graefin die Cour gemacht, wie er--nun, er hatte sich stark versuendigt, aber sie liess ihn nicht weiter reden; mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden. Sie legte ihm das weiche, zarte Flaumenhaendchen auf den Mund und wisperte ihm erroetend zu, dass sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los. Da wollte er erstens ein kleines Kuesschen zum Zeichen der Vergebung, dann den groesseren Versoehnungskuss, dann einen langen dito, dass sie ihm nimmer boes sei, dann einen noch laengeren, dass sie ganz gewiss nimmer zuerne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, dass er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte. "Aber Kinder, es wird spaet," sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Aermchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, dass sie erschrocken und ueber und ueber bepurpurt aufsprang und nicht wusste, wohin sie sehen sollte; denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht.--"Kinder, es wird spaet, und die Bilder koennten alle schon zehnmal gezeigt sein; wir muessen hinunter zur Gesellschaft." "Nur ich nicht," bat Martiniz; "mir graut, vom Himmel, in dem ich war, herabzusteigen in einen nuechternen irdischen Tee." Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, dass er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinueber zu spedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenachtkuss musste er gestatten. Er wuerde in zwoelf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben, und jetzt endlich trennte man sich. Idchen war es ganz schwindlig zu Mut; tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Koepfchen und draengten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur _eines_ war ihr recht klar und deutlich, dass sie recht gluecklich, unendlich glueckselig sei, dass er sie gek-- Sie erroetete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Maeulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, dass es so wundersuess schmeckte. Nein, so ging es nicht, sie musste sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glueck verkuenden. So ging es nicht, da musste man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgueltige Gesichter; aber sie mochte es machen, wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustige Koepfchen mit einem spitzigen Maeulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles moegliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgueltigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgueltige Miene, bis man sich verabschiedete. Doch nein, einmal waere sie beinahe herausgeplatzt, und sie hatte zu beissen und zu schlucken, dass kein Kichern hervorkam. Die Graefin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, dass der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen. "Das verzeihe ich ihm in den naechsten zwei Tagen nicht," setzte sie prezioes hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: "Die verberstet vor Neid," waehrend es nur unterdruecktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenkoepfchen um die Lippen zuckte,--"wenn er morgen frueh mich zu besuchen kommt, wird er nicht angenommen, nachmittags--nicht angenommen, und abends--nun, da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, dass er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren." "Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!" laechelte Fraeulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida. "Der arme Graf," dachte sie und lachte still in sich hinein; sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde. * * * * * DIE FREIWERBER Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ginge, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen; es war ein Viertel, er kam noch nicht. Dass der Vater ihn erwarten wuerde, wusste sie wohl; denn der Graf hatte sich anmelden lassen; aber sie fuerchtete, der Praesident moechte uebler Laune werden, wenn er so lange warten muesse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der braeutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch fuer ein Maedchen keine erwartungsvollere Stunde geben als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Maedchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist zwischen der Anhaenglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will. Zwar konnte Ida nicht zweifeln, dass der Vater diese Partie fuer sie sehr anstaendig finden wuerde; aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhaeltnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhoechsten Ungnade nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen fuer eine andere bestimmt hatte? Und dann der Onkel des Grafen,--sie hatte vom Hofrat gehoert, dass es einen solchen gebe, einen aeltlichen, etwas graemlichen Mann, von dem der Graf sehr abhaengig sei; wird er auch seine Einwilligung geben?-- Auch vor der Graefin war ihr bange. Zwar, es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Hoellenkuenste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureissen, ueberwunden zu haben; aber sie scheute sich doch beinahe ebenso sehr vor dem Zorn der Gewaltigen, als sie sich freute, zu sehen, was sie fuer ein Gesicht machen werde, wenn man ihr es ankuendige. Endlich--ja, er war es; in seiner glaenzenden Uniform wie gestern trat er heraus,--mit ihm Ladenstein; nein, wie aber dieser geputzt war! Sie hatte, als sie sich bei Hof praesentieren liess, einmal einen ....schen Gesandten gesehen, gerade so war er gekleidet; der Frack starrte von goldener Stickerei, ein handbreites Ordensband ging ihm ueber die Brust quer herab, auf der Brust--was tausend! Da hatte er ja sogar einen Stern! "Nun, das muss doch ein vornehmer Herr sein, der Herr von Ladenstein," dachte Ida und machte grosse Augen, "und sonst sieht er doch ganz schlicht aus." Es kam die Treppe herauf, es pochte an ihrer Tuere; gewiss wollte Emil noch einmal--nein, es war nur Ladenstein, aber auch dieser war ihr willkommen. Aber so freundlich er laechelte, so war es ihr doch, als koenne sie heute nicht so ungeniert sein als frueher. Sie machte einen tiefen, tiefen Hof- Gala-Knix, als er so bebaendert, besternt und uebergoldet zu ihr eintrat, und wusste nicht gleich recht, wie sie ihn empfangen sollte; er aber lachte ihr gerade ins Gesicht: "Ich weiss wohl, woran es liegt, dass mich Fraeulein Ida nicht empfaengt wie einen alten Freund; die paar Ellen Band da! Ei, ei, das haette ich doch nicht gedacht, dass sich eine junge Dame dadurch gleich so einschuechtern liesse!" Sie sammelte sich und lachte sich jetzt selbst recht aus, dass sie ihn so steif und foermlich wie eine ungeheure Respektsperson empfangen habe; er zog sie zutraulich zu sich auf den Divan und erzaehlte, dass Emil in diesem Augenblick mit seiner Werbung vor dem Papa stehe und sie hoffentlich recht bald als Braeutchen umfangen werde.-- Das Maedchen ward feuerflammrot; sie hatte sich noch von keinem Menschen Braut nennen hoeren, es war ihr ein so ungewohntes Woertchen, und doch kam es ihr selbst wieder vor, als sei es ihr recht braeutlich zu Mut.-- Er selbst, fuhr der freundliche Alte fort, sei als Reservebataillon und Hinterhalt aufgestellt; er habe sich darum mit all seinem Flitterputz angetan, um damit dem Herrn Papa-Praesidenten, wenn er etwa noch einiges Bedenken tragen sollte, ueber den Hals zu fallen. Ida ward recht nachdenklich, als sie aus Ladensteins Mund hoerte, dass es denn doch fehlen koenne, und sagte: "Ach, vor meinem Vater ist mir nicht so bange, der gibt am Ende schon nach, wenn ich ihn recht schoen bitte; aber der Onkel--"--"Nun, was fuer ein Onkel ist denn das?" fragte Ladenstein aufmerksam und neugierig. "Emils Onkel, wissen Sie denn nichts von dem? Ach Gott! Das soll ein gar boeser alter Herr sein,"--Ladensteins Gesicht zog sich immer mehr in die Laenge bei diesen Nachrichten--"das hat mir Hofrat Berner, der den jungen Grafen und seine Verhaeltnisse kennt, gesagt; von ihm haengt Emil ab; denn er soll ihn so lieb haben wie seinen Vater, und der alte Herr soll auch sehr viel an dem Neffen tun--"--es zuckte wie tiefe Ruehrung in Ladensteins Gesicht--"wenn nun dieser die Sache erfaehrt," setzte sie traurig hinzu, "wenn er dem Grafen eine Schoenere, eine Bessere ausgesucht haette, wenn er _nein_ sagt--" "O, er sagt nicht nein, er kann keine Bessere finden," unterbrach sie der alte Herr voll wunderbarer Ruehrung. "Eine Treuere wenigstens nicht, keine, die ihn mehr ehren wuerde; ach, wenn man nur den erweichen koennte! Sehen Sie, Ladenstein," sagte sie unter Traenen laechelnd, "ich habe mir eine kleine List ausgedacht, es ist zwar eine Kriegslist, aber doch wohl eine erlaubte, und Sie habe ich dazu ausersehen, dass Sie mir dabei helfen. Sie kennen die Szene aus der Kirche, die ich Ihnen gestern zeigte; die habe ich nun ganz eigentlich fuer den alten Martiniz entworfen. Sehen Sie, wenn er etwa zweifelt, dass ich seinem Neffen so recht von Herzen gut bin, so--das tun Sie mir schon zu Gefallen, und Sie kennen den alten Herrn gewiss--so zeigen Sie ihm die Gruppe da, sagen Sie ihm, ich sei es gewesen, die seinen Emil von dem schrecklichen Wahn befreite; wollen Sie?" Der alte Herr nickte ihr stumm seine Einwilligung zu, die hellen Traenen rollten ihm durch die gefurchten Wangen, er war so tief geruehrt, dass er nicht sprechen konnte; er fasste ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Endlich fasste er sich doch wieder; er wischte die Traenen hinweg, er war freundlich wie zuvor und fand auch die Sprache wieder. "Ich will es ihm geben, dem alten Gesellen," sagte er laechelnd, "ich kenne ihn so gut wie mich selbst und darf sagen, dass ich sein innigster--bester Freund bin; haben Sie keine Sorgen, Toechterchen, der Alte schlaegt mit Freuden ein; aber das Bild da soll er haben, und wie ich ihn kenne, wird er es hoch anschlagen, es wird sein bestes Kabinettsstueck sein." * * * * * FORTSETZUNG DER FREIER. Sie wurden von Emil unterbrochen, der in stuermischer Eile Ladenstein zum Praesidenten hinabrief. Dieser ging und liess die beiden allein. Emil sagte seinem Maedchen, dass der Papa durchaus nicht abgeneigt scheine; nur habe er bange, was der Hof dazu sagen werde. Er fuer seinen Teil koenne diese Bedenklichkeiten nicht begreifen; denn offenbar gehe es den Hof nicht im mindesten etwas an, wen er heiraten wolle. Ida konnte wohl ahnen, was ihr Vater unter diesen Bedenklichkeiten wegen des Hofes verstand; aber sie scheute sich, den Geliebten darueber zu belehren. Es waere aber auch Suende gewesen, ihn in seinem Glueck zu stoeren. Er sass so selig neben dem braeutlichen Maedchen, er war so trunken von Wonne und Glueck, dass er nichts anderes mehr zu hoeren und zu denken schien als sie. Man konnte aber auch nichts Holderes, Lieblicheres sehen als das Maedchen. Ihr Auge glaenzte voll Liebe und Seligkeit, auf den Wangen lag das heilige Fruehrot der braeutlichen Scham, um den Mund spielte ein reizendes Laecheln, das bald Verlegenheit ueber den ihr so ungewohnten Stand einer Braut, bald Wonne und Freude verriet. "Mein holdes, einziges, mein braeutliches Maedchen," rief der glueckliche Martiniz, nachdem er sie lange mit seinen trunkenen Blicken angeschaut hatte. "Mein lieber, guter Emil," lispelte sie und sank in seine Arme und barg ihr tief erroetendes Koepfchen an seiner Brust. Aber obgleich es ihm Freude machte, das Engelskind so an sein treues Herz geschmiegt zu sehen, das schoene Haar mit seinen Ringelloeckchen zu betrachten und in den herrlich gewoelbten Nacken, so rein und weiss, so glaenzend wie aus Wachs geformt, niederzublicken, so machte ihm doch die Kehrseite mehr Freude. Er fasste das Engelskoepfchen an dem sanften Kinn und hob es aufwaerts. Wie mild, wie treu blickten ihn diese Augen an, wie wuerzig woelbten sich die Purpurlippen ihm entgegen! Er schlang den Arm um den schlanken Leib, er presste sie an sich und sog in langen, langen Kuessen das suesseste Leben in sich ein. Nein, wahrhaftig, so sonderbar war ihr in ihrem ganzen Leben nicht zu Mut gewesen wie in diesen Augenblicken. Es prickelte und zuckte ihr durch alle Nerven, durch alle Glieder und Gliedchen, bis hinaus in die Fingerspitzen, bis hinab in den grossen Zehen. Es war ihr so wohl, so wonnig zu Mut, als sollte sie, aufgeloest in innige Liebe, vergehen. Sie wollte ihn ansehen und hatte doch das Herz nicht dazu, sie wollte sich schaemen und schalt sich wieder aus ueber die Torheit; denn es war ja ihr Braeutig--; nein, das fiel ihr eben siedendheiss ein, es war noch nicht ihr Braeutigam, Papa hatte ihm seine Einwilligung noch nicht zugesagt--es schickte sich doch nicht so recht; sie wand sich verschaemt aus seinen Armen und wollte eben sagen, dass er doch ein wenig einhalten-- Da ging die Tuere auf und mit freudestrahlendem Gesicht, den laechelnden Praesidenten an der Hand, schritt Ladenstein herein. "Ich gratuliere," rief er, "der Herr Papa willigt ein." Ida flog an den Hals ihres Vaters. Sie weinte, sie lachte in einem Atem, sie streichelte seine Wangen und kuesste ihn und war ein so munteres, woehliges Kind, als habe er ihr eine huebsche Puppe zum Weihnachten oder als Geburtstagsangebinde geschenkt. Auch Emil war aufgestanden und zum Praesidenten getreten. Er fragte ihn voll Freude, ob es ihm erlaubt sei, ihn Vater zu nennen. Der Praesident laechelte und zeigte auf Ladenstein. "Nach dem, was Seine Exzellenz, Ihr Herr O--" ein Wink des alten Herrn machte, dass er sich schnell korrigierte--"was Herr von Ladenstein mir sagte, ist durchaus kein Zweifel mehr in mir, der dieser Verbindung entgegen waere." Die Gluecklichen sanken sich in die Arme, sie umarmten sich, den Vater, den guten Ladenstein, ja, es schien fast, als moechten sie noch mehr Zeugen ihres Glueckes. Und nun ging es an ein Akkordieren wegen der Hochzeit; der Graf wollte lieber heut als morgen und haette gerne sein liebes Braeutchen nur so im Hauskleidchen, wie sie dastand, ins Muenster gefuehrt. Aber dagegen straeubte sie sich selbst. Sie sah gar zu naiv aus, als sie so ernsthaft sagte--"Nein, wenn es einmal sein muss, so muss es auch recht sein. Im Hausueberroeckchen traut man kein reputierliches Fraeulein." Der Praesident stimmte bei; er sagte: "Sie haben ja noch gar nichts, wo sie nur ihr Haupt hinlegen koennten, keine Wohnung, keinen Stuhl, kein Bette!" Aber dagegen protestierte wieder Ladenstein feierlich: "Ein Vierteljahr ist viel zu lang, und was den Ort betrifft, wo sie ihr Haupt hinlegen koennten, da habe ich ein so anstaendiges Plaetzchen ausersehen, wie man es nur wuenschen kann. Da ist--" er zog eine grosse Schreibtafel hervor, nahm mehrere Papiere heraus und entfaltete sie--"da ist ein gerichtlich ausgefertigter Kaufbrief von Schloss und Herrschaft Gross-Lanzau, drei Viertelstunden von hier, angekauft fuer den Herrn Grafen Emil von Martiniz, wenn Sie ihn kennen, und ihm von seinem Oheim zur Morgengabe uebermacht, kann heute schon bezogen werden, wenn es ihm gefaellig ist." Die drei machten grosse Augen. Emil stuerzte dem alten Herrn an den Hals. "Mein teurer vaeterlicher--" "Still, still, ist schon gut," unterbrach ihn der alte Herr, indem er ihm die Hand auf den Mund legte, "bedenke dein Versprechen. Ich habe hier nur den Geschaeftstraeger gemacht, danke deinem Onkel, wenn er einmal da ist!"--"Ach, wo ist er denn, der gute Onkel," rief Ida, "dass ich ihm danken kann fuer seine unendliche Guete?" "Wird auch kommen zu seiner Zeit," antwortete Ladenstein, indem ihm eine Traene der Ruehrung im Auge blinkte, "er wird schon kommen und eine Freude an seinem holden Toechterchen haben; einstweilen soll ich Idchen in seinem Namen kuessen." Er gab ihr einen recht vaeterlichen Kuss auf die schoene Stirne. Der Praesident hatte indessen die Papiere durchgesehen. Je laenger er las, desto groesser und staunender wurden seine Augen. Ehrfurchtsvoll faltete er die Papiere zusammen und sagte: "Nein, das ist zu arg, das ist zu viel; bedenket, Kinderchen, nicht nur das herrliche Gross-Lanzau mit dem schoenen, neuen Schloss, ganz durch und durch elegant ausmoebliert, mit Stallung und Pferden, mit Scheunen und Knechten, mit Waeldern und Feldern, weiss Gott, seine zweimalhunderttausend Taler unter Bruedern wert, nein, bedenkt auch noch--" "Still, alter Herr," unterbrach ihn Ladenstein. "Macht kein solches Wesen von dem Zeug! Ihr wisst, der alte Martiniz kann es geben und gibt es gern. Da ist auch noch etwas in den Papieren fuer das liebe Braeutchen, naemlich ein kleines Schloesschen, hart am Fluss, ein Stuendchen von hier. Man hat mir gesagt, dass Idchen immer gerne an jenem Plaetzchen gewesen sei, und deswegen hat es der Herr Onkel seiner lieben Nichte erb- und eigentuemlich zum Brautgeschenk uebermacht." Voll freudigen Schreckens schlug das Maedchen die Haende zusammen. "Doch nicht mein liebes Blauenstein?" rief sie. "Ebendasselbe," antwortete Ladenstein und ueberreichte ihr die Schenkungsakte. Sie konnte es nicht fassen, sie tanzte mit dem grossen Brief im Zimmer umher wie naerrisch und rief immer: "Mein Blauenstein, mein liebes, herziges Blauenstein!" dass die drei unwillkuerlich ueber die possierliche Freude des Maedchens lachen mussten. Es ist aber auch wahr, man kann nichts Schoeneres sehen als dieses Blauenstein. Ein allerliebstes Schloesschen mit fuenf bis sechs elegant eingerichteten Zimmern und einem Salon, auf drei Seiten von einem schoenen Wald umgeben und die vierte Seite, die Fassade des Schloesschens, gegen den schoenen Fluss geoeffnet, und eine paradiesische Aussicht hinueber in Taeler und Berge--und dieses lauschige, liebliche Plaetzchen ihr ganz eigen, ihr, dem froehlichen Braeutchen, und dort zu wohnen als Frauchen mit ihrem Emil--gewiss, ein solcher Gedanke haette manche andere tanzen gemacht! Und jetzt hatte der Praesident auch nicht das geringste mehr einzuwenden, und die Hochzeit wurde vor den Ohren des erroetenden Maedchens auf die naechste Woche festgesetzt. Heute abend aber wollte Papa Praesident grosse Gesellschaft geben und dort das junge Paar als Braut und Braeutigam praesentieren. * * * * * DIE SOIREE. "Was aber der Praesident Sanden dick tut!" sagten die Freilinger, als jetzt die Lakaien in der Stadt umherflogen und zum Souper einluden. Die meisten dachten, es geschehe der Graefin Aarstein zu Ehren, bei welcher er sich auf alle moegliche Weise zu insinuieren suche, um spaeter einmal Minister zu werden. Als man aber abends in den Salon des Praesidenten trat, wurde man noch mehr von diesem "Dicketun" ueberzeugt. Ausser den prachtvollen Luestres, die gewoehnlich bei Gesellschaften angezuendet wurden, war eine ganze Galerie der geschmackvollsten Wandleuchter von Bronze angebracht, und Walratlichter, so durchsichtig und klar wie Glas, eine ganz nagelneue Erscheinung fuer Freilingen, strahlten ein Feuermeer von sich. Die Waende waren mit Festons von Blumen und gruenen Zweigen geschmueckt, die sich in den deckenhohen Spiegeln zu einem ganzen Wald von Kraenzen und Girlanden vervielfaeltigten. Ein ganzer Hausrat der praechtigsten Kristalls, Vasen, Teller, Becher, Platten, Schuesseln, Bouteillen blinkte mit seinen geschliffenen Figuren in tausend vielfarbigen Lichtern. Das schwerste Silber an Bestecken und Leuchtern ward heute aufgesetzt, und jedermaenniglich war erstaunt ueber diese Pracht. Einige aber, die feinere Nasen hatten als die uebrigen, legten die Finger daran und kluegelten hin und her, was dies alles zu bedeuten habe; denn man wusste so ziemlich allgemein, dass der alte Sanden ohne Not und wichtige Ursache nicht so viele Umstaende mache. Doch aus seinem Gesicht konnte man nicht recht vernehmen, was er in petto habe, Er empfing seine Gaeste hoechst freundlich, aber zeremonioes, sprach mit keinem sehr viel und lange, sondern teilte sich ueberall und allen mit. Die Graefin--nun, die kam endlich, sah aber nicht danach aus, als ob ihr das Fest gehoere; denn sie war wie gewoehnlich prachtvoll, aber nicht gerade festlich gekleidet. Die einzigen von allen Gaesten, die mit ihren Erwartungen so ziemlich am naechsten ans Ziel trafen, waren wohl Leutnant Schulderoff und seine Kameraden. Sie waren seit der Duellgeschichte die eifrigsten Freunde des Polen geworden und hatten ihre geheime Schadenfreude daran, dass der Goldfisch wahrscheinlich der Aarstein, welche die Garnisonoffiziere sehr ueber die Achsel angesehen und ganz obenhin behandelt hatte, entschluepfen wuerde. "Wenn die Ida doch keinem von uns gehoeren soll," hatte Schulderoff geaeussert, "so goenne ich sie am liebsten dem Martiniz; er ist Soldat und, das muss man ihm lassen, brav wie der Teufel; stand er doch da, als die blaue Bohne auf ihn zusurrte, als waere es ein Schneegloeckchen; so kalt und fest habe ich in meinem Leben keinen sich schiessen sehen. Und am Ende hatte er doch recht; denn Sporeneck raesonierte doch ueber die Ida, dass es mir selbst das Herz im Leibe hat zerreissen wollen. Das kommt aber von niemand her als von der Aarstein, die den guten Jungen, den Sporeneck, zum Teufel modelliert hat, und nebenbei kommt es auch von meiner Frau Mama mit ihrer ewigen Planmacherei, mich unter die Haube zu bringen, und nebenbei auch von der falschen Katze, der Sorben, die gegen jedermann ergrimmt ist, der nicht von ihren Reizen hingerissen wird." So urteilte der Leutnant und mit ihm seine Kameraden, so sehr hatte die Uniform und der Orden auf Martiniz' Brust die ganze Sache veraendert. Endlich war die ganze Gesellschaft beisammen. Man konversierte in dem festonierten Saal, ehe man zu den Spieltischen ging, und die Graefin hatte den groessten Hof um sich; denn man dachte nicht anders, als sie muesse doch vielleicht die Koenigin des Festes sein. Es fehlte niemand mehr; doch ja, Martiniz und Ladenstein fehlten noch; die Graefin suchte vergebens mit ihren rastlosen Blicken nach dem ersteren. Sie hatte eine tuechtige Schelte einstudiert, um ihn fuer seine Vernachlaessigung zu strafen; ueberhaupt hatten sich ihr heute so sonderbare Gedanken aufgedraengt--der Graf, der sich doch sonst an sie angeschlossen, dem sie so merklich als moeglich ihre Neigung zu ihm gezeigt hatte, war zwei Tage gar nicht fuer sie sichtbar; sie wusste, dass er heute im Haus gewesen, und doch hatte er sie nicht besucht; der Rittmeister--der war ihr nun ganz unbegreiflich, und sie war bitterboese auf ihn. Im ganzen war er ihr gleichgueltig; denn ihre Neigungen waren sehr fluechtiger Natur; auch war ihr der Graf jetzt bei weitem interessanter, und sie gestand es sich selbst, sie haette ein Wohlwollen zu ihm, das beinahe Liebe war,--aber dennoch sollte der Rittmeister noch immer der _Cavaliere servente_ sein, und dennoch konnte er es wagen, zwei Tage sich nicht mit einem Blick sehen zu lassen. Wenn er auf die Jagd geritten war, wie die uebrigen Offiziere aeusserten, so haette er wenigstens ein Billett an sie hinterlassen koennen--aber sie wollte es ihm entgelten. Der Arme! er lag gerade jetzt auf seinem Schmerzenslager und fluchte die fuerchterlichsten Flueche, dass er sich jemals in die Dienste dieser Sirene begeben habe. * * * * * DIE BRAUT. Auch Ida fehlte noch in der Gesellschaft; nun, sie hatte wahrscheinlich noch manches fuer die Bewirtung zu sorgen und zu ruesten. Endlich--der Praesident hatte sich heimlicherweise weggeschlichen--endlich ging die Tuere auf, ein allgemeines Fluestern der Erwartung rauschte durch den Saal--herein trat ein grosser, aeltlicher Herr in reicher, praechtiger Kleidung, mit Sternen und Orden besaet--wir kennen ihn schon--, an seinem Arm ein holder; verschaemter Engel voll Huld und Anmut, demuetig und doch voll wunderbarer Majestaet--Ida. Aber wie _das_ Maedchen heute geputzt war, das Blondenkleid--man hatte noch nichts so Feines, Zartes, Geschmackvolles gesehen. Um den Schwanenhals ein Perlenschmuck, der--es waren scharfe Kenner in dem Saal, aber sie schwuren hoch und teuer, mit den fuerchterlichsten Fluechen, er sei unschaetzbar und nicht in diesem Lande gekauft! Im zierlich geordneten Haar einen Solitaer--die Graefin haette heulen moegen, dass sie den ihrigen hatte in der Residenz lassen muessen--er war in Kost und Logis bei Salomon Moses Soehnen und doch haette er gegen _dieses_ Wasser, gegen die funkenspruehende Kraft _dieses_ Steins verbleichen muessen! Hatten die Gaeste schon dieses Paar mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, so riskierten sie jetzt, vor Verwunderung den schwarzen Star zu bekommen; denn jetzt trat der Praesident ein, an der Hand fuehrte er einen Juengling, hoch und schlank, in prachtvoller, pompoeser Uniform, den Diamantorden auf der stolz gewoelbten Brust, an der Seite einen mit flunkernden Steinen uebersaeeten Saebel, in der Hand seinen Kalpak, woran die Agraffe, ein Familienstueck, von Kennern auf zweimalhunderttausend Taler geschaetzt wurde; der Praesident mit seinem strahlenden Juengling trat naeher, es war Emil. Der Kreis der erstaunten Gaeste oeffnete sich--der Praesident empfing aus Ladensteins Hand sein Idchen; so trat er mit dem Paerchen in den Kreis--die Graefin mochte ahnen, was vorging; denn sie schoss wuetende Blicke auf die drei, ihr Busen flog auf und nieder; tief und bescheiden neigte sich Ida, das Engelskind, und erroetete ueber und ueber; der Graf aber schaute froehlich, stolz mit seinem siegenden Glutblick im Kreise umher, der Praesident verbeugte sich und begann: "Verehrte Freunde, ich habe Sie eingeladen, ein glueckliches Ereignis meines Hauses mit mir zu begehen--meine Ida hat sich heute verlobt mit dem Grafen Emil von Martiniz." Von Anfang tiefe, tiefe Stille; man haette eine Muecke koennen trappen hoeren--unwillkuerlich flogen die Blicke der erstaunten Gaeste nach der Graefin; denn _sie_, _sie_ musste ja nach ihren Kalkuelen die Braut sein; dann oeffneten sich die Schleusen der Beredsamkeit, ein ungeheurer Strom von Gratulationen, gegenseitigen Lobpreisungen brach ueber die Dame herein; man hoerte sein eigenes Wort nicht, so gingen wie in einer Windmuehle, wenn der Nordost blaest, die Maeuler und Maeulchen. Endlich fand auch die Graefin Worte; sie hatte, das uebersah sie mit _einem_ Blick, das Schlachtfeld verloren; jetzt galt es, sich geordnet zurueckzuziehen und dem Feind, wo sie eine Bloesse erspaehen koennte, noch eine tuechtige Schlappe zu geben. Sie hatte schnell gefunden, was sie wollte. Sie eilte auf Ida zu, umarmte sie herzlich und wuenschte ihr Glueck zu ihrer Verbindung. "Aber dennoch, Kinderchen," setzte sie hinzu und wollte freundlich aussehen, obgleich ihr das gruene Neidfeuer aus den Augen spruehte und ihr Mund krampfhaft zuckte, "dennoch weiss ich nicht, ob ihr ganz klug getan habt. Idas Mutter war, soviel ich weiss, aus keinem alten Haus, und Sie selbst, Graf, muessen wissen, wie Ihr Oheim; der Minister, darueber denkt; wenigstens so viel ich mir von ihm habe sagen lassen, wird er diese Verbindung nun und nimmermehr zugeben." Ida war ganz bleich geworden; sie dachte im Augenblick nicht daran, dass nur boeslicher Wille und Neid die Graefin so sprechen lasse; das Wasser schoss ihr in die Augen, sie warf einen bittenden, hilfesuchenden Blick auf Ladenstein und Martiniz. Jener stand auf der Seite und sah ernst, beinahe hoehnisch, der Graefin zu; Emil aber sagte ganz kalt und gelassen: "Wissen Sie das so gewiss, gnaedige Frau?" Diese Gleichmut reizte sie noch mehr; eine hohe Roete flog ueber ihr Gesicht, die Augen strahlten noch tueckischer. "Ja, ja, das weiss ich gewiss," rief sie, "ein Freund Ihres Herrn Onkels, der Geheimrat von Sorben, hat mir ueber diese Sache hinlaenglich Licht gegeben, dass ich weiss, dass er diese Mesalliance nie genehmigen wird; Sie werden es sehen!" "Und dennoch hat er sie genehmigt," antwortete eine tiefe, feste Stimme hinter ihr. Erschrocken sah sie sich um; es war der alte Ladenstein, der sie mit einem hoehnischen, sprechenden Blicke ansah; sie konnte seinen Blick nicht aushalten und mass ihn daher mit stolzem Laecheln, hinter das sie ihre Wut verbarg, von oben bis unten. "Das muesste doch sehr schnell gegangen sein," sagte sie und schlug eine gellende Lache auf, "noch vor fuenf Tagen lauteten die Nachrichten hierueber ganz anders; der Herr von Sorben sagt mir--" "Er hat Sie belogen," entgegnete der alte Herr ganz ruhig. "Nein, das wird mir zu stark," rief die hohe Dame gereizt, "von einem Mann wie Herr von Sorben bitte ich in andern Ausdruecken zu sprechen; wie koennen _Sie_ wissen, was der alte Herr von Martiniz--" "Er steht vor Ihnen, gnaedige Graefin," sagte der alte Herr und beugte sich tief, "ich heisse--mit Ihrer Erlaubnis--Dagobert, Graf von Ladenstein-Martiniz." Ehe er noch ausgesprochen hatte, lag Ida an der besternten Brust des Oheims, vergoss Traenen der Freude und der Wonne und suchte vergeblich nach Worten, ihr Entzuecken auszusprechen. Die Graefin stand da, wie zu einer Saeule versteinert; doch hatte sie, sobald Sie wieder Atem hatte, auch Fassung genug zu sprechen; so freundlich und herablassend als moeglich wandte sie sich an das junge Paar: "Nun, da wuensche ich doppelt Glueck, dass ich mich geirrt habe. Haette es Sr. Exzellenz frueher gefallen, seine Maske abzunehmen, so wuerde ich Ihr Glueck auch nicht auf einen Augenblick gestoert haben." Sie ging, von aussen ein Engel, im Herzen eine Furie; sie wuenschte in ihrem wutkochenden Herzen alles Unglueck auf das Haupt der unschuldigen Ida. Wuetend kam sie zu der Sorben, die mit Frau von Schulderoff in einer Fenstervertiefung bei einem Glas Punsch sich von dem Schrecken erholte, der ihr in alle Glieder gefahren war. "An allem Unheil ist Ihr sauberer Herr Onkel schuld, Fraeulein Sorben," rief die Wuetende, "warum hat er uns mit falschen Nachrichten bedient? Warum hat er uns nicht gesagt, dass der alte Narr hier herumspukt unter falschem Namen? O, ich moechte--" Der orangefarbene Teint von Fraeulein Sorben war ins Erdfahle uebergegangen; sie hatte die stille Wut und machte sich hie und da nur durch ein unartikuliertes Kichern Luft, indem ihr das helle Traenenwasser in den Augen stand. "Und keine Hufe Landes sollen sie mir kaufen, das Polenpack, solange mein Oheim noch Herr im Land ist; nach ihrem Polen moegen sie ziehen, und das Affengesicht, den naseweisen, duerren Backfisch, moegen sie mitnehmen und dort meinetwegen fuer Geld sehen lassen!" "Ach, das ist ja gerade das Unglueck," seufzte Frau von Schulderoff, "dass wir sie in der Nachbarschaft behalten; denken sich Exzellenz, wie der alte Narr sein Geld zum Fenster hinauswirft; zum Hochzeitgeschenk, erfahre ich soeben, hat er ihnen Gross-Lanzau und das freundliche, nette Blauenstein gekauft!" "Gekauft?" presste die Graefin zwischen den Zaehnen, die sie ganz verbissen hatte, heraus, "gek--" "Denken Sie sich, gekauft um dreimalhunderttausend Taler und ihnen geschenkt; ob man etwas Tolleres hoeren kann!" "Das fehlte noch!" knirschte die Graefin und rauschte weiter. * * * * * PRAELIMINARIEN. Indessen war Ida gluecklich, selig zwischen dem Geliebten und dem Oheim. Dieser Oheim, sie hatte sich ihn als einen graemlichen, alten Herrn vorgestellt, dieser war es, der hie und da in Gedanken ihr Glueck noch gestoert hatte. Sie wusste ja, wie Emil an ihm hing, wie es ihn betrueben wuerde, wenn jener sein Verhaeltnis zu Ida unguenstig ausnaehme. Und jetzt-- nein, sie wusste sich nicht zu fassen vor lauter Seligkeit! Der freundliche, guetige Ladenstein hatte sich wie durch einen Zauberschlag in die gestrenge Exzellenz den Minister Grafen von Martiniz verwandelt, und doch blieb er so freundlich, vaeterlich, traulich wie zuvor; sie wusste nicht, wem von beiden sie das nette, lustige Amorettenkoepfchen zuwenden sollte. Sie lachte und tollte, gab verkehrte Antworten und schnepperte, wie ihr das Schnaebelchen gewachsen war. Es war das glueckseligste Kind, die holdeste, vollendetste Jungfrau und das lieblichste, anmutigste Braeutchen unter der Sonne in _einer_ Person. Einer der Gluecklichsten im Saal war aber Hofrat Berner. Heute abend erst war er zurueckgekommen, hatte sich nur schnell in die Toilette geworfen und schnurstracks zu Praesidents, und das erste war, als er in den Salon trat, dass er hoerte, wie der Praesident seine Kinder praesentierte; er haette moegen aus der Haut fahren vor teilnehmendem Jubel seines alten treuen Herzens. "Das ist _mein_ Werk," laechelte er vor sich hin, "ganz allein mein Werk; es konnte nicht anders gehen, nachdem es einmal eingefaedelt war." Aber wie riss er die Augen auf, als er von einer Graefin Aarstein, von einem alten Grafen Martiniz, welche auch hier seien, hoerte. "Nun, da muss es was Tuechtiges gesetzt haben," dachte er; "das beste wird sein, ich frage Idchen selbst." Das Brautpaar empfing ihn mit Jubel, und Martiniz stellte ihn sogleich dem alten Grafen vor; denn er hatte ihm viel von diesem alten Freund und Ratgeber ihrer Liebe erzaehlt. Ida gestand ihm, dass sie ihn oft schmerzlich vermisst habe; auch Martiniz aeusserte dies und versprach, ihm alles so bald als moeglich zu erzaehlen. "Lassen wir die Brautleutchen, alter Freund," unterbrach Graf Martiniz seinen Neffen, indem er den Hofrat am Arm nahm und mit sich fortzog; "lassen wir sie! Uns Alten liegt es ob, fuer das Glueck der Jungen zu sorgen. Man hat mir gesagt, dass Sie, lieber Hofrat, sich so trefflich darauf verstuenden, ein Festchen zu arrangieren. Ich war in frueheren Jahren einmal Oberhofmeister; das fuegt sich nun ganz vortrefflich. Da wollen wir nun, wir zwei, beide miteinander etwas zusammenschustern, wie man es hierzulande noch nicht sah." Der Hofrat war es zufrieden, und der Graf machte ihm jetzt seine Vorschlaege. Morgens sollten sie getraut werden. "Nicht zu Haus, das kann ich fuer meinen Tod nicht leiden; die Hauskopulationen reissen jetzt so ein, dass sie fast zur Mode werden, als waere eine vornehme Ehe nicht dieselbe wie eine geringe, als waere der Altar Gottes nicht fuer alle und jeden; aber der Fluch kommt gewoehnlich bald nach. Hat man sich in den gewoehnlichen Zimmern, wo man sonst tollte und lachte, wo man, sobald der Altar weggeraeumt ist, tafelt und tanzt, hat man sich da trauen lassen, so kommt einem auch das neue Verhaeltnis so ganz gewoehnlich vor, dass man bald davor keine Ehrfurcht mehr hat."--Also in der Kirche; nachher sollten die Gaeste hinausfahren nach Blauenstein. Der Hofrat machte grosse Augen, und als er hoerte, dass dies die neue Besitzung des lieben Paerchens sei und dass Gross-Lanzau auch noch dazu gehoere, er haette, wenn es sich nur halbwegs geschickt haette, ein paar Kapriolen in die Luft gemacht--nach Blauenstein, dort musste das Schloss festlich geschmueckt sein und zum Essen, was man nur Feines und Gutes haben kann! Nachher--die beiden Alten sahen sich an und beiden zuckte der kleine, sarkastische Schelm um den Mund; denn beiden fiel ein, dass sie noch Junggesellen seien--"Nun, nachher," fuhr der Graf fort, "muss das Brautpaar eine kleine Reise machen, und wir beide gehen als _garde de dame_ auch mit, bestellen die Pferde auf den Stationen, dass die jungen Eheleutchen in ihrem Landau nicht inkommodiert werden, wir beide aber spiegeln und erfreuen uns an dem Glueck, das wir, ich und Sie, lieber Hofrat, zusammen gemacht haben." Dem Hofrat, obgleich er laecheln wollte, stand doch eine Traene der Ruehrung im Auge; er drueckte dem edelmuetigen Polen die Hand und erklaerte sich bereit, mit ihm selbst um die Erde zu reisen. "Und wann soll die Hoch--" "Ueber acht Tage soll die Hochzeit sein," rief der alte Herr; und der Praesident, der gerade hinzugetreten war, rief es nach und lud saemtliche versammelte Gaeste dazu ein. * * * * * ZURUESTUNGEN. Es war ein sonderbarer Anblick, den des Praesidenten Haus in diesen Tagen gewaehrte. Das Rennen und Laufen der Schneider und Schneiderinnen, Naeherinnen, Schuster, Schreiner, Schlosser, Kuester, Baecker, Fleischer, Koeche, Kaufleute usw. wollte gar kein Ende nehmen. Beinahe in jedem Zimmer sah man, auf jeder Treppe stiess man auf einen Handwerker, und alle taten, als ob von ihrer Nadel oder Pfriemen die ganze Hochzeit abhinge. Machten aber diese schon wichtige Gesichter--hu! da grauste einem ordentlich, es lief wie eine dicke Gaensehaut ueber den Koerper, wenn man den Hofrat sah. Er war in diesen Tagen der Vorbereitung viel magerer und bleicher geworden, seine Augen lagen tief und entzuendet, ein Zeichen, dass er viel bei Nacht wachte; und es war auch so; bei Tag lief er sich beinahe die Fuesse ab wie die Huendin des Herrn von Muenchhausen aufschneiderischen Angedenkens; da war zu bestellen und zu besorgen, er lief hin und her in alle Ecken und Enden der Stadt; ja, man will ihn an mehreren Orten zugleich gesehen haben. Bei Nacht--nein, es war ein Wunder, dass der Mann nicht schon laengst tot war! Nachdem er sich muede gelaufen, muede gesorgt, muede gesehen, muede geschwatzt, muede gescholten, muede erzaehlt hatte, kam erst kein Schlaf ueber ihn. Er streckte sich ins Bett, liess zwei Wachskerzen und einigen Gluehwein auf den Nachttisch setzen, in einem grossen Korbe standen vor ihm Buecher, ein ganzer Schatz von Festen. Da war das seltene Werk: "Wahrhafte und akkurate Beschreibung des solennesten Festins am Hofe Ludwigs XIV." Ferner: "Der allzeitfertige _Maitre de plaisir_, fuer Hofleute, vornehme Festlichkeiten und anderen Kurzweil." "Der galante Junker, oder wie Taenze, Schmaeuse, Hochzeiten, Kindtaufen usw. am schoensten zu arrangieren." Sogar das Festbuechlein von Krummacher hatte er sich aus dem Buchladen kommen lassen; denn er dachte nicht anders, als es muessen darin allerhand neue und nie gesehene Festivitaeten erzaehlt sein. Er soll sich uebrigens sehr geaergert haben, als dem nicht also war. Aus dieser Festbibliothek nun, die er Stueck fuer Stueck mit der groessten Geduld und Aufmerksamkeit durchlas, machte er sich Randglossen und Auszuege; er kam aber dadurch am Ende selbst mit sich in Streit; denn das sah er ein, wenn man alle die schoenen Sachen, die er sich aufnotiert hatte, ausfuehren wollte, so musste man vierzehn Tage lang Hochzeit halten, und doch konnte er nicht mit sich einig werden, was er weglassen sollte. So lebte er in einem ewigen Zappel; ja, es war ordentlich ruehrend anzusehen, wenn er hie und da bei Ida, bis zum Tode ermuedet, in einen Sofa sank, den brechenden Blick auf sie heftete, als wollte er sagen: "Sieh, fuer dich opfere ich mein Leben auf." Und Ida? Habt ihr, meine schoenen Leserinnen, je ein geliebtes Braeutchen gesehen, oder waret ihr es einmal, oder--nun, wenn ihr es selbst noch seid, gratuliere ich von Herzen--nun, wenn ihr ein solches suesses Engelskind kennt mit dem braeutlichen Erroeten auf den Wangen, mit dem verstohlenen Laecheln des kusslichen Mundes, der sich umsonst bemueht, sich in ehrbare Matronenfalten zusammenzuziehen, mit der suessen, namenlosen Sehnsucht in dem feuchten, liebetrunkenen Auge, wenn ihr sie gesehen habt in jenen Augenblicken, wo sie dem geliebten Mann, dem sie nun bald ganz, ganz angehoeren soll, verstohlen die Hand drueckt, ihm die Wange streichelt, wenn sie den weichen Arm vertrauungsvoll um seine Huefte schlingt wie um eine Saeule, an der sie sich anschmiegen, hinaufranken, gegen die Stuerme des Lebens Schutz suchen will, wenn sie mit unaussprechlichem Liebreiz die seidenen Wimpern aufschlaegt und mit einem langen Blick voll Ergebenheit, voll Treue, voll Liebe an ihm haengt, wenn die Schneehuegel des wogenden Busens sich hoeher und hoeher heben, das kleine, liebewarme Herzchen sich ungeduldig dem Herzen des Geliebten entgegendraengt--kennet ihr ein solches Maedchen, so wisst ihr, wie Ida aussah. Kennet aber ihr ein solches Engelskind, ihr Tausende, die ihr einsam unter dem Namen Junggesellen ueber die Erde hinschleicht, ohne wahre Freude in der Jugend, ohne Genossin eures Glueckes, wenn ihr Maenner seid, ohne Stuetze im Alter--wisst ihr eine solche frische Hebebluete und ein froehliches Amorettenkoepfchen, das etwa auch so warme Kuesschen, auch so liebevolle Blicke spenden koennte wie Ida, o, so bekehret euch, solange es Tag ist, wenn sie sich euch vertrauungsvoll im Arme schmiegt, wenn sie das Lockenkoepfchen an eure Brust legt, aus milden Taubenaugen zu euch aufblickt, mit dem weichen Sammetpatschchen die Falten von der Stirne streichelt,--ihr werdet mir danken, euch den Rat gegeben zu haben. Und Emil? Nun, ich ueberlasse es meinen Leserinnen, sich einen recht bildschoenen Mann aus ihrer Bekanntschaft zu denken, zu denken, wie er den Arm um sie schlingt, ihnen recht sinnig ins Auge blickt und sie kue-- Nun, erschrecken Sie nur nicht! Es tut nicht weh; Sie haben sich einen gedacht?--Ja?--Nun, gerade _so_ sah Emil von Martiniz als Braeutigam aus. So sah ihn auch die Graefin; das Herz wollte ihr beinahe bersten, dass der herrliche Mann nicht ihr gehoeren sollte. Eines Morgens, ehe man sich's versah, sagte sie adieu, liess packen und---weg war sie. * * * * * HOCHZEIT. Und endlich war der schoene Tag gekommen. Was nur halbwegs laufen konnte, war heute in Freilingen auf den Beinen, und der polnische Graf und Fraeulein Ida von Sanden waren in aller Mund. Vor der Kirchtuere schlugen und draengten sich die Leute als wie vor einem Baeckerladen in der Hungersnot. Alle Stuehle in der Kirche waren besetzt, und von Minute zu Minute wuchs der Andrang. Aber zum Hauptportal, den Gang hinauf bis an den Altar durfte kein Mensch, das hatte sich ein Mann ausgewirkt, der heute stille, aber tief an dem Glueck des Brautpaares teilnahm; dieser Mann war der Kuester. Er haette viel darum gegeben, wenn er der versammelten Menge haette sagen duerfen: "Sehet, der Herr Braeutigam, es war just nicht ganz recht richtig mit ihm; er hatte allerhand Affaeren mit Herrn Urian, der ihn allnaechtlich hieher in die Muensterkirche trieb; da herein konnte er aber nicht; und ich, der Kuester von Freilingen, habe ihm allnaechtlich zu seiner Freistatt verholfen, war auch dabei, wie das Wunderkind, das jetzt seine Braut ist, ihn erloeset hat von dem Uebel, das mir, nebenbei gesagt, alle Tage einen harten Taler einbrachte; habe ich es nicht gleich damals zu dem alten Polacken gesagt, dass die beiden Liebesleutchen noch einmal in meine Kirche und vor meinen Altar kommen wuerden?" So haette er gerne zu den Freilingern gesprochen; es juckte ihn und wollte ihm beinahe das Herz abdruecken, dass er sich nicht also in seiner Glorie zeigen durfte; aber--er tat sich doch auch wieder nicht wenig darauf zugut, dass er, was nicht jeder kann, so gut das Maul halten koenne. Aber seine Attention hatte er dem Paerchen bewiesen, dass es eine Freude war. Vom Portal bis zum Altar waren Blumen gestreut, er hatte es sich etwas kosten lassen und keine kleine Hatz deswegen mit seiner Liebsten gehabt; aber diesmal hatte er doch durchgedrungen und seinen eigenen Willen gehabt. Jetzt kam Gerassel die Strasse herauf; dem alten Kuester schlug das Herz, jetzt--ja, sie mussten es sein,--der grosse Glaswagen des Praesidenten fuhr vor; darin sassen der Praesident und Emil. "Ach, der schoene Offizier!" schrien die Freilinger und machten lange Haelse. "Wie praechtig, wie wunderhuebsch!" fluesterten die Maedchen, denen das Herz unter dem Mieder lauter pochte; aber man konnte auch nichts Schoeneres sehen. Er hatte die Staatsuniform angelegt; sie schloss sich um den herrlichen, schlanken, heldenkraeftigen Koerper, wie wenn er damit geboren worden waere; das sonst so bleiche, ernste Gesicht war heut leicht geroetet und verherrlicht durch einen Schimmer von holder Freundlichkeit; sein stolzes, glaenzendes Auge durchlief den Kreis, es traf den Kuester, der in einem fort Bueckling ueber Bueckling machte; geruehrt und freundlich reichte er ihm die Hand und stellte sich neben ihn unter das Portal. Jetzt rasselte es wieder die Strasse herauf. Ein Wagen, noch glaenzender, geschmackvoller als der erste; er gehoerte zu der neuen Remise des Grafen und war heute von Blauenstein hereingefahren worden. Der alte Brktzwisl, der in hoechster Gala mit noch einem Kameraden hintendrauf stand, sprang ab, riss die Glastuere auf, schlug klirrend den Tritt herab--jetzt regt sich kein Atem mehr in der ganzen grossen Menge; jedes Auge erwartungsvoll auf die geoeffnete Tuere geheftet. Der alte Graf, angetan mit all seinen Orden, der Hofrat mit dem himmlischen Ehrenzeichen der Freundschaft auf dem Gesichte, stiegen aus und postierten sich an den Schlag. Jetzt wurden ein Paar glacierte Handschuhe sichtbar, jetzt ein Fuesschen, es war nicht moeglich, etwas Kleineres, Niedlicheres zu sehen als die winzigen weissseidenen Schuhe--jetzt--ein Lockenkoepfchen, ein Paar selig glaenzende Augen, ein Paar ueberpurpurte Wangen, ein laechelnder Mund--huebsch stand das Braeutchen zwischen den alten Herren. Ein Kleid von schwerem, weissem Seidenzeug schlang sich um den jugendlich-frischen Koerper; wie darueber hingehaucht war ein Oberkleid vom feinsten Spitzengrund, ein Geschenk des Oheims, und mit der reichen Blondengarnierung, in welche es endigte, mit der Diamantenschnalle und dem aus Venezianerketten geflochtenen Guertel, welcher den wunderniedlichen Blusenleib zusammenhielt, wenigstens seine achttausend Taler wert, und die Bracelets mit den grossen Steinen und das Diadem, um das sich der Myrtenkranz schlang! Nein, wer sich auch nur ein wenig auf Steine verstand, dem musste hier der Mund waessern; aber war nicht alles dies im Grund unbedeutende Fasson, um den herrlichsten Edelstein, das Wunderkind selbst, einzufassen? Sie traten in die Kirche; das in Seligkeit schwimmende Braeutchen vergass nicht, im Voruebergehen dem Kuester einen recht freundlichen Gruss zuzuwinken, dass ihn die Menge ehrfurchtsvoll angaffte und nicht begreifen konnte, wie der alte Schnapsbruder zu so hoher Bekanntschaft gelangt sei. Ernster und ernster wurden die Zuege Idas, als sie sich dem wohlbekannten Altar naeherte. Ihr Auge begegnete dem Auge Emils, des Grafen und des Hofrats, die mit Blicken des Dankes und der Ruehrung an ihr hingen. Hier war ja ihr Siegesplatz, wo das mutige Maedchen mit hingebender Liebe gegen den boesen Feind der Schwermut und des Truebsinnes gekaempft und gesiegt hatte. Muehsam rang sie nach Fassung, die Freude, dass sich alles so schoen gefuegt hatte, wurde zur heiligen Ruehrung in ihr; noch einmal durchflog sie die Erinnerung an den ersten Blick des Grafen bis hieher zu dieser Staette, und ihr Auge wurde feucht von Entzuecken. Als aber die Trauung begann, als der wuerdige Diener der Kirche, dem man das Geheimnis anvertraut hatte, in einer kurzen, aber gehaltvollen Rede von den wunderbaren Fuegungen Gottes sprach, der oft aus Tausenden sein Werkzeug zur Beglueckung vieler waehle, da stroemten ihre Traenen ueber. "Ja," dachte sie bei sich selbst, "es ist erfuellt, was damals ahnungsvoll meine Seele fuellte: _der Zug des Herzens ist Gottes, ist des Schicksals Stimme_." Und viele Traenen flossen; denn auch die Augen derer, die einst den Jammer des edlen Juenglings gesehen hatten, gingen ueber. Wie ein Engel Gottes kam sie dem alten Oheim vor, als sie am Altar ihre Hand in die seines Neffen legte, wie ein Engel, der mit freundlichem Blick, mit treuer Hand den Menschen aus der dunkeln Irre des Lebens zu einem schoenen, lichten Ziele fuehrte. * * * * * DER SCHMAUS. Schnurstracks von der Kirche ging es hinaus nach Blauenstein. Eine ganze Karawane von Wagen und Reitern zog dem wohlbekannten Landau, in welchem die neugebackenen Eheleute sassen, nach. Der Hofrat war vorangeeilt, um alles zu leiten. Sechs Boeller riefen ihnen Freudengruesse entgegen, als sie in die Grenze ihres Eigentums einfuhren. Ein donnerschlagaehnliches Wirbeln von Pauken und Trompeten empfing sie am Portal des schoenen Schlosses, und als alle Wagen aufgefahren waren, als Emil sein Weibchen auf den Balkon herausfuehrte, um die herrliche Gegend zu uebersehen, da gab der Hofrat das Zeichen, und ein schrankenloses Vivat, Hurra und Hallo erfuellte die Luft. Paar und Paar zog man jetzt durch das Schloss, um alles in Augenschein zu nehmen. Es wandelte die Gaeste beinahe ein Grauen an vor dem Hexenmeister, dem alten Martiniz. Das Schloss--es war zwar niedlich, geschmackvoll, bequem gebaut, lag wunderschoen und hatte Gaerten und Felder, wie man sie selten sah; aber vor vierzehn Tagen war dies alles noch leer gestanden, Tapeten waren abgerissen herabgehangen, im Saal war Hafer ausgeschuettet gewesen, kurz, man hatte gesehen, dass es eine gute Weile nicht bewohnt war, und mancher Kaeufer haette nicht geglaubt, innerhalb eines halben Jahres mit der Restauration fertig werden zu koennen. Und jetzt, die behaglichste Eleganz, die man sich denken konnte; diese Trumeaus--ein Gardist mit sieben Fuss haette sich, und haette er noch einen ellenlangen Federbusch auf dem Hut gehabt, perfekt am ganzen Leib von der Zehenspitze bis zum aeussersten Federchen darin sehen koennen. Diese breitarmigen Luestres, diese Kristallampen, diese geschmackvollen Sofas, Teetische, Toiletten; Etageren, diese Pracht von Porzellan, Beinglas, Kristall, Silber an Servicen, Leuchtern, Vasen, an allem, was nur die feinste Modedame sich wuenschen kann; gar nichts war vergessen! Die Freilinger wandelten wie in einem Feenpalast umher, und die Maedchen und die Frauen--Ida wandelte zwar wie eine Koenigin in dieser Herrlichkeit, als haette sie von Jugend auf darin gelebt; aber man hoerte doch so manches Spruechlein vom blinden Glueck und Zufall, die einen im Schlafe heimsuchen. Jetzt riefen die Trompeten zur Tafel, und da war es, wo Hofrat Berner seine Lorbeeren erntete. Die neue Dienerschaft des jungen graeflichen Paares hatte er schon so instruiert, dass alles wie am Schnuerchen ging, und zwar alles auf dem hoechsten Fuss; denn wenn einer der Gaeste nur vom silbernen Teller ein wenig aufsah oder mit seinem Nachbar konversierte, husch! war der Teller gewechselt, und eine neue Speise dampfte ihm entgegen. Aber auch in der Kueche hatte er gewaltet; und es haette wenig gefehlt, so haette er aus lauterem Eifer, alles recht delikat zu machen, sich selbst zu einem Ragout oder Hachee verarbeiten oder zu einer Gallerte einsieden, wenn nicht gar mit einer Zutat von Zucker zu einer Marmelade oder Gelee einkochen lassen. Auch ihn hielten die Damen fuer einen zweiten Oberon, der eine ewig reichbesetzte Tafel aus dem Boden zaubern kann. Denn solche Speisen zu dieser Jahreszeit, und alles so fein und delikat gekocht! Da war: Schildkroetensuppe. Coulissuppe von Fasanen mit Reis. _Hors d'oeuvres_. Pastetchen von Briesslein mit Salpicon. Kabeljau mit Kartoffeln und _Sauce hollandaise_. _Du boeuf au naturel_. Englischer Braten mit _Sauce espagnole_. _Gemuese_. Spargeln mit _Sauce au beurre_. Gruene Erbsen mit geroesteten Briesslein. _Entrees_. Junge Huehner mit _Sauce aux fines herbes_. Financiere mit Kloessen. Schinken _a la broche au vin de Malaga_. Feldhuehnersalmy. Kalbskopf _a la tortue_. _Fricandeau a la Provencale_. _Braten_. Kalbsschlegel. Rehbraten. Feldhuehnerbraten. Kapaunenbraten. _Dindon a la Perigord_. _Salat vielerlei_. _Suesse Speisen_. Sulz von Malaga. Creme von Erdbeeren. _Compote melee_. _Creme panachee melee_. Punschtorte mit Fruechten. _Tartelettes d'abricots_. _Tourte de chocolat montee_. Gusstorte. _Dessert_. Punsch _a la glace_. _Creme de Vanille_. * * * * * SCHLUSS. Als das Dessert aufgetragen wurde, entschluepfte, unbemerkt von den bechampagnerten Gaesten, die junge Frau. Sie warf den schweren Hochzeitstaat ab und erwaehlte unter der reichen Garderobe ein allerliebstes Reisekleidchen; denn nach der Tafel sollte gleich eingesessen und ein wenig in die Welt hinausgefahren werden; so wollte es der alte Graf. Sie erschrak selbst, als sie in den Spiegel sah, nein, so wundergrazienhuebsch hatte sie noch nie ausgesehen; das Ueberroeckchen schloss so eng und passend, das Reisehaeubchen, die hervorquellenden Loeckchen gaben dem Koepfchen einen wundervollen Reiz. Die Baeckchen waren so rosig, die Aeuglein glaenzten so hell und klar im Widerschein ihres braeutlichen Glueckes, kleine, kleine Schelmchen sassen in ben Gruebchen der Wangen und schienen allerlei wunderbare Geheimnisse zu fluestern von Sehnsucht und Erwartung; das Maeulchen so spitzig wie zum Kuessen zeigte immer wieder die Perlen, die hinter dem Purpur verborgen waren. Die sechs Kammerjungfern, Lisette, Babette, Trinette, Philette, Minette, und wie sie alle hiessen, schlugen vor Verwunderung ueber ihre wunderniedliche gnaedige Frau die Haende zusammen. "Diese herrliche, jugendliche Frische! Dieser Alabasterbusen, der alle Nestel des Korsettchens zu zersprengen droht!" sagte Minette. "Diese weissen Arme!" fluesterte Philette. "Diese Fuesschen," dachte Trinette weiter, "diese Waed--" "Der Herr Graf wird ganz selig sein," wisperte Lisette der Babette zu, doch nicht so leise, dass es den Ohren der jungen Graefin entging. Sie wollte tun, als haette sie nichts gemerkt, aber ward feuerflammrot von der Stirne bis herab in das Halstuch, und als vollends Babette, die das schneeweisse Nachtzeug in die Vache packte, mit einer hoechst naiven Frage in die Quere kam, da hielt sie es nicht mehr aus; ganz dunkel ueberpurpurt entschluepfte sie den sechs dienstbaren Geistern und lief wie ein gescheuchtes Reh in den Speisesaal. Allgemeiner Jubel empfing die holde Reisende. Alles war darin einverstanden, dass ihr diese Tracht noch besser stehe als der Brautstaat; kein Wunder! es war ja das Pilgerkleid, in welchem sie ins gelobte Land der Ehe reiste. "Warum bist du nur so ueber und ueber rot?" fragte Emil sein holdes Weibchen, indem er sie naeher an seine Seite zog. "Hat dir jemand etwas getan?" Sie wollte lange nicht heraus. "Die Babette," fluesterte sie endlich und erroetete von neuem, "die Babette hatte so dumm gefragt." "Nun, was denn?" fragte der neugierige Herr Gemahl. Aber da stockte es wieder; zehnmal setzte sie an; sie wollte gerne eine Luege erfinden; aber das schickte sich denn doch nicht am Hochzeittag, und doch--es ging nicht; er musste bitten, flehen, drohen, betteln sogar; endlich, nachdem er hatte versprechen muessen, die Augen recht fest zuzumachen, fluesterte sie ihm ins Ohr: "Sie hat mein Nachtzeug eingepackt, und da hat sie gefragt, ob sie das deinige auch dazu packen soll." Selig schloss der Graf sein Engelsweibchen in die Arme; er wollte antworten, aber seine Antwort verhallte im Geraeusch der aufbrechenden Gaeste. Die Wagen waren vorgefahren, man verabschiedete sich. Der Graf nahm sein Idchen um den Leib und trug sie schnell hinab in den Wagen; denn dort beschloss er, ihr zu antworten. Auf dem Balkon draengten sich die Gaeste, die Champagnerglaeser in den Haenden; sie riefen, vermischt mit den neuen Untertanen des Grafen, ein tausendstimmiges Vivat in den Wagen hinab. Ida drueckte ihr Koepfchen an die Brust des Geliebten. Er winkte, die Pferde zogen an, und dahin fuhr Emil und seine glueckliche Ida. * * * * * NACHSCHRIFT. Es ist ein schoener Brauch unter guten Menschen, die sich lieben und getrennt sind, dass sie gewisse Tage des Jahres festsetzen, an welchen sie sich von nahen und entfernten Orten her sammeln, sich wiedersehen und die Strahlen ihrer Liebe von neuem an der allgemeinen Flamme anzuenden. So halte ich es seit langen Jahren mit meinen Freunden, die das Schicksal nach Ost und nach West verschlagen. Auch heuer war ich hingereist an den Ort, den wir zu unserem Rendezvous bestimmt hatten. Als ich an dem stattlichen Weissen Hirsch in B. vorfuhr, lagen schon manche Fenster voll, und wie wohl tut da das freundliche, jubelnde: "Er ist's, er ist's," das von schoenen Lippen herab dem Freunde entgegentoent! Ich traf sie alle, alle meine Lieben; da war meine holde, sinnige Doralice und ihr Stern, da war die lose, naive Vally und ihr geheimer Kriegsrat, da war Graf Law und seine Clementine, da war meine suesse Mimili, da war Herr von Estavayer mit seiner Elsi, da war mein russisches Lisli; selbst Sponseri, mein lieber Sponseri, ich hiess ihn nur immer den Gruenmantel, hatte sich aus Venedig eingefunden und Emilie Mellinger mitgebracht; da war auch Fanny und ihr Graf, der Generalbevollmaechtigte, Kilian mit Julchen. Da war Molly und ihr Justizrat, da war die herzige Pina und ihr Gatte, Agnes und Rose, Rosamunde und der Graf Oliva, das liebe Dijon-Roeschen, Klotilde und ihr Sekretaer.--Meine Freude war unaussprechlich, ich flog wie ein Ball von einem Arm in den andern, und das Kuessen wollte gar kein Ende nehmen. Endlich fasste man sich, dass es doch zu einem vernuenftigen Gespraech kam. Freilich truebte der Tod unsrer Magdalis und ihres treuen Willibald, die uns im Leben so nahe standen und auch nach ihrem Tode so innig verschwistert mit uns fortleben, die ersten Augenblicke des Wiedersehens; aber nachdem wir ihnen das Totenopfer inniger Traenen geweiht, kehrte die holde Freude wieder bei uns ein. Wir tollten, lachten und schaekerten, der Weisse Hirsch fasste kaum so viel Gaeste, und manches Paerchen musste sich mit _einem_ Bettchen behelfen. So lebten wir schon seit zwei Tagen in Saus und Braus und brachen dem Weissen Hirschwirt beinahe das Haus ab; da--wir sassen gerade beim Kaffee--da fuhren Wagen vor; wir draengten uns alle an die Fenster und schlugen den fremden Menschenkindern ein Schnippchen; denn--gut Essen und Trinken konnten sie wohl bekommen, aber Betten,--Logis,--ohne unsere Bewilligung kein Fleckchen, und landfremde Leute mochten wir gerade nicht gerne unter uns haben. In einem praechtigen Landau, mit vier Postpferden bespannt, sass ein Herr und eine junge Dame; sie hoben die Koepfe in die Hoehe-- "Mein Gott, das ist ja Graf Martiniz," rief ich, und zugleich rief Vally: "Ei der Tausend, das ist ja Ida Sanden!" Ich sprang gleich hinab, um sie heraufzufuehren; sie folgten willig nebst noch drei andern aeltlichen Herren, welche der zweite Wagen entladen hatte. Ida und Vally flogen einander in die Arme; sie hatten sich in der Residenz, wo Vally lebt, kennen gelernt und liebten einander innig. Der Graf zog mich zu den beiden jungen Damen, um welche die uebrigen schon einen dichten Kreis geschlossen hatten. "Sehen Sie," sagte er zu mir, "das ist seit gestern mein liebes Frauchen." Da fanden sich also alte Bekannte zusammen. Ich hatte den Grafen in Hamburg kennen gelernt. Damals fasste ich tiefe Zuneigung zu ihm, sie wurde zur Freundschaft, und er gestand mir seine schrecklichen Leiden. So wenig ich an solche Visionen glaubte, so war ich doch der Meinung, dass ihn Liebe zu einem guten, reinen Maedchen zerstreuen, retten koennte; und wie herrlich hatte sich dieses gemacht! Er war froehlich, selig, war durch die Liebe dieses Engels der Menschheit wiedergeschenkt. Auch in den drei andern Gaesten--der Leser wird unschwer den alten Martiniz, den Praesidenten und den Hofrat in ihnen erkannt haben--lernte ich wackere, liebenswuerdige Maenner kennen. Schon den ersten Abend war es uns allen, als haetten wir das holde Paerchen schon jahrelang gekannt, so trefflich passten sie zu unserem Sinn, zu unserem ganzen Wesen. Der junge Graf erzaehlte uns seine Geschichte, und wenn wir bedachten, wie zufaellig er nach Freilingen, wie zufaellig er auf jenen Ball, wo er Ida fand, gekommen war, wie ebenso zufaellig der alte Oheim auf einer Geschaeftsreise diese Gegenden beruehrt, dem Neffen eine Ueberraschung bereiten wollte und als _Deus ex machina_ mitwirkte und die Raenke der boesen Aarstein vereiteln half--wahrlich, wir mussten diese Fuegungen bewundern und fanden den alten Spruch bestaetigt: _"Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme."_ Noch zwei Tage blieb das junge Paar unter uns und reiste dann, als auch wir alle uns wieder nach Ost und nach West zerstreuten, weiter. Noch in der letzten Stunde erlaubte mir Emil, seine Geschichte der Welt zu erzaehlen. Es soll mich innig freuen, wenn ihre innige, treue Liebe Beifall findet, sie sind es wert; alle, die sie kennen, lieben sie, und ich darf sagen, sie sind _ein_ Herz, _eine_ Seele mit mir; sie sind auch wieder durch den Zug des Herzens ganz die Meinigen geworden. H. Clauren. * * * * * * * * * * * KONTROVERS-PREDIGT ueber H. CLAUREN UND DEN MANN IM MOND gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827 von WILHELM HAUFF Text: Ev. Matth. VIII, 31-32 Allen Verehrern der CLAURENSCHEN MUSE widmet diese Blaetter in bekannter Hochachtung DER VERFASSER EHRWUERDIGE VERSAMMLUNG, ANDAECHTIGE ZUHOERER! Die Apostel, besonders der heilige Paulus, als er zu Rom predigte, verschmaeheten es nicht, auch haeusliche, buergerliche Angelegenheiten der Gemeinde zu Gegenstaenden ihrer Betrachtungen zu machen. Es laesst sich zwar mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie belletristische Gegenstaende nicht beruehrt haben, dass sie literarische Streitigkeiten nicht, wie man zu sagen pflegt, auf die Kanzel brachten; denn sie hatten Wichtigeres zu tun; nichtsdestoweniger aber geschah dies einige Jahrhunderte spaeter, und man trifft in den Kirchenvaetern nicht undeutliche Spuren, dass sie ueber allerhand literarische Subtilitaeten, sogar ueber die Tendenz und den Stil ihrer Gegner auf dem kirchlichen Rednerstuhl gesprochen haben. Beruehmte Kanzelredner neuerer Zeit haben oft und viel zum Beispiel ueber das Theater gepredigt oder ueber das Tanzen am Sonntag oder ueber das Singen unzuechtiger Lieder, andere wieder ueber das Spielen, namentlich das Kartenspielen, und einen habe ich gehoert, der in einer Vesperpredigt das Schachspiel in Schutz nahm und nur bedauerte, dass es ein Heide erfunden. Und wenn es die Pflicht des Redners ist, meine Freunde, der Gemeinde darzutun, welchen Irrtuemern sie sich hingebe, welche boesen Gewohnheiten unter ihr herrschen, wenn es die Natur der Sache erfordert, bei einer solchen Aufdeckung von Irrtuemern und boeslichen Gewohnheiten bis ins einzelne und kleinste zu gehen, weil oft gerade dort, recht ins Auge fallend, der Teufel nachgewiesen werden kann, der darin sein Spiel treibt, so kann es niemand befremden, wenn wir nach Anleitung der Textesworte mit einander eine Betrachtung anstellen ueber: DEN MANN IM MOND von H. Clauren; und zwar betrachten wir: I. Wer und was ist dieser Mann im Mond? Oder--was ist sein Zweck auf dieser Welt? II. Wie hat er diesen Zweck verfolgt? und wie erging es ihm auf dieser Welt? I. _Andaechtige Zuhoerer_! Kontroverspredigern, namentlich solchen, die vor einer so grossen Versammlung reden, kommt es zu, den Gegenstand ihrer Betrachtung so klar und deutlich als moeglich vor das Auge zu stellen, damit jeder, wenn ihn auch der Herr nicht mit besonderer Einsicht gesegnet hat, die Sache, wie sie ist, sogleich begreife und einsehe. Es hat in unserer Literatur nie an sogenannten _Volksmaennern_ gefehlt, das heisst an solchen, die fuer ein grosses Publikum schrieben, das, je allgemeiner es war, desto weniger auf wahre Bildung Anspruch machen konnte und wollte. Solche Volksmaenner waren jene, die sich in den Grad der Bildung ihres Publikums schmiegten, die eingingen in den Ideenkreis ihrer Zuhoerer und Leser und sich, wie der Prediger Abraham a Sancta Clara, wohl hueteten, jemals sich hoeher zu versteigen, weil sie sonst ihr Publikum verloren haetten. Diese Leute handelten bei den groessten Geistern der Nation, welche dem Volke zu hoch waren, Gedanken und Wendungen ein, machten sie nach ihrem Geschmack zurecht und gaben sie wiederum ihren Leuten preis, die solche mit Jubel und Herzenslust verschlangen. Diese Volksmaenner sind die Zwischenhaendler geworden und sind anzusehen wie die Unternehmer von Gassenwirtshaeusern und Winkelschenken. Sie nehmen ihren Wein von den grossen Handlungen, wo er ihnen echt und lauter gegeben wird; sie mischen ihn, weil er dem Volke anders nicht munden will, mit einigem gebrannten Wasser und Zucker, faerben ihn mit roten Beeren, dass er lieblich anzuschauen ist, und verzapfen ihn ihren Kunden unter irgend einem bedeutungsvollen Namen. Diese Gassenwirte oder Volksmaenner treiben aber eine schaendliche und schaedliche Wirtschaft. Sie fuehlen selbst, dass ihr Gebraeu sich nicht halten wuerde, dass es den Ruf von Wein auf die Dauer nicht behalten koennte, wenn er nicht auch _berausche_. Daher nehmen sie Tollkirschen und allerlei dergleichen, was den Leuten die Sinne schwindelnd macht; oder, um die Sache anders auszudruecken, sie bauen ihre Dichtungen auf eine gewisse Sinnlichkeit, die sie, wie es unter einem gewissen Teil von Frauenspersonen Sitte ist, kuenstlich verhuellen, um durch den Schleier, den sie darueber gezogen haben, das luesterne Auge desto mehr zu reizen. Sie kleiden ihr Gewerbe in einen angenehmen Stil, der die Einbildungskraft leicht anregt, ohne den Kopf mit ueberfluessigen Gedanken zu beschweren; sie geben sich das Ansehen von heiterem, sorglosem Wesen, von einer gewissen gutmuetigen Natuerlichkeit, die lebt und leben laesst; sie sind arglose Leute, die ja nichts wollen, als ihrem Nebenmenschen seine "oft trueben Stunden erheitern" und ihn auf eine natuerliche, unschuldige Weise ergoetzen. Aber gerade dies sind die Woelfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die Krallen kommen fruehe genug ans Tageslicht. Wem unter euch, meine Andaechtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor allem _jener_ beifallen, der alljaehrlich im Gewande eines unschuldigen Blumenmaedchens auf die Messe zieht und "Vergissmeinnicht" feilbietet. Ich weiss wohl, dass dort drueben auf der Emporkirche, dass da unten in den Kirchstuehlen manche Seele sitzt, die ihm zugetan ist, ich weiss wohl, dass er bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr Naehermaedchen, ihr Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so zuechtigen Buergerstoechterlein, ich weiss, dass ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas Hoeheres von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fraeulein mit und ohne Von, ihr gnaedigen Frauen und andere Mesdames! Ich weiss, dass er das A und das O eurer Literatur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, dass ihr ihn bestaendig bei euch fuehrt, und wenn der Prinzipal ein wenig beiseite geht, ihn schnell aus der Tasche holt, um eure magere Phantasie durch einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austernschmaeuse anzufeuchten; ich weiss, dass er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist; aber nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und eben deswegen will ich seinen Namen aussprechen, er nennt sich CLAUREN. _Anathema sit!_ Vor zwoelf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte, Spiess und Cramer, mitunter die koestlichen Schriften ueber Erziehung von Lafontaine; wenn ihr von Meissner etwas anderes gelesen als einige Kriminalgeschichten &c., so habt ihr euch wohl gehuetet, es in guter Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege; denn Schiller fing an, ein grosses Publikum zu bekommen. Gewinn fuer ihn und fuer sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen waere; dazu war er aber auch zu gross, zu stark. Ihr wolltet euch die Muehe nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch losreissen aus eurer Spiessbuergerlichkeit, er wollte euch aufruetteln aus eurem Hinbrueten mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberklaengen seiner Saiten mischte; er sprach von Freiheit, von Menschenwuerde, von jener erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann,--gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Tragoedien, er war euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, dass ihr es ueber euch vermoegen konntet, seine Wahlverwandtschaften zu lesen, weil man euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen,--ihr konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm. Da war eines Tages in den Buchladen ausgehaengt: "Mimili, eine Schweizergeschichte." Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier zu erzaehlen, _so angenehm, so natuerlich, so ruehrend_ und _so reizend_! Und in diesen vier Worten habt ihr in der Tat die Vorzuege und den Gehalt jenes Buches ausgesprochen. Man wuerde luegen, wollte man nicht auf den ersten Anblick diese Manier _angenehm_ finden. Es ist ein laendliches Gemaelde, dem die Anmut nicht fehlt; es ist eine wohltoenende, leichte Sprache, die Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie hoeher zu nehmen als bis an den Plafond des Teezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen, wie eine Musik angenehm zu hoeren ist, die dem Ohr durch sanfte Toene schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdruecken; sonst wuerde die arme Seele unverstaendlich werden oder die Gedanken zu sehr affizeren. Eine angenehme Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in suesse Traeume hinueberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die euch entzueckte! Das _Zweite_, was euch gefiel, haengt mit diesem ersteren sehr genau zusammen: diese Manier war so _natuerlich_. Es ist etwas Schoenes, Erhabenes um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal dort eingekehrt, ich meine, mit Wilhelm Tell. Sein Drama ist so erhaben als die Natur der Schweizerlande; es bietet Aussichten, so koestlich und gross wie die von der Tellskapelle ueber den See hin; aber nicht wahr, ihr lieben Seelen, der ist euch doch nicht natuerlich genug? Zu was auch die Seele anfuellen mit unnuetzen Erinnerungen an die Taten einer grossen Vorzeit? Zu was Weiber schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Bertha, oder Maenner wie einen Tell oder einen Melchthal? Da weiss es Clauren viel besser, viel natuerlicher zu machen! Statt grossartige Charaktere zu malen, fuer welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt er euch einen Hintergrund von Schneebergen, gruenen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist _pro primo_ die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit mit schlanker Taille von acht Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das eiserne Kreuz im Knopfloch &c. Das ist der Held des Stueckes. Eine interessante Figur! Naemlich _Figur_ als wirklicher Koerper genommen, mit Armen, Taille, Beinen &c., und _interessant_, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein eisernes Kreuz traegt und so ein Ding von einem preussischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt ein frisches, rundes "Dingelchen" zu stehen mit kurzem Roeckchen, schoenen Zwickelstruempfen usw. Kurz, das Inventarium ihres Koerpers und ihres Anzuges koennt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natuerlich als moeglich; d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lueften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, dass ihm "angst und bange" wird. Einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatuerlich klingt. Kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist nicht nur nachgeahmt, sondern foermlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst einer _Camera obscura_ abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostuem der Natur kopierte. Zeichnet die naechste beste Schweizer Milchmagd ab, so habt ihr eine Mimili, und freilich alles so natuerlich als moeglich. Das _Dritte_, was euch so gut mundete an dieser Geschichte war--das _Ruehrende_. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht ruehrend? Es ist ein Motiv, das jedem Roman als Wuerze beigegeben wird wie bittere Mandeln einem suessen Kuchen, um das Suesse durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhoererinnen, und ich habe dies zu oefteren Malen an euch geruegt, versetzt euch gar zu gerne in ein solches Liebesverhaeltnis, wenn nicht dem Koerper, doch dem Geiste nach. Wenn ihr so dasitzet und naehet oder stricket und ueber eure Nachbarn gehoerig geklatscht habt, kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe an die Reihe, und ihr traeumet und traeumet und vergesset die Welt und die Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag. Gerade so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von welchem ihr leset, desto angenehmer fuehlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr keine Natuerlichkeit, da soll es recht arg und tuerkisch zugehen, und wie den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafe ein Freudenfest. Je laenger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten, je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto, ruehrender koemmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost _in petto_, dass der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet nicht geruehrt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene Mollakkorde anschlagen, die durch die Seele zittern. Wer wollte auch mit einer Aeolsharfe auf einer Kirchweihe aufspielen! Da ist der schnarrende Konterbass Meister, und je graesslicher es zugeht, desto ruehrender ist es. Ich komme aber auf den _vierten_ Punkt der Mimilis-Manier, naemlich auf --das _Reizende_. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid; das ist aber die Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt; jenes war die Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch einfuehrt; aber siehe da, das ist der Pferdefuss, und an seinen Spuren wirst du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er aufregt, das sind jene reizenden, verfuehrerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich zu sehen, dass ihr da unten die Augen nicht aufschlagen koennet. Es freut mich zu sehen, dass hin und wieder auf mancher Wange die Roete der Beschaemung aufsteigt. Es freut mich, dass Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren; wenn ich diesen Punkt beruehre. Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzu wohl, was ich meine. Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis, ein Herder waren doch wahrhaftig grosse Dichter, und habt ihr je gesehen, dass sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mussten, um sich ein Publikum zu machen? Oder wie? Sollte es wirklich wahr sein, dass jene edleren Geister nur fuer wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen, dass die grosse Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er koestliche Zoten spricht und sein Bajazzo possierliche Spruenge macht? Armseliges Maennervolk, dass du keinen hoeheren geistigen Genuss kennst, als die koerperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von huepfenden Schneehuegeln, von schoenen Hueften; von weissen Knien, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schoenheiten einer Venus Vulgivaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schoepfen wollet! Erroetet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, dass man nur eurem Koerper huldigt, dass man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, dass der Wind, der mit euren Gewaendern spielt, das luesterne Auge eures Geliebten mehr entzueckt als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glueht, als die Goetterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kraenkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfraeulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von andern geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergissmeinnichtbluemchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist! Siehe da die Anmut, die Natuerlichkeit, das Ruehrende und den hohen Reiz der Mimilis-Manier! Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte! Wie das Unkraut ueppig sich ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Literatur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode. Was war natuerlicher, als dass Clauren eine Fabrik dieses koestlichen Zeuges anlegte und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner Mimili fanden? Bei jener Klasse von Menschen, fuer welche er schreibt, liegt gewoehnlich an der _Feinheit des Stoffes_ wenig. Wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind! Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Faeden spinnen, keine zarteren Nueancen der Farben geben, sein Stoff ist gewoehnlich so unkuenstlerisch und grob als moeglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lang als moeglich ausgedehnt; von tieferer Charakterzeichnung ist natuerlich keine Rede; Kommerzienraete, Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjuenglinge _comme il faut, etc_. Die Dame des Stueckes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpueppchen, die nach Verhaeltnissen kostuemiert wird, heisse sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie Schweizerisch oder Hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Massstabe angelegt, so kommen die _Ingredienzien_. Bei den _Ingredienzien_ wird, wie billig, zuerst Ruecksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens einige artige Kupfer mit schoenen "_Engelskoepfchen_", angetan nach der "_allernagelfunkelneuesten_" Mode. Diese werden natuerlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Suendigerweise benuetzt der gute Mann auch die Portraets schoener fuerstlicher Damen, die er als Quasi-Aushaengeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele wehe getan, dass die Grossfuerstin Helena von Russland, eine durch hohe Geistesgaben, natuerliche Anmut und Koerperschoenheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornister-Lieschen (im Vergissmeinnicht 1826) gleichsam zu Gevatter stehen musste. Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz den ersten Modehaendlerinnen zu machen versteht. Wer wollte es Virgil uebel nehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt? Wer lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die glaenzenden Waffen seines Rinaldo oder Tankred besingt? Es sind Maenner, die von Maennern, es sind edle Saenger, die von Helden singen. Ueberwiegt aber nicht der Ekel noch das Laecherliche, wenn man einen preussischen Geheimen Hofrat hoert, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen beschreibt? Es kommt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen Schaedel seiner Mimilis ein italienischer Strohhut oder eine Toque von Seide sitzt, ob die Federn, die solche schmuecken, Marabout- oder Straussfedern oder gar Paradiesvoegel sind; und dann die niedlichen "Saechelchen" von Ohrgeschmeide, Halsbaendern, Bracelets _et cetera_, dass "einem das Herz puppert," und dann die Bruesseler Kanten um die wogende Schwanenbrust und das gestickte Ballkleid und die durchbrochenen Struempfe und die seidenen Pariser Ballschuhe oder ein Neglige, wie aus dem leichtesten Schnee gewoben, und dieses Ueberroeckchen und jenes Maentelchen und dieses Spitzenhaeubchen, aus dem sich die goldenen Ringelloeckchen hervorstehlen. _O sancta simplicitas_! Und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen, ihr kneipt die Knie nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb zu Tode lachen ueber den koestlichen Spass, dass ein preussischer Geheimer Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift und euch vorrechnet, was man im Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider, ihr lachet nicht! ihr leset den allerliebsten Modebericht mit grosser Andacht, ihr sprechet: das ist doch einmal eine Lektuere von Geschmack; nichts Ueberirdisches, Romantisches, _tout comme chez nous_, bis aufs Hemde hat er uns beschrieben, der delizioese Mann, der Clauren! Ein drittes Ingredienz fuer Maedchen sind die magnifiken Baelle, die er alljaehrlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, dass das Herzchen "im Vierundsechzigstel-Takt pulsiert!" Wie schoen! Vornehme Damen, die bei Praesidents A., bei Geheimrats B., bei dem Bankier C. oder gar bei Hofe Zutritt haben, finden alles "haarklein" beschrieben von der Polonaese bis zum Kotillon. Arme Landfraeulein, die nur in das naechste Staedtchen auf den Kasinoball kommen koennen, lesen ihren Clauren nach; ihre Phantasie traegt sie auf den herrlichen Ball bei Hof, und "der Himmel haengt ihnen voll Geigen." Putzjungfern, welche Ballkleider verfertigen, ohne sich selbst darin zeigen zu koennen, Kammermaedchen, die ihre Dame zu dem Ball "aufgedonnert" haben, nehmen beim Scheine der Lampe ihren Clauren zur Hand, treten unter dem Tische mit den tanzlustigen Fuessen den Takt eines Schnellwalzers und traeumen sich in die glaenzenden Reihen eines Fastnachtballes! Treffliches Surrogat fuer tanzlustige Seelen, koestliche Stallfuetterung fuer Schafe, die nicht auf der Weide huepfen koennen! Als ein viertes treffliches Hauptingredienz fuer liebevolle weibliche Seelen ist das vollendete Bild eines Mannes, wie er sein soll, zu rechnen, das Clauren zu geben versteht. In der Regel zeichnen sich diese Leute nicht sehr durch hohe Verstandesgaben aus; doch wir wollen diesen Fehler an Clauren nicht ruegen; wo nichts ist, sagt ein altes Sprichwort, da hat der Kaiser das Recht verloren. Statt des Verstandes haben die Vergissmeinnichtmaenner herrliche Rabenlocken, einen etwas schwindsuechtigen Teint, der sie aber schmachtend und interessant macht, unter fuenf Fuss sechs Zoll darf keiner messen; kraeftige, maennliche Formen, sprechende Augen, die Haende und Fuesse aber wie andere Menschen. Sie sind gerade so eingerichtet, dass man sich ohne weiteres auf den ersten Augenblick in sie verlieben muss. Dabei sind sie meistens arm, aber edel, stolz, grossmuetig und heiraten gewoehnlich im fuenften Akt. Auf welche edle weibliche Seele sollte ein solcher Held neuerer Zeit nicht den wohltuendsten Eindruck machen, wenn sie von ihm liest? Sie schnitzelt das Bild des Obergesellen oder Jagdschreibers oder Apothekergehilfen, das sie im Herzen traegt, so lange zurecht, bis er ungefaehr gerade so aussieht wie der Allerschoenste im allerneuesten Jahrgange des allerliebsten Vergissmeinnicht. Fuenftens: von schimmernden Luesters, von deckenhohen Trumeaus, von herrlichen Sofas, von feengleicher Einrichtung, von Sepiamalerei und dergleichen waere hier noch viel zu reden, wenn es die Muehe lohnte. Gehen wir, andaechtige Versammlung, ueber zu den Ingredienzien und Zutaten fuer _Maenner_, so koennen wir hier leicht zwei Klassen machen: 1) Zutaten, die das Auge reizen, 2) Zutaten, die den Gaumen kitzeln. Unter Nro. 1 ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Maedchen beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Wert zu sprechen, so gilt hier dasselbe, was von den Maennern gesagt wurde; eine tiefe, edle, jungfraeuliche Seele weiss kein Clauren zu schildern, und wenn er es wuesste, so hat er ganz recht, dass er nie eine Thekla, eine Klotilde. oder ein Wesen, das etwa ein Titan oder Horion lieben koennte, unter seiner Affenfamilie mittanzen laesst. Was das Aeussere betrifft, so macht er es wie jener griechische Kuenstler, der aus sieben schoenen Maedchen sich eine Venus bilden wollte. Aber er vergisst den hohen Sinn, der in der Sage von dem Kuenstler liegt. Sechs zogen vorueber und zeigten dem entzueckten Auge stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend. Die siebente, als die Gewaender fallen sollten, erroetete und verhuellte sich, und der Kuenstler liess jene sechs voruebergehen und bildete nach diesem Vorbild jungfraeulicher Hoheit seine Goettin. Nicht also Clauren; die sechs hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschaemt, verhuellt, erroetend nahte, hat er die Tuere verschlossen. Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem! Der grosse Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe--doch wie? Soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta wiedergeben, die sich mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erroete, erroete darueber, dass ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljaehrlich ein ausfuehrliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand! Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palast der neuen Circe die Nymphen im See sich baden sehen, glaubet ihr, seine reiche, gluehende Phantasie haette ihm nicht noch lockendere Bilder, reizendere Wendungen einhauchen koennen als einem Clauren? Doch er dachte an sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, fuer die er seine Gesaenge dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und siehe, die reichen Locken fallen herab und stroemen um die Nymphen und rollen in das Wasser, und der See verhuellt ihre Glieder. Aber, _si parva licet componere magnis_, was soll man zu jener skandaloesen Geschichte sagen, die H. Clauren in einem frueheren Jahrgang des Freimuetigen, eines Blattes, das in so manchem haeuslichen Zirkel einheimisch ist, erzaehlt? Rechne man es nicht _uns_ zur Schuld, wenn wir Schaendlichkeiten aufdecken, die jahrelang _gedruckt_ zu lesen sind. Eine junge Dame koemmt eines Tages auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, dass sie zwar seit vierzehn _Tagen_ verheiratet, und gluecklich _verheiratet_, aber durch einen kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann nicht ahnen duerfe. H. Clauren erzaehlt uns, dass er der engelschoenen Dame gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit _et cetera_ zeige. Die Dame entschliesst sich zu der Prozedur. Ich daechte, das Bisherige ist so ziemlich der hoechste Grad der Schaendlichkeit, zum mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, _gluecklich_ verheiratet, seit vierzehn Tagen ein glueckliches Weib und Ehebrecherin! Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur selbst ein; er rueckt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur, er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwaerts seine Beobachtungen!!! Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen, wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu ruegen. Warum in einem oeffentlichen Blatte etwas _erzaehlen_, was man in guter Gesellschaft nicht _erwaehnen_ darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte, verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug fuer ein Publikum, das sich Schaendlichkeiten dieser Art ungestraft erzaehlen laesst! In die eben erwaehnte Kategorie von _berechnetem_ Augenreiz fuer Maenner gehoeren auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald wird uns ausfuehrlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst, zu _zwei_ schlafen zu muessen, bald hoert man Vally im Bade plaetschern und moechte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermaedchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet; der gluehenden, durch alle Nerven zitternden Kuesse, der Blicke beim Tanze abwaerts auf die Wellenlinien der Taenzerinnen u. dgl. nicht zu gedenken; Honigworte fuer Leute, die nichts Hoeheres kennen als Sinnlichkeit, koestlich kandierte Zoten fuer einen verwoehnten Gaumen, treffliches Hausmittel fuer junge Wuestlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen! Ein _zweites_ Reizmittel fuer Maenner sind jene Zutaten, die den Gaumen kitzeln. "Heda, Kellner, hieher sechs Flaschen des bruesselnden Schaumweins! Ha, wie der Kork knallend an die Decke faehrt! Eingeschenkt, lasst ihn nicht verrauchen! Jetzt fuer jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt!" Ist diese Sprache nicht herrlich? Wird man nicht an Homer erinnert, der immer so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur gewoehnliches "Schweinefleisch", und die Weinsorten ruehmt er auch nicht besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer wollte es uebel nehmen, wenn er die Korke fliegen laesst und Austern schmaust, fuenfhundert Stueck zum ersten Anfang? Ich kannte einen jener bedauernswuerdigen Menschen, die man in glaenzendem Gewand, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr haltet sie fuer das gluecklichste Geschlecht der Menschen, diese Pflastertreter; sie haben nichts zu tun und vollauf zu leben. Ihr taeuschet euch; oft hat ein solcher Herr nicht so viel kleine Muenze, um eine einfache Mittagskost zu bezahlen, und was er an grossem Gelde bei sich traegt, kann man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: "Freund, wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit zufriedener Miene die Strasse herabkommen, mit der Zunge schnalzend oder in den Zaehnen stochernd; bei welchem beruehmten Restaurant speiset Ihr?" "Bei Clauren," gab er mir zur Antwort. "Bei Clauren?" rief ich verwundert. "Erinnere ich mich doch nicht, einen Strassenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben." "Da habt Ihr recht," entgegnete er; "es ist aber auch kein hiesiger, sondern der Berliner, H. Clauren--" "Wie, und dieser schickt Euch kalte Kueche bis hieher?" "Kalte und warme Kueche nebst etzlichem Getraenke. Doch ich will Euch das Raetsel loesen," fuhr er fort; "ich bin arm, und was ich habe, nimmt jaehrlich gerade das Schneiderkonto und die Rechnung fuer Zuckerwasser im Kaffeehause weg; nun bin ich aber gewoehnt, gute Tafel zu halten; was fange ich in diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre von ersparten Groschen das herrliche Vergissmeinnicht von H. Clauren, und ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt, Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr muesst wissen, dass in solchem Buechlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne, Tafelseiten kommen. Ich sehe mich mittags mit einem Stueck Brot, zu welchem an Festtagen Butter koemmt, nebst einem Glase Wasser oder duennem Biere an den Tisch, speise vornehm und langsam, und waehrend ich kaue, lese ich im 'Vergissmeinnicht' oder in 'Scherz und Ernst.' Seine Tafelseiten werden mir nun zu delikaten Suppentafeln; denn mein Teller ist nicht mehr mit schlechtem Brot besetzt, meine Zaehne malmen nicht mehr dieses magere Gebaeck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Kueche ist. Was da an Fasanen, Gaenseleberpasteten, Trueffeln, an seltenen Fischen, an--" "Genug!" fiel ich ihm ein; "und Eure Phantasie laesst Euch satt werden? Aber koenntet Ihr hiezu nicht das naechste beste Kochbuch nehmen? Ihr haettet zum mindesten mehr Abwechslung." "Ei, da ist noch ein grosser Unterschied! Sehet, das versteht Ihr nicht recht; in den Kochbuechern wird nur beschrieben, wie etwas gekocht wird; aber ganz anders im Vergissmeinnicht; da kann man lesen, wie es schmeckt. Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede Schuessel vor und erzaehlt: so schmeckte es; und wie natuerlich ist es, wenn er oft beschreibt, wie diesem die Sauce ueber den Bart herabgetraeufelt sei, oder wie jener vor Vergnuegen ueber die Trueffelpastete die Augen geschlossen! UEberdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand, und wenn ich das Glas mit Duennbier zum Munde fuehre, schiebt er mir immer im Geiste Trimadera, Bordeaux oder Champagner unter." So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein grosses Claurensches Traktement der Verdauung wegen zu promenieren. Was ist Rumford gegen einen solchen Mann? sprach ich zu mir. Jener bereitet aus alten Knochen kraeftige Suppen fuer Arme und Kranke; ist aber hier nicht mehr als Rumford und andere? Speist und traenkt er nicht durch eine einzige Auflage des "Vergissmeinnicht" fuenftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des gemeinen Mannes etwas hoeher ginge, wie wohlfeil koennte man Spitaeler, ja sogar Armeen verproviantieren! Der Spitalvater oder der respektive Leutnant naehme das "Vergissmeinnicht" zur Hand, liesse seine Kompanie Hungernder antreten, liesse sie trockenes Kommisbrot speisen und wuerde ihnen einige Tafelseiten aus Clauren vorlesen. Doch von solchen Torheiten sollte man nicht im Scherz sprechen; sie verdienen es nicht; denn wahrer, bitterer Ernst ist es, dass solche Niedertraechtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen _a la carte_, wenn sie ungeruegt jede Messe wiederkehren duerfen, wenn man den gebildeten Poebel in seinem Wahn laesst, als waere dies das Manna, so in der Wueste vom Himmel faellt, die Wuerde unserer Literatur vor uns selbst und dem Auslande, vor Mit- und Nachwelt schaenden! Doch ich komme, meine verehrten Zuhoerer, noch auf einen andern Punkt, den man weniger Ingredienz oder Zutat, sondern _Sauce piquante_ nennen koennte; das ist die _Sprache_. Man wirft nicht mit Unrecht den Schwaben und Schweizern vor, dass sie nicht sprechen, wie sie schreiben; aber wahrhaftig, es gereicht H. Clauren zu noch groesserem Vorwurf, dass er so gemein schreibt, wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in neuerer Zeit manches verschrobene und verschraenkte Deutsch lesen muessen; waren es Wendungen aus dem fuenfzehnten Jahrhundert, waren es Saetze aus einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreissend waren auch die Kompositionen, die Voss nach Analogie Homer's vornahm; aber man kann Maenner dieser Art hoechstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals; denn es lag dennoch ein schoener Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der Sprache zugrunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit sagen, womit der Erfinder der Mimilismanier seine Produkte einkleidet! Koenig Salomo, wenn er noch lebte, wuerde diesen Menschen mit einem Freudenmaedchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angetan mit koestlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du redest sie an mit Ehrfurcht; denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau aus gutem Hause; aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelaechter, sie gesteht, sie muesse lachen, dass "_sie der Bock stoesst_"; sie spricht in Worten, wie man sie nur in Schenken und auf blauen Montagstaenzen hoeren konnte; sie enthuellt sich, ohne zu erroeten, vor deinen Augen und spricht Zoten und Zoetchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, dass die, welche du fuer eine anstaendige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten Vergnuegen einer verworfenen Klasse! Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsuenden hieher setzen, da ja das Buch, ueber welches wir sprechen, der "Mann im Monde", ein lebendiges Verzeichnis, ein vollstaendiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben weiss, der schon auf einer Art von Faeulnis und Moder beruht, desto mehr sagt sie dem verwoehnten Gaumen seines Publikums zu. Noch ist endlich ein Zutaetchen und Ingredienzchen anzufuehren, das er aber selten anwendet, vielleicht weil er weiss, wie laecherlich er sich dabei ausnimmt; ich meine jene ruehrenden, erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemuet, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut erscheinen sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprichworts: "Junge H...n, alte Betschwestern"; wir glaubten, der gute Mann habe sich in der braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Suenden mit Zerknirschung ein und werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornister-Lieschen, Vielliebchen und dergleichen ueberzeugten uns freilich eines andern, und wir sahen, dass er nur _per anachronismum_ den Aschermittwoch _vor_ der Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet zur Suende wird, so geht es auch hier; er schaendet die Religion nicht weniger, als er sonst die Sittlichkeit schaendet, und diese heiligen, ruehrenden Szenen sind nichts anderes als ein wohlueberlegter Kunstgriff, durch Ruehrung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Strassen von London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen und mit den ungluecklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen. Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte erzaehlen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt in die gute Gesellschaft zu verschaffen wusste. Dieser Mensch betrug sich von Anfang etwas linkisch, doch so, dass man manche seiner Manieren uebersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewoehnlich zu den Frauen und Maedchen, weil ihm das Gespraech der Maenner zu ernst war, und jene lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und nach aber fand es sich, dass dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte den Ohren unschuldiger Maedchen Dinge vor, worueber selbst die aelteren haetten erroeten muessen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Luesterne reizt bei weitem mehr als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber offnem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die fuer eine Bierschenke derb genug gewesen waere, bewahrten sie in feinem Herzen. Der fremde Mann wuerde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Maennern nach und nach auf, dass ihre Frauen ueber manche Verhaeltnisse freier dachten als zuvor, dass selbst ihre Maedchen ueber Dinge sprachen, die sonst einem unbescholtenen Kinde von fuenfzehn bis sechzehn Jahren fremd sein muessen. Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden: "Es ist der liebenswuerdige, angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat." Viele der Maenner versuchten es mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schuettelte die Pfeile ab und plauderte fort. Die Maenner wussten nicht, was sie tun sollten; denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer einen andern Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen auf die Rede des Mannes und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte sich an seine Seite, liess ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzaehlte den Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu tun pflegte. Da fanden die Vernuenftigeren wenigstens, wie laecherlich und unsittlich dies alles sei. Sie schaemten sich, und als jener Mensch dennoch in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab; er aber stand beinahe allein und zog beschaemt von dannen. "Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe," dachte jener, und wohl ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen! Meine Freunde! Dasselbe, was in dieser Geschichte erzaehlt ist, dasselbe wollte auch der "Mann im Mond", und das war ja unsere erste Frage: er wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte laecherlich machen. Wie er diesen Zweck verfolgte, ob es ihm gelingen _konnte_, ist der Gegenstand der folgenden Fragen. II. Haben wir bisher nachgewiesen und darueber gesprochen, welchen Zweck der "Mann im Monde" zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu, andaechtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte. Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine boese Gewohnheit oder unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das erste und natuerlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst, mit Gruenden anzugreifen, seine Anhaenger von ihrem Irrtum zu ueberfuehren, seine Bloesse offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine Zuhoerer, kennet hinlaenglich jene oeffentlichen Gerichte der Literatur, wo die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhuellt und ohne Namen zu Gericht sitzen, aber unverhuellt und unumwunden Recht sprechen; ich meine die Journale, die sich mit der Literatur beschaeftigen. Wie es in aller Welt bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige freilich an Obskurantismus laborierende Blaetter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen zu Gunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem Kindlein wurde gebuehrendes Lob gespendet und das Publikum eingeladen, einige Taler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen Literatur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelblaetter, die nur mit Modeartikeln zu tun haben. Bessere Blaetter, bessere Maenner als jene, die um Geld lobten, scheuten sich nicht, so oft Claurens Muse in die Wochen kam, das Produkt nach allen Seiten zu untersuchen und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie steigerten ihre Stimme, sie erhoehten ihren Tadel, je mehr die Lust an jenen Produkten unter euch ueberhand nahm; sie bewiesen mit triftigen Gruenden, wie schaendlich eine solche Lektuere, wie entwuerdigend ein solcher Geschmack sei, wie entnervend er schon zu wirken anfange. Manch herrliches Wort wurde da ueber die Wuerde der Literatur, ueber wahren Adel der Poesie und ueber euch gesprochen, die ihr nicht erroetet, ihm zu huldigen, die ihr so verstockt seid, das Haessliche _schoen_, das Unsaubere _rein_, das Kleinliche _erhaben_, das Laecherliche _ruehrend_ zu finden. Woran lag es aber, dass jene Worte wie in den Wind gesprochen scheinen, dass, so oft sich auch Maenner von wahrem Wert _dagegen_ erklaerten, die Menge immer mehr Partei _dafuer_ nahm? Man muesste glauben, der Herr habe ihre Herzen verstockt, wenn sich nicht noch ein anderer Grund faende. Jene Institute fuer Literatur, die kein Volk der Erde so allgemein, so gruendlich aufzuweisen hat wie wir, jene Journale, wo auch das Kleinste zur Sprache kommt und nach Gesetzen beurteilt wird, die sich auf Vernunft und wahren Wert der Kunst und Wissenschaft gruenden,--sie sind leider nur fuer wenige geschrieben! Wer liest sie? Der Gelehrte, der Buerger von wahrer Bildung, hin und wieder eine Frau, die sich ueber das Gebiet der Leihbibliothek erhoben hat. Ob aber Clauren fuer _diese_ schreibt? Ob seine Manier _diesen_ schaedlich wird? Ob sie ihn nur lesen? Und wenn sie ihn lesen, wird ihnen die Stufe von Bildung, auf welcher sie stehen, nicht von selbst den Takt verleihen, um das Verwerfliche einzusehen? Und wenn unter hundert Menschen, welche lesen, sogar zehn waeren, die sich aus jenen Instituten unterrichten, verhallt nicht eine solche Stimme bei neunzig andern? So kam es, dass Clauren zu wiederholten Malen angegriffen, getadelt, gescholten, verhoehnt, bis in den Staub erniedrigt wurde; er--schuettelte den Staub ab, antwortete nicht, ging singend und wohlgemut seine Strasse. Wusste er doch, dass ihm ein grosses, ansehnliches Publikum geblieben, zu dessen Ohren jene Stimmen nie drangen; wusste er doch, dass, wenn ihn der ernste Vater mit Verachtung vor die Tuere geworfen wie einen raeudigen Hund, der seine Schwelle nicht verunreinigen soll, das Toechterlein oder die Hausfrau eine Hintertuere willig oeffnen werde, um auf die Honigworte des angenehmen Mannes zu lauschen, der Ernst und Scherz so lieblich zu verbinden weiss, und ihm von den ersparten Milchpfennigen ein Straeusschen Vergissmeinnicht abzukaufen. Man koennte sich dies gefallen lassen, wenn es sich um eine gewoehnliche Erscheinung der Literatur handelte, die in Blaettern oeffentlich getadelt wird, weil sie von den gewoehnlichen Formen abweicht oder unreif ist oder nach Form und Inhalt den aesthetischen Gesetzen nicht entspricht. Hier kann hoechstens die Zeit, die man der Lektuere einer Gespenstergeschichte oder eines ehrlichen Ritterromans widmete, uebel angewendet scheinen, oder der Geschmack kann darunter leiden. Solange fuer die jugendliche Phantasie, fuer Sittlichkeit keine Gefahr sich zeigt, moegen immer die Richter der Literatur den Verfasser zurechtweisen, wie er es verdient; das allgemeine Publikum wird freilich wenig Notiz davon nehmen. Wenn aber nachgewiesen werden kann, dass eine Art von Lektuere die groesstmoegliche Verbreitung gewinnt, wenn sie diese gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Luesternheit, die das Auge reizt und dem Ohr schmeichelt durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein Gift, das um so gefaehrlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu wirken pflegt, sondern allmaehlich die Phantasie erhitzt, die Kraft der Seele entnervt, den Glauben an das wahrhaft Schoene und Edle, Reine und Erhabene schwaecht und ein Verderben bereitet, das bedauerungswuerdiger ist als eine koerperliche Seuche, welche die Bluete der Laender wegrafft. Ich habe euch vorhin ein Bild entworfen von dem Wesen und der Tendenz dieses Clauren, nach allen Teilen habe ich ihn enthuellt, und wer unter euch kann leugnen, dass er ein solches Gift verbreite? Wer es kann, der trete auf und beschuldige mich einer Luege! Maenner meines Volkes, die ihr den wahren Wert einer schoenen, kraeftigen Nation nicht verkennt, Maenner, die ihr die Phantasie eurer Juenglinge mit erhabenen Bildern schmuecken wollt, Maenner, die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau fuer ein hohes Gut erachtet, ihr, ich weiss es, fuehlet mit mir. Aber ihr muesst auch gefuehlt, gesehen haben, dass jene oeffentlichen Stimmen, die den Marktschreier ruegten, der den Verblendeten Gift verkauft, nicht selten in eure Haeuser gedrungen sind. Ich habe gefuehlt wie ihr, und der Ausspruch jenes alten Arztes fiel mir bei: _"Gegen Gift hilft nur wieder Gift."_ Ich dachte nach ueber Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. Aus denselben Stoffen, sprach ich zu mir, musst du einen Teig kneten, musst ihn wuerzen mit derselben Wuerze, nur reichlicher ueberall, nur noch pikanter; an diesem Backwerk sollen sie mir kauen, und wenn es ihnen auch dann nicht widersteht, wenn es ihnen auch dann nicht wehe macht, wenn sie an _dieser_ "Trueffelpaste", an _diesem_ "Austernschmaus" keinen Ekel fassen, so sind sie nicht mehr zu kurieren, oder--es war nichts an ihnen verloren. Zu diesem Zweck scheute ich nicht die Muehe, die reiche Bibliothek von "Scherz und Ernst", die ueppig wuchernde Sumpfpflanze "Vergissmeinnicht" nach allen ihren Teilen zu studieren. Je weiter ich las, desto mehr wuchs mein Grimm ueber diese nichtige Erbaermlichkeit. Es war eine schreckliche Arbeit; alle seine Kunstworte (_termini technici_), alle seine Wendungen, alle seine Schnoerkel und Arabesken, jene Kostuems, worein er seine Pueppchen huellt, alle Nueancen der Sinnlichkeit und Luesternheit, jenen feinen, durchsichtigen Schleier, womit er dem Auge mehr _zeigt_ als _verhuellt_, alle Schattierungen seines Stils, jenes kokettierende Abbrechen, jenes Hindeuten auf Gegenstaende, die man verschweigen will, dies alles und so vieles andere musste ich suchen, mir zu eigen zu machen. Ich musste einkehren auf seinen Baellen, bei seinen Schmaeusen, ich musste einkehren in seiner Garkueche und die rauchenden Pasteten, den dampfenden Braten, den schmorenden Fisch beriechen, alle Sorten seiner Weine musst' ich kosten, musste den Kork zur Decke springen lassen, musste die "_bruesselnden Blaeschen im Lilienkelchglas auf- und niedertanzen_" sehen --und dann erst konnte ich sagen, ich habe den Clauren studiert. Dann erfand ich eine Art von Novelle in der Manier, wie Clauren sie gewoehnlich gibt, etwas mager, nicht sehr gehaltvoll und dennoch zu zwei Teilen lang genug. Notwendiges Requisit war nach den oben angedeuteten Gesetzen 1. ein junger, schmaechtiger, etwas bleicher, rabengelockter Mann, ungluecklich, aber steinreich; 2. die Heldin des Stuecks, ein tanzendes, plauderndes, naives, schoenes, luesternes, mitleidiges "Dingelchen", dem das Herzchen alsbald vor Liebe "puppert", dem die Liebe alles Blut aus dem Herzen in die Wangen "pumpt". (Welch gemeines Bild, von einem Weinfass entlehnt, eines Kuefers wuerdig!) 3. ein _Spiritus familiaris_, wie wir ihn beinahe in allen Claurenschen Geschichten treffen, ein altes, freundliches "Kerlchen", das den Liebenden mit Rat und Tat beisteht; 4. ein neutraler Vater, der zum wenigsten Praesident sein muss; 5. ein paar Furien von Weibern, die das boese, eingreifende Schicksal vorstellen; 6. einige Husarenleutnants und Dragoneroffiziere, nach seinen Modellen abkonterfeit; 7. ein alter Onkel, der mit Geld alles ausgleicht; 8. Bediente, Wirte _et cetera_. So waren die Personen arrangiert, das Stueck zu Faden geschlagen, und jetzt musste gewoben werden. Hier musste nun hauptsaechlich Ruecksicht darauf genommen werden, dass man sein Dessein immer im Auge behielt, dass man immer daran dachte, wie wuerde er, der grosse Meister, dies weben? Das Gewebe musste locker und leicht sein, keiner der Charaktere zu sehr herausgehoben und schattiert. Es waere z. B. ein leichtes gewesen, aus Ida eine ganz honette, wuerdige Figur zu machen; der Charakter des Hofrat Berner haette mit wenigen Strichen mehr hervorgehoben werden koennen; man haette aus der ganzen Novelle ein mehr gerundetes, wuerdiges Ganze machen koennen! Aber dann--war der Zweck verfehlt. So flach als moeglich mussten die verschiedenen Charaktere auf der Leinwand stehen, steif in ihren Bewegungen, uebertrieben in ihrem Herzeleid, grell in ihren Leidenschaften, sinnlich, _sinnlich_ in der Liebe. Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten "Zutaetchen" einstreuen, wenn ich von keuschem Marmorbusen, stolzer Schwanenbrust, jungfraeulichen Schneehuegeln, Alabasterformen _et cetera_ sprechen musste, wenn ich nach seinem Vorgange von schoenen von suessen "Kue--" (was nicht _Kueche_ bedeutet), von wolluestigen Traeumen schreiben sollte, wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem "jungfraeulichen Kind" wie gluehendes Eisen durch alle Adern rinnt, dass sie alle andern Tuecher wegwirft und die leichte Bettdecke herabschieben muss! Ich habe gelacht, wenn ich nach Anleitung seines _Gradus ad Parnassum_ als Beiwort zu den Haaren "kohlrabenschwarz" oder "Flachsperuecke" setzen musste, wenn man statt der Augen "Feuerraeder" oder "Liebessterne" hat, "Korallenlippen", "Perlenschnuere" statt der Zaehne, Schwanenhaelse samt _dito_ Brust, Knie, die man zusammen "kneipt", weil man vor Lachen "bersten" moechte; Waed--und Fuesschen zum Kue--und dergleichen laecherlich gemeine Worte. Nachdem gehoerig _getollt, gejodelt, getanzt, geweint, abgehaermt_ war, nachdem, wie natuerlich, das Laster besiegt und die Tugend in einem herrlichen Schleppkleide, mit Bruesseler Kanten, Blumen im Haare, auf die Buehne gefuehrt war, wurden als Morgengabe mehrere Millionen Taler, einige Schloesser, Parks, Gruende _et cetera_ aufnotiert und Hochzeit gehalten. Da gab es nun ein "erschreckliches Hallo, dass man nicht wusste, wo einem der Kopf stand"; es wurde trefflich gespeist und getrunken und das selige Liebespaar beinahe bis in die Brautkammer befoerdert. Das ist der Ur- und Grundstoff, wie zu jedem Claurenschen Roman, so auch zum "_Mann im Mond_"; auf diese Art suchte er seinen Zweck zu erreichen, durch Uebersaettigung Ekel an dieser Manier hervorzubringen; die Satire sollte ihm Gang und Stimme nachahmen, um ihn vor seinen andaechtigen Zuhoerern laecherlich zu machen. Mit Vergnuegen haben wir da und dort bemerkt, dass der "Mann im Mond" diesen Zweck erreichte. Jeder vernuenftige, unparteiische Leser erkannte seine Absicht, und, Gott sei es gedankt, es gab noch Maenner, es gab noch edle Frauen, die diese oeffentliche Ruege der Mimili-Manier gerecht und in der Ordnung fanden. OEffentliche Blaetter, deren ernster, wuerdiger Charakter seit einer Reihe von Jahren sich gleich blieb, haben sich darueber ausgesprochen, haben gefunden, dass es an der Zeit sei, dieses geschmacklose, unsittliche, verderbliche Wesen an den Pranger zu stellen. Tadle mich keiner, ehrwuerdige Versammlung, dass ich, ein junger Mann ohne Verdienste, ohne Ansprueche auf Sitz und Stimme in der Literatur, es wagte, den Hochberuehmten anzugreifen. Steht doch jedem Leser das Recht zu, seine Meinung ueber das Gelesene, auf welche Art es sei, oeffentlich zu machen; steht doch jedem Mann in der buergerlichen Gesellschaft das Recht zu, ueber Erscheinungen, die auf die Bildung seiner Zeitgenossen von einigem Einfluss sind, zu sprechen. Ich bin weit entfernt, mich mit dem grossen juedischen Koenig und Harfenisten _David_ vergleichen zu wollen; aber hat nicht der Sohn Isais, obgleich er jung und ohne Namen im Lager war, dem Riesen Goliath ein steinernes _Vergissmeinnicht_ an die freche Stirne geworfen, ihm in _Scherz_ und _Ernst_ den Kopf abgehauen und solchen als _Lustspiel_ vor sich hertragen lassen? Mir freilich haben die Jungfrauen nicht gesungen: "Er hat Zehntausend geschlagen" (worunter man die Zahl seiner Anhaenger verstehen koennte); denn die Jungfrauen sind heutzutage auf der Seite des Philisters; natuerlich, er hat ja, wie Asmus sagt, "--Federn auf dem Hut und einen Klunker dran." Selbst die juedischen Rezensenten haben sich undankbarerweise gegen mich erklaert. Leider hat ihre Stimme wenig zu bedeuten in Israel. Gehen wir aber, in Betrachtung, wie es dem Mondmann auf der Erde erging, weiter, so stossen wir auf einen ganz sonderbaren Vorfall. Als dieses Buch, dem neben der Weise und Sprache des Erfinders der Mimili-Manier auch sein angenommener Name nicht fehlen durfte, in alle vier Himmelsgegenden des Landes ausgegeben wurde, erwarteten wir nicht anders, als Clauren werde "geharnischt bis an die Zaehne" auf dem Kampfplatz der Kritik erscheinen, uns mit Schwert und Lanze anfallen, seine Knappen und dienenden Reisigen zur Seite. Wir freuten uns auf diesen Kampf; wir hatten ja fuer eine gute Sache den Handschuh ausgeworfen. Vergebens warte ten wir. Zwar erklaerte er, was schon auf den ersten Anblick jeder wusste, dieser "Mann im Mond" sei nicht sein Kind; aber statt, wie es einem beruehmten Literator, einem namhaften Belletristen geziemt haette, wie es sogar seine Ehre gegenueber von seinen Anbetern und Freunden verlangte, oeffentlich vor dem Richterstuhl literarischer Kritik, nach aesthetischen Gesetzen sich zu verteidigen, begnuegte er sich, als Gegengewicht das "Tornister-Lieschen" auf die Wagschale zu legen, und ging hin, vor den _buergerlichen Gerichten zu klagen, man habe seinen Namen gemissbraucht. Hatte man denn die paar Buchstaben _H. Clauren_ angegriffen? War es nicht vielmehr seine heillose Manier, seine sittenlosen Geschichten, sein ganzes unreines Wesen, was man anfocht? Konnten Schoeppen und Beisitzer eines buergerlichen Gerichts ihn rein machen von den literarischen Suenden, die er begangen? Konnten sie mit der Flut von Tinte, die bei diesem Vorfall verschwendet wurde, ihn reinwaschen von jedem Fleck, der an ihm klebte? Konnten sie ihm, indem sie ihm ihr buergerliches Recht zusprachen, eine Achtung vor der Nation verschaffen, die er laengst in den Augen der Gutgesinnten verloren? Konnten sie, indem sie genugsam Sand auf das Geschriebene streuten, das, was er geschrieben, weniger schluepfrig machen? Wenn aber, andaechtige Versammlung, der Gerichtshof H. Clauren als wirklich vorhanden angenommen hat, so hat er damit nur erklaert, dass man Claurens Namen nicht fuehren duerfe, dass es unrechtmaessigerweise geschehen sei, dass man die acht Buchstaben, die das _non ens_ bezeichneten, H. C. l. a. u. r. e. n., in derselben Reihenfolge auch auf ein anderes Werk gesetzt habe. In einer andern Reihenfolge waere es also durchaus nicht unrecht gewesen, und wie viele Anagramme sind nicht aus jenen mystischen acht Buchstaben zu bilden! z. B. _Hurenlac_ oder _Harnceul_. Der Geheime Hofrat Carl Heun bezeugt eine ausserordentliche Freude ueber diesen Spruch und glaubt, somit sei die ganze Sache abgetan und _er habe_ recht. Wie taeuscht sich dieser gute Mann! War denn jene Satire, "der Mann im Mond", gegen seinen angenommenen Namen gerichtet?--Namen, Herr, tun nichts zur Sache; der Geist ist's, auf den es abgesehen war. Und die Richter vom Esslinger Gerichtshof konnten und wollten _diese_ entscheiden, ob die Tendenz, die Sprache, das ganze Wesen von Seiner Wohlgeboren Schriften sittlich oder unsittlich sei, ob sie Probe halten vor dem Auge, das nach kritischen Gesetzen urteilt und nach den Vorschriften der Aesthetik, in welches Gebiet doch die Schriften eines Clauren gehoeren? Der _Name_, nicht die _Sache_ konnte nach buergerlichen Gesetzen unrecht sein; aber versuche er einmal, nachdem er mit Glueck seinen _Namen_ verfochten, auch seine _Sache_, den Geist und die Sprache seiner Schriften zu verteidigen!--Bedenke: "Auch das Schoene muss sterben, das Menschen und Goetter entzueckte; Doch das Gemeine steigt lautlos zum Orkus hinab." Wohl dem Namen Clauren, wenn er dann trotz so manchem Vergissmeinnicht _vergessen_ sein wird; denn nach wenigen Jahrzehnten verschwindet der _Scherz_, und _ernst_ richtet die Nachwelt. Da wird man fragen, von welchem Einfluss war dieser Name aus seine Mitwelt? Was hat er fuer die Wuerde seiner Nation, fuer den Geist seines Volkes getan? Und--man wird nach Werken, nicht nach Worten richten. Bei den alten Aegyptern war es Sitte, wenn man die Koenige der Erde wiedergab, Gericht zu halten ueber ihre Taten. Man hat in unseren Tagen diese schoene Sitte erneuert, so oft einer unter den Dichtern, den Koenigen der Phantasie, hinuebergegangen war. Ueber Jean Paul vernahmen wir das schoene merkwuerdige Wort. "Gute Buecher sind gute Taten!" Wird man von Clauren dasselbe sagen? Doch genug davon! Noch hat weder Clauren, noch ein Gerichtshof der Erde den "Mann im Mond" nach seinem innern Wesen widerlegt; wir sind begierig, ob und wie es geschehen werde. Und nun zum Schlusse noch ein Wort an euch, verehrte Zuhoerer! Habt ihr bis hierher mir aufmerksam zugehoert, so danke ich euch herzlich; denn ihr wisset jetzt, was ich gewollt habe. Schmerzen wuerde es mich uebrigens, wenn ihr mich dennoch nicht verstaendet, nicht recht verstaendet. Es moechte vielleicht mancher mit unzufriedener Miene von mir gehen und denken: der Tor predigt in der Wueste; sollen wir denn jeglichem heiteren Geistesgenuss entsagen, sollen wir so ganz asketisch, leben, dass unsere Taschenlektuere Klopstocks Messias werden soll? Mitnichten! und es waere Torheit, es zu verlangen; als der Schoepfer dem Sterblichen Witz und Laune, Humor und Empfaenglichkeit fuer Freude in die Seele goss, da wollte er nicht, dass seine Menschen trauernd und stumm ueber seine schoene Erde wandelten. Es hat zu allen Zeiten grosse Geister gegeben, die es nicht fuer zu gering hielten, durch die Gaben, die ihnen die Natur verlieh, die Welt um sich her aufzuheitern. Nein, gerade weil sie den tiefen Ernst des Lebens und seine hohe Bedeutung kannten, gerade deswegen suchten sie von diesem Ernste--trueben Sinn und jene Traurigkeit zu verbannen, die alles, auch das Unschuldigste, mit Bitterkeit mustert. Wirkliche Tiefe mit Humor, Wahrheit mit Scherz, das Edle und Grosse mit dem heiteren Gewand der Laune zu verbinden, moechte auf den ersten Anblick schwer erscheinen. Aber England und Deutschland haben uns seit Jahrhunderten so glaenzende Resultate gegeben, dass wir glauben duerfen, wenn nur der Geschmack der Menge besser waere, der Geister, die sie wuerdig und angenehm zu unterhalten wuessten, wuerden immer mehrere auftauchen. Welchen Mann, der nicht allen Sinn fuer Scherz und muntere Laune hinter sich geworfen hat, welchen Mann ergoetzt nicht die Schilderung eines sonderbaren, verschrobenen Charakters? Wer erfreut sich nicht an heiteren Szenen, wo nicht der _Verfasser_ lacht, sondern die Figuren, die er uns gezeichnet? Wem, wenn er auch jahrelang nicht gelaechelt haette, muessten nicht Jean Pauls Pruegelszenen ein Laecheln abgewinnen? Auf der Stufenleiter seines Humors steigt er herab bis in das unterste, gemeinste Leben; aber sehet ihr ihn jemals gemein werden, wie Clauren auf jeder Seite ist? Walter Scott, der Mann des Tages, der aus manchem Herzen selbst die Wurzel des "Vergissmeinnicht" gerissen hat, Walter Scott treibt sich in den gemeinsten Schenken des Landes, in den schmutzigsten Hoehlen von Alsatia umher; aber sehet ihr ihn jemals gemein werden? Weiss er nicht, wie jene niederlaendischen Kuenstler, sogar das Unsauberste zu malen, ohne dennoch selbst unreinlich und schluepfrig zu sein? Koennet ihr nicht seine Schilderungen, selbst an das Gefaehrliche streifende Situationen, jedem Maedchen von Zucht und Sitte vorlesen, ohne sie dennoch erroeten zu machen? Solche Maenner kommen mir vor wie anstaendige Leute, die durch eine schmutzige Strasse in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf, sie wissen mit sicherem Fusse die breiten Steine herauszufinden und treten reinlich in den Hausflur, waehrend Menschen wie Clauren, wilden Jungen oder Schweinen gleich, durch dick und duenn laufen und, nicht zufrieden, sich selbst beschmutzt zu haben, die Voruebergehenden besudeln und mit Kot bespritzen. Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in unserer Literatur, gibt es der Maenner viele, die mit Wahrheit und Wuerde jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trueben Stunden freundlich zu Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, dass uns ein Goethe, ein Jean Paul, ein Tieck, ein Hoffmann Erzaehlungen gaben, die sich mit jeder Dichtung des Auslandes messen koennen? Hat euch der Vergissmeinnicht-Mann so gaenzlich gefesselt, dass ihr die schoenen Blueten zahlreicher anderer Erzaehler nicht einmal vom Hoerensagen kennt? Freilich, diese Maenner verschmaehten es, ihre Blumen am Sumpf zu brechen oder ihre Farben mit dem Wasser einer Pfuetze zu mischen; sie fuehlten, dass der Entwurf ihrer Gemaelde anziehend und interessant, dass die Stellung der Gruppen nach natuerlichen Gesetzen zu ordnen sei, dass selbst das Neue, Ueberraschende angenehm fuer das Auge sein muesse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung der Charaktere, nicht der Huete und Gewaender, der Geist einer Jungfrau, nicht der ueppige Bau ihrer Glieder war ihnen die Hauptsache. Und darum koennen wir auch ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem Vergnuegen lesen, waehrend uns der _Beruehmte_ schon nach der ersten Viertelstunde anekelt. Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere Literatur hochzuschaetzen. Die Englaender fanden einen Ernst, eine Tiefe, die ihnen bewunderungswuerdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine Natuerlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemaelden, die sie selbst bei ihren ersten Geistern selten fanden. Faust, Goetz und so manche herrliche Dichtung Goethes sind ins Englische uebertragen worden, seine Memoiren entzuecken die Pariser, Tiecks und Hofsmanns Novellen fanden hohe Achtung ueber dem Kanal, und Talma ruestet sich, Schillers tragische Helden seiner Nation vor das Auge zu fuehren. Wir Deutschen handelten bisher von jenen Laendern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausfuehren zu koennen. Mit Stolz duerfen wir sagen, dass die Zeit dieses einseitigen Handels vorueber ist. Aber muessen wir nicht erroeten, wenn es endlich einem ihrer Uebersetzer, aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfaellt, ein "Vergissmeinnichtchen" ueber ein Baendchen von "Scherz und Ernst" zu uebertragen? Mit Recht koennt' er in einer pompoesen Anzeige sagen: "Das ist jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furor, _den_ muesst ihr lesen!" Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen Laecherlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur ertraeglich zu finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden Geschmack bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel oder ein Maedchen mit eigentuemlichen Kunstausdruecken anatomisch beschrieben fanden? Oder, wenn der Uebersetzer in unserem Namen erroetet, wenn er alle jene obszoenen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnoerkel streicht und nur die interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle N. N. heiratet, was wird dann uebrig sein? Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarzen Ringelloeckchen ab, presst ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reisst ihr die Perlenzaehne aus, schnallet den Schwanenhals nebst Marmorbusen ab, leget Schals, Huete, Federn, Unter- und Oberroeckchen, Korsettchen _et cetera_ in den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kinde die _Seele_ genommen, und es bleibt euch nichts als ein hoelzerner Kadaver, das Knochengerippe von Freund Heun! Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schaemet, wenn ihr ueber das deutsche Publikum nicht erroeten koennet, so erroetet vor euch selbst! Schaemet euch, ihr Maenner, wenn ihr eure Langweile nicht anders toeten koennet als mit Hilfe dieses Clauren! Schaemet euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden koennet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes! Schaemet euch, ihr Juenglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit wiederfinden wollet! Erroetet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, erroetet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen luesternen Bildern zu schmuecken! Es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfraeulichkeit der Seele. Man darf darauf rechnen, dass ein Maedchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzaehlungen gelesen. Ueberlasset seine Schilderungen Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren ist. Man wird es ihnen so wenig uebelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den Handwerksburschen, wenn sie auf der Strasse unzuechtige Lieder singen. Meine Zuhoerer! Ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet. Die Menge ist vielleicht so tief gesunken, dass sie nicht mehr an solche Worte glaubt; meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man in diesem Augenblick einen frischen Strauss "Vergissmeinnicht" empfaengt. Doch, wenn meine Worte auch nur auf einem Antlitz jene Roete der Scham aufjagten, die wie die Morgenroete der Bote eines schoeneren Lichtes ist, wenn auch nur zwei, drei Herzen entruestet sich von ihm abwenden, so habe ich fuer mein Bewusstsein genug getan! Weiss ich doch, dass es in diesen Landen noch Maenner gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand druecken und sagen: "Du hast gedacht wie wir!" Amen. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER MANN IM MOND*** ******* This file should be named 13451.txt or 13451.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.net/1/3/4/5/13451 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.net This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.