The Project Gutenberg EBook of Aus Kroatien, by Arthur Achleitner This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net Title: Aus Kroatien Skizzen und Erzählungen Author: Arthur Achleitner Release Date: April 30, 2005 [EBook #15734] Language: German Character set encoding: Unicode UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS KROATIEN *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team Aus Kroatien Skizzen und Erzählungen von Arthur Achleitner Leipzig 1920 Inhalt. Zum Geleit Drei Regimentsbefehle Des Popen Meisterstück Waldkultur Kroatische Glanzkohlen Auf Forstinspektion Feuerstein und Schwefelfaden Sprachliches Durcheinander Von der Sann zur Korana Eine Wahl ohne Ochsen, ohne Wein Die tausendjährige Linde Zum Geleit. Ein Vierteljahrhundert hindurch hatte ich Kopf, Herz, Hand und — Füße der Schilderung der Alpenwelt und ihrer Bewohner gewidmet mit dem erfreulichen Erfolg, daß die deutsche Leserwelt es gewöhnt geworden war, beim Anblick meines Namens auf Büchern sofort an die — Alpen zu denken. Freundschaftliche Beziehungen führten dann über die Grenzen des bisherigen Arbeitsgebietes der deutschen Berge; es kam zum Studium von Land und Volk der interessanten Bergslovenen in der südlichen Steiermark; eine Studienreise durch Dalmatien usw. erweckte den Wunsch, den Südosten kennen zu lernen. Sehnsucht und noch viel mehr: Trotz, weil man mich schon in jungen Jahren vor — _Kroatien_ und Slavonien „gewarnt,“ diese Länder höhnisch als — „Halbasien“ bezeichnet hatte. Der Gewissenhaftigkeit wegen war für die Studienreise durch Dalmatien und Montenegro usw. die kroatische Sprache erlernt worden. Mit der zur Verständigungsmöglichkeit ausreichenden Kenntnis dieses auf heimatlichem Boden verspotteten, aber gar nicht übel klingenden Idioms ausgerüstet, kam es zunächst zu einer Automobilreise durch Kroatien bis zum südlichsten Zipfel dieses in manchen Bezirken märchenschönen Landes, der Küste entlang wieder herauf nach Fiume, worauf der Entschluß zu einem längeren Aufenthalt auf kroatischem Boden gefaßt wurde. Gütige Einladungen seitens des gastfreundlichen Adels führten von Schloß zu Schloß; es begann ein Wandern von einer curia nobilis zur andern, von Dorf zu Dorf mit geschultem Blick für landschaftliche Schönheit und Wildbestand, mit rasch erweiterten Kenntnissen in der Geschichte des Landes, mit der sozusagen Spürnase für echtes Volksleben. Der beste Begleiter war jedoch das — Fundglück. Die südslavische Gastfreundschaft mutet märchenhaft an; das Schönste an ihr ist für den Forscher und Schriftsteller, daß sie willig gibt, was sie hat: die Chronik des Hauses. Wo das Geschriebene nicht hinreichte, half liebenswürdige Aussprache, das Erzählen alter Familienglieder in Schlössern, Edelsitzen, Dörfern. Monatelang ein Schöpfen, ein Sammeln fesselnder „Stoffe“ mit verjüngender Schaffensfreude. Als mit der Ausarbeitung begonnen wurde, vernichtete der Krieg alles. Mittlerweile hat der Federfuchser die Grenze des Greisenalters überschritten. Und Kroatien gehört jetzt nicht mehr zu Ungarn, sondern zur Država S H S, d. h. zum Staate Srbska (serbisch) Hrvatska (kroatisch) Slovenska (slovenisch). Ob und wie lange die Verbindung dieser bedeutungsvollen drei Buchstaben währen wird, das zu untersuchen, ist nicht meine Aufgabe. „Zärtliche Liebe“ hat die drei — nicht vereinigt. Auch das gegenseitige Sprachverständnis ist nicht so innig, als man den Fernstehenden glauben machen will. Es hat das hintere S Mühe, sich mit dem vorderen S zu verständigen, weil der Dialekt ausschlaggebend und zu sehr abweichend ist; das H vergeht das vordere S gut, das hintere aber nur dann, wenn der Slovene nach der Schrift sehr rein spricht. Wobei politisch dem H nicht das vordere, sondern das hintere S sympathischer ist aus Gründen, die in der Vergangenheit wurzeln. Aus Kroatien haben Briefe den Weg in meine Arbeitsstube gefunden, allen Hindernden zum Trotz. Den Bitten lieber Freunde, wenigstens einen Teil des gesammelten „Stoffes“ aus dem Kroatenlande verarbeitet der deutschen Leserwelt zu unterbreiten, komme ich umso lieber nach, als das treue Gedenken Freude bereitete, der Wunsch auf kroatischer Seite, dem Deutschen einen Blick in die alten und neuen Verhältnisse Kroatiens zu gewähren, Beachtung verdient. Die „Stoffe“ sind zu Skizzen und Erzählungen verarbeitet; ehrlich, gewissenhaft, ohne jede „Schönfärberei“. München, im März 1920. Arthur Achleitner. Drei Regimentsbefehle. Im Süden Kroatiens, Lika (d. h. Abgrenzung, Grenzland), herrscht die Melancholie des Karstes. Das Gebiet ist zwar noch begrünt, doch die wenigen schmalen Flußtäler mit Wasserläufen, die plötzlich im Boden verschwinden, unterirdisch weiterlaufen und unvermittelt wieder zutage treten, sind tief eingerissen. Düster und völlig kahl ragen aus diesem Karstlande Felsberge auf, die den Eindruck der Traurigkeit noch steigern. Nur wenige Täler und Mulden, Dolinen genannt, erweisen sich in der Lika als fruchtbringendes Ackerland. Um die Zeit zu Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts mußten die Bauern als Soldaten der Likaner Militärgrenze von den Offizieren geradezu gezwungen werden, den Boden zu bearbeiten, wobei Ackergeräte aus uralter Zeit benutzt wurden. Die Bevölkerung, besonders jene der serbisch-orthodoxen Konfession, verhielt sich trotz Androhung schwerer Strafen gegen jede Verbesserung im Ackerbau ablehnend. Besonders „bockbeinig“ zeigten sich die Menschen im Gebiet der stahlblauen Korana, in der Umgebung des Kompagnie-Städtchens S. Mager der Boden, dafür blutgetränkt infolge der vielfachen räuberischen Einfälle der bosnischen Türken. Freudlos die Gegend, öd das Städtchen in türkischer Bauart und mit vielen Mühlen einfachster Art und verfallenen Getreideschuppen aus napoleonischer Zeit. Die märchenhaftblaue Korana prahlt just hier mit hinreißender Schönheit in überraschenden Wasserstürzen; doch kommt dieser Wasserzauber inmitten tiefer Melancholie nur bei hellem Sonnenlichte zur Geltung. Grauer Himmel und Regenschauer verwandeln diese Gegend in eine abschreckende Öde und Wildnis, die auf das Gemüt erschütternd wirkt. Des schlechten Ertrages aus dem Ackerbau wegen hatten die Offiziere des Likaner Grenzregimentes ihre stetige Not mit der männlichen Bevölkerung der oberen Lika; schön und hochgewachsen waren (und sind heute noch) die Männer, prächtige Gestalten und brauchbare, mutige Soldaten, aber für die Bodenbearbeitung hatten sie keinen Sinn, und nur unter Zwang ließen sie sich, stets je acht Mann, vor einen Pflug spannen, um an Stelle der fehlenden Ochsen die Feldbearbeitung vorzunehmen. Auf Schritt und Tritt mußten den Likanern der Profos und Unteroffiziere folgen. Zufolge Regimentsbefehles bauten die Kompagnie-Offiziere und Stationskommandanten auf den militäreigenen Grundstücken um jene Zeit Kartoffeln zum Zwecke, die bäuerlichen Grenzsoldaten mit dieser Frucht bekannt zu machen, die Leute zu veranlassen, den Kartoffelanbau in der Lika allgemein einzuführen. Auch die Kompagnie im Städtchen S. hatte im Frühjahre den Regimentsbefehl zugemittelt erhalten, verschärft mit der „gepfefferten“ Bemerkung des zu Karlstadt residierenden Obersten K., daß die Offiziere zu S. „alles und mit Beschleunigung aufzubieten haben, den Kartoffelbau erfolgreich einzuführen“. Gehorsam hatte der dienstälteste Hauptmann Attilius Tonidandel, ein sehr bärbeißig aussehender, doch gutmütiger und witzig veranlagter Herr, im Küchengarten bei seinem Wohnhause „Krompir“ (Grundbirne, Erdapfel) anbauen lassen, im Dienstwege aber schriftlich beim Regimentskommando angefragt, „wie mit Beschleunigung erfolgreich“ die Kartoffel bei den Grenzsoldaten „beliebt“ gemacht werden solle. Diese „gehorsamste“, in Wahrheit etwas boshafte Anfrage war ohne Antwort geblieben. Deshalb kümmerte sich Hauptmann Tonidandel nicht weiter um den Befehl, noch weniger um die „gepfefferte“ Bemerkung des Regimentskommandanten, und Herr Attilius ließ die „Krompir“ Stauden wachsen, wie sie wollten. In der Stabskanzlei des todlangweiligen Garnisonstädtchens „mopste“ sich eines melancholischen Herbsttages Tonidandel wieder ganz erschrecklich, als unerwartet und sehr aufgeregt sein Freund, der jüngere Hauptmann Adolar Pegan, ein kleiner, dicker Mann, eintrat, atemringend grüßte und fürchterlich in einem Gemisch von deutschen und serbischen Worten über die verdammten Grenzer fluchte. Und stöhnend erstattete Pegan Kapport, daß in den Ackern nicht eine einzige Grundbirne vorgefunden werden konnte; daher der größte Teil der Kompagnie Stockprügel erhalten habe. Pfeifend und rasselnd holte Pegan, der einen Satthals hatte, Atem. Herr Attilius Tonidandel blieb ruhig auf dem zerrissenen Ledersessel sitzen, lachte vergnügt und fragte, was denn die Teufelskerle mit dem gratis verabreichten „Kartoffelsamen“ getan hatten. Herr Pegan rief erbost. „Schnaps wollten sie brennen, die Sramjes (Schandkerle)! Das ist ihnen aber nicht gelungen!“ „Glaub' ich gern! Kann es den Kerls auch nicht verübeln, daß sie von ‚Krompir‘ nichts wissen wollen! Mir persönlich ist ein knusperig gebratenes Spanferkel allemal lieber als der schönste Erdapfel!“ Pfeifenden Atems schmetterte Pegan aus dem dicken Halse. „Aber Befehl ist Befehl! Regimentsbefehl dazu! Und der Oberst hat zuweilen den Teufel im Leib! Ganz totprügeln kann ich die Kerle doch nicht lassen! Was aber machen, Herr Bruder?“ „Ruhig abwarten, Herr Hauptmann und Bruder! Abwarten, bis es dem Chef beliebt, Antwort auf meine Frage vom Mai zu geben! Der Oberst hat sich seither Zeit gelassen, also tun wir desgleichen! Nur nichts überhudeln, Herr Bruder! Und nicht aufregen, lieber Pobratim (Wahlbruder)! Darüber, wie unsere Grenzer zu Liebhabern der Erdäpfel gemacht werden können, soll sich nur das Regimentskommando oder Exzellenz, der alles wissende und nie sichtbare General in Agram, den Kopf zerbrechen! Wir tun es nicht in dem öden Nest außerhalb der Welt!“ Ein Posthornsignal wurde hörbar. Die militärische Poststaffette aus Karlstadt war in S. angekommen, die täglich einmal die Befehle des Regimentskommandos überbrachte. Und Tonidandel schickte den Kompagnieschreiber Jovo hinab, den Postbeutel in Empfang zu nehmen. Dann wandte sich Attilius gelassen zum Freunde Pegan und bewirtete ihn mit einem Gläschen guten Pflaumenschnapses (Slibowitz). Pegan dankte und leerte das Glas auf einen Schluck. Und mit seiner fetten Stimme beteuerte er. „Pobratim! Bleibt ewig wahr in Kroatien: ‚Der beste Witz ist der — Slibowitz.‘ Auf Dein Wohl, Herr Hauptmann!“ „Weiß schon, wie es gemeint ist: repetatur! Ist das einzige lateinische Wort, das in meinem Gedächtnisse haften geblieben ist! Živio pobratim! (Hoch Bruder!)“ Und Attilius schenkte das Glas abermals voll, mit so ruhiger Hand, daß kein Tropfen daneben floß. „Danke, Herr Hauptmann! Ich staune über deine ruhige Hand. Noch mehr bewundere ich aber deine Gelassenheit. Wo doch die — Wische von der Regimentskanzlei soeben angekommen sind! Sicherlich für uns im ‚Exil‘ wieder unangenehme Befehle, lästige Aufträge, Rackereien. Er aber, der solus altissimus sitzt bequem in Karlstadt!“ „Still, Bruder! Nicht aufregen über Dinge, die wir nicht ändern können, und für die wir die Verantwortung nicht zu tragen haben. — Noch ein Stamperl (Gläschen) gefällig? Alle guten Dinge sind ihrer drei.“ Obwohl der Kompagnieschreiber Jovo die Posttasche hereinbrachte und über ihre „Leibigkeit“ etwas disziplinwidrig maulte, ließ sich Tonidandel im Einschenken des dritten Gläschens nicht beirren. Lediglich zu Jovo meinte er. „Maul halten, Schreiber, denn dich hat es nichts zu kümmern, ob die Tasche dick oder mager ist! — Prosit! Du sollst leben, Herr Hauptmann!“ Jovo grinste und zog sich in seine anstoßende Stube zurück. „So, nun wollen wir sehen, was uns das Regimentskommando mitzuteilen hat. Setz' dich, Bruder, auf daß du nicht hinfallst, so der Herr Oberst teufelt!“ Gemächlich nahm Attilius die Schriftstücke heraus, eines nach dem andern, und legte sie auf den wurmstichigen Tisch. Beim Anblick eines Aktenstückes, dessen besonderer Umschlag mit drei roten Kreuzen als „eilig“ bezeichnet war, meinte Attilius sarkastisch: „Ah, der Herr Oberst belieben zu pressieren!“ Pegan drängelte auf Bekanntgabe des eiligen Befehles. „Zeit lassen, Bruder! Nur nicht aufregen, nicht pressieren! Alles Unheil beim Militär kommt vom Überhudeln.“ Langsam entfaltete Tonidandel das Schriftstück und las es durch. „Darf ich wissen, Herr Hauptmann?“ rief Pegan neugierig und ängstlich. „Freilich! Also hör' zu! Der gnädige Herr Oberst belieben uns mitzuteilen: ‚Nachdem das Generalat mit Dienstbefehl vom ... angeordnet hat, daß die Grenzsoldaten wenn nötig unter Zwangsanwendung zum Erdäpfelbau angehalten werden sollen, ihnen Kartoffelsamen unentgeltlich verabreicht wurde, sieht sich das Regimentskommando veranlaßt zu befehlen, daß sämtliche Militärstationskommandanten in der Lika den jeweiligen Starešina[1] unauffällig zu einem Erdäpfelessen einladen. Des weiteren erfolgt andurch der Befehl, daß die Herren Offiziere den Grenzsoldaten bezüglich der reifen Erdäpfel Gelegenheit zum Verschaffen geben!‘ — Unterschrift wie immer unleserlich, uns aber bekannt, lieb und teuer!“ Tonidandel lachte trocken und fügte dann die Frage bei, ob der Bruder Pegan den interessanten Regimentsbefehl verstanden habe. Schon während der Vorlesung des Schriftstückes hatte sich der zappelige Hauptmann Pegan erhoben. Nun stapfte er auf Tonidandel zu und bat um Ausfolgung des Schriftstückes. „Um den rätselhaften Befehl zu verstehen, muß ich ihn schon selber lesen!“ Hastig überflog Pegan den Ukas. Dann legte er das Schriftstück auf den wurmstichigen Tisch und stöhnte mit fettiger Stimme: „Daß wir den Starešina mit Krompir bewirten sollen, ist verständlich und auch mir einleuchtend. Leicht durchführbare Sache: Beeinflussung der Gemeindevorsteher durch Gaumenkitzel und Magenfüllung; einer sagt's dem andern, und so kommt's unter d' Leut! — Was ich aber nicht verstehe, ist der dunkle Sinn des zweiten Befehlsteils: Gelegenheit zum Verschaffen geben! Was meint der Oberst mit diesen sonderbaren vier Worten? Mir ein Rätsel!“ Tonidandel reichte dem Freunde Pegan abermals ein Stamperl Slibowitz mit den Worten. „Stärke dich, Bruder, auf daß dein militärisches Gehirn erleuchtet werde! Apropos: Wie lange dienst du schon in der Grenze?“ „Fragen der Herr Kommandant dienstlich?“ „Nein! Privatim und als Freund und Bruder.“ „Na, dann wisse! Sechs Jahre diene ich auf — halbasiatischem Boden mit der Sehnsucht nach Rückkehr auf europäischen Grund!“ Sarkastisch meinte Tonidandel. „Sechs Jahre! Hm! Da wundert es mich, daß du neben der Tapferkeit und Rauflust unserer Grenzer den Kern ihres Wesens, ihre Haupteigenschaft außer Dienst noch nicht kennen gelernt hast!“ „Wieso? Was meinst du, Bruder? Worin besteht die Haupteigenschaft der Grenzer?“ Neugierig richtete Pegan den Blick auf den Freund und Vorgesetzten. „Die hervorstechendste Eigenschaft unserer Grenzer werde ich dir nicht nennen! Du sollst sie aus der Praxis kennen lernen, um sie dann für deine Lebenszeit in der Erinnerung zu behalten! Auf Wiedersehen heut' abend präzis sieben Uhr auf meiner Bude! Präzis sieben, ja nicht später! Laut Regimentsbefehl!“ „Schon wieder ein Rätsel? Was ist los? Weshalb forderst du ‚präzises Erscheinen‘ zu einer Stunde, die doch mit dem Dienst nichts zu tun haben kann?“ „Will ich dir als Dienstgeheimnis anvertrauen! Wir zwei essen punkt sieben Uhr privatim eine gebratene Gans, um dreiviertel acht Uhr aber essen wir dienstlich militärärarische Erdäpfel mit unserem Starešina laut Regimentsbefehl! Verstanden, Herr Bruder?!“ Lachend sicherte Hauptmann Pegan sein pünktliches Erscheinen zum privaten Abendessen zu. Schluckte noch etwas Slibowitz und verabschiedete sich vom Vorgesetzten. — Kompagniekommandant Tonidandel bewohnte ein kleines, einstöckiges, verwahrlostes Haus im oberen Teile des Städtchens S., bestehend aus drei engen und niederen Zimmern, einer finsteren Küche und einer Vorratskammer. Zu dem Häuschen, daß Attilius spöttisch nach kroatischem Brauch „curia nobilis“ nannte, gehörte ein Küchengarten, der sich bergan dehnte, etwas Gemüse und völlig verwilderte Kartoffelstauden enthielt. Vor Jahrzehnten mochten die Wohnzimmer das letztemal weiß getüncht, der Fußboden mit Holz belegt worden sein. Jetzt waren die Dielen vermorscht; in den feuchten Ecken gedieh der Hausschwamm. Doch der Fußboden war nach Brauch und Vorschrift mit weißlichgelbem Sand bestreut, der unter jedem Schritt knirschte. Dem Himmel allein konnte bekannt sein, von wo und von wem die Möbel stammten; der runde, schlecht polierte Tisch, die uralten, mit geschossenem Wollstoff überzogenen Stühle, ein blinder Spiegel in wurmstichigem Holzrahmen, ein gräßlich geschweiftes, mit Stroh gefülltes Sofa und davor ein ausgefranster Teppich. Im engen Raume, den Tonidandel „Speisesaal“ nannte, befand sich das einzige gediegene Möbel des Hauses: ein Auszugtisch. Dazu sechs wackelige Stühle, eine Kredenz mit Gläsern, Geschirr von Steingut und Zinn. In diesem, von vier Unschlittkerzen „feenhaft“ erleuchteten „Saale“ erwartete Tonidandel, vor dem „herrschaftlich“ mit einem Linnen gedeckten Auszugtische stehend, seinen Gast Pegan. Durch das Häuschen zog der verlockende Duft einer gebratenen Gans. Als auch Tonidandel diesen Duft in die knotige Nase bekam, öffnete er nicht nur die Fenster des „Speisesaales“, sondern auch die Haustüre, um den Bratenduft möglichst rasch entweichen zu lassen. Bis zur Ankunft Pegans war jeder verräterische Duft verflüchtigt, aber dafür qualmten im Speisezimmer die zu Stumpen herabgebrannten Unschlittkerzen, die der Offiziersdiener schleunigst erneuern mußte. Kurz fiel die Begrüßung des Gastes aus. Tonidandel verwies auf die Notwendigkeit einer _späteren_ Verabreichung des „Bilikum“ (Willkommtrunkes), so der Starešina gekommen sein werde. „Weißt, lieber Bruder, für uns beide ist jetzt die Hauptsache, daß wir uns mit Gansbraten satt essen, und zwar _vor_ der Ankunft des Bürgermeisters und vor dem dienstlichen Erdäpfeldiner!“ „Capsico!“ rief Hauptmann Pegan mit seiner fetten Stimme. Die knusperig gebratene und von der Köchin gut zerteilte Gans wurde aufgetragen. Der Diener füllte dann die großen, unförmlichen Gläser mit fast schwefelgelbem, doch vorzüglichem kroatischem Weine und verschwand auf einen Wink Tonidandels. So schnell verzehrten die Offiziere die „ärarische“ Gans, als stünde in der nächsten Viertelstunde Alarm und Abmarsch des Bataillons bevor. Tonidandel war überhaupt ein Schnellesser und rasch gesättigt; Pegan hingegen gehorchte lediglich dem Drängen des Kameraden, kaute kaum und verschlang die Brocken. Der Diener wurde gerufen und mußte rasch abtragen, hernach lüften und die Kerzen mit der Scheere putzen. „Hinaus!“ befahl der Gebieter, der nun die vorhanglosen Fenster schloß. „Ich muß sagen, lieber Bruder, daß mir dieses Essen im Eilmarschtempo wahrscheinlich nicht gut bekommen wird!“ „Weiß schon, worauf du anspielst! Mußt aber auf den — Slibowitz warten! Nimm einen kräftigen Schluck vom Weine! Und behalte im Gedächtnis. Kein Ton darf verraten werden, daß wir soeben auf Regimentsunkosten eine Gans verzehrt haben!“ „Sehr wohl, Herr Chef! Die Sache wird immer mysteriöser!“ „Im Laufe des Abends wird dir alles klar werden!“ Auf die Minute genau erschien der Starešina im Hause. Ein hochgewachsener Likaner, breitschulterig, helläugig, gutmütig. Wenn die blonden Haare nicht überlang gewesen wären, hätte man diesen Südslaven für einen Deutschen halten können. Unbegrenzten Respekt vor der Militärmacht verriet sein unterwürfiges, demütiges Verhalten. Der Vorsteher, seines Zeichens ein Schmiedmeister, faßte die ihm gewordene Einladung nicht als besondere Ehre und Auszeichnung auf; er schien zu glauben, daß er befohlen war, zu ungewöhnlicher Stunde einen außerordentlichen und unangenehmen Befehl des Stadtkommandanten entgegenzunehmen. Ängstlich begrüßte er die Offiziere; unterwürfig fragte er in schlecht verständlichem Deutsch nach den Befehlen und Wünschen des Herrn Kommandanten. Tonidandel beruhigte den Vorsteher sogleich mit dem Hinweise, daß es sich tatsächlich um eine Einladung, nicht um eine militärdienstliche Angelegenheit handle. „Ich feiere nämlich heute meinen Namenstag und will an meinem freilich mager bestellten Tische liebe Gäste haben! Meinen Freund und Kameraden Herrn Hauptmann Pegan und den Starešina!“ Der Vorsteher richtete sich überrascht auf und warf einen forschenden Blick auf den Gebieter. „Zu viel der hohen Ehre! Ich nicht wissen, gnädiger Herr, wie ich kommen dazu!“ Mit überschwenglicher Höflichkeit stammelte der Schmiedmeister seine Glückwünsche zum Namensfeste, wobei er beteuerte, bis zur Stunde nicht gewußt zu haben, daß der Herr Kommandant den Taufnamen „Raphael“ führe. Hauptmann Pegan platzte heraus. „Hab' ich auch nicht gewußt!“ „Das ist nebensächlich! Nun wollen wir dem Starešina das ‚Bilikum‘ reichen!“ Tonidandel füllte einen Pokal mit Wein, hielt eine kleine Ansprache an den Gast, der sich so wohl fühlen möge im Hause wie im eigenen Heim, und reichte dann dem Pokal dem Vorsteher, der aufrecht stehend den Willkommspruch angehört hatte, sich nun verbeugte, den Pokal entgegennahm, einen Segenspruch für den Hausherrn feierlich sprach und den Pokal auf einen Zug leerte. Die Offiziere leerten ihre gefüllten Gläser gleichfalls bis zur Nagelprobe. „Und nun zu Tisch!“ Während die Herren sich setzten, trug der Diener eine Schüssel voll Kartoffeln herein. Trotz der großen Befangenheit richtete der Likaner einen neugierigen und forschenden Blick auf den Inhalt der Schüssel. Und dabei rutschte ihm die Frage heraus: „Što je to?“ (Was ist das?) Tonidandel füllte den Teller des Vorstehers mit Kartoffeln und sprach schmunzelnd. „Erst essen! Die Erklärung wird alsbald folgen! Greif zu, Herr Hauptmann!“ Die Offiziere nahmen aus der Schüssel, doch nur je eine Kartoffel und aßen mit gut geheuchelten Appetit. Zögernd griff der Starešina zu, beguckte das ihm fremde Gericht, stocherte daran und schnupperte vorsichtig. Da er sah' daß die Offiziere das seltsame Zeug wirklich verzehrten, gewann der Vorgesteher doch so viel Vertrauen, ein Stück davon in den breiten Mund zu schieben. „Was wir da essen, sind Erdäpfel, Krompir, lieber Starešina! Erdäpfel, was wachsen in unserem Küchengarten! Wirklich Erdäpfel, die aber die Graničari[2] nicht essen wollen!“ Der Vorsteher hatte rasend schnell eine zweite Kartoffel gegessen und rief geradezu frohlockend. „To je guska! Das ist Gans! Schmecken nach Gansbraten sehr gut! Prozim! (Ich bitte!) Darf ich noch mehr davon essen?“ Der Kommandant erwiderte lachend. „Nur zu! Alles dürfen Sie essen! Bis Ihnen die Ohren stauben! Der Starešina soll sich ja überzeugen, daß die Erdäpfel wirklich sehr gut schmecken! Für die Lika mit ihrer häufigen Hungersnot wird es ein Segen sein, wenn der Anbau der ausgezeichneten Erdäpfel allgemein durchgeführt wird!“ Gierig verzehrte der Vorsteher die Kartoffeln. Schmatzend wie ein Fischotter beim Fischfraß. Dann aber hielt er inne und sprach. „Bitt ich schönstens, Herr Kapetan! Seltsam find' ich, daß schmecken dieser Erdapfel so stark nach Gans! Wahrhaftig wie gebratene Gans! Schmecken jeder Erdapfel so?!“ Dem Hauptmann Pegan ging ein Licht auf; ein Lächeln umspielte seine Lippen. Völlig ernsthaft und im Tone der Belehrung erwiderte der Kommandant: „Es gibt drei verschiedene Sorten von Erdäpfeln, lieber Starešina! Eine Sorte heißt ‚Schneeflocken‘, weil dieser Erdapfel weiß und mehlig ist wie Schnee! Eine andere Sorte heißt ‚Rosenkartoffel‘ von wegen der rosaroten Farbe! Was Sie eben gegessen haben, ist der ‚Gänse-Erdapfel‘, weil er nach Gänsebraten schmeckt! Ganz so, wie es in Deutschland einen — Gänsekohl gibt!“ „Wunder Gottes!“ rief staunend der Vorsteher. „Das sein prachtvoll! Schmecken herrlich! Der Banus in Agram und der Zar (Kaiser) in Wien können nicht Besseres essen! Und der Ganserdapfel machen so prachtvolle Durst!“ Während sich Hauptmann Pegan vor Lachen krümmte, versicherte Tonidandel schmunzelnd: „Das ist ja das Schönste an einem Erdapfel! Und den von ihm erzeugten Durst wollen wir nun löschen mit Wein! Trinken wir auf das Wohl des Chefs unseres Likaner Grenzregiments, der zum Segen des Graničari die Erdäpfel bei uns einführen will! Der Herr Oberst lebe hoch!“ „Živio!“ rief der Vorsteher, der sich gleich den Offizieren erhoben hatte. Die Gläser klangen und wurden geleert. „Nie in meinem Leben haben mir der Wein so gut geschmeckt wie heute auf den Gans-Erdapfel! Herr Kommandant wissen ja, wie selten unsereiner zu wirklichem Gansbraten kommen! Aber nun werden wir bekommen guten Ersatz für wirkliche Gans durch Erdapfel, was auch so nach Gans schmecken!“ Hoch und heilig gelobte der Vorsteher, all seinen Einfluß im Städtchen und bei den Dorfältesten des Bezirkes aufzubieten, um den Leuten diese Wundergabe, den nach Gansbraten schmeckenden Erdapfel, zugänglich zu machen. Im nächsten Frühjahre werde sicherlich in der Lika alles diese Erdapfelsorte anbauen, vorausgesetzt, daß man Samen und Knollen davon vom Regiment erhalte. „Soviel die Leute wollen, sollen sie bekommen!“ „Tausend Dank, Gnaden Herr Kommandant! Ich werde predigen davon, wie gut, sehr gut sein besonders der Gans-Erdapfel! Ich sein überzeugt, daß ganze Bevölkerung sich bemühen wird, diese Erdapfel sich zu — verschaffen!“ Ein listiger und zugleich fragender Blick streifte den Hausherrn. Tonidandel verriet in keiner Weise, daß er die Bedeutung dieses Likaner Ausdrucks kannte. Absichtlich ignorierte er die listige Anspielung des Vorstehers, der auf den Busch hatte klopfen wollen. Auf „Regimentsunkosten“ wurden noch etliche Krüge Weines geleert. Bevor aber der glückselige Vorsteher den Zungenschlag bekam, hob der Hausherr die Sitzung mit dem Bedeuten auf, daß frühmorgens die Kompagnie ausrücken müßte, daher die Nachtruhe erwünscht sei. „Schon in aller Frühe rücken Herr Kapetan aus?“ fragte blinzelnd der Vorsteher beim Abschied. „Ich nicht! Aber die Kompagnie! Und nun ‚Gute Nacht‘, lieber Starešina!“ Mit einiger Mühe brachte der Kommandant den schwatzhaft und überschwenglich gewordenen Gast zur Haustüre und auf den Heimweg. Im Speisezimmer bei trübem Licht der Kerzenstumpen fragte Pegan den Vorgesetzten, ob die Kompagnie wirklich in aller Frühe ausrücken müsse. „Aber keine Idee, lieber Bruder! Ich habe das nur gesagt, um den Vorsteher und meine Erdäpfel los zu werden!“ rief lachend der Hausherr. „Was! Die Erdäpfel willst du los werden? Wieso denn?“ „Ja! Es wird keine Stunde währen und im Küchengarten wird dann kein Erdapfel mehr zu finden sein!“ „Nicht möglich! Du mußt Wachen aufhellen, den Diebstahl verhindern!“ „O nein, lieber Bruder! Im Gegenteil! Es wird mich sehr freuen, wenn sich unsere Graničari, allen voran der Starešina, in dieser Nacht meine Erdäpfel — ‚verschaffen‘! Du mußt nämlich wissen, lieber Bruder, daß der Grenzer niemals stiehlt; er ‚verschafft sich‘ nur eine ihm nicht eigene Sache! Und da im Regimentsbefehl deutlich zu lesen ist, daß wir den Graničari ‚Gelegenheit zum — Verschaffen‘ geben sollen, rühre ich ordergemäß keinen Finger, so unsere Grenzer sich heute nacht sämtliche Erdäpfel aus meinem Küchengarten holen!“ „Ah! Jetzt verstehe ich alles! Die Erdäpfel hast du mit der Gans braten lassen, damit....“ „Stimmt! Und jetzt verlöschen wir das Licht; im Dunkel der Nacht wollen wir vom rückwärtigen Zimmer aus beobachten, wie sich die Graničari die Gänsekartoffeln holen!“ So geschah es. Am Morgen stellte Kommandant Tonidandel in Gegenwart des Hauptmanns Pegan dienstlich fest, daß im Küchengarten nicht eine Kartoffel mehr zu finden war. Diese „Konstatierung“ erfolgte zum Zwecke, daß dienstlich an das Regimentskommando der — Vollzug des Befehles gemeldet werden konnte. Pegan unterschrieb das Dienstschreiben als Zeuge. Tonidandels Hoffnung, mit einem Erdäpfel-Befehl so bald nicht mehr belästigt zu werden, erfüllte sich vollauf; denn der Regimentschef schien sich zu beruhigen mit der Vollzugsmeldung. Und die Grenzer wollten von den Kartoffeln nichts wissen, weil die „verschafften“ Erdäpfel aus dem Kompagnie-Küchengarten nicht nach — Gänsebraten schmeckten. Und bei den Graničari galt es fürder ausgemacht, daß der Starešina ein „großer Lügner“ sei.... * * * * * So zurückgezogen, gesellschaftlich abgeschlossen Kommandant Tonidandel im Städtchen lebte, ab und zu besuchte er doch den Prota (Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde), einen ehrwürdigen Greis mit schneeweißem Bart und langem Silberhaar, im Pfarrhause. Sowohl der ruhige Prota wie seine Gattin, die stille Poša (Poscha), besonders aber die liebliche Tochter Maca (Matza, Marie) waren dem bärbeißigen Kompagniekommandanten überaus sympathisch. Tonidandel fühlte sich wohl bei dieser Familie, zumal ihm der Prota, der, wie alle Stände in der Militärgrenze, unter dem Militärgesetz und der Militärverwaltung stand, nie Unannehmlichkeiten, Verdruß oder Scherereien verursacht hatte. Gelegentlich vom Prota geäußerte Worte über die drückende Militärdidaktur, über den Despotismus des Regimentschefs nahm Tonidandel umso weniger übel, als der Kompagniekommandant doch selbst seine eigene, nicht gerade rosige Meinung über den gewalttätigen Chef hatte. So saß denn Tonidandel etliche Tage später an einem Abend im kahlen, doch behaglich erwärmten Wohnzimmer des Pfarrhauses und kneipte mit dem Prota vom Weine, den der Kommandant vorher ins Haus gesandt hatte. Der Erzpriester mit kümmerlichem Einkommen war so arm, daß er den hohen Gast nicht hätte entsprechend bewirten können. Deshalb schickte Tonidandel mit der Besuchsansage stets Wein, Slibowitz, zuweilen auch kalten Aufschnitt ins Pfarrhaus. So auch diesmal. Und wie die Herren nach der Begrüßung der Damen gemütlich beisammen saßen, erzählte Tonidandel vergnügt die Geschichte von den Gänsekartoffeln, und zugleich sprach er die Hoffnung aus, für die Dauer seiner Dienstzeit mit „Erdäpfel-Befehlen“ verschont zu bleiben. Der ehrwürdige Prota wagte kaum ein Lächeln. Würdevoll schloß er sich der Hoffnung des Kommandanten an und leerte auf die Erfüllung des Wunsches Tonidandels sein Glas. „Ist recht so, lieber Prota! Ich hoffe aber noch mehr, nämlich die endliche Berufung unter Vorrückung nach — Europa!“ „Bog daj!“[3] rief der Erzpriester und hob die Augen zur geschwärzten Decke. Und nachdem er die Unschlittkerze geputzt hatte, wagte er die sanft vorgebrachte Bemerkung, daß sich bei bescheidenen Ansprüchen doch auch in der weltentlegenen Lika leben lasse. „Besser freilich vielleicht im Provinzial!“[4] „Glaub' Er das nicht, lieber Prota!“ erwiderte eifrig der Kommandant. „In mancher Beziehung sind die Zustände bei uns in der Grenze sogar besser! Wir haben doch nicht die Rechtsbeugungen der adeligen Gutsbesitzer, nicht die Willkürherrschaft der autonomen Komitate, nicht die Gier und Leidenschaft politischer Hitzköpfe im Provinzial!“ Milde sprach der Erzpriester im Silberhaar. „Das nicht, gnädiger Herr! Aber dafür den Despotismus des Regimentskommandanten!“ „Das muß man als etwas Selbstverständliches hinnehmen! Das Volk der Grenze so gut wie wir Offiziere! Übrigens haben wir in der Grenze immer noch mehr Rechtssicherheit als das Provinzial!“ Ergebungsvoll stimmte der Prota zu. „Euer Herrlichkeit belieben recht zu haben! Nur dürfte die Härte des Militärgesetzes nicht zu bestreiten sein.“ „Warum ‚Härte‘?“ „Halten zu Gnaden, Herr Kommandant! Hart ist es für uns Serbokroaten, weil die Auditore (Militärrichter) Fremde sind, unsere Sprache nicht verstehen, auf Dolmetscher angewiesen sind, die zwar Kroatisch gut, Deutsch hingegen nur ungenügend können! Ich meine, daß die beiderseitige Sprachunkenntnis gefährliche Folgen für Leben, Freiheit und Eigentum der Angeklagten hat und noch haben wird!“ „Hm! Ist ja richtig, aber wir zwei können das nicht ändern! Na zdravje!“[5] Demütig dankte der Prota für diese Ehre. Und mit bebender Hand führte er sein Glas zum Munde. „Recht so, lieber Prota! Muß sagen, daß ich recht zufrieden mit Ihm bin! Der einzige Pope im ganzen Bezirk, der mir noch keinen Verdruß bereitet hat!“ „Ich danke gehorsamst für diese Anerkennung! Dennoch zittere ich schier jeglichen Tag, daß doch einmal Unheil über mich kommen werde....“ „Warum? Hat Er denn von früher her etwas auf dem Kerbholz?“ „Nicht schlimm, Euer Herrlichkeit aufzuwarten! Nur einen üblen Auftritt hat es vor Jahren gegeben, als wir zur Vorstellung vor dem damaligen neuen Regimentskommandanten, einem Deutschen, nach Otočac (Ototschatz) befohlen waren und vom Militärchef bös angefahren wurden, daß wir Erzpriester Feinde des Kaisers und Österreichs seien....“ „Wieso?“ „Der Oberst warf uns vor, daß wir in unseren Kirchenbüchern für den Zar von Rußland beten, nicht für den Kaiser von Österreich!“ Interessiert rief Tonidandel. „Was? Ist das wahr?“ „Ja und nein, Euer Herrlichkeit aufzuwarten! Die Erklärung ist leicht zu geben! Unsere Kirchenbücher müssen in — Rußland gedruckt werden, weil die österreichische Regierung nicht erlaubt, daß unsere orthodoxen Bücher in Österreich gedruckt werden! So ist es denn ganz erklärlich, daß in den in Rußland gedruckten Büchern der Name des dortigen Landesherrn steht. Selbstverbindlich beten wir aber für den Kaiser von Österreich, für unseren Landesherrn!“ „Weiter!“ „Jener Oberst steifte sich aber darauf, daß es in den Büchern ‚Zar‘, nicht ‚Kaiser‘ heißt! Ich als Sprecher der Erzpriester habe den gestrengen Kommandanten aufmerksam gemacht, daß man in der slavischen Sprache das Wort ‚Kaiser‘ nicht kennt, nicht anders nennen kann als ‚Zar‘! Zar ist gleichbedeutend mit Kaiser! Zum Schluß der denkwürdigen Audienz hatte ich gebeten, es möge der Oberst bewirken, daß unsere Kirchenbücher in Österreich gedruckt werden dürfen; dann werde sicher der Name unseres österreichischen Zaren = Kaisers gedruckt werden!“ „Was geschah dann?“ „Wir wurden ziemlich ungnädig entlassen! Der Oberst schien nicht recht zu glauben, was ich ihm sagte! Und seither befürchte ich immer, daß man mir meinen Freimut verübeln, mich hinterdrein bestrafen, um meine so kärgliche Stelle bringen werde!“ „Mut, lieber Alter! Jener Oberst ist längst nach — Europa versetzt, also hat es für den Prota von S. keine Gefahr! Und selbst im Falle, daß sich unser gestrenger Chef um diese verjährte Geschichte unerwarteterweise kümmern sollte, werde ich für den Prota schon einzutreten wissen! Jawohl! Prosit!“ Erfreut, von dieser alten Sorge befreit, griff der alte Erzpriester zum Glase, dankte für die Zusicherung des Wohlwollens und der Unterstützung und leerte das Glas auf das Wohl des gnädigen Kompagniekommandanten. Spät wurde es an diesem Abend, bis Tonidandel sich verabschiedete und sporenklirrend seiner Behausung zustapfte. In der Kompagniekanzlei erschien der Kommandant am andern Tag erst zur Stunde, da die Militärstaffette die Post von Karlstadt brachte. Mit einigem „Haarweh“ behaftet, sah Tonidandel den Einlauf durch, langsam, ohne Interesse, verdrossen. Stutzig wurde er, als er einen neuen Befehl des Regimentskommandos in Händen hielt, ein Dienstschreiben an alle Militärstationen des Likaner Bezirks mit dem Wortlaute. „Sollten sich bei den Militärstationen alte _Pfaffen_ vorfinden, sind diese, wohlverwahrt im Verschlag, dem Regimentskommando unverweilt abzuliefern.“ Die unleserliche, doch wohlbekannte Unterschrift des Chefs stand unter diesem verblüffenden Befehl. Zweimal las Tonidandel dieses Schriftstück sehr aufmerksam. Dann pfiff er durch die Zähne. Wie weggeblasen war nun das „Haarweh“. Und in seinen Augen glänzte eine seltsame Freude. Wie Donnerrollen klang der Ruf: „Jovo, hereinkommen!“ Der Kompagnieschreiber Jovo erschien, erwies stramm die Ehrenbezeugung. „Zu Befehl, Herr Kommandant!“ „Da! Vorlesen diesen Regimentsbefehl!“ Jovo nahm gehorsamst dieses Schriftstück und las es mit geschraubter Stimme laut vor. Beim Worte: „Pfaffen“ stockte er, las es zweimal und hielt verblüfft inne. Seine Augen waren groß wie Pflugräder geworden. Und der Mund stand so weit offen, daß ein Leiterwagen hätte hineinfahren können. „Noch einmal vorlesen das Wort!“ donnerte der Kommmandant. Gehorsam las Jovo: „Alte Pfaffen vorfinden!“ „Gut! Du bestätigst also, daß ‚Pfaffen‘ geschrieben und zu lesen ist!“ „Zu Befehl, Herr Kommandant, ja! Es steht deutlich geschrieben: Pfaffen!“ „Gut! Geh in das Pfarrhaus und hole den Prota! Das ist der einzige alte Pfaffe[6], den wir hier haben! Abtreten!“ Eine Viertelstunde später stand der ehrwürdige Greis vor dem Kompagniekommandanten. Verschüchtert, demütig, zitternd. Herr Tonidandel bedauerte die Belästigung des alten Erzpriesters und machte den Prota mit dem Inhalt des überraschenden Regimentsbefehles bekannt. Dabei hatte der Kommandant ein Wetterleuchten in den Augen. Und seine Lippen umzuckte ein Lächeln vergnüglichsten Spottes, unverfälschter Schadenfreude. Bebenden Tones erklärte sich der Prota bereit, sofort nach Karlstadt zu gehen trotz der alten steifen Beine und des weiten Weges und sich beim Regimentskommandanten auf Grund des Befehles gehorsamst zu melden. „Ich bitte Euer Herrlichkeit nur um eine Abschrift des Befehles zu meiner Legitimation bei der Vorstellung!“ „Aber nein, lieber Prota! Das ist unmöglich! Tut mir sehr leid! Befehl ist Befehl! Jeder Befehl muß befolgt werden, buchstäblich und gehorsamst befolgt! Demnach muß ich eine Kiste beschaffen lassen, einen Verschlag, wie es im Dienstschreiben heißt! In diesem Verschlag muß der Prota von S. dem Regimentskommando eingeliefert werden! Laut Befehl!“ „Bog, bog!“[7] jammerte der Erzpriester beweglich und rang die Hände. „Nur ruhig, lieber Prota! Ich bin kein Freund von Grausamkeiten, hasse jede Brutalität! Demnach verfüge ich, daß der Prota bis eine Viertelstunde des Weges vor Karlstadt inmitten des Militärpiketts auf dem Wagen fährt, dort aber in die Kiste kriecht und im befohlenen ‚Verschlag‘ nach Karlstadt in die Regimentskanzlei gebracht wird! Halte Er sich bereit! In einer Stunde geht der militärische Transport ab! Pelz mitnehmen, Prota, denn es ist verdammt frisch! Wünsche wohl zu speisen!“ Der alte Erzpriester hatte eine Träne im Auge und bittere Angst im Herzen, als er die Kanzlei verließ und zum Pfarrhause wankte. Jovo mußte den merkwürdigen Befehl abschreiben, worauf der Kommandant die Kopie verglich und den Wortlaut mit Unterschrift und Dienstsiegel beglaubigte. Die Abschrift erhielt der Transportführer eingehändigt behufs Legitimierung dieses — Pfaffentransportes. Dazu scharfe Befehle betreffend schonendster Behandlung des Prota, der erst kurz vor Karlstadt in die Kiste einzuschließen sei. Auch dieser Unteroffizier, ein Graničar aus der Korbava, machte ein höchst verblüfftes Gesicht und große Augen. Der Mund stand weit offen. Mit einer Bedeckung von sechs Mann Grenzsoldaten in voller Wehr, mit scharfen Patronen und „aufgepflanztem Bajonett“, in der Mitte der zweispännige Wagen mit dem Prota und der Kiste, ging unter Führung des Korporals der seltsame Transport ab. Im Städtchen S. zerbrach man sich die Köpfe darüber. Tonidandel rieb sich in seiner curia nobilis sehr vergnügt die Hände. Den armen Prota als Opfer hoffte er später entschädigen zu können. Dem Regimentschef aber gönnte Attilius den unausbleiblichen Ärger von ganzem Herzen. Behaglich speiste der Kommandant zu Mittag, schlief auch noch ein Stündchen. Dann aber erteilte er Befehl, daß morgen ab acht Uhr früh ein berittenes Pikett marschbereit zu sein habe, und zwar zu seiner Begleitung auf dem Ritt nach Karlstadt. Denn Attilius ahnte etwas.... Noch vor Tagesbeginn bei dichtestem Karstnebel traf auf dampfendem Pferde ein Meldereiter in S. ein, der dem Kompagniechef einen Befehl überbringen sollte. Tonidandels Diener ließ aber auftragsgemäß den erwarteten Meldereiter nicht vor und verwies ihn in den Stall mit dem Bedeuten, daß der Befehl erst um acht Uhr überreicht werden dürfe. Lautete doch Tonidandels Leibspruch. Nur nichts überhudeln beim Militär. Punkt acht Uhr ritt der Kommandant wohlbewaffnet mit Sattelpistolen und mit dem Regimentsbefehl betreffend Ablieferung des alten Pfaffen im Waffenrocke, begleitet von sechs berittenen Graničaren nach Karlstadt ab. Gemächlich und trotz des Karstnebels recht vergnügt. Zeitweilig im Trabe, meist aber im Schritt! Nur nichts überhudeln! Wütend zum Bersten wartete der Oberst K., ein graubärtiger, dicker Herr mit struppigen Haaren und sehr liebebedürftigem Herzen, auf den Kompagniekommandanten, über den sich ein militärisches Gewitter sondergleichen entladen sollte. Wegen Verhöhnung des Vorgesetzten! Tonidandel wurde „angehaucht und zusammengestaucht,“ daß die Fenster in der Regimentskanzlei klirrten. Attilius stand wie aus Erz gegossen, muckste nicht und ließ den Regimentschef nach Herzenslust wettern, schimpfen, fluchen und drohen. Bis der Oberst keinen Atem mehr hatte, nach Luft rang und stöhnte. Dann sprach Tonidandel. „Zu Befehl, Herr Oberst! Befehl ist Befehl! Hier ist der mir zugegangene Regimentsbefehl! Ich bitte gehorsamst, das Originalschriftstück lesen zu wollen!“ Knirschend vor Wut griff der Oberst nach dem Dienstschreiben und las es zornfunkelnden Auges. Und heiseren Tones stieß er hervor: „Allerdings! Es steht ‚Pfaffen‘ geschrieben! Herr Hauptmann hätten aber doch unschwer den — Schreibfehler erkennen können und sollen! Statt ‚Pfaffen‘ muß es heißen: _Waffen_! Wo bleibt die Intelligenz? Wo das höhere Erfassen? Den Kerl von Regimentsschreiber laß ich in Eisen legen! Ich danke, Herr Hauptmann!“ „Zu Befehl, Herr Oberst!“ sprach Tonidandel, salutierte stramm und schloß dabei die vergnügt lachenden Augen. „Danke! Werde das nicht vergessen! Auch nicht den Auflauf der Bevölkerung in Karlstadt bei Einlieferung des Prota in einer — Kiste! Schauderhaft! Eine Blamage für mich, die ich Ihnen zu verdanken habe!“ „Bedaure sehr, Herr Oberst! Befehl ist Befehl! Ich bin seit vierzig Jahren gewohnt, Befehle genau nach Vorschrift zu befolgen! Ich bin....“ „Des Teufels sind Sie, Herr! Danke, Herr Hauptmann!“ Tonidandel verbiß das Lachen und griff nach der Türklinke. Da trat der zornige Oberst an Tonidandel heran und zischte ihm ins Ohr: „Und was ich Ihnen nie vergeben werde, ist, daß ich das arme Opfer Ihrer Bosheit entschädigen mußte! Mit hundert Gulden! Scheußlich!“ „Das freut mich....“ „Was? Auch das noch!“ „... für den Prota, der ein bettelarmer Mann ist und die hundert Gulden als Wohltat empfanden wird! Ich werde ihm fünfzig Gulden schenken! Gehorsamst guten Tag, Herr Oberst!“ Damit drückte sich Tonidandel zur Tür hinaus und lachte ein stilles, beseligendes, göttliches Lachen der reinsten Schadenfreude.... Auf die Rache des Regimentschefs, der mit der Sendung des „Pfaffen in der Kiste“ so schön verulkt worden war, harrte Attilius Tonidandel gleich nach seiner Ankunft in S. Aber der erwartete Gegenstreich erfolgte nicht. Sogar die Regimentsbefehle blieben aus. Diese Tatsache bestärkte Tonidandels Überzeugung, daß sich die Institution der Militärgrenze bereits überlebt habe und reif zur Aufhebung geworden sei. Mit dieser Auffassung eilte der Kommandant, was er nicht wissen konnte, den Ereignissen um reichlich vierzig Jahre voraus. Tag für Tag brachte die Militärpost von Karlstadt die leere Tasche aus der Regimentskanzlei. Darob wurde Hauptmann Tonidandel nun doch stutzig und nachdenklich. Und je mehr er grübelte, desto mehr kräftigte sich die Überzeugung, daß der reingelegte Oberst diese stille Zeit zur Ausbrütung eines besonderen Racheplanes benützen werde. Furcht kannte Tonidandel als alter „Haudegen“ nicht; er war bereit, jeden Stoß des ihm aufsässigen Chefs kräftig aufzufangen und tüchtig zu erwidern. Umkehren den Spieß im richtigen Augenblick und zustoßen, auf daß der Oberst abermals in den Sand fliegt. Mißlich konnte die „Vergeltung“ des Chefs nur dann werden, wenn sie in die Winterszeit fallen würde. Den schrecklichen Winter in der Lika mit fürchterlichen Stürmen und ungeheurem Schneefall kannte der Kommandant seit Jahren und genauer, als ihm lieb war. Eines trüben Tages, da schüchterne Schneeflocken zaghaft in die blaugraue Korana fielen, brachte die Militärpost endlich einen Regimentsbefehl aus Karlstadt an den Kommandanten der Kompagnie. In größter Spannung las Tonidandel sehr aufmerksam das Dienstschreiben Wort für Wort, lauernd wie ein Luchs, erwartungsvoll wie nie im Dienstleben an der Militärgrenze. Doch nichts von „Revanche“ war zu finden, keine „Falle“ zu entdecken. Nicht einmal ein Schreibfehler ähnlich Pfaffen = Waffen. Geradezu harmlos war der Auftrag, einen Dorfpopen im Bezirke wegen ungenügender Führung der Tauf-, Ehe- und Sterberegister zur Verantwortung zu ziehen, Ordnung zu schaffen und über das Ergebnis der Untersuchung sowie Strafantrag an das Regimentskommando erschöpfend zu berichten. Der zweite Teil des Dienstschreibens enthielt den Befehl zur Aufstellung von Detachements in mehreren, eigens benannten Dörfern, von sogenannten Räuberkommandos zur Unterdrückung von Räubereien. Diesen Befehl las Tonidandel immer wieder, wobei er sich an den Kopf griff. Der Zweck dieses Befehles war unfaßlich, denn seit Jahrzehnten gab es in der Lika keine Räuber mehr; Leute, auch Graničari, die „sich etwas verschaffen“ bei guter Gelegenheit, genug, aber keine Räuber. Sinn und Zweck soll aber ein Befehl haben! Tonidandel fragte sich, ob in diesem Teile des Befehls vielleicht die „Revanche“ stecke, ob in der Aufstellung von Räuberkommandos die Rache des Regimentschefs zu suchen sei. Nichts war zu entdecken, der Befehl im ersten Teile harmlos, in der anderen Hälfte unsinnig und zwecklos, da es keine Räuber gab. „Aber Befehl ist Befehl!“ Vorsichtig wollte Tonidandel vorgehen, mißtrauisch, ohne Fehler, ohne Übergriffe. Ungewöhnlich konnte der Auftrag zur Kontrolle der Amtsführung eines Dorfpfarrers nicht genannt werden; denn der Militärverwaltung in der Militärgrenze war alles unterstellt: Männer, Frauen und Kinder, alle Stände, Klerus, Stadtbürger und Landvolk. Demnach war das Regimentskommando nicht nur „kompetent“, sondern auch verpflichtet, die Dienstgeschäfte der Pfarrer zu überwachen, Ordnung zu schaffen, besonders dann, wenn Beschwerden eingelaufen waren. Tonidandel vermutete, daß just über den im Befehle genannten Popen namens Vid (Veit) Denunziationen in Karlstadt eingelaufen sein dürften, und daß dieser Pope möglicherweise kein ordnungsgemäß geprüfter Priester von normaler Ausbildung, sondern nur ein Protektionskind ohne Fachbildung sein werde. In diesem Falle war besondere Vorsicht angezeigt, um nicht gegen den — Protektor zu verstoßen. Tonidandel ersah aus der Bezirkskarte, daß die „Inspektions“reise zum Amtssitz des Popen Vid mindestens drei Tage beanspruchen werde. Er übertrug daher die Dienstgeschäfte der Kompagniekommandantur dem Hauptmann Pegan und trat dann mit üblicher Bedeckung die Reise zu Pferd an. Ein erbärmliches Nest war das Dorf; die Holzhäuser tief im Boden steckend, meist nur ein Gelaß enthaltend, mit Stroh oder Dünger gedeckt. Der Fürsorge der Militärverwaltung entsprachen nur die Kirche und die steingefügten Häuser für den Popen und für die Schule. Der langhaarige und bärtige Pope Vid sprang wie ein gehetzter Hirsch herbei, als Hauptmann Tonidandel mit sechs Soldaten am Pfarrhause hielt. Überschwenglich und untertänig begrüßte der Pope den „erlauchten“ und gnädigen Herrn, völlig nach Domestikenart, unterwürfig und kriechend. Barsch fragte Tonidandel in dem üblichen Gemisch von Militärdeutsch und Likaner Kroatisch, ob der Pope Vid heiße und der Pfarrer dieses Dorfes sei. „Gehorsamst aufzuwarten, gnädiger Herr! Ich bin der Pope dieses Dorfes auf Empfehlung des hochwürdigsten Archimandriten durch die Gnade des erlauchten Chefs des Likaner Regiments, des gnädigsten Herrn Oberst K. in Karlstadt! Womit kann ich Euer Hochwohlgeboren dienen! Ich bitte um die hohe Ehre, die Schwelle meines Hauses überschreiten zu wollen!“ Den Hinweis auf die Ernennung zum Popen durch den Regimentschef K. hielt Tonidandel einstweilen für eitel Prahlsucht. Sein Pferd und die Bedeckungsmannschaft schickte der Offizier in das Dorfgasthaus. Und sofort machte sich Tonidandel an die Erledigung der Dienstgeschäfte, die für einen Offizier ebenso seltsam wie lästig waren. Der Forderung, die Register (Pfarrmatrikel) vorzulegen, suchte sich der Pope zu entziehen mit dem Hinweise, daß er — kein Freund von Schreibereien sei und um keinen Preis der Welt den gnädigen Herrn Kommandanten belästigen wolle. Scharf bestand Tonidandel auf der Vorlage der Pfarregister. Der Pope wand und krümmte sich. Und er jammerte: „Halten zu Gnaden, erlauchter Herr Hauptmann! Die Matrikel, so Euer Herrlichkeit wünschen, ist ganz überflüssig, also nicht vorhanden!“ „Waaas? Wieso?“ „Halten zu Gnaden, Erlaucht! Li ja baš tako![8] Ganz überflüssig! Wird ein Kind geboren, so taufe ich es, das Kind ist da, braucht also nicht aufgeschrieben werden, weil es da ist! Stirbt einer in meiner Gemeinde, so ist er weg; den Toten schreibe ich nicht auf, weil er eben weg ist!“ „Prachtvoll!“ höhnte Tonidandel. „Danke gehorsamst für diese Anerkennung Euer Erlaucht! Sie freut mich sehr!“ „Und die Hochzeiten! Werden diese auch nicht aufgeschrieben?“ „Nur die Namen, von wegen der Gebühren, wenn die Paare nicht gleich bezahlen! Die Zahlung ist die Hauptsache! Wovon soll ein armer Pop leben?“ „Eine interessante Wirtschaft in einem Pfarramt!“ „Ich danke untertänigst! Aber interessant ist bei mir nichts, das Einkommen schlecht!“ „Wo hat Er denn studiert?“ „Gehorsamst aufzuwarten, beim Archimandriten!“ „Wie? Unbegreiflich! Zeig' Er mir seinen Lehrbrief!“ „Halten zu Gnaden, Herrlichkeit! Ich besitze ein solches Dokument nicht!“ „Tod und Teufel! Also hat Er Theologie gar nicht gelernt!“ „Zu dienen, Erlaucht! Der hochwürdigste Archimandrit hat mich höchstpersönlich unterrichtet, hat mich gelehrt: Messe lesen, Predigen, alle praktischen Funktionen, die ein Pop wissen und ausüben muß! Ganz praktisch, nur praktisch! Ein Dokument hierüber haben mir der hochwürdigste Archimandrit nicht auszufertigen geruht!“ „Warum hat Ihn der Archimandrit in so auffallender Weise sozusagen — abgerichtet?“ „Aus Dankbarkeit!“ „Wie? Was? Wie kommt ein Archimandrit dazu, einem Menschen wie Ihm — so sonderbar zu Dank verpflichtet zu sein?“ „Das kann ich Euer Herrlichkeit nur ins — Ohr sagen, denn es muß das ein Geheimnis bleiben!“ Und ehe der Offizier diese widerliche Zudringlichkeit verhindern konnte, hatte ihm der Pope das — Geheimnis ins Ohr geflüstert. Erst starrte der Hauptmann den sonderbaren „Pfarrer“ an, verblüfft in hohem Maße; dann aber lachte Tonidandel, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß. Zum Schlusse dieser denkwürdigen Pfarrmatrikelkontrolle bestand der Offizier auf der Einhändigung des Ernennungsdekretes. Dieses Dokument lieferte der Pope ersichtlich ungern, zögernd und wider Willen ab. Ein Blick auf Dienstsiegel und Unterschrift. Und Tonidandel frohlockte. Es stimmte genau; der Oberst K., kein anderer, hatte dieses Monstrum von Theologen zum Pfarrer ernannt. Und den Popen Vid mußte er völlig vergessen haben: denn sonst würde er den Hauptmann nicht auf das — Protektionskind gehetzt, Kontrolle und Bestrafung angeordnet haben. Wegen der weiteren Erledigung dieser Angelegenheit, erklärte der Offizier, daß ein Bescheid dem — „Pfarrer“ schriftlich zugehen werde. Das Ernennungsdekret nahm er mit. Wie zu Stein erstarrt blieb der Pope stehen, als der Hauptmann lachend das Pfarrhaus verließ.... Zwei Tage später schrieb Tonidandel in der Kanzlei zu S. den gewünschten Bericht an das Regimentskommando in Karlstadt. Zwar nicht „erschöpfend“, aber sarkastisch, knapp und sehr verständlich. Der Inhalt lautete ungefähr: Eine Pfarrmatrikel gibt es im Dorfe .... nicht; der mit Dekret des Regimentskommandanten, des Herrn Oberst K. zum — Pfarrer ernannte Jaša Vid war früher durch viele Jahre _Kutscher_ beim Archimandriten ...., der den Vid aus Dankbarkeit zum Popen abrichtete, weil der Vid niemals einen — Lohn für seine Kutscher- und Hausknechtsarbeit erhalten hat. Deshalb besitzt der Vid auch keinen theologischen Lehrbrief und keine theologischen Kenntnisse. Vid behauptet, daß der Archimandrit ihn dem Herrn Regimentschef empfohlen habe. Die Bestrafung wegen ungenügender Matrikelführung wolle das hohe Regimentskommando vornehmen. Bezüglich der Errichtung von Räuberkommandos wird gehorsamst bemerkt, daß es im Dienstbereiche des Kompagniekommandos S. Räuber nicht gibt. Deshalb wird gehorsamst um Angabe der Dörfer gebeten, in die zwecklos Detachements gelegt werden sollen.... Lachend fügte Tonidandel diesem Schriftstück das Dienstsiegel des Kompagniekommandos und seine Unterschrift bei. Das Städtchen S. und die Lika wurden bald darauf eingeschneit, von allem Verkehr gänzlich abgeschnitten. Wochen vergingen. Und als erstmals wieder auf Schlitten die Militärpost aus Karlstadt nach S. kam, enthielt die Posttasche unter anderm ein Schriftstück, das den Befehl zur Aufstellung von Räuberkommandos widerrief und dem Kompagniekommando mitteilte, daß Oberst K. unter Beförderung zum Generalmajor nach Wien versetzt worden sei. Also war Hauptmann Tonidandel seinen „Befehlsgeber“ und Peiniger los geworden. Fußnoten: [1] Starešina (gesprochen Starjeschina) = Oberhaupt, Gemeindesvorsteher, Bürgermeister, Dorfältester, auch Befehlshaber. Es muß der Starešina nicht immer ein alter Mann sein, soll sich aber in „gesetzten“ Jahren befinden. Der Südslave verehrt nur den Alten, der in bester Lebenskraft voll und ganz seinen Mann gestellt, Großes geleistet hat. D.V. [2] Graničari (Granitschari) = Grenzsoldaten, granica = Grenze. [3] „Gott gebe es!“ [4] Die unter der Militärverwaltung stehende Bevölkerung der Militärgrenze nannte Zivilkroatien damals „Provinzial“ und liebäugelte mit den dortigen Verhältnissen. [5] „Zur Gesundheit!“ [6] Der Ausdruck „Pfaffe“ hatte damals noch nicht die üble Bedeutung wie jetzt. [7] „Gott! Gott!“ [8] „Es ist wirklich so!“ Des Popen Meisterstück Als Kommandant Tonidandel von der Grenzerkompagnie S. auf Regimentsbefehl (unterzeichnet: „K.“) die Untersuchung gegen den Dorfpopen Vid wegen ungenügender Führung der Pfarrmatrikel durchgeführt und dieses sonderbaren „Pfarrers“ Ernennungsdekret mitgenommen hatte, verlebte der Pope Vid begreiflicherweise schwere Tage bitterster Angst in Erwartung der Strafe und der Absetzung. Denn soviel Verstand besaß Jaša Vid noch von seiner Tätigkeit als Rosselenker her, daß er selbst die Belassung auf seinem Posten für unmöglich hielt, nachdem in seine Führung der Pfarrgeschäfte von militärischer Seite „hineingeleuchtet“ worden war. An der Entlassung von kurzer Hand zweifelte Vid keinen Augenblick; sie konnte nur noch die Frage weniger Wochen sein und hing zeitlich davon ab, wann der Kompagniekommandant den Rapport schreiben, das amtliche Schriftstück beim Regimentskommando in Karlstadt eintreffen und Oberst K. dazu kommen werde, das Aktenstück zu erledigen. Den ersten Tag nach Tonidandels Abzug verlebte der Pope in völliger Verzweiflung. Der zweite Tag verging in dumpfem Hinbrüten. Am dritten Tage dämmerte im „pfarrlichen“ Kutschergehirn der Gedanke auf, daß das bittere Unheil vielleicht abgewendet werden könnte, wenn „man“ den allmächtigen Regimentskommandanten bei besonders guter Laune antreffen, ihm ein besonders schönes Pferd „vorführen“ und kniefällig um Belassung auf dem Posten trotz mangelhafter Registerführung und früherer Kutschertätigkeit bitten würde. Mit einer gewissen Findigkeit, die der Logik nicht entbehrte, kam Vid zu der Folgerung, daß der Regimentsgewaltige ihn nicht zu hart bestrafen könne, nachdem doch der Oberst in eigener Person den Kutscher zum — Pfarrer ernannt hatte. Schuld des Popen konnte es nicht sein, falls etwa der Archimandrit dem Regimentskommandanten verschwiegen haben sollte, daß Vid früher des Archimandriten Rosselenker gewesen. Wußte dies aber der Oberst, hatte er trotzdem die Ernennung vollzogen, so durfte er, nun durch die „Stocherei“ des Kontrolloffiziers der Tatbestand „aktenmäßig“ geworden, nicht so grausam sein, den Popen, sein Protektionskind, davonzujagen. Am vierten Tage beschäftigte sich Vid mit dem Verhalten des Hauptmannes gegenüber dem ins Ohr geflüsterten Geheimnis. Der Pope fragte sich, warum der Offizier sich krümmte und so schrecklich lachte, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß? Die „Beförderung“ des Kutschers zum Popen mochte in fremden Augen ungewöhnlich erscheinen; Vid erblickte in ihr nichts anderes als die Tilgung einer Dankesschuld. Verjagt der Oberst den Popen vom Pfarrposten, so wird der Archimandrit entweder für eine andere Stelle sorgen oder den rückständigen Kutschersold bezahlen müssen.... Weshalb aber lachte der Offizier so unbändig? Ist er vielleicht ein Feind des Regimentskommandanten? Will er ihm mit der Aufdeckung des Geheimnisses, daß Vid früher — Kutscher gewesen, einen besonderen Streich spielen? Darüber Näheres und Sicheres zu erfahren, bestand keine Möglichkeit. Doch eines erriet Vid gefühlsgemäß: eine Hauptrolle werde und müsse seine Tätigkeit als — Rosselenker spielen. Dieses „Gefühl“ lenkte auf den Gedanken, die Gunst des Regimentskommandanten neuerdings, und zwar durch — Pferde zu gewinnen. Der arme schlechtbezahlte Dorfpope besaß jedoch keine Pferde, konnte solche nicht kaufen. Ein schönes wertvolles Roß schon gar nicht. Und ein — Pope konnte ein Prachtroß auch nicht — „verschaffen“. Nur darüber — reden könnte er mit einem Besitzer oder mit einem Sachverständigen in der Pferdebeurteilung. Eigentümer schöner Pferde gab es im Dorfe nicht, wohl aber im nächsten größeren Orte. Sachverständige im Heimatsdorfe genug. Gleich der nächste Nachbar des Pfarrhauses, der Mirko, stand im Rufe eines Pferdekenners, der freilich viel schwätzte; doch erzählte die Fama von ihm, daß er — nachts auf geheimnisvollen Gängen sehr schweigsam, stumm wie das Grab, sei. Nicht über die beunruhigende Sache betreffend die drohende Absetzung, nur über — Pferde wollte der Pope mit Mirko sprechen. Bei nächster Gelegenheit fragte also Vid, wie doch eigentlich die kavalleristische Episode im „Provinzial“ bei der Landwehr gewesen sei. Augenblicklich und sichtlich gern schnappte Mirko darauf ein und erzählte, daß eine berittene Abteilung des Befehls zur Beendigung der Übung und Versorgung der Pferde harrte. Der Kommandant rief den Landwehrreitern den Befehl zu: „S konja dol!“ (Wörtlich: Vom Pferde zu Tal; herunter, also absitzen!) Einer der Reiter jedoch, der im Sprachgebrauch feinfühliger als der bürgerliche Kommandant und deshalb sprachempfindlich war, fragte mit schallender Stimme: „Kai pa mi, koji smo na _kobili_?“ (Wörtlich: Was aber wir, welche wir sind auf — Stuten? Übersetzt: Was aber sollen wir machen, die wir auf — _Stuten_ sitzen?) Obwohl Vid den Scherz dieser drolligen Wortklauberei kannte, lachte er doch herzhaft und ließ sich die Pointe von Mirko erklären! Im Kroatischen heißt koni soviel wie männliches Pferd. Der Kommandant hatte also befohlen. „Vom _männlichen_ Pferd herunter!“ Deshalb fragte jener Reiter, was die Leute machen sollten, die auf kobili, nämlich auf _weiblichen_ Pferden, saßen. Kutscherhaft bebrüllte Vid diesen Scherz und Spott auf zivile Soldatenspielerei im „Provinzial“. Und diese freundliche Aufnahme des Scherzes machte den Nachbar zugänglich für das — Weitere. Der Pope teilte vertraulich mit, daß er beim Regimentskommandanten in Karlstadt eine — Gehaltsaufbesserung anstrebe, gute Aussicht hätte, solange der Oberst K. Regimentschef sei, weil dieser hohe Herr den untertänigen Diener Vid zum Popen ernannt habe; aber eine große Schwierigkeit sei einstweilen vorhanden: es fehle dem armen schlechtbezahlten Popen an einem Gegenstand zur — „Verehrung“. Mirko begriff sofort und fragte, „mit was“ der Pope — „schmieren“ möchte. „Mit einem schönen, einem Regimentsobersten würdigen Roß!“ Augenzwinkernd fragte Mirko, ob Stute oder Wallach. Vid „himmelte“ und versicherte, daß er weder das eine noch das andere bezahlen könne, auf — „leihweise“ Überlassung angewiesen sein würde, den Zeitpunkt der „Rückgabe“ des betreffenden Pferdes nicht genau angeben könne, weil der kluge Mittelsmann noch nicht gefunden sei, der zu „passender Zeit“ das „gewidmete“ Pferd wieder bei guter Gelegenheit von Karlstadt „zurückhole“. Auch diese dunklen Worte verstand der freundliche Nachbar sofort. Und alsbald entwickelte Mirko einen seinen Plan, wonach in der Nacht zum nächsten Feiertage aus dem größeren Nachbarorte zwei schöne Pferde behufs Auswahl „leihweise“ geholt werden sollen. Diese Aufgabe wolle Mirko aus Freundschaft übernehmen. Sache des Popen aber werde es sein müssen, für die sichere Unterbringung der „entlehnten“ Pferde zu sorgen, falls sich die — Gendarmen für den — Aufenthaltsort dieser Pferde am Feiertage interessieren werden. Finden dürfen die Gendarmen diese Pferde nicht, weil sie oder das ausgewählte Roß sonst dem Regimentskommandanten nicht „verehrt“ werden könnten. Für die spätere „Heimholung“ des „Schmier“pferdes müsse der Pope einen Vertrauensmann in Karlstadt ausfindig machen; Mirko könne diese Aufgabe mangels genauer Ortskenntnis am Sitze des Regimentskommandos nicht übernehmen. Der Plan gefiel dem Popen sehr gut. Aber die Zustimmung freute sich Mirko. Doch machte er als vorsichtiger Mann von Erfahrung auf nächtlichen Gängen auf die Gefahr des — Schneefalles aufmerksam. Spurschnee werde haargenau den Aufenthalt der Pferde verraten, sowohl den Gendarmen als auch neugierigen Dörflern. Im Augenblinzeln Mirkos lag die Frage, ob der Pope ein Mittel zur Spurenverwischung wisse. Einstweilen wußte Vid nichts, doch das Sprüchlein sagte er salbungsvoll auf. „Hat der Mann ein Amt, bekommt er auch den — Verstand dazu!“ Mirko betonte nochmals, daß die „Leih“pferde in der Nacht bzw. gegen Morgen des nächsten Feiertages in Dorfnähe gebracht werden, und daß der Pope alsbald für sichere Unterbringung der Pferde wie für Vernichtung ihrer Spuren im Schnee aufkommen müsse. Im Pfarrhause wurde das Übereinkommen mit Slibowitz begossen, mit Handschlag bekräftigt. — In der Lika trat Schneefall ein. Weit mehr Geflock, als dem Popen lieb war. Je näher der Feiertag heranrückte, desto mehr Bangen fühlte der Pope in der Kutscherbrust. Das Spiel war doch arg gewagt. Wurde es infolge eines Zufalls verloren, der „Krach“ in Karlstadt würde entsetzlich werden, die Entlassung aus dem Pfarrdienst im Vergleich zur Explosion im Regimentskommando ein harmloses Kinderspiel sein.... Doch rückgängig machen konnte Vid die so pfiffig begonnene Sache nicht mehr. Wollte er eigentlich auch nicht. Er wünschte Pope zu bleiben; wenn möglich allerdings auf einer — besseren Pfarre. Während der Nacht zum orthodoxen Feiertage blieb Vid in den Kleidern; verschmähte jede Ruhe, lauerte auf jedes Geräusch. Um Mitternacht endete der Schneefall; Sterne erschienen am Firmament und flimmerten. Der Warmwind blies von der Adria herein. Noch um drei Uhr morgens hatte Vid keine Ahnung davon, wo er die — Pferde sicher vor Gendarmenaugen unterbringen könnte. Unmöglich in der Scheune des Pfarrhauses wegen Platzmangels. Ebenso unmöglich bei Mirko, der nicht in Verdacht gebracht werden durfte. Es war Aufopferung genug, daß der Nachbar die Pferde „holte“.... Auch die Zeitfrage beschäftigte den Popen noch gegen Morgen. Wird es wahrscheinlich sein, daß noch in der Nacht die — Gendarmen den Abgang der Pferde merken, den „Entführer“ sofort verfolgen werden? Vid verneinte diese Frage. Ohne vorausgegangene Meldung werden die Gendarmen sich nicht auf die Socken machen. Erfolgt die Anzeige am frühen Morgen, brechen die Organe der öffentlichen Sicherheit sogleich zur Verfolgung der Spuren im Neuschnee auf, so können die Panduren im Dorfe ankommen etwa um die Zeit, da der Pope die Bauern aus der Kirche entlassen wird. Ein Gedanke schoß dem „Pfarrer“ durch den Schädel. Eine gute Idee, die vollen Erfolg gewährleisten könnte, wenn Mirko mit den Pferden rechtzeitig eintreffen würde. Aber Mirko kam nicht. Auch keine Meldung, ob das Unternehmen begonnen wurde. Nichts, gar nichts. Die Zeit rückte vor. Schon riefen die Glocken. Die Gläubigen wanderten zur Kirche. Der Pope mußte sich beeilen. Während des Ganges zur Kirche brannte in seiner Kutscherseele der heiße Wunsch, daß das Unternehmen gar nicht begonnen worden sein möge. Denn jetzt würde alles zu spät und verloren sein.... In der Kirche war das Volk andächtig, der Pope zerstreut, nicht bei der Sache. Vids Gedanken beschäftigten sich mit — Pferden; er glaubte plötzlich Hufgeklapper vernommen zu haben. Horchte auf, gelangte zur Überzeugung, sich nicht getäuscht zu haben und verkündete der Gemeinde, daß zur besonderen Festesfreude nun um die Kirche ein — „Kolo“, ein Rundreigen, unter seiner Führung stattfinden werde. Kolo, das Nationalvergnügen der Südslaven, ein immer willkommener Reigen für jung und alt, wobei Männer wie Frauen erstaunlich viel Anmut in den Körperbewegungen zu entfalten wissen. Es verschlug nichts, daß jede Art von Begleitmusik fehlte, der Kolo — im Schnee stattfinden mußte. Der Pope führte die vielköpfige Schar der Kirchgänger Hand in Hand im langgedehnten Zuge erst um die Kirche und dann in weitgestrecktem Bogen auf einen freien Platz über die Landstraße. Wohl über vierhundert Füße zertraten den Schnee, vernichteten alle Spuren.... Vid's scharfe Augen gewahrten zwei Gendarmen in Dienstausrüstung. Die Wächter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit betrachteten langsam schreitend gewisse Eindrücke im Schnee, gingen auf das Dorf zu. Ein Nationallied anstimmend, führte Vid seine Schar zurück zur Kirche, um die nun singend der Kolo langsam, würdevoll und anmutig getanzt, d. h. ruhig Hand in Hand geschritten wurde. Den Gendarmen war die Erfüllung ihrer Dienstpflicht unmöglich gemacht; die verfolgten Eindrücke im Spurschnee waren völlig zertreten von den Kolotänzern. Für den Reigen selbst hatten die Panduren nicht das geringste Interesse. Sie wanderten an der Kirche vorüber, schritten aufmerksam guckend durch das Dorf und kehrten unverrichteter Dinge zurück in den größeren Ort. Inzwischen hatte ein Schneesturm eingesetzt, der in wenigen Minuten die ganze Gegend verwehte, den heimkehrenden Gendarmen den Marsch erschwerte, den Kolotänzern das Feiertagsvergnügen nahm. Schreiend flüchtete alles in die Häuser und Hütten. Schneesturm in der Lika. Der tosende Wind aus Südwest, nicht schneidend kalt, eher warm, dennoch durchschauernd, trieb den Schnee in schweren Schwaden vor sich her, suchte den Häusern und Hütten die Dächer wegzureißen und warf dann Schneemengen darauf, die alles zudeckten. Schrilles Saufen in der oberen Luftregion, herunter dumpfes Surren in den Dolinen, gurgelndes Heulen an Hängen und Flächen. Tolles Gewirbel auf der Landstraße, die teils haushoch verweht wurde, auf kurze Striche wie glattrasiert aussah, je nachdem der Sturm sie angreifen, der Bodenwind kesseln und wegfegen konnte, was der Orkan an Schneemassen hingeworfen hatte. Wie ausgestorben die Gegend, kein Lebewesen außer Hausen ein verdorbener Feiertag für den Gostioničar, den Wirt, dem die Gäste fehlten. Nur der Pope hatte einen Gast im Hause, den pfiffigen Mirko, der sich krumm lachte über den von Vid so schlau und prächtig veranstalteten Kolo, wodurch den Gendarmen die Pflichterfüllung vereitelt, die Pferde gerettet wurden. Daß die „entlehnten“ Rosse nicht länger in der — Sakristei verbleiben konnten, sah Mirko völlig ein. Aber mit der Angelegenheit wollte er weiter nichts mehr zu tun haben. Bisher war alles Gefälligkeitssache aus nachbarlicher Freundschaft zum Popen; nun aber Schluß. Kein Schritt weiter, kein Fingen rühren. Vid hingegen sprach seine Meinung dahin aus, daß bei solchem Schneesturm das Verbringen auch nur eines Pferdes nach Karlstadt wenn nicht unmöglich, so lebensgefährlich sein würde. Mirko hob die Schultern und schluckte Slibowitz dazu. Und mählich wurde er — anzüglich; er stichelte, daß das Wetter gar nicht besser sein könnte für einen „ungesehenen“ Pferdetransport, wenn der — kočijaš (Kutscher) „tüchtig“ sei. Es klang wie Hohn, als Mirko herausquetschte: „Danas je vrlo liepo vrieme, samo je jako snieg!“ (Heute ist sehr schönes Wetter, nur ist starker — Schnee!) Und nach einem neuen kräftigen Schluck Pflaumenschnapfes fügte er bei: „_Danas_ su naši oni konji!“ (_Heute_ sind unser jene Pferde!) Zum Abend war die Lage geklärt. Mirko verweigerte bis auf die Pferdefütterung jede weitere Hilfe; die „Leih“rosse mußte Vid in eigener Person entweder nach Karlstadt oder in ihre — Heimat bringen. Noch in dieser Nacht trotz des schweren Schneesturmes. Mirko leistete den letzten Gefälligkeitsdienst und fütterte die Pferde in der Sakristei. Das „Wassern“ (Tränken) besorgte der Pope. Dann verschwand der Nachbar. Ein letztes Sinnen und Überlegen seitens des „Pfarrers“. Diesmal in der Richtung nach der vom Regimentskommando auf — Pferdediebstahl verhängten Strafe. Vid verspürte einen sehr starken Kitzel am — Hals. Und dieses Gefühl verstärkte sich, als der Pope zu Pferde saß. Im Freien, vom Schneesturm umtost, von nachtschwarzer Finsternis umhüllt, drängten die „Leih“rosse der Richtung zu, die in ihre Heimat führte. Der Versuch Vids, die Gäule mit Schenkeldruck auf die Straße nach Karlstadt zu bringen, mißlang vollständig. Als die Pferde ihrer Heimat zuliefen, spürte Vid deutlich, daß das fatale Gefühl an seinem Halse nachließ. Doch der Gedanke an die noch immer drohenden einhundert Stockprügel für den Fall des Erwischtwerdens auf der Heimbringung der „entlehnten“ Gäule verursachte ein gewisses Brennen am — Gesäß. Auch in der Seele brannte etwas plötzlich sehr heftig, die Frage, wem wohl die „entlehnten“ Pferde gehören? Vid hatte davon keine Ahnung. Aber die Rosse werden und müssen ihren Stall kennen; sie werden ihn auch ohne jede Begleitung finden. So dachte Vid. Und er rutschte vom Gaul herunter. Wie zum Dank gingen die Pferde im Galopp weg, der ersehnten Heimat zu durch Nacht und Schneesturm. Hart und mühsam war der Heimmarsch für den Popen. Dennoch sozusagen schön. Von bitterer Angst befreit die Seele, wie weggefegt das bängliche Gefühl am Halse, das ahnungsvolle Brennen am Gesäß. Und erquickend das Bewußtsein, daß die Mitwisserschaft Mirkos nicht gefährlich werden kann, weil die von ihm, nicht vom Popen, gestohlenen Pferde nicht behalten wurden. Mit „reinem Gewissen“, freilich körperlich sehr ermüdet, erreichte Vid sein Pfarrhaus. Bängliche Wochen folgten im Warten auf den Karlstadter „Krach“ als Konferenz des Berichtes vom Kompagniekommandanten. Viel später als nach S. drang auch in das einsame Dorf in der verschneiten Lika die Kunde, daß der gefürchtete Oberst K. nach Wien befördert worden sei. Jetzt konnte Vid von aller Sorge befreit aufatmen. Denn wiewohl nur ein ehemaliger Kutscher und eigentlich unmöglicher Pope, wußte Vid doch, daß in der Regimentskanzlei alte Geschichten nicht ausgegraben wurden, neuernannte Regimentskommandanten alte Sachen nicht aufstocherten. Und daß der Hauptmann von S. ihm nicht wehtun würde, das hatte Vid im — Gefühl. Mit diesem „Gefühl“ behielt er recht bis an sein Ende. Waldkultur Da sich die Militärbehörde an der damals türkischen (bosnischen) Grenze um — _alles_ zu kümmern hatte, der Militärdiktatur im Grenzbezirk _alles_ unterstand, so wurde dort auch das — _Forstwesen_ „besorgt“. Und zwar für die Verhältnisse jener weit zurückliegenden Zeit gar nicht übel und ziemlich stramm. Freilich nicht gerade „forstlich“ im technischen Sinne. Irgendwo war eine große Eichenwaldung abgestockt worden. Lange Zeit hindurch war nach dem Kahlhieb nichts geschehen. Zur Aufforstung fehlte es der Forstbehörde an Arbeitern zum Eichelnsetzen und an Geld zur Bezahlung der Setzarbeit. In solcher Not wandte sich die Bezirksforstbehörde an das Kommando des im betreffenden Bezirk Rationierten Grenzregimentes mit der Bitte, das Setzen der Eicheln von den Grenzsoldaten ausführen zu lassen. Diese Bitte kam dem Kommandanten des Grenzregimentes um so gelegener, als der Oberst wegen der Beschäftigung der Truppen sich in einiger Verlegenheit befand. Es gab nämlich seit etlichen Monaten nichts zu kämpfen gegen die Türken, überhaupt nichts zu tun in militärischem Sinne. Beschäftigung der Grenzsoldaten war also erwünscht. Von forsttechnischer Arbeit hatte der Regimentskommandant selbstverständlich nicht die geringste Ahnung, hingegen die Überzeugung, daß der einfache Befehl zur Durchführung der Eichelsetzarbeit mit Soldaten vollauf genüge. Im Dienstwege wurde das Forstamt von der Genehmigung des Ansuchens verständigt. Daraufhin stellte das Forstamt einen Techniker behufs Anordnung und Überwachung der Setzarbeiten zur Verfügung und sandte den Beamten an den Stabssitz des Regimentes. Der Kommandant Oberst X. lehnte entrüstet die Beigabe des forstlichen Sachverständigen ab und sandte den Mann sofort zurück. Ein Hauptmann erhielt den Befehl, mit zweihundert Mann im näher bezeichneten Reviere die Aufforstung durch Setzen von Eicheln durchzuführen „in eigener Kompetenz, mit möglichster Strammheit und militärischer Präzision“. Aber die Frist für die Arbeitsdurchführung war nichts gesagt. Daß der Forsttechniker vom Kommandanten abgelehnt und zurückgeschickt worden war, hatte der Hauptmann „unter der Hand“ erfahren und sich als kluger Mann hinter die Ohren geschrieben. Von forstlicher Kulturarbeit hatte der Hauptmann selbstverständlich keine Ahnung. Aber das wußte er, daß er für die Eichelsetzarbeit den Forsttechniker — nicht befragen durfte, wenn ein „Krach“ mit dem Regimentskommandanten vermieden werden sollte. Soviel Verstand besaß der Hauptmann, um sich denken zu können, daß ein gewisser Abstand zwischen den zu setzenden Saateicheln werde eingehalten werden müssen. Diesen Abstand konnte der Offizier begreiflicherweise nur militärisch berechnen; deshalb bestimmte der Hauptmann. „Distanz ein Schritt“. Von einem Hand-in-Hand-arbeiten zwischen Militär und Forstbehörde keine Spur. Das „Setzdetachement“ rückte an, als das Forstamt noch gar keine Saateicheln hatte. Das Material wurde schleunigst beschafft. Unterdessen, zur Zeitausfüllung, ließ der Hauptmann die zur Aufforstung bestimmte Kulturfläche von Unkraut usw. befreien, roden und vorbereiten. Endlich kamen die Eicheln. Der Hauptmann ließ seine Mannschaft antreten und hielt „Instruktionsstunde“. Die Soldaten wurden belehrt, wie sie die Saateicheln zu setzen haben. Entfernung von Mann zu Mann drei Fuß; auf das erste Signal fährt die rechte Hand in die Schürze und ergreift eine Eichel; auf das zweite Signal bückt sich die gesamte Mannschaft und steckt die Eicheln in den Boden; auf das dritte Signal richtet sich die Mannschaft auf und tritt einen großen Schritt nach vorwärts. Und so weiter, bis die ganze Fläche mit Eicheln besteckt ist. Da für diese originelle Kulturarbeit wohl Saateicheln vorhanden waren, nicht aber Bundschürzen zum Tragen der Eicheln, und da der Hauptmann recht gut wußte, daß er wegen der fehlenden Schürzen den in seiner Allmacht gefährlichen Regimentskommandanten nicht behelligen durfte, befahl der militärische „Forstmann“ ganz einfach, daß jeder Soldat morgen beim Antreten eine — Bundschürze mitzubringen habe. Gleichgültig, ob die Schürze der Gattin, der Schwester oder der Geliebten gehöre. Die Bundschürze mußte, so lautete der Befehl, „verschafft“ werden. Damit war die Instruktionsstunde beendet, die Mannschaft entlassen. Am nächsten Morgen pünktlich trat die „Kultur“-Mannschaft an. Einen sehr bunten Anblick boten die Soldaten mit den umgebundenen farbigen Schürzen. Die Vorliebe der südslavischen Weiber für grelle Farben in Kitteln und Schürzen war damals genau so vorhanden wie auch heute noch. Zum Schreien komisch sahen die Grenzsoldaten mit ihren grellfarbigen Schürzen aus. Der drohenden Prügelstrafe wegen verzog niemand von der Mannschaft auch nur die Miene. Die Kerle blieben ernst; sie lachten unbemerkbar innerlich. Der Hauptmann rückte mit der „Kultur“-Mannschaft aus; zu seiner Seite marschierte der Kompagnietrompeter(!) als Signalist für die — Kulturarbeit. An der Schlagwand wurden die Soldaten, denen die Saateicheln in die Schürzen gegeben worden waren, aufstellt. Am Flügel standen der Hauptmann und der Signalist mit der Trompete. Und nun begann die Setzarbeit als Schauspiel für Götter. Auf einen Wink des Hauptmanns blies der Trompeter das verabredete _erste_ Signal. „_Habt acht_!“ Genau griffen die Grenzer in die sackähnlich aufgebundenen Schürzen und erfaßten je eine Eichel. _Zweites_ Signal. „_Eicheln hineinstecken_!“ Im Nu bückte sich die Mannschaft, jeder Soldat steckte eine Eichel in den damals berühmt fruchtbaren Boden. _Drittes_ Trompetensignal. „_Marsch_!“ Die Soldaten traten einen großen Schritt nach vorwärts. Stundenlang währte diese stramm militärische Setzarbeit, bis der ganze Eichelvorrat in den Boden gesteckt war.... Und diese Arbeit wiederholte sich bis zur völligen Durchführung der befohlenen Aufgabe, der „Eichenanpflanzung“ auf einer riesengroßen Fläche. Worauf der Hauptmann sich beim Regimentskommandanten gehorsamst meldete. Hinterdrein kam der Forsttechniker, um nachzufragen. Zu ändern war nichts mehr. Und verhältnismäßig war die Sache gar nicht schlecht gemacht.... Jahrzehnte verflossen. In den „Erinnerungen“ eines alten kroatischen Forstbeamten, die mir zur Einsichtnahme gegeben wurden, heißt es. „Herrlich anzusehen waren die militärisch herangezogenen Eichenjungwälder. Leider wurden sie ein Opfer jener aufrührerischen Bosniaken, die vor Beginn der Okkupation Bosniens nach Kroatien verbracht worden waren. Die aus ihrer Heimat abgeschobenen Bosniaken hatten ihre Ziegen mitgenommen, die in diese Eichenjungwälder getrieben wurden, als sich das junge Laub zeigte. Es war von den Behörden streng verboten, mit Beil oder Hacke diese Eichenjungwälder zu betreten. Den Eintrieb von gefräßigen Ziegen zu verbieten, hatte man — vergessen. Irgendeines Werkzeuges bedurfte der Bosniak nicht; er wußte sich gut zu helfen, indem er jeweils ein Eichenstämmchen so lange mit den Händen niedergebogen hielt, bis die Ziegen alles Laub abgefressen hatten. Dann ließ der Mann das Stämmchen in die Höhe schnellen. Und das nächste Eichenstämmchen wurde ebenso des Laubes beraubt. Ganze Jungbestände wurden auf diese Weise kahl gefressen! Das ärarische Forstpersonal war außerstande, diesen Waldfrevel zu verhindern. Wenn die Ziegen der Bosniaken sich in Bauernwaldungen ‚verirrten‘, machten die Kroaten keine Umstände: die Bosniaken wurden so fürchterlich verhauen, daß sie fürder Bauerngehölze respektierten und ihr Interesse wieder den ärarischen Waldungen widmeten.“ Sicher ist das Geschilderte ein fesselndes Kulturbild einer militärischen — Waldkultur in vergangener Zeit! Kroatische Glanzkohlen. Alte Herren schmunzeln heute noch, wenn von den kroatischen Glanzkohlen aus der Grube Očura bei Lepoglava in den Varazdiner Bergen gesprochen wird; denn mit diesen Glanzkohlen war im Jahre 1875 ein glänzend gelungener Scherz verbunden, mit dem der Bergverwalter jener Kohlengrube köstlich „hineingelegt“ wurde, und wozu, drollig genug, der zeitlebens für Bergbau lebhaft interessierte König Leopold II. von Belgien seinen Namen leihen mußte. Anfang der siebziger Jahre war in Kroatien unter dem Namen „Kroatische Glanzkohlen“ eine Kohlengewerkschaft gegründet worden in der Absicht, die Kohlenklötze von Lepoglava-Očura abzubauen. Das vielen Erfolg versprechende Unternehmen konnte jedoch nicht sofort gewinnbringend gestaltet werden, weil es an Gelegenheit zur Abfuhr der Kohlen mangelte. Es fehlte an jeder Eisenbahnverbindung; die Achsenfracht nach Varazdin-Csakaturn kam viel zu teuer und beanspruchte zuviel Zeit; ebenso mißlich war es, die Grubenausbeute über die kroatische Grenze auf steierischen Boden zum Anschluß an die österreichische Südbahnstrecke nach Friedau-Pragerhof zu bringen. Die Gesellschaft beschloß deshalb die Erbauung einer Lokalbahn von Očura nach der Südbahnstation Friedau (Steiermark) erwarb die Zustimmung der Behörden und ließ behufs Aussteckung der „Trasse“ Ingenieure kommen, die ihre Kanzlei im Kohlenest Očura errichteten. Die nicht geringen Schwierigkeiten, wegen der Bauerlaubnis usw. die kroatischen und steierischen Behörden unter einen Hut zu bringen, waren ein Kinderspiel im Vergleich zu den Hindernden, die der Erbauung der Eisenbahn in Očura selbst erwuchsen durch den eigenen Verwalter der Grube Očura. Der Bergverwalter Bodlak, aus dem Lande stammend, wo „die Erdäpfel als Spalierobst gezogen“ werden, war nämlich grenzenlos — neugierig und obendrein ein Mensch nach Goetheschen Rezepten im „Zauberlehrling“ und im „Faust“. Eine „Spottfigur von Dreck und Feuer“ und obendrauf ein „Wassertopf“. Ein Männle klein, untersetzt, mit säbelförmigen Beinen und einem wahrhaft riesigen Kopf, bildete Bodlak den Schrecken von Očura und Umgebung, in der Grubenverwaltung wie in der Gesellschaft, bei den Behörden in der Amtsstadt Varazdin usw. Der Bergverwalter mit seiner entsetzlichen Neugier war nicht mehr loszubringen, wenn er sich irgendwo eingefunden und in eine Sache verbissen hatte. Für den geplanten Bahnbau von Očura nach Friedau interessierte sich das Männle begreiflicherweise aus dienstlichen Gründen, dann privatim, und überdies wünschte er, mit seinen Spargroschen Aktionär der neuen Bahn zu werden. Zecken und Wanzen waren wonneerzeugende Geschöpfe im Vergleich zu Herrn Bodlak, der mit seiner alle Grenzen übersteigenden Neugier und Zudringlichkeit die Ingenieure in der Arbeit behinderte, mit unermüdlichen Belästigungen in Verzweiflung brachte. Höfliche Bitten und Mahnungen blieben unbeachtet. Auch auf deutliche Winke hin stellte Verwalter Bodlak seine lästigen Besuche und qualvollen Fragen nicht ein. Am meisten fühlte sich der Oberingenieur A. aus Brüssel in der Kanzleiarbeit gehemmt; er ärgerte sich grenzenlos, und in wachsender Wut beschloß er, den — Glanzkohlenmenschen auf den — Glanz herzurichten, Rache zu nehmen, auf daß ganz Kroatien sich vor Lachen krümmen werde. Der Racheschwur war leicht gesprochen; die Durchführung einer Rachetat hatte aber ihre Schwierigkeiten. Das spürte der Oberingenieur schon, als er über die Vorbereitungen zu einer „Tat“ nachsann. Eines Tages kam der schreckliche Bergverwalter wieder und quälte besonders den Oberingenieur mit Fragen nach — Neuigkeiten. Bodlak sah eine französische Zeitung auf dem Arbeitstische liegen und wollte wissen, ob so ein französisches Blatt „bessere“ Neuigkeiten berichte als die „inländischen“ Zeitungen. Unwirsch meinte der Oberingenieur, daß „viel Gescheites“ auch in dem Brüsseler Blatte nicht zu finden sei; es wäre denn die unter Vorbehalt gegebene Meldung, daß der König Leopold von Belgien die kroatischen Kohlengruben zu — kaufen beabsichtige. Nun war der Teufel los! Und Bodlak war verwandelt in einen Menschen, der sich vor Freude nicht mehr zu fassen wußte, und der nicht genug — fragen konnte. Der jubelnde Bergverwalter berichtete sofort den Zeitungen in Agram und Budapest die — erfundene Nachricht als sichere Kunde, erzählte allen Grubenbeamten von Očura davon und frohlockte, daß der belgische König in seiner „bekannten Noblesse“ aller Geldnot bei den kroatischen Kohlenmenschen durch Gehaltsaufbesserungen ein wohltätig Ende machen werde. Die Nachricht erregte nicht geringes Aufsehen und wurde namentlich in der Gegend von Varazdin geglaubt, weil sie vom Bergverwalter Bodlak von der Grube Očura ausging. Die Grubenbesitzer freilich wunderten sich, daß Bodlak mehr als sie selbst wußte. Die Bahnbauingenieure hingegen hatten viel Spaß an der wachsenden Aufregung in Beamtenkreisen, aber schwere Mühe, die maßlos gesteigerte Nachfrage Bodlaks nach Einzelheiten bezüglich der Umwandlung der Grubenverwaltung in eine „königliche belgische Bergwerksdirektion“ zu befriedigen. Im besonderen wollte Bodlak wissen, ob König Leopold ihn übernehmen und zum Direktor ernennen werde. In dieser Frage erblickte der fürchterlich überlaufene Oberingenieur die Möglichkeit und günstige Gelegenheit, an Bodlak für alle Belästigung Rache zu nehmen. Günstig war auch der Umstand, daß der Postbote von Lepoglava den Posteinlauf für die Ingenieurkanzlei und für die Grubenverwaltung in einer gemeinschaftlichen Posttasche brachte und der Bequemlichkeit wegen die Posttasche zuerst bei den Bahnbauherren zur Entnahme des Einlaufes einlieferte. Dann erst trug der Mann die Tasche drei Kilometer weiter zur Bergverwaltung bei Očura. So entstand denn nach längerer Beratung in der Ingenieurkanzlei ein Gemisch von amtlichem Dekret und privatem Schreibebrief an Herrn Bodlak. Selbstverständlich in französischer Sprache, in die der deutsch aufgesetzte Brief mühsam genug hineingepreßt wurde. Über den drolligen Text dieses köstlichen Schriftstückes heulten die Ingenieure immer wieder bei jeder Lesung. Aber das „Dekret“ mußte ein „Amtssiegel“ haben. Mit Eselsmühe wurde aus einem Alphabet von kleinen Gummibuchstaben in kleinem Rundrahmen ein „königlich belgisches Staatssiegel“ hergestellt: „Léopold Roi des Belges Propriétaire aux mine en Croatie“. Schön anzusehen war dieses „Siegel“ nicht, auf den ersten Blick als „handgreifliche“ und alberne Fälschung erkennbar. Der Oberingenieur hatte denn auch schwere Bedenken; er wurde jedoch übernimmt von den Kollegen, die ihre Köpfe darauf wetteten, daß Bodlak in seiner Glückseligkeit diesen Schwindel nicht merken werde. Also wurde dem Gemisch von „Dekret“ und Privatbrief „Leopolds von Belgien“ dieses „Siegel“ beigedruckt, das Schriftstück in einen Briefumschlag gesteckt, der Brief geschlossen, mit gebrauchten belgischen Briefmarken beklebt und eines Tages in die vom Lepoglavaner Postboten gebrachte Tasche gesteckt. Ahnungslos trug der Posterer den Einlauf zur Grubenverwaltung nach Očura. Eine Stunde später stand Bodlak aufgeregt in der Ingenieurkanzlei und bat flehentlich um — Übersetzung des Briefes, den er soeben vom — „König der Belgier“ erhalten habe. Die Ingenieure verbissen das Lachen, kämpften heldenhaft gegen den übermächtigen Lachkitzel. Der Oberingenieur sah sich in der Zerplatzungsgefahr; übersetzen konnte er den Brief nicht, nur Herrn Bodlak zur Ernennung zum „Bergrat“ gratulieren mit wenigen Worten; dann mußte der „Ober“ die Kanzlei fluchtartig verlassen. Die Kollegen hatten sich besser in der Gewalt; sie beglückwünschten Herrn Bodlak zur Auszeichnung, gaben der Hoffnung Ausdruck, daß weitere „Gnaden erweise“ des belgischen Königs und „Besitzers“ der kroatischen Glanzkohlengruben sich auch auf die Ingenieure des Bahnbaues, so Kroatien mit — Belgien verbinden werde, ergießen mögen. Nach allen Regeln der Ulkkunst foppten die Herren den glückstrahlenden „Bergrat“ und erwiesen ihm faustdicke „Ehrfurcht“, so daß Bodlak auf den verwegenen Gedanken kam, die ihm zuteil gewordene „Auszeichnung“ der Grubenverwaltungszentrale in Wien zu — telegraphieren. Daraufhin verflüchtigten sich zwei der Ingenieure unter Vorschützung heftiger Hustenanfälle. Der jüngste Kanzleiinsasse blieb tapfer, riet von jeder Telegraphiererei ab; denn es müsse vor der offiziellen Verbreitung der „Glücksnachricht“ die landesherrliche Genehmigung zur Führung des ausländischen Titels durch die Vizegespanschaft in Varazdin erwirkt worden sein. Deshalb werde der Herr „Bergrat“ gut tun, das Dekret persönlich dem Obersekretär der Vizegespanschaft zu überbringen, der das Weitere dann schon veranlagen werde. „Prozim (bitte), wie lange wird es dauern, bis die Genehmigung erteilt wird?“ fragte schluckend vor Erregung Herr Bodlak. Der Ingenieurbenjamin zog die Schultern hoch und sprach: „Acht Monate, vielleicht ein Jahr; vielleicht wird die Zustimmung überhaupt nicht erteilt!“ „Wie? Was? Überhaupt nicht? Warum?“ „Man läßt fremde Titel nicht gern herein! Belgisches nach Kroatien schon gar nicht gern!“ „Wo doch der belgische König die kroatischen Gruben gekauft hat!“ rief in wachsender Erbitterung der „Bergrat“. „Haben Sie den Kaufvertrag gesehen? Ich nicht!“ Mit kurzem Gruß verabschiedete sich Bodlak. Immer tiefer nagten Kummer und Groll in der ehrgeizerfüllten Brust. Die Sorge vor einer Verweigerung der landesherrlichen Zustimmung wuchs mit jeglichem Tage und führte zu dem Entschluß, durch Veröffentlichung des — „Dekretes“ in den Zeitungen einen — „Druck“ auf die Regierung auszuüben. Bodlak kalkulierte. Unter solchem „Druck“ wird die Unterbehörde, wenn auch widerwillig, die Angelegenheit an das Ministerium weiterleiten müssen. Im Ministerium aber sitzen „gebildetere“ höhere Beamte, die schon ihrer Bildung wegen mehr Achtung vor dem — König von Belgien haben werden.... Mit Fleiß und Geduld schrieb Bodlak sein französisches „Ernennungsdekret“ mehrere Male ab und schickte die Abschriften nebst Begleitbriefen an verschiedene Zeitungen. Die kroatischen und ungarischen Blätter druckten den Text im französischen Wortlaut ab und beglückwünschten ironisch Herrn Bodlak mit etlichen angehängten Worten zur „Auszeichnung“. Das Wort „Auszeichnung“ unter Gänsefüßchen. Das deutsche Wochenblatt veröffentlichte die „Ernennung“ in deutscher Sprache mit dem Beifügen: „Erörterung überflüssig“. Der Wortlaut entsprach genau dem vom Oberingenieur verfaßten Urtext: „Wir, Leopold, König von und zu Belgien, der Belgier und Brabanter, ernennen Sie in Anbetracht Ihrer primitiven Kenntnisse im Bergbau zu Unserem königlichen Bergrat in partibus in fidelio. Teilen Sie Uns mit, ob Sie diesen Titel in Kroatien annehmen und führen dürfen, damit Wir Ihnen das große Diplom non plus ultra senden können. Achtungsvoll Leopold II.“ Brüssel, Datum des Poststempels. Siegel. Léopold Roi des Belges Propriétaire aux mines en Croatie. Am meisten krümmten sich die Bewohner von Varazdin und Očura nebst Umgebung vor Lachen über den köstlichen Text dieser Verulkung. Das witzige „Ernennungs“-Dekret druckten schleunigst viele andere Zeitungen ab, so daß eine Anzahl anderer Leute Anlaß zur Heiterkeit hatten. Von Mund zu Mund durch Kroatien lief die Kunde. Der Ulk griff über auf Ungarn und Österreich; sehr zur Freude der Kohlenbergbaugesellschaft, der für ihre kroatischen Glanzkohlen eine riesige und dabei kostenlose Reklame gemacht wurde. Der verulkte Bergverwalter machte noch weiter von sich reden, da er beim Varazdiner Gericht — Klage wegen Beleidigung einreichte, aber nicht sagen konnte, wer bestraft werden sollte. Selbst verständlich wurde das Klagebegehren abgewiesen. Bodlak war in Kroatien unmöglich geworden. Die Zentrale erwies sich für die riesige Reklame dankbar, indem sie den Mann mit vollem Gehalt pensionierte. Worauf Bodlak verschwand. Durch Briefe aus Očura erfuhr man auch in Brüssel von der drolligen Ulkgeschichte. König Léopold hat besonders über den ihm unterschobenen Brief und das „achtungsvoll“ gelacht, war aber „verschnupft“, daß man ihm ein so — „minderwertiges“ Französisch zutraute.... Die Kohlenbahn Očura-Friedau wurde nicht gebaut; die Verfrachtung findet heutzutage auf einer anderen Strecke: Golubovec-Varazdin statt, deren vorletzte Station (vor dem Endpunkte Golubovec) das vielgenannte Očura ist. Die Gesellschaft besteht noch immer und freut sich ihres Besitzes im kohlenreichen Gebirge Kroatiens. Alte Leute schmunzeln heute noch, wenn die Rede ist von — kroatischen Glanzkohlen. Auf Forstinspektion. Nach Aufhebung der sogenannten Militärgrenze (8. August 1873) mußten die Wälder zunächst des nordwestlichen Teiles Kroatiens durch eigene Forstkommissäre der Vizegespanschaften neu „eingeschätzt“, auf ihren Wert berechnet, dabei der Forstbetrieb besichtigt werden. Eine schwere Aufgabe für den Geist, aber auch für den Körper der Forstkommissäre, die das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen wollten. Fehlte die Kenntnis der Landessprache, so war der harte Dienst noch mehr erschwert besonders bezüglich Beschaffung von Unterkunft und Verpflegung. Glücklicherweise waren damals die Waldhüter, Förster, ein Teil der Pfarrer sowie immer die israelitischen Kaufleute in den Dörfern der deutschen Sprache mächtig und gewillt, sich derselben gegenüber den oft hilflosen Forstkommissären zu bedienen. In der Absicht, das meilenweite, gutbestockte Waldgebirge von Jelenska gornja (oberer Hirschberg) „auf Forstinspektion“ zu durchwandern, stapfte der Kommissär Günter, ein Deutschösterreicher, mit leerem Ränzel und wenigen Brocken der kroatischen Sprache durch das flache Vorland. Der Schritt wurde beschleunigt, als der Beamte gewahrte, daß ihm aus den Waldbergen ein dräuendes Gewitter entgegenkam, Wolken mit allen Anzeichen auf Hagel. Wollte Herr Günter nicht vom Hagelsturm überrascht werden, mußte der Forstkommissär ein schützend Dach, Unterkunft für etliche Stunden finden. Schutz konnte im nächsten Dorfe Osekovo nur das Pfarrhaus bieten. In der elenden Gastwirtschaft war außer Slibowitz nichts zu haben, der Aufenthalt unmöglich. Die höfliche Bitte um gütige Erweisung von Gastfreundschaft erfüllte der Pfarrer, ein katholischer Kroate, sofort in aller südslavischen Liebenswürdigkeit, aber verblüffend eilig und wortkarg. Dem Gaste wurden Wein, Käse und Brot auf den Tisch im Wohnzimmer gestellt; dazu sprach der erregte Župnik (Pfarrer): „Bitte, zugreifen! Gesellschaft kann ich nicht leisten! Muß Hagel beobachten, Wetter läuten lassen!“ Und weg war er. Der Kommissär stärkte sich, trat dann an das Fenster und harrte des Losbruches des Hagelsturmes. Windpurren, heftiges Sausen in den Lüften, atembeklemmender Druck, böige Stöße; doch kein Tropfen, nicht ein Hagelkorn entfiel dem schweren Gewölk, das weiter in das Vorland trieb und etwa zwei Stunden von Osekovo niederging. Von dem Augenblick an, da für das Dorf und die Felder von Osekovo die Gefahr des Hagelschlages gewichen schien, verstummte das Gewimmer aus dem Glockenturm. In das Wohnzimmer trat der Župnik, rieb sich vergnügt die Hände, schenkte die Gläser voll und hieß den Gast willkommen im Pfarrhause. Nach der Landessitte wurden die Bilikumgläser (Willkommenswein) auf einen Schluck geleert und sogleich wieder gefüllt. Die sonst übliche Feierlichkeit der Überreichung von Salz, Brot und Hausschlüssel auf einer Tablette ließ der Župnik weg; er war zu sehr erfüllt von dem Frohgefühl, daß die Hagelwolken diesmal unschädlich über die Fluren von Osekovo hinweggegangen waren. „Gut für die Parochianen, gut für mich!“ „Sind Hochwürden mit Ökonomie ‚gesegnet!‘“ fragte der Kommissär. „Gottlob nicht! Bin jedoch an jedem gnädigen Unterbleiben von Hagelschlag finanziell interessiert!“ „Wieso?“ „Wenn es in und um Osekovo _nicht_ hagelt, das Unwetter in — _anderen_ Pfarrbezirken niedergeht, bekomme ich über den Zehent hinaus von jedem Osekovo-Bauern in Getreide die _Hagelgratifikation_! Auf deutsch: ‚Tempestasdotation‘!“ Der Pfarrer blinzelte luftig, ermunterte zum Trinken und leerte sein Glas. Der Kommissär ereiferte sich gegen Aberglauben und Unsinn. Zumal doch der Pfarrer wahrhaftig nichts dafür könne, wenn es hagelt, oder wenn die Gefahr weiterzieht. Der Župnik nickte. „_So_ hab' ich früher auch geredet, sogar einmal von der Kanzel aus gegen die unsinnige Behauptung polemisiert, daß der Pfarrer, wie dies die Bauern glauben, Hagel machen und Hagel vertreiben könne. Ich tu's nicht wieder! Kein Wort sag' ich dagegen bis an mein Lebensende!“ „Warum?“ „Nach jener Predigt kam ein Bauer, einer der Starosten (Dorfältesten) zu mir und sagte: ‚Sehr schöne Predigt, aber nicht für mich! Denn ich habe Hochwürden im Chorrock und mit Stola schon oft in den — Wolken gesehen, wie Sie den — Hagel verteilten! Kein Mensch weiß, wie der Hagel entsteht; Sie haben von der Kanzel erzählt, wie der Hagel — gemacht wird! Also nütze das Leugnen nichts, daß Sie großen Einfluß haben.‘ — Darauf habe ich, der Župnik, versucht, dem Starost diesen Irrglauben auszureden. Der Starost aber erklärte. ‚Kein Unsinn! Von den Bauern wäre es nur dann _dumm_, wenn sie einem Župnik, der den Hagel _nicht_ wegschicken kann, weiterhin die Tempestasdotation, die Hagelgratifikation in Getreide, extrig zahlen würden!‘ — Daraufhin habe ich, der schlecht bezahlte Pfarrer, die Bauern doch lieber auf ihrer für mich wohltätigen Meinung gelassen.“ „Begreifliche Unterlassungssünde! Aber doch Versündigung gegen die eigene Überzeugung!“ Der Pfarrer blinzelte und sprach: „Der Herr sind Waldschätzungskommissär! Arbeiten Sie ein Jahr auf Forstinspektion in Kroatien, dann kommen Sie wieder nach Osekovo und bringen Sie Ihre sämtlichen Sünden gegen die Überzeugung mit! Na zdravje! (Zur Gesundheit!) — Grüßen der Herr, falls Sie in Jelenska gornja nächtigen, meinen Amtsbruder, der als — , ‚Wald‘pfarrer oft Hagel hat! Der Kollege wird unter Tempestasdotation für — Hagel_versendung_, für Schutz seiner eigenen Gemeinde mitten im Wald, _nicht_ zu ‚leiden‘ haben! Haha!“ Kommissär Günter mußte einen Happen Schinken essen, noch einen Krug Wein leeren zu Ehren der kroatischen Gastfreundschaft, die immer ihr Bestes, zuweilen sogar das letzte gibt mit einer Bereitwilligkeit, die zu Herzen geht und Ablehnung ausschließt. Dann setzte Herr Günter die Wanderung fort. Spät erreichte er das Walddorf Jelenska gornja, wo der Kommissär erst recht auf die Gastfreundschaft des Pfarrers wegen der Nächtigung angewiesen war. Eiskörner auf dem Weg und auf den wenigen Feldern brachten das Gespräch mit dem Župnik von Osekovo sofort in lebhafte Erinnerung. Und schwer fiel die Bitte um Aufnahme ins Pfarrhaus für die Nacht. Doch der Pfarrer von Jelenska gornja ließ von Verdruß oder übler Laune nichts merken, hieß den Gast herzlich willkommen und reichte das Bilikum mit aller feierlichen Umständlichkeit und einer Ansprache, die in der Bitte ausklang, oft und zu jeder beliebigen Stunde bei Tag oder Nacht einzukehren in dem Hause, das von diesem Augenblick an Eigentum des Gastes sei. Was das Haus, das einsame Dorf im weiten Forst bieten konnte, wurde freudig gegeben. Fröhlich war die Unterhaltung bei erstaunlich gutem Wein. Vom Hagelschlag wurde kein Wort gesprochen, hingegen von der Notwendigkeit ausreichender Versorgung mit Lebensmitteln, da auf viele Meilen ringsum nichts zu haben sei.... Mit Sitte und Brauch in katholischen Pfarrhäusern vertraut, wollte der Forstkommissär frühmorgens der vom Pfarrer zelebrierten Messe im Kirchlein beiwohnen und dadurch den Hausherrn gebührend ehren. Vergebens wartete Günter in seiner Stube auf das „Zusammenläuten“ aller Glocken als Zeichen für den Beginn des Gottesdienstes. Die Glocken blieben stumm. Um etliche Minuten verspätet kam der Beamte in die Kirche. Hinterdrein beim Frühstück im Pfarrhause fragte Günter, warum das allerorten übliche „Zusammenläuten“ unterblieben sei. Der Župnik lachte. „Strickmangel!“ „Was? Keine Stricke an den Glocken? Warum?“ „_Abgerissen_ von den erbosten Bauern!“ „Abgerissen? Weshalb denn?“ „Weil der Župnik den _Hagel nicht rechtzeitig_ nach Osekovo hinausdirigiert hat!“ „O weh! Dann ist's heuer mit der — Tempestasdotation nichts!“ „Stimmt! — Keine Sorge, Herr Forstkommissär! Ihr Ränzel wird deshalb doch mit Proviant gefüllt!“ So war es auch. Reichlich versorgt trat Günter seinen Marsch an. Und an einer vereinbarten Stelle, weit vom Dorfe entfernt, traf er mit dem dorthin bestellten Waldhüter zusammen, so daß der mühereiche Dienst begonnen werden konnte. Tagsüber Arbeit für Kopf und Füße, Nächtigung in einer Rindenhütte. Wie wohl tat da die Atzung als Spende des Waldpfarrers, der des Hagelschlages wegen bei seinen erbitterten Bauern in — Ungnade gefallen war! Schmunzeln mußte der Beamte, so er der bäuerlichen — Rachetat gedachte: die Agrikel rissen die Stränge ab, weil die Glocken „unter Führung des Župniks“ den — Hagel nicht verjagt hatten.... Der Dienst führte den Kommissär Günter auch in das — „griechische Waldmeer“. So wurde ein Forst in der Ausdehnung von über 30000 Joch (rund 12900 ha) aus dem Grunde in Fachkreisen benannt, weil er von Kroaten griechisch-orthodoxer Religion in geringer Zahl besiedelt war. Wer von der Beamtenschaft erstmals eine Kommissionsreise in dieses Gebiet, „Gorievica“ (Gorievitza) genannt, unternehmen mußte, erhielt von den gewitzigten Kollegen stets ein Bündel von Ratschlägen und Warnungen in einer Form, die an dicke Übertreibungen gemahnte und zum Lachen reizte. So besagte eine Schilderung aus dem Munde eines alten Forstbeamten. Im „griechischen Waldmeer“ wohnen die faulsten Menschen Europas, das Walddorf Jesenaš hat zwar einen Popen, doch das Beten lehrt die „Griechen“ der — jüdische Krämer, der ihre Steuern bezahlt, für alles sorgt, was die Dörfler zum Leben brauchen; der die ständig drohende Hungersnot verhindert, der, kurz gesagt, der „Herrgott“ von Jesenaš ist und dies mit Zustimmung des — Popen. Zu dieser „handgreiflichen“ Übertreibung lachte Forstkommissär Günter, daß ihm das Wasser aus den Augen tropfte, und nicht ein Wort davon glaubte er. Vor Beginn der Dienstreise wurde der Oberwaldhüter Kuster in Samarica (Samaritza), einem Dorfe am Fuße des gebirgigen Waldmeeres, vom Eintreffen des Kommissärs benachrichtigt und beauftragt, alles Weitere zur Verständigung von Förstern, Waldhütern und wegen Unterkunft in den Walddörfern zu veranlassen. Im Wagen verließ Forstkommissär Günter seinen Wohnort (Sitz der Vizegespanschaft), fuhr einen Tag lang, bis der Rosselenker erklärte, auf der schlechten Straße nicht weiterfahren zu können. Auf dem Rücken eines Bauernpferdes, ohne Sattel, wurde die Dienstreise fortgesetzt, bis der Besitzer des Gauls versicherte, er sei nun müde genug. Zu Fuß „reiste“ der Beamte weiter und erreichte abends das ziemlich große Dorf Samarica. Die aufgestellten „Ausspekulierer“ (jugendliche Späheposten) meldeten die Ankunft rechtzeitig, so daß der einsame, krachmüde Wanderer mit — Glockengeläute begrüßt wurde. Ob dieses seltsamen Empfanges höchlich erstaunt, fragte Günter den alten Waldhüter Kuster, wie denn ein Forstbeamter dazu komme, mit — Glockengeläute begrüßt zu werden. Glockenklang gebühre doch dem einziehenden Bischof oder Archimandriten. Kuster schüttelte das graue Haupt. „O, Gospodin! Der Archimandrit kommt nie nach Samarica, ein Herr von der Gespanschaft in fünfzig Jahren einmal, ein Forstbeamter sehr selten! Also ist die Ankunft Euer Hochwohlgeboren ein großes Fest, das gebührend gefeiert werden muß! Gott segne Ihren Einzug in Samarica und in meine hochbeglückte Hütte!“ In Günter stieg etwas wie eine Ahnung auf, daß die Schilderungen der Kollegen vielleicht doch nicht so arg — übertrieben sein könnten. Der Kommissär mußte im Hause des Oberwaldhüters wohnen; die Unterkunft war nicht schlecht. Als Atzung in der Stube zu ebener Erde, wo Günter, von Kuster bedient, allein speisen mußte, gab es gebratenen Buran (Puter) in einem wahrhaft riesigen Exemplar, bei dessen Anblick der Kommissär die Hände zusammenschlug und dann dem Hausherrn Vorwürfe wegen solcher Auslagen machte. Kuster verneigte sich ehrerbietig und beteuerte, auf „seine Rechnung“ schon zu kommen. Der Buran aber sei unbedingt nötig; erstens, damit der gnädige Herr unter allen Umständen satt werde; zweitens, weil der Buran morgen ein — Bošpor[9] sein müsse. Auf eine nähere Schilderung ließ sich der Hauswirt nicht ein, widmete vielmehr alle seine Aufmerksamkeit den Vorbereitungen zum Bilikum. Salz, Brot und ein ganzer Schlüsselbund lagen bereits auf einer Kupferplatte; dann wurde ein Glaspokal gefüllt, der mindestens eine — Kaisermaß (etwa anderthalb Liter) fassen mochte. Während des Essens schielte der Kommissär in wachsender Angst nach diesem „Becherchen“, das nach südslavischem Brauch vom Gaste auf einen Zug bis zum letzten Tropfen geleert werden mußte. Nach Beendigung dieser Vorbereitungen zum Bilikum stellte sich der Alte wieder demütig hinter den Stuhl des Gastes, bat um das Zugreifen, reichte auch die Schüsseln wieder, bot Dunstobst und Salat an, der im dunkelgrünen Öl der Sonnblumenkerne schwamm. „Wollen Euer Gnaden sich geneigtest versorgen! Wir haben nur diesen Buran und sonst nichts für die Nacht! Der Waldhüter ist nicht der Bischof von Djakovar!“ Zur Ablenkung suchte Günter ein forstliches Gespräch in Gang zu bringen. Auch war ihm lästig, daß der Alte stets demütig hinter dem Stuhle stand und Lakaiendienst versah. „Bitte gehorsamst! Zu Dienstgesprächen geben die nächsten drei Wochen auf der Gorievica reichlich Gelegenheit! Heut' ist Festtag für meine Hütte!“ „Was? Drei Wochen?“ Den Forstkommissär hatte der Schrecken herumgerissen. „Drei Wochen Walddienst ohne Unterkunft? Darauf bin ich nicht vorbereitet! Für Biwakieren nicht im geringsten ausgerüstet! Irren Sie sich denn nicht, Kuster?“ Bescheiden klang die Erwiderung. „Bei der Aufforstung des vorderen Teiles der Gorievica hab' ich als Lehrling mitgeholfen; jetzt bin ich siebzig Jahre alt, Euer Hochwohlgeboren untertänigst zu dienen! Bitt' ich gehorsamst: noch ein Stückchen! Vielleicht von der Grlina (Hals), wo ist schön fett und wird machen morgen leichtes Steigen! Ein Schluck Slibowitz dazu, schmeckt sehr gut!“ Günter konnte nicht mehr essen; er war satt zum Platzen. Nun bat der Hauswirt, dem hohen Gaste das Bilikum reichen zu dürfen. Während etliche Wachskerzen angezündet wurden, traten zwei Waldhüter in die Stube, verneigten sich vor dem Kommissär, meldeten sich aber nicht, stellten sich am unteren Ende des Tisches auf und standen militärisch stramm. Kuster hielt eine feierliche Willkommrede und reichte dem Gast die Platte. Der Forstkommissär dankte, ergriff den schweren Pokal und begann zu schlucken. In diesem Augenblick erklangen die kleinen Glocken der Kapelle neben dem Waldwärterhause. Dieses Signal wurde von den großen Glocken der Kirche in Samarica übernommen, so daß feierliches Geläute der Bevölkerung ankündigte, daß der zu Besuch erschienene Forstkommissär soeben beim Oberwaldwärter Kuster das Bilikum trinke. Keinen Ton davon hörte Günter, der mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Unmenge Wein kämpfte, die hinuntergegossen werden mußte. Mit zwei winzigen Unterbrechungen zum Atemholen gelang es, den Pokal zu leeren. Auf die Nagelprobe des letzten Tropfens ließ es der Kommissär freilich nicht ankommen. Dank und Händedruck. Mit einem Blick auf die beiden stramm stehenden Waldwärter am Tischende meinte der Kommissär. „Wohl unsere Begleiter?“ „Gehorsamst zu dienen, Gospodin, _nein_! _Heute_ sind die beiden die Stolfunktionäre!“ „Was sind sie?“ „Stolfunktionäre, Stol ist gleich Tisch! Zu Ehren des hohen Gastes bin ich der untertänigste stolaravnatelj das ist der Tischdirektor oder Rektor; der kleine Tune, der Anton, ist der fiskus mein Stellvertreter; hingegen der große schwarze Gliša (Gregor) wird sein beschäftigungslos in seinem Tischamt! Gehorsamst aufzuwarten!“ Zunächst erkannte der Kommissär die Notwendigkeit, einen Trinkspruch auf den Hausherrn auszubringen. Große Freude darüber, die auch nach — außen hin kundgegeben wurde, indem der jüngste Sohn des Hausherrn abermals die Glocken der Kapelle erklingen ließ. Dann bat der „Fiskus“ um die hohe Ehre, ein Glas auf das Wohl des Herrn Forstkommissärs leeren zu dürfen. Gläserklingen, Glockenhall hinaus in die stille Nacht. Günter wollte nun den andern Waldwärter ermuntern, sich mit einem Glase Wein an der Tafelfreude zu beteiligen. Doch erschreckt, wiewohl geehrt und freudeglänzend, wehrte Gliša ab mit den Worten. „Nicht möglich!“ „Warum? Ist Er denn abstinent oder Türke, der Wein nicht trinken darf?“ Dem befragten Waldwärter rutschte die Wahrheit heraus, die nicht gesagt werden sollte „Jesam vunbačitelj!“[10] Im Antlitz Kusters spiegelten sich Angst und Zorn; die Blicke kündeten Rache. Um wenigstens für den Augenblick lästiger Fragerei zu entrinnen, holte Kuster „besseren“ Wein. Die zwei anderen, dienstlich stramm am Tische stehenden „Funktionäre“ begriffen die Situation völlig und verstanden jetzt nicht mehr — Deutsch. Forstkommissär Günter hatte vom Bilikum her zuviel Wein im Leibe, der ungewohnte Alkohol wirkte, machte eigensinnig und hartnäckig; justament wollte der Oberbeamte die wahrheitsgetreue Übersetzung des Wortes haben, das den Hausherrn offensichtlich in Verlegenheit und Zorn gebracht hatte und das zweifellos dem Gaste verheimlicht werden sollte. Dem zurückgekehrten Kuster wurde scharf zugesetzt. Doch den Kroaten war der Kommissär weder mit der Mundfertigkeit noch mit der Trinkfähigkeit gewachsen. Günter hatte schließlich den — Zungenschlag, die Übersetzung aber nicht. Und den „Kampf“ mußte er aufgeben, sein Zimmer aufsuchen.... Das „Katergericht“, der „Bošpor“, wartete vergebens auf den Gast. Günter hatte seinen Willen durchgesetzt, trotz aller „Verkaterung“ frühmorgens den Dienstmarsch angetreten. Kuster mußte mit, das Sträuben und Zureden nützte nichts. Wie sich alle „Pressiererei“ auf Erden rächt, so blieb auch der überstürzte Abmarsch von Samarica nicht ohne Folgen, indem Kuster der Eile wegen mit — _leerer_ Torba (Tragsack) die Führung übernahm, der Kommissär etliche Stunden später schwer unter Hunger und Durst litt und obendrein keinen Wunsch, keine Klage äußern durfte. Die Waldhüter aus Samarica kamen nach, selbstverständlich mit leeren Händen; etliche Förster stießen zu; die Dienstgeschäfte der Waldeinschätzung begannen und währten bis zum späten Abend. Als pflichteifriger Beamter vergaß Günter während der Dienstausübung auf alle Bedürfnisse. Aber als die Notizbücher, Rechenbehelfe und Instrumente verstaut waren, Dämmerung den weiten Forst erfüllte, fragte der Kommissär doch nach Unterkunft und Atzung. Wenig erbaulich, doch gelassen klang die Auskunft Kusters, daß nach etwa zwei Marschstunden das mitten im Wald gelegene Dorf Jesenaš zu erreichen sei. „Mit Gasthaus?“ „Nein!“ „Kann man nächtigen?“ „Ja!“ „Bei wem?“ „Beim ‚jüdischen Herrgott‘!“ Kleinlaut sprach Kommissär Günter. „Gehen wir!“ Nie im Leben hatte er sich bisher so wehrlos und in den Händen fremder Leute gefühlt als jetzt. Und bruchstückweise kamen die von den alten Forstbeamten erteilten Ratschläge und Wahrnehmungen in fatale Erinnerung, so daß Günter auf dem nächtlichen Marsche wegen Verpflegung usw. auch noch kleinmütig wurde. Schon aus Gründen der Autorität wollte er nicht weiter fragen. Ärgerlich genug war es, daß die Fragen so locker auf der vertrockneten Zunge saßen und gewaltsam hinuntergewürgt werden mußten. Endlich, eine Stunde vor Mitternacht, wurde das verwahrloste Walddorf Jesenaš erreicht. Die Totenruhe unterbrochen von Hundegebell. Die Waldhüter klopften den „jüdischen Herrgott“ mit einer Selbstverständlichkeit aus dem Schlafe, die den Kommissär aufs höchste verblüffte. Und einer der Förster machte dem erschreckten Dorfkrämer in kaum verständlichem Deutsch klar, daß sofort für acht Personen Pfannenschnitzel mit Erdäpfel, große Portionen, zubereitet, Nachtquartier beschafft, für den gnädigen Herrn Forstkommissär ein eigenes Zimmer mit frischüberzogenem Bett und ohne Wanzen hergerichtet werden müssen. Augenblicklich aber Wein, Käse und Brot. „Brzo, brzo, napried!“ (Schnell, schnell, vorwärts!) Erst in kroatisch-serbischer, dann in deutscher Sprache sicherte der ältliche Dorfkrämer sofortige Erfüllung der Befehle mit höflicher Dienstwilligkeit zu. Weckte Hilfskräfte, machte Licht in der Zechstube hinter dem Kaufladen, öffnete die Haustüre und hieß den gnädigen Herrn Forstkommissär mit untertäniger Ansprache willkommen im freilich unvorbereiteten Hause, weshalb um Nachsicht gebeten wurde. Alles gesprochen nun mit der Ruhe der Selbstverständlichkeit, gepaart mit Hochschätzung des Gastes. Kaum waren in der Zechstube die Gäste mit Wein und Brot nebst Käse versorgt, verschwand der „Herrgott“. Verhältnismäßig sauber gehalten die „Stube“, der Wein nicht schwer, doch überraschend gut. Kommissär Günter staunte über den Empfang, besonders über die Gelassenheit des Krämers und Wirtes. Oberwaldhüter Kuster hatte allen Ärger verwunden und gab nun Auskunft, daß der „Jude von Jesenaš“ an Einquartierung von Forstleuten gewöhnt, sein Haus auf Meilen in der Runde die einzig mögliche Unterkunft sei. „Der _größte Gauner_ von Kroatien, aber ein _anständiger Mensch_!“ Die Förster sowie die Waldhüter stimmten bei. An dem Ausspruch Kusters kaute der Forstkommissär, bis der Krämer mit weißer Schürze vor dem Kaftan zunächst für den Forstoberbeamten das Essen brachte: eine riesige Portion „Naturschnitzel“ von Rind, mit fettriefenden Schmorkartoffeln hochgegupft auf einem zweiten Teller. Dieser Anblick machte den ausgehungerten Kommissär sprachlos. Das Staunen wuchs, als die übrigen Gäste gleichgroße Portionen erhielten. Die Frage, wie hoch im Preise solche Mengen üppiger Nahrung in weltentlegener Waldeinsamkeit bei wahrscheinlich enormen Bringungskosten stehen werden, sprach Günter nicht aus, machte sich aber auf eine „gepfefferte“ Rechnung um so mehr gefaßt, als der Wirt doch vielverschrien war. Auch mit dem Zimmer konnte Günter zufrieden sein. Der Dienst schuf die Tagesordnung: Morgens Frühstück im Krämerhause, spätabends die Atzung. Acht Tage hindurch. Und jeden Abend in erstaunlichen riesenhaften Portionen Rindschnitzel mit gerösteten Erdäpfeln. Abwechslung unmöglich. Wegen dieser „Eintönigkeit“ in der Verpflegung fragte Günter den Adlatus im Walddienst nach der Ursache. „Was wir essen, stammt von — _Notschlachtung_!“ erwiderte untertänig, doch listig blinzelnd der alte Oberwaldhüter Kuster. „_Not — schlach — tung_?!“ Sehr gedehnt und in drei Teilen kam dieses Wort aus Günters Munde. „Zu dienen, Gospodin! _Notschlachtung_! Aber das Rind war ganz gesund!“ „Wie? Was? Notschlachtung erfolgt doch nur, wenn ein Stück Vieh Beinbruch erlitt oder Lebensgefahr vorhanden war! Um vom Fleisch noch etwas zu retten, wird — Notschlachtung vorgenommen! In — Europa!“ „In Österreich, Euer Hochwohlgeboren zu dienen! In _Kroatien_, wenigstens in unseren Waldbezirken, wird Vieh aus — _anderer_ Not geschlachtet.“ „Welche — Not kann das sein?“ „Die — _Not_ entsteht durch den _Eigentümer_ des Viehstückes oder durch die _Gendarmen...._“ Günter starrte den alten Waldhüter mit weitaufgerissenen Augen und offenstehendem Mund an. „So ist es, Gospodin! Euer Hochwohlgeboren werden leicht und rasch verstehen, wenn ich sage: Die durch Verrat heraufbeschworene Entdeckungsgefahr zwingt zur — Notschlachtung im Wald. Suchen der Viehbesitzer, dem ein Stück abhanden kam, oder die von Verrätern verständigten Gendarmen nach dem angeblich gestohlenen Rind oder nach der verschwundenen Kuh, _so muß das Stück sofort im Walde geschlachtet, müssen die größeren und besseren Teile in größter Eile — verschleppt werden!_ — Das _Stück_ ist immer — _gesund_! Was — Notschlachtung ist, wissen jetzt Herr Kommissär.“ „Ja, danke für die interessante Aufklärung. Können Sie sagen, wie man _hierzulande ein Stück Vieh — stiehlt_?“ „Aus eigener Praxis nicht, gnädiger Herr! Aber wie andere Leute sich ein Stück Vieh ‚verschaffen‘, das kann man überall hören; es ist das kein Geheimnis. Auch die Gendarmen wissen alles, kommen jedoch immer zu spät, das heißt, wenn die Notschlachtung schon vorüber, das zerteilte Stück bereits verschwunden ist. — Auf _normale_ Weise wird ein Stück Vieh, meist Kuh, mit Hilfe eines _erschwindelten_ Viehpasses gestohlen. Zunächst ist das Wichtigste, von dem Viehstück die Farbe oder besondere Kennzeichen ‚auszuspekulieren‘; je gewöhnlicher und regelmäßiger Farbe und sonstiges Aussehen sind, desto leichter gelingt die Sache. Weiß man über das Aussehen genau Bescheid, so geht man auf den Viehmarkt, sucht ein möglichst ähnliches Stück und läßt sich in Kaufunterhandlung ein. Man leistet eine Anzahlung von zwei bis drei Gulden, die sogenannte ‚Likova‘[11], borgt vom Verkäufer den amtlich gestempelten ‚Viehpaß‘ aus, der die Beschreibung des Viehstückes und die Verkaufserlaubnis enthält, und bittet den Viehbesitzer um etwas Geduld, da man auf dem Markt noch etliche Stück Vieh ansehen und kaufen wolle. Hat der Viehbesitzer noch keine schlimmen Erfahrungen gemacht, so gibt er den ‚Paß‘ her und sieht ihn im Leben nicht wieder. Mit dem ‚Paß‘ verschwindet ‚man‘, und jetzt erst wird der Diebstahl eingeleitet. Der ‚Paß‘ hat nur den Zweck, den ‚Besitz‘ des _gestohlenen_ Viehstückes auszuweisen, wenn man dieses auf dem nächsten Viehmarkt _verkaufen_, also Bargeld erzielen will. Mißlingt die Verbringung des gestohlenen Viehstückes zum Markt, tritt Verfolgungsgefahr ein, kommen die Gendarmen dazwischen, so erfolgt die erwähnte _Notschlachtung_, damit von dem gestohlenen Viehstück gerettet werde, was in der Eile geborgen werden kann....“ Der Forstkommissär lachte. „Wer mag wohl den schlauen Trick ersonnen haben? Den Bauern ist er nicht zuzutrauen!“ In seiner demütigen Weise sprach Kuster: „Sehr richtig geurteilt, gnädiger Herr! Alle Intelligenz stammt von unserem — Hauswirt! Er ersann den Trick, damit die Waldgriechen und natürlich er selbst öfter zu — Fleisch kommen. Für die Ausführung seiner Pläne haben die Waldgriechen alle Schlauheit; sie werden fast nie erwischt, und da sie sonst sehr faul sind, die mühsame und gefährliche Verbringung gestohlenen Viehes zu Markt scheuen, frisches Fleisch lieben, so erfolgt auf einen Viehdiebstahl sehr oft, fast regelmäßig die Notschlachtung.“ „Ja, wenn das alles die Gendarmen wissen, warum erfolgt denn beim — Krämer keine Haussuchung? Das Vorhandensein größeren Fleischvorrates beim Dorfkrämer mitten im Forst ist doch stets verdächtig, Nachweis über rechtschaffenen Erwerb unmöglich! Warum wird nicht nachgesucht?“ „Halten zu Gnaden, Herr Kommissär? Würden die Gendarmen bei unserem Hauswirt nur ein einziges Mal nach unrechtmäßigem Fleischbesitz — schnüffeln, so bekommen sie zeitlebens in Jesenaš — _nichts mehr zu essen_! Der Hunger tut aber auch den Gendarmen weh im großen Forst, wo auf Meilen im Umkreise nichts, gar nichts zu haben ist....“ „Na, schön! Und die Waldhüter und die Förster?“ „Sie müssen aus gleichen Gründen schweigen und zum schlauen Krämer halten, der für alle und für alles sorgt. Er ist ein ‚_anständiger Gauner_‘, denn er nimmt von uns sehr wenig Geld. Er ist unser — _Wohltäter_! Er ist auch der Wohltäter der Gendarmen, überhaupt der gesamten Bevölkerung auf der ganzen Gorievica. Das ‚_Glück_‘ im Waldmeer ist er, denn er sorgt für alle und für alles!“ „Was sagen denn die Behörden zu diesem — Skandal?“ „Euer Hochwohlgeboren wollen gnädigst bedenken: das Fiskalat hat keine Ursache, sich dreinzumischen, denn der Krämer von Jesenaš bezahlt für die Bevölkerung der Gorievica gewissenhaft die — _Steuern_!“ „Die Gespanschaft...“ „... bekommt Gendarmenberichte, die zu den Akten genommen werden. Da in den wenigen Walddörfern Gendarmen nicht stationiert sind, nicht untergebracht werden können, haben Inspektoren in den Walddörfern nichts zu tun.“ „Aber die Popen?“ „Sind sehr dankbar, wenn sie für wenig Geld viel frisches Fleisch bekommen, außerhalb der langen Fastenzeit der Griechen! Es ist schön und ehrenwert, daß die Griechen die Abstinenz genau einhalten, vierzig Tage hungern, nur am Abend etwas von den getrockneten Fischen essen, die der Krämer bündelweise aus Ungarn bezieht und auf — Pump verabreicht! Abrechnung erfolgt später: Fleisch für Fische!“ „Zum Kuckuck! Es gibt doch Gerichte auch in Kroatien!“ Kuster verbeugte sich und sprach demütig. „Gnädiger Herr! Wo kein Kläger, ist auch kein Richter! Vor Jahren weilte ein Untersuchungsrichter auf Grund einer Gendarmerieanzeige in Jesenaš: die Kommission zog schon am zweiten Tage erfolglos und arg hungrig ab; der Krämer hatte _nichts Eßbares_ im Hause. Sogar der Richter hatte _vergeblich_ in Keller und Speicher gesucht!“ Darauf verstummte Kommissär Günther. Seine Neugierde richtete sich auf die — Rechnung. Der „Herrgott“ von Jesenaš weigerte sich, einen geschriebenen Beleg zu geben. Untertänig erklärte er, daß der gnädige Herr Forstkommissär achtmal für Wohnung samt Bedienung und Licht, für Frühstück (Kaffee mit Milch, Brot, Honig und Eiern) sowie für das Abendessen (Fleisch mit Kartoffeln) zusammen täglich — _dreißig Kreuzer_[12] zu zahlen habe. Für _Wein_ täglich _zwölf_ Kreuzer „extra“.... Kommissär Günter traute seinen Ohren nicht und riß vor Staunen weit die Augen auf. Erschreckt, das Staunen irrig deutend, bat der Krämer unter Verbeugungen um Verzeihung, verwünschte seine Gedächtnisschwäche, die ihm einen üblen Streich gespielt, und feierlich erklärte er, daß der Tagespreis ohne Wein — _zwanzig_ Kreuzer betrage!!! Am Wein hingegen könne er beim besten Willen nichts nachlassen, da nur der Selbstkostenpreis berechnet worden sei. Mit Mühe setzte Günter dem achtenswerten Krämer auseinander, daß der Preis von täglich dreißig Kreuzern wahrhaftig nicht als zu hoch erachtet würde. Der Kommissär wollte diesen Betrag bezahlen, aber der Hauswirt verweigerte die Annahme des Betrages über den Pensionspreis von zwanzig Kreuzern hinaus. Ebenso lehnten die Dienstboten die Annahme irgendeiner Belohnung ab. Die Förster hatten fünfzehn Kreuzer täglich zu zahlen, die Waldhüter nichts.... Auf dem Rückmarsch hatte Forstkommissär Günter ein sonderbares Summen im Ohr; immer klangen gedämpft die Worte. „Größter Gauner, anständiger Mensch!“ über den Widerspruch ärgerte sich Günter schändlich. Und einen Seelenkampf kostete es, schlüssig zu werden über die Frage, ob, wie alle anderen Menschen, die in Jesenaš zu tun hatten und haben werden, auch Forstkommissär Günter die Tatsachen hinnehmen und sich nicht weiter den Kopfzerbrechen solle.... Der Seelenkampf war entschieden, als Günter seinen Dienstwohnsitz erreichte. Entschieden mit dem Satze. „Ich bin Forstmann in Kroatien und nicht — Kaminfeger! Denn nur der ‚Schwarze‘ kratzt, was ihn nicht beißt!“ Im übrigen ahmte er das Beispiel der alten Amtskollegen nach, gab die gleiche Schilderung von den Verhältnissen auf der Gorievica und ließ sich von Ungläubigen ins Gesicht lachen. Solange Günter — Jahre hindurch — auf kroatischem Boden weilte, wich er jeder Erörterung des Themas. „Größter Gauner und doch ein anständiger Mensch“ aus. Günter wollte über den Krämer von Jesenaš keine Witzeleien hören; der Mann hatte während eines zweiten Aufenthaltes (Schätzungsnachprüfung) seine Achtung erzwungen, indem der Hebräer — es fehlte an Fleisch — vom kleinen Mehlvorrat das — letzte Pfund Mehl willig hergab, um den hilf- und nahrungslosen Beamten zu versorgen, solange es eben möglich war.... Fußnoten: [9] Im Kroatischen hat das Wort „Bošpor“ die Bedeutung „übriggebliebener Buran“; im Slowenischen heißt das gleiche Wort soviel wie Knoblauchrübe. Mit solchen Rübchen gedämpft, mit Essig gesäuert und gedünstet, gilt in Kroatien auch heute noch der „übriggebliebene Buran“ als Morgenspeise, die nach feuchtfröhlicher schwerer Nachtsitzung den „Kater“ und alles „Haarweh“ totsicher vertreibt. Von der Rübensorte ging der Name auf den Buran über. D.V. [10] Jesam = ich bin, vunbačitelj = Hinauswerfer! — Hauptsächlich im Zagorje (Westprovinz von Kroatien) besteht der Brauch, daß drei Personen als Stolaren fungieren, besonders bei Gastmählern zur Brautschau: der Tischdirektor, sein Vertreter und der — Hinauswerfer.... Zur Ehrung eines Gastes müssen die drei Stolaren anwesend sein, doch wird der vunbačitelj in seiner „amtlichen“ Eigenschaft nicht — vorgestellt. D.V. [11] Likova in der Bedeutung: vorläufige Abrechnung, Anzahlung; das slavische Wort bedeutet auch: Ausgleichung, offizielle Bilanz über gegenseitige Dienstleistung auf Grund eines Vertrages. Der tüchtigste Slavist der Gegenwart, Oberstleutnant _Žunkovič_, verweist auf das deutsche Wort „_Leihkauf_“, das ein mißverstandener Begriff und aus dem slavischen Worte entstanden ist. Tatsächlich hat „Leihkauf“, „etwas zum Leihen kaufen“, keinen Sinn. [12] österreichische Währung bis 1885. In diesem Jahre wurde die neue Kronenwährung (zwei Kronen gleich dem alten Gulden) eingeführt und in ganz Österreich und Ungarn längere Zeit hindurch — nicht beachtet.... Feuerstein und Schwefelfaden In folge des Schönbrunner Friedens vom 14. Oktober 1809 war der westliche Teil von Kroatien („Illyrisch-Kroatien“) französisch geworden. Vier Jahre hindurch mußten die an ganz andere Verhältnisse gewöhnten „okkupierten“ Kroaten die französische Herrschaft und Verwaltungskunst ertragen; sie durften wohl seufzen, die Faust aber nur im Sack machen. Es gab jedoch auch Lichtseiten, indem in manche Dinge von den Franzosen Ordnung gebracht wurde, die Besatzungstruppen sich im großen und ganzen anständig benahmen. Für die Heiterkeit der Kroaten sorgte die französische — Duellwut, die den Kroaten etwas ganz Neues und Urkomisches war und Orgien feiern konnte, da der kroatische Wein gut, spottbillig und zur Aufstachelung der Zweikampfslust nachtsüber sehr geeignet war. Weniger komisch wurde die vom Marschall Marmont auferlegte und sehr tatkräftig eingehobene Zwangsanleihe befunden. Solchen Aderlaß bekam der kroatische Adel empfindlich zu spüren, weshalb just in Gutsbesitzerkreisen die früher üblich gewesene Liebäugelei in das Gegenteil umschlug, als man die verhimmelten Franzosen als Herren im Lande hatte. Neu war den Kroaten auch der Zwang, vor der kirchlichen Trauung die staatliche Zivilehe auf dem französischen Standesamte zu schließen. Den farbenfreudigen Südslaven gefiel die Trikolore Frankreichs als Amtsschärpe der Bürgermeister, da selbe die Farben Kroatiens, freilich in anderer Zusammenstellung, aufwies. Der Klerus, der französischen Herrschaft durchaus abgeneigt, unterließ wohl aus Gründen der Klugheit den Widerstand gegen die aufgenötigte Zivilehe. Es war überhaupt nichts zu wollen, gegen die Zwingwirtschaft nicht aufzukommen; bis auf ganz kleine Kreise, die mehr oder weniger notgedrungen den Verkehr mit Militär und Beamtenschaft unterhielten, blieben Adel und Geistlichkeit abseits, fügten sich knirschend ins Unvermeidliche, erfuhren von Reibungen nicht viel, da es dazumal keine Zeitungen im Lande gab, der Postverkehr sehr dürftig eingerichtet war, das Briefschreiben nicht zu den Gepflogenheiten des kroatischen Adels gehörte. So wußte man in „Illyrisch-Kroatien“ kein Wort von der Völkerschlacht bei Leipzig, nichts von sonstigen Ereignissen. Eines Tages früh morgens war in Französisch-Kroatien _kein französischer Soldat mehr zu sehen_: alles in nächtlicher Stille plötzlich abgezogen. Darob großes Erstaunen, Verwunderung. Bevor das Volk aber die Nachricht vom Abzug der „Okkupations“truppen erfuhr, und ehe der Adel sich darüber richtig freuen konnte, wurde amtlich verkündet, daß _Kroatien_ nunmehr unter der _„väterlichen“ Regierung Österreichs_ stehe. Die Schilderungen der Stimmung in Kroatien wegen dieser Ereignisse gehen weit auseinander, je nachdem der Autor Österreicher, Franzose, Ungar oder Kroat gewesen. Sehr plastisch weiß Dr. von Tkalac (Weber) in seinen „Jugenderinnerungen aus Kroatien“ zu erzählen; aber ganz zuverlässig ist dieser vornehme Kroate nicht wegen seiner leidenschaftlichen Parteinahme für den „Westen“, und überdies war er zu jener Zeit noch nicht geboren, kannte die Verhältnisse nur aus den Mitteilungen seines Vaters, der wegen des finanziellen Aderlasses ein grimmiger Franzosenhasser war. Daß das von den Franzosen endlich befreite Volk seinen Bedrückern „grollte“ nur deshalb, weil die Besatzungstruppen ohne „klingend Spiel“ bei Nacht und Nebel abgezogen waren, glaubt dem Herrn von Tkalac wohl der stärkste Mann von Europa nicht. Er erzählt auch, daß die „grollenden“ Bewohner von Karlstadt nach dem Abzug die französischen Adler von den Amtsgebäuden herabrissen, und daß die Leute in die Freimaurerloge eindrangen und dort alles kurz und klein schlugen, die Trümmer aus den Fenstern warfen und auf dem Platze verbrannten. Der Bürgermeister, zugleich „Meister vom Stuhl“, habe Widerstand nicht gewagt, weil er wußte, daß die österreichische Regierung die Freimauerei nicht dulden würde. Österreich regierte „väterlich“ absolutistisch auch in Kroatien, wo man an die ungarische Gesetzgebung und Verwaltung schlecht und recht gewohnt war. Kein Wunder, daß den Kroaten gewisse „väterlich-österreichische“ „Spezialitäten“, wie Stempel- und Registrierungstaxen, Tabak- und Salzmonopol usw., nicht gefielen. Auch die Nichtwiedergewährung der Selbständigkeit der Gemeindeverwaltung nach ungarischen Muster („Autonomie der Munizipien“ genannt) paßte den an ungarische Freiheiten und Lässigkeiten gewöhnten Kroaten nicht. Der Wiener Bureaukratenzopf wurde als sehr lästig empfunden. Wegen rücksichtsloser Steuereintreibung ballte das gequälte Volk die Fäuste. Dr. Tkalac erzählt, daß ein nach Karlstadt, dem Hauptsitz der vielen Behörden, gekommener Bauer beim Anblick eines Amtsschildes mit dem österreichischen Doppeladler ausrief. „Der französische Adler hatte nur _einen_ Schnabel, wieviel wird nun diese Bestie mit _zwei_ Schnäbeln fressen!“ Der Ausruf muß von einem „biederen“ Landsmann verraten worden sein, da der nicht üble Witz dem Bauer „teuer zu stehen kam“. Den aus slovenischen Landesteilen nach Kroatien berufenen österreichischen Beamten wird es nicht möglich gewesen sein, den erwähnten Ausspruch eines Kroaten schlankweg zu verstehen. Tkalac irrte sich mit der Behauptung, daß sich Slovenisch sprechende Beamte mit der kroatischen Bevölkerung „leicht“ verständigen konnten. „Leichter“ als Deutsch ja, aber nicht leicht; denn der slovenische Dialekt von Kärnten und Krain wird auch heute noch nicht von kroatischen — Bauern verbanden. Man muß das im praktischen Verkehr selbst erprobt haben, um sich ein Urteil darüber erlauben zu können. Beide Dialekte weichen sehr stark von einander ab. Hingegen können sich gebildete Slovenen und Kroaten ziemlich leicht verständigen, wenn sie sich ihrer Idiome dialektfrei bedienen. In jenen Jahren gab es aber im praktischen Verkehr eine reine, dialektfreie Sprache weder bei den Slovenen noch bei den Kroaten. Zum Zeitalter des übelsten Absolutismus gehörte auch die Gesinnungsschnüffelei, die von den Beamten arg getrieben worden sein mußte, da es zu Aufstand, Verbrennung österreichischer Amtsschilder und gewaltsamer Vertreibung der Beamten, auch der sogenannten Krajnci (Krainer), der slovenisch sprechenden Herren aus den Erbländern, gekommen war. Das Wort „Krajnjac“ (Krainer) war gleichbedeutend mit „Beamter“ geworden und entfachte den Haß der Kroaten, die, von ungarischer Freiheit in der Selbstverwaltung verwöhnt, gegen die absolutistische „k.k.“ Bedrückung sich auflehnten. Der Adel und die Bürgerschaft murrten, blieben aber ruhig in der Hoffnung, daß das „_Provisorium“ der österreichischen Besetzung_ Kroatiens nicht allzulange währen werde. Der Klerus wurde respektiert und hatte deshalb keinen Anlaß zu Klagen. Das war die Stimmung im Lande während des „Provisoriums“ der österreichischen Besetzung. Im September 1814 begann der Wiener Kongreß, dem wegen der Befreiung vom „k.k. Joche“ mit großen Hoffnungen entgegengesehen wurde. Von der Komik der Kongreßvergnügungen drang manche Nachricht auch nach Kroatien. Was aber in der Kaiserstadt komisch wirkte, machte die Kroaten, wenigstens in adeligen Kreisen, — toll. Die Parole: „Morgen wieder lustik“ begriffen sie sofort und setzten sie in Wirksamkeit auf Narrenweise und in — Entartung. Wer nach langer Kerkerhaft in die Freiheit gelangt, wird von der vermeintlichen Zügellosigkeit berauscht und wird toll, reif für das Irrenhaus. Was sich auf kroatischem Boden abspielte, bildete nach Jahrzehnten noch immer den Gesprächsstoff, so daß Dr. von Tkalac (geboren 1822) aus den Erzählungen befreundeter Adeliger, die den tollen Rummel mitgemacht hatten, entsetzensvolle Eindrücke empfing und mit Schaudern darüber schrieb. Just die sogenannten gebildeten Klassen stürzten sich kopfüber, wie besinnungslos, toll geworden von Zerstreuungswut, in Vergnügungen, die als „Niggerhetzen“ selbst auf afrikanischem Boden — Erstaunen erregt haben würden. Der Drang nach Vergnügen um jeden Preis war übermächtig geworden; man wollte sich austoben, gierig, toll, ohne zu denken, daß alles, auch die Vergnügungssucht, Grenzen haben müsse, sinnloser Geldverbrauch zum Ruin führe, jede Entartung sich auf lange Zeit hinaus bitter rächen werde. Aufgebaut waren diese „Festivitäten“ auf der berühmten slavischen Gastfreundschaft, die auch für die Kroaten und Serben nicht nur als Tugend, sondern geradezu als nationale und moralische Pflicht gilt, den slavischen Völkern schon im Kindesalter sozusagen eingeimpft wird. Wer sich dieser Pflicht entzieht, gilt als ehrlos, ist der allgemeinen Verachtung ausgeliefert und wird als ausgestoßen betrachtet. Deshalb ist der Slave, besonders der Südslave, immer bestrebt, Gastfreundschaft, die ihn selbst ehrt, zu erweisen; freudig gibt er sein Bestes und auch sein Letztes, um den Gast zu ehren, und inniger Dank des Gastes bildet für den Slaven Lebensglück. In jenen Jahren offenbarte sich, daß auch die Gastfreundschaft — entarten kann. Im Umkreise von mehreren Meilen kennen sich selbstverständlich die Grundbesitzer überall. Gegenseitige Besuche mit ganzer Familie waren von jeher zu gewissen Zeiten oder bei besonderen Anlässen üblich. Zu jagdlichen Veranstaltungen (großen Treibjagden) erschienen nur Herren in großer Anzahl, immer mit eigenem Fuhrwerk und Dienerschaft. Zu Familienfesten jedoch jeweils die Familien mit Kind und Kegel, gesamtem Troß, mitunter sogar mit Tafelzeug, wenn etwa bekannt war, daß wegen übergroßen Andranges von Gästen Mangel an Tischgeräten eintreten konnte. Infolge der plötzlich ausgetretenen Vergnügungswut hielt man sich nicht mehr an die früher üblich gewesene Besuchsansage oder Einladung: man erschien mit gesamter Familie, Dienerschaft, Pferden und Geschirr eines Tages auf dem nächstgelegenen Edelsitz, feierte das Bilikum, blieb mehrere Tage, d. h. bis der betreffende Gutsbesitzer erklären mußte, daß er nichts mehr zu bieten habe und gezwungen sei, sich mit seiner Familie den Gästen — anzuschließen, die nun weiter zum nächsten Edelsitz zogen. Schwatzen, Essen und Tanz für Frauen und Töchter, Essen, Trinken, Tanz und Kartenspiel für die männliche Welt. Mitunter mehr als ein Dutzend vielköpfiger Familien zusammen auf dem „heimgesuchten“ Edelsitz. Von einem Gut zum andern, bis alles — „abgegrast“ war; dann boten aber die zigeunernden Gäste selbst Gastfreundschaft bis zum letzten Kalb, Schwein, Faß und Knopf. Dieses Herumziehen währte im Turnus, der nicht ängstlich in den nachbarlichen Grenzen gehalten werden mußte, da man auch bei nichtbenachbarten Gutsbesitzern „einfallen“ konnte und Gastfreundschaft fordern durfte, bis der Winter mit Regengüssen und Schnee die damals schlechten Straßen unfahrbar machte, auf den Edelsitzen Vorräte nicht mehr vorhanden waren. Tropfenweise kamen die Schilderungen vom Prunk der endlosen Feste aus Wien nach Kroatien. Vom Ausspruch des ritterlichen geistvollen Fürsten de Ligne: „_Le congrès danse, mais il ne marche pas_“ (der Kongreß tanzt, aber er geht nicht vorwärts), interessierte die adeligen Kroaten nur der erste Satzteil, und den Ausspruch der Gräfin Bernstorff, der Gemahlin des dänischen Gesandten („Es ist, als käme man vom Lande und sehne sich nach langentbehrter Zerstreuung„), drehten die kroatischen Notabeln einfach um: sie trugen die langentbehrte Zerstreuung auf's Land — hinaus! Das neumodische Karussellreiten des Hochadels in Wien wurde auf manchem Edelhofe nachgeahmt und als Sport nicht wenig belacht. Für die Volksfeste im Wiener Prater fehlten Verständnis und Gelegenheit; doch hatten die Notabeln im slavischen Süden ihre Freude an den Wiener Scherzen, z.B. an der Verdrehung des Wortes „Dänemark“ in „Tandelmarkt“! Soviel Deutsch verstanden die Nobili südlich der Save sofort, um den „König vom Tandelmarkt“ zu verulken. Es fehlt der Nachweis dafür, daß die harmlos galante Wette des russischen Zaren mit der schönen Gräfin Flora Wrbna-Kageneck bezüglich des schnelleren Toilettemachens von den kroatischen Edelleuten irgendwie nachgeahmt wurde. Auf ulkhafte Art scheint es geschehen zu sein, selbstverständlich plumper als der Vorgang in Wien, wo der Zar punkt neun Uhr in Begleitung von Zeugen im gewöhnlichen Anzug bei Zichys erschien, sich zum Austrag der Wette meldete, dann abtrat und schon nach Umfluß von fünf Minuten in voller Uniform wieder im Salon der Gräfin Zichy erschien und die Wette — verloren hatte, da die Gräfin Flora Wrbna-Kageneck sich — in eine Hofdame der Zeit Ludwigs XIV. verwandelt — bereits im Saale befand. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese harmlose Wette, deren Sieg der Gräfin Wrbna ein artiges Handschreiben des Zaren und als Geschenk eine — „Bibliothek“ eintrug, einen vergnügenssüchtigen Adeligen auf die Idee brachte, die „Familiensimpelei“ auf den Edelsitzen in eine — Pikanterie, in eine tolle „Mohrenherz“ umzugestalten. Auf einem Gutssitz hatten die siebzig Gäste mit etwa vierzig Pferden und Dienerschaft binnen fünf Tagen „ratzekahl“ gezecht. Der Gutsherr war für ein Jahr ruiniert. Der „Oberarrangeur“ und Vergnügungsmeister verkündete für den nächsten Tag den Abzug und die Fahrt zum benachbarten Edelsitz, wohin vorsichtshalber Botschaft gesendet worden sei. Da bei dieser Verkündigung nicht alle Damen anwesend waren, benutzte der „Maestro“ die Gelegenheit, in die Räume der Frauen einzudringen. Die Raumnot hatte dazu gezwungen, in je einem Zimmer acht bis zehn Frauen unterzubringen, ebenso Mädchen und Kinder unter Aufsicht älterer Damen. Die Männer waren in Scheunen (Schlafgelegenheit auf Stroh), zu einem Teil auf nahegelegenen Bauerngehöften einquartiert, wo die Herren toll genug „wirtschafteten“. Den Gipfel der Tollheit und Scheußlichkeit erklomm das für den letzten Abend auf dem Gutssitz ausgeführte _Lottospiel um die — Frauen_! Die vom schweren Zechen berauschten Männer „würfelten“ um die Ehefrauen, mit denen sie die letzte Nacht vor der Abreise nach einem anderen Edelsitz zubringen sollten. Die Dienerschaft (Zofen) wurde mit Geld bestochen und zu Angaben verleitet, in welchem Zimmer und in welchen Betten die einzelnen Damen nächtigten. Die Namen dieser Frauen mit den erkauften Angaben wurden dann auf Zettel geschrieben, diese Zettel in einen Hut geworfen und durcheinandergemischt. Jeder „Edel“mann dieser seltsamen Korona — mit dieser Schändlichkeit waren alle freudig einverstanden — zog einen Zettel heraus, der ihm für die Nacht eine „Genossin“ zuwies. Nicht gegen das schändliche Spiel um Ehre und Frauenwürde, gegen die Zuchtlosigkeit, erhob sich erstmals ein Widerspruch, es wurde nur die Befürchtung geäußert, daß der Betrug verfrüht durch Licht entdeckt werden könnte. Dieses Bedenken zerstreute der „Erfinder“ des „Frauenspieles“ mit dem Hinweis, daß _rasches Lichtmachen mit Feuerstein und Schwefelfaden unmöglich_ sei, daß also bei dieser langsamen, den Frauen sehr lästigen Prozedur den betreffenden „illegitimen“ Eheherren im Entdeckungsfalle die Flucht aus dem Zimmer wesentlich erleichtert sei. Die Anwesenheit anderer Damen in den Stuben erregte überhaupt keine Bedenken. Der _Weibertausch_ wurde _richtig ausgeführt_! Und es gab _keinen_ öffentlichen Skandal in Kroatien wegen dieser — afrikanischen „Erlustierung“. Die „vergnügenssüchtigen“ berauschten Herren der Schöpfung schlichen barfuß in die Frauengemächer und schmuggelten sich in die — ausgelosten Betten. Wurde von einer oder der anderen Frau der schmähliche Betrug irgendwie erkannt und Lärm geschlagen, so flüchteten die Herren sofort aus den Stuben, bevor Licht erzeugt werden konnte. „Dank“ _Feuerstein und Schwefelfaden_, der Langsamkeit, mit diesen Hilfsmitteln Licht zu machen, vermochten sich die „Witzbolde“ rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Und dies des öfteren! Wegen dieses „witzigen Frauenspieles“, das noch immer in der Erinnerung lebt und auch mir im Jahre 1912 in Kroatien erzählt wurde, hat Dr. von Tkalac um 1840 einen seiner Verwandten interpelliert, der an diesem „Weibertausch“ damals „aktiv“ beteiligt war. Die Antwort ist in Tkalac „Jugenderinnerungen“ wie folgt festgehalten: „Was willst du, es war eine tolle Zeit! Da wir beinahe alle Hörner trugen und dabei keiner erfuhr, wer von uns ihn damit gekrönt hatte, war es das klügste, zu schweigen. Hätten wir uns alle etwa wie die närrischen Franzosen schlagen und gegenseitig niedersäbeln sollen? Was nun einmal geschehen war, konnte man doch nicht ungeschehen machen. Und wenn die Frauen keinen Lärm schlugen, mußte man annehmen, daß sie ... zufrieden waren.“ Als 72jähriger Greis bewertete der auf seine kroatische Abstammung sonst ehrlich-stolze, hochgebildete Dr. von Tkalac diese Ereignisse in seinen „Erinnerungen“. „Es muß eine ‚tolle Zeit‘ gewesen sein, in welcher _den Menschen jede Fähigkeit zu ernstem Denken und ernster Arbeit abhanden_ gekommen zu sein schien. Der österreichische große Staatsbankerott vom Jahre 1811 scheint merkwürdigerweise diese stets lustige und leichtsinnige Generation gar nicht berührt zu haben.“ Auf die tolle Zeit folgte 1817 eine schreckliche allgemeine Hungersnot und bitterste Verarmung. Der Wucher kam zu höchster Blüte und richtete besonders die Grundbesitzer völlig zugrunde. Um sich über Wasser zu halten, nahmen sie nominell zu zehn und zwölf vom Hundert Geld auf, und da sie nicht mit Bargeld zurückzahlen konnten, zahlten sie in Naturalien — Wein, Getreide, Pflaumen (zum Branntweinbrennen), Heu, Bau- und Brennholz — , die ihre Gläubiger ihnen zu wahren Spottpreisen abkauften, wodurch sich die Zinsen auf dreißig und vierzig Prozent erhöhten. Oder die Grundbesitzer suchten sich dadurch zu helfen, daß sie einen Teil ihres Allodialbesitzes oder ihrer Untertanen mit Haus und Grundstücken verpfändeten, so daß manchem Grundbesitzer, der fünfzig und mehr Untertanenhäuser besessen hatte, schließlich nur fünf oder sechs übrigblieben, mit denen er außerstande war, sein Gut zu bewirtschaften, und deshalb gänzlich verarmen[13] mußte. Erst der _neue Staatsbankrott_ von 1817 mit der _fürchterlichen Hungersnot_ konnte die _Menschen ernüchtern_ und dem _gedankenlosen „lustigen“ Leben ein trauriges Ende bereiten._ Für die meisten war es schon zu spät. Die wenigen, die sich aus dem allgemeinen Schiffbruch retteten, waren zur größten Einschränkung ihrer Bedürfnisse genötigt.... Fußnoten: [13] Aus jener Zeit stammt die österreichische Bezeichnung „Zwetschgenbaron“ für verarmte kroatische Edelleute. D.V. Sprachliches Durcheinander. Während einer längeren Jachtfahrt zum Besuche der dalmatinischen Inseln hatte meine Wenigkeit die Wahrnehmung gemacht, daß das Italienische kroatisiert, das Kroatische italianisiert wurde und wird. Dies sowohl an Bord wie in den Küstenstädten. Es hieß also sehr aufpassen für den, der die kroatische Sprache aus der Grammatik, ohne Lehrer hatte erlernen müssen. Mit Kenntnis der italienischen Sprache, etwas vertraut mit dem in allen Adriastädten gesprochenen Venezianer Dialekt ließ sich zur Not durchkommen, wenn die Leute langsam sprachen. Dies tun aber die Mädchen und Frauen des Litorale grundsätzlich nicht; nirgends in der Welt wird so rasend schnell gesprochen, auch bei nichts weniger denn aufregenden Anlässen, als in den Küstenorten Dalmatiens. Mein bissel Kroatisch konnte in Dalmatien keine „Siege“ feiern; erweitert und verbessert wurde es unter italienischem Einfluß nicht. Wesentlich besser ging es droben in Montenegro, wo die serbokroatische Sprache vom Kaufmannsitalienisch nicht „infiziert“ worden ist. Der Rat eines Schiffskapitäns, gebürtigen Bocchesen, lautete dahin. „Reisen Sie nach Kroatien, um die Sprache rein und unverfälscht zu hören und auszutilgen, was Sie vom dalmatinischen Kroatisch Unschönes zur Grammatik dazugelernt haben!“ Ich hätte kein die Gründlichkeit liebender Deutscher sein müssen, wenn nicht um Bekanntgabe „unschöner“ Ausdrücke gebeten worden wäre. Von einem Taubstummen erfährt man tiefste Geheimnisse viel leichter und eher, als man von einem kroatisch-italienischen Kapitän Belehrung über Sprachhäßlichkeiten erhält. Doch wie man mit gut gebratenem Speck Mäuse fängt, so kann man mit österreichischen Zigaretten (die es 1912 noch in entzückender Beschaffenheit gab) den verschlossensten Bocchesen — gesprächig machen. Wobei der Wein nachhelfen kann, so das „Versuchskaninchen“ Zeit und eine Weinzunge hat. Es wurde also ein sprachliches Privatissimum an Land in einer guten Weinstube vereinbart, und zwar der Sicherheit halber in drei Sprachen: Italienisch, Kroatisch und Deutsch. Der Bocchese begnügte sich mit dem Wörtchen: „Jest!“ (Ja!) Worauf meine Wenigkeit herausquetschte: „Liepa hvala! Naj liepse!“ (Schönen Dank! Sehr schön!) Der Blick des Bocchesen funkelte auffallend spöttisch, musterte mich angejahrten Knaben so seltsam ironisch, daß gefragt werden mußte, was denn in Teufels Namen schon wieder „unschön“ in den gebrauchten Worten sei. Aus der Zigarettendose nahm der Bocchese eine Papyros, zündete sie an, und sprach: „Liepa hvala! Unschön ist das Wort: ‚naj‘! Und verfänglich die Wörter: ‚na liepse‘!“ So gewandt im Sprachgebrauch war ich nicht, um den Unterschied zwischen dem von mir gebrauchten Wörtchen „naj“ und dem vom Kapitän anzüglich gesprochenen „na“ sofort herauszuhören und zu erfassen. Erst viel später kam ich dem trockenen Witz des Bocchesen auf die Spur. Ich hatte mit dem „naj“ die Superlativbezeichnung gebraucht und gesagt: „sehr schön!“ Der Witz im Wortspiel bestand darin, daß der Bocchese sagte: „na liepse!“ (Zu den Schönen [Mädchen]). Etwa ein Stündchen darauf fuhren wir im Hafen einer Küstenstadt ein, wo das Privatissimum bei Wein und Rauchopfer stattfinden sollte. Winkt einem Kapitän dienstfreie Zeit, dann hat es mit der Ausbootung Eile. Sonst im Dienst sind just die südländischen Bocchesen wie von Erz und Granit. Ein Blick des Kapitäns, und schon rief er mir zu: „Bržo, bržo, naj brže!“ (Schnell, schnell, schnellstens!) Ja, Bauer, es ist eine andere „Wurst“, wenn ein Bocchese das Wörtchen „naj“ zur Superlativbezeichnung benützt oder ein Deutscher mit dem ehrlichen Bestreben, eine Sprache ordentlich zu erlernen. Selbstverständlich wurde bei gutem Rötel von der Insel Lissa und köstlichem Dalmatinertobak dem Bocchesen diese „Wurst“ unter die Nase gerieben. Doch der Erfolg war kläglich gering. Alles, was dem Kapitän herausgelockt werden konnte, waren zwei Worte: „jako interessante“. Vom Wein wurde nur genippt; aber das Drehen von Zigaretten aus dem goldgelben wundervollen Tobak und das Rauchen ging großartig flink, najbrže. Als dann im Gespräch auch meine Wenigkeit das Verstärkungswörtchen „jako“ (=stark, sehr) gebrauchte, erfolgte die Belehrung, daß „dies“ „unschön“ sei, die kroatische Sprache „beleidigt“ werde usw. Studienfahrten in Dalmatien werden wohl in jedem Reisenden sehr wirksame Eindrücke hinterlassen; eines aber ist in diesem slavischen Lande sicher nicht richtig zu studieren, nicht zu erlernen: die kroatische Sprache! Also wurde das Land ausgesucht, bereist und studiert, wo — angeblich — _reines_ Kroatisch gesprochen wird, alles ganz anders und „jako (vrlo) interessante“ ist. Das in seinen gebirgigen Teilen märchenschöne Land Kroatien hat neben anderen Vorzügen die schöne Eigenschaft, daß man — genügend Zeit vorausgesetzt — alle Notabeln kennen lernen, die wunderbare kroatische Gastfreundschaft genießen kann, wenn man mit einem einzigen Adeligen befreundet ist. Aber, woher die Zeit nehmen! Der Aufenthalt auf jedem Edelsitz (curia nobilis) — schon von weitem erkennbar an der zum Schloß führenden, kennzeichnenden Pappelallee — verschlingt wenigstens eine Woche, da doch auch der Bibliothek und der Umgebung volle Aufmerksamkeit gewidmet werden muß, wenn man zu Studienzwecken im Lande weilt. In allen südslavischen Ländern stößt man auf rührende Dankbarkeit, wenn die Leute merken, daß man als Reichsdeutscher den guten Willen hat, sich der betreffenden Sprache nach Möglichkeit zu bedienen. Besonders in Kroatien ist das „bocchesisch-marinierte“ Nörgeln (übrigens mehr scherzhaft als bissig gemeint) nicht üblich; Belehrung wird auf freundliche Bitte hin bereitwillig und freudig in zartester Form erteilt. Von Zara aus hatte meine Wenigkeit für einen bestimmten Tag die Ankunft auf einem kroatischen Edelsitz mit einem kroatischen bržojav (Telegramm) angesagt. Von der letztmöglichen Eisenbahnstation ging es zu Wagen in sausender Fahrt auf staubiger Landstraße dahin. Der Insasse war von der langen Reise müde, übernächtig, schlaftrunken, wenig empfänglich für die Schönheit des Sommermorgens in fruchtbarer Gegend. Nicht das geringste Interesse war vorhanden für die Reitertruppe, die auf abgemähter Wiese übte. Soll die Stimmung des „tunkenden“ Reisenden genau wiedergegeben werden, ist's nur in bajuvarischer Sprache möglich. „Mei' Ruah' möcht' i!“ Schlafen, ausruhen um jeden Preis. Daß sich beim Anrollen meines Wagens von der Kavallerieeskadron ein Offizier entfernte und gegen die Straße galoppierte, war mir unsäglich — „wurscht“. Aber der Offizier hoch zu Roß tauchte am Wagenschlag auf, grüßte höflichst auf kroatisch und hieß den Gast dann, im Trab mitreitend, in deutscher Sprache auf kroatischem Boden willkommen mit den Worten. „Gute Ankunft, Herr — Achleitner! Lustig sein! Zum Abend kommen wir alle zur Begrüßung! Servus!“ Und weg war der Offizier. Der Schlaf war auch weg. Ich fühlte ordentlich, daß mein Gesichtsausdruck „schafmäßig“ war. Beispiellos verblüfft. Als eine Pappellallee in Sicht kam, waren die Zurufe der Bauern: „Zivio gospodin tajni savjet!“ (Hoch, Herr Geheimer Rat!) leicht als „eingelerntes Zeug“, befohlen vom Gutsherrn, zu erraten. Mittags gab es mit umständlicher Feierlichkeit den Willkommstrunk mit — onomatologischer Beigabe. Der Mensch lernt nie aus. Zwar bestritt der Schloßherr nicht die Möglichkeit, daß das kroatische, mit nur einem „l“ zu schreibende Wort „Billikum“, also „Bilikum“, vom Deutschen abgeleitet und dem kroatischen Wortschatz einverleibt worden sein könne, aber sehr wahrscheinlich sei solche Anleihe nicht, da das Wort „Bilikum“ „spielend leicht“ aus dem Kroatischen erklärt werden könne: „Pije-li, kume?“ (Will er trinken, Gevatter?) Piti = trinken, pijem = ich trinke. Angesichts des „zweiliterigen“ Willkommsbechers erstarb jede Widerspruchslust. Der Wissenschaft halber wurde zunächst diese Ableitungstheorie notiert; dann ging's an die Leerung des Willkommsbechers. Eine kurze Dankrede und ein prächtiges „Diner“ darauf, hernach erquickender Erholungsschlaf im Bett. Auf kroatischen Edelsitzen hatte ich erstaunlich viel Glück insofern, als zur rechten Zeit Schlechtwetter eintrat und dadurch das „Schnüffeln“ in Archiv und Bibliothek ermöglicht war. Fundgruben kostbarer Art für Kulturhistoriker. Im Archiv des „Kume“ (Gevatters), so nannte meine Wenigkeit in Gedanken den Hausherrn wegen der Ableitung des Wortes ‚Bilikum‘ aus dem Kroatischen, gab es ziemlich viel handschriftliches Material aus der Franzosenzeit. Darüber wurde begreiflicherweise bei Tisch, besonders abends, eingehend gesprochen bunt durcheinander in drei Sprachen, von denen wir wegen hochgradiger „Vergeßlichkeit“ das gallische Idiom Unbehagen verursachte. Darauf aufmerksam zu machen, daß „mein Französisch“ „verschwitzt“ sei, fehlte die Gelegenheit. Im Sprühfeuer dieser noch dazu sehr flink geführten Gespräche begann der Gast Schlimmes zu — ahnen. Am Ton war bei einer Gesprächswendung die Ironie herauszuhören; doch nicht für Kroatien und sonstige Königreiche als Belohnung ergab sich die Möglichkeit, rasch den Sinn zu erfassen, als der Hausherr schalkhaft lächelnd erwähnte: „J'ai du bien au soleil!“ Von allen Göttern verlassen, übersetzte der Gast in Gedanken so rasch als möglich wortwörtlich und damit regelrechten Blödsinn! „Ich habe viel — Sonne!“ Anzuwenden wäre aber die ironisch gemeinte Deutung gewesen. „Ich bin Gutsbesitzer!“ Alle Augen richteten sich auf den Gast, von dem eine Äußerung erwartet wurde. In dieser peinlichen Lage flogen zu allem Unglück die Gedanken aus Kroatien nach Tirol; der Satz unseres alten Ludwig Steub im Fremdenbuch der altberühmten Weinstube des Gasthauses „Klause“ bei Kufstein trat in Erinnerung und beherrschte alles. „Einschreiben, einschreiben, nichts leichter als das, wenn man nur immer gleich wüßte: was?!“ — Im gegebenen Falle: Reden, reden; nichts leichter als das, wenn man nur wüßte: was!... Flink von Tirol weg und hinein in die — kroatische Grammatik, und das Zünglein plapperte die Antwort auf den französischen Witz: „Nemam sada sunce!“ (Ich habe jetzt keine — Sonne!) Schallendes Gelächter. Die Tafelrunde krümmte sich und schrie wie toll geworden. Und hielt diese gräßliche Antwort für einen — sprühenden Witz, der mit schrecklichem Lärm und Händeklatschen aufgenommen wurde. Als sich die Tischgäste etwas beruhigt hatten, glückte es mir, das Mißverständnis aufzuhellen und die Bitte vorzubringen, das längst vergessene Französisch wegzulassen und zugunsten meines Lerneifers Kroatisch, reines Kroatisch, aber hübsch langsam, zu sprechen. Diese ehrliche Bitte wurde Anlaß, daß der Hausherr die „Episode des Herrn Nikola von Zdenčaj“, der damals, zur Franzosenzeit Kroatiens, Obergespan des Agramer Komitates war, zum besten gab, und zwar viel witziger, als sie in von Tkalac' „Jugenderinnerungen“ zu lesen ist. Herr von Zdenčaj (etwa mit „Brunner“ zu übersetzen), war ein arger Französling, der sein Geld nach Bojarenart viel lieber in Paris als in Agram oder Wien „verjuxte“. Er blieb in Kroatien, als die Franzosen sein Vaterland besetzten, machte aus seiner Vorliebe für Gallien nun erst recht kein Hehl und gab sich alle Mühe, „echt französische“ Dienerschaft in sein Haus zu bekommen. Das gelang aber nicht, obwohl Zdenčajs Freunde in Paris alles versuchten, Domestiken für Kroatien anzuwerben; nur einen Sprachlehrer konnten sie senden, der dann die kroatische Dienerschaft Zdenčajs in „Pariser“ Domestiken ummodeln sollte. Mehr Talent als der Deutsche hat ja der Slave für fremde Sprachen; doch zu raschem Erlernen gehört doch auch ein gewisses Maß von Intelligenz. Die Diener Zdenčajs versagten kläglich, merkten sich kaum die französischen Taufnamen, mit denen sie angerufen wurden. Im Hausdienst mußte Französisch gesprochen werden; Zwangsdressur, unzählige Probediners, damit die kroatischen Diener das Servieren und Sprechen auf Pariser Art für das große Festmahl am — Napoleonstage erlernten. Ein Ereignis sollte dieses Festdiner für Westkroatien werden. Gelehrig oder doch anstellig, gut brauchbar waren Zdenčajs Domestiken unbestreitbar, doch ein gewisses Mißtrauen wurde der Gebieter nicht los. Deshalb hielt er am Festtage selbst noch am Morgen eine Probe an der bereits geschmückten Tafel ab. Zdenčaj erteilte seine Befehle im Französisch jener Zeit, im „Bojaren-Patois“; die in „Jean“, „George“, „Pierre“ usw. umgetauften kroatischen Diener antworteten „französisch“, machten ihre Sache gar nicht schlecht während dieser Generalprobe, so daß Zdenčaj aufatmete und beruhigt dem Festdiner entgegensah. Bis zum Abend fühlte sich Zdenčaj als Grandseigneur, und als solcher begrüßte er seine französischen und kroatischen Gäste. Erstere waren in der Mehrheit, da Militär und Beamtenschaft geladen war. Slavische Gastfreundschaft sollten die Franzosen kennen lernen, Gastlichkeit in üppigster Form, sich aber wie daheim in Frankreich fühlen durch die Art der Bedienung. Zdenčaj haßte das laute Flaschenöffnen bei Tisch, den Lärm, das „Schnalzen“ der kräftig und rasch gezogenen Korke; deshalb waren vor Dinerbeginn ganze Batterien edler französischer Rotweine geöffnet und in einem Nebenraume bereitgestellt worden. Für diese Seltenheiten interessierten sich die Diener des Hauses Zdenčaj viel stärker als für die erwarteten Gäste, so daß die Domestiken schon eine Stunde vor Beginn des Festmahles nach — Burgunder dufteten und „weinselige“ Augen machten. Nikola von Zdenčaj „bekomplimentierte“ in der Art des achtzehnten Jahrhunderts den etwas verfrüht erschienenen kommandierenden General und bald darauf den Gouverneur, so daß es unmöglich war, die Dienerschaft im Auge zu behalten. Nach längerem Begrüßungsgespräch ging es zur Tafel. Die ersten Gänge wurden zwar nicht nach Pariser Art, nicht sehr „diskret serviert“, doch Verstöße größerer Art kamen nicht vor. Als der erste Braten aufgetragen wurde, gewahrte der spähende Kontrollblick des Hausherrn, daß einem der Gäste, noch dazu einem französischen Stabsoffizier, der Teller nicht gewechselt worden war. Zdenčaj versuchte zunächst mit Augenwinken den Fehler ausbessern zu lassen. Dafür fehlte es bei den weinseligen kroatischen Dienern an Achtsamkeit. Der Gebieter „stupste“ Janko und deutete auf Gast und Teller. Worauf Janko auf den Franzosen lossteuerte und den Teller wegnehmen wollte. Der Offizier meinte lächelnd: „Bien obligé!“ Janko stutzte, riß die Augen auf, ließ den Teller stehen und kehrte sichtlich maßlos überrascht zum Gebieter an der Tafel zurück, der in französischer Sprache den „talketen“ Diener rüffelte und sofortigen _Tellerwechsel_ befahl. Janko im Burgunderdusel und in Angst vor Strafe vergaß im Nu alle eingepaukten Parisismen und stotterte in der Muttersprache. „Prozim, njihovo gospodstvo! Gospodar rekni, da si ga sam _obliže_!“[14] Die Gäste kroatischer Nation, denen Zdenčaj's Nachäffung französischer Gebräuche wenig gefallen haben mochte, brüllten vor Vergnügen über die köstliche Verwechslung von „obligé“ (verpflichtet) mit „obliže“ (ablecken) und hatten helle Freude daran, daß der Hausherr durch den angetrunkenen Diener gründlich blamiert worden war. Das schallende Gelächter veranlaßte die französischen Gäste, nach dem Anlaß zu fragen; die mit boshafter Bereitwilligkeit gegebene Auskunft versetzte dann auch die Franzosen in unbändige Heiterkeit. Sogar Herr von Zdenčaj lachte mit, freilich etwas gezwungen und säuerlich. Nach Beendigung des Mahles wurde aber „Gericht gehalten“ und den Dienern verkündet, daß jeder erbarmungslos entlassen werde, der nicht bis Jahresschluß der französischen Sprache im Hausgebrauch vollkommen mächtig sei. In dieser Sache „siegte“ Herr von Zdenčaj. Aber seine Blamage hat sich in der Erinnerung länger als ein Jahrhundert erhalten; denn auch in der Gegenwart wird über die köstliche Episode gesprochen und gelacht. Ob dies auch in der Zukunft der Fall sein wird, dürfte von der Tätigkeit der französischen — Kontrollkommission in Kroatien abhängen.... Fußnoten: [14] Bitte, Euer Herrlichkeit! Der Herr sagt, daß er ihn (den Teller) selbst — _ablecken_ werde! Ližem = ich lecke, obližem = ich lecke ab. Von der Sann zur Korana Vor etwa zehn fahren folgte meine Wenigkeit einer Einladung lieber Freunde, in Römerbad, dem „südsteierischen Gastein“, Aufenthalt zu nehmen. Die drollige Einladung sprach von einer „slavischen Agnes Bernauer“, die in der Nähe ihre Grabstätte habe, erwähnte auch, daß der „verflossene“ Reichskanzler Caprivi „an der Sann beheimatet“ sei, und lockte mit der Versicherung, daß ein nigelnagelneues Automobil zur Verfügung stände, mit dem nach Belieben in das „halbasiatische“ Land gefahren werden könne. Zwei Tage später war ich in — _Römerbad_, dem alten Toplice (slavisch toplice = warm) im lieblichen Süden der grünen Steiermark. In diesen heißen Quellen, wie auch in Varazdin-Töplitz, fanden die römischen Statthalter der Provinz Pannonien Heilung von Gicht und Zipperlein. Die Dankbarkeit ließen sie in Stein einmeißeln. Dies tat auch der Provinzchef Matius Finitus mit dem Eintrag in das „steinerne Fremdenbuch“: „Nymphis aug. Matius Finitus. V.S.L.M.“ (= votum solvit lubens merito). Zu deutsch: Den erhabenen Quellen (Nymphen) Matius Finitus sein Gelübde einlösend. Drei Votivtafeln solcher Art wurden in alter Zeit bei den Heißwellen gefunden; die Thermen gerieten dann in Vergessenheit, flossen ungenützt durch wunderlieblichen Waldeszauber zur munteren Sann, bis die Mönche des nahen Karthäuser Klosters in Gairach sich klug und weise den wertvollen Besitz sicherten, einen Badedirektor aufstellen unter der bezeichnenden Bedingung, „im Bade lauter züchtiges Gesinde und ehrbare Weibsleute zu halten“. Der Zeit nach waren die Gairacher Mönche zu Toplitze-Römerbad der Badeverwaltung des salzburgischen Gastein um rund achthundert Jahre verspätet daran, klimatisch aber bedeutend im Vorteil durch die südliche Lage, gleichmäßige Temperatur und das üppige Wachstum und durch den Mangel an jeglichem, an der Sann ganz unbekanntem salzburgischem Schnürlregen, der zum Entsetzen der Gasteiner Kurgäste so gern in Schnee übergeht. Vor Jahrhunderten schon wurde auf die gleiche Heilkraft und Temperatur der Heißwellen von Römerbad und Gastein verwiesen, und auf diese Tatsache fußend (Gastein 25,8-49,6 Grad Celsius, Römerbad 36,2-37,5 Grad Celsius), Römerbad das „steierische Gastein“ genannt zum Arger der Gasteiner. „Gichtiker“ war meine Wenigkeit damals noch nicht; demgemäß ließen die Heißwellen von Römerbad mich „kalt“; das Interesse galt der „slavischen Agnes Bernauer“, der steierischen „Inez de Castro“, der unglücklichen Veronika von Jeschnenitz (ješen = Herbst, jesén = Esche), Gräfin von Cilli, die in der gotischen Klosterkirche zu Gairach bei Römerbad begraben liegt. Zunächst „verbiß“ sich der Onomatologe in den Namen „Gairach“, der sehr deutsch aussieht, in dieser slovenischen Gegend aber kaum rein deutsch sein kann. Zum mindesten ist das deutsche „Hai“ (Gehege, befestigter Platz, Umfriedung zu Verteidigungszwecken) vergröbert in „Gai“. Da das Gairacher Kloster auffallenderweise quer zum Sträßlein steht, als Talsperre gebaut ist, kann über den ehemaligen Verteidigungszweck kein Zweifel begehen. Im Slavischen hat „gaj“ die gleiche Bedeutung wie das deutsche „Hai“. Und Ach, Ache ist der Wildbach, dem der Tiroler ein „r“ einfügt, wenn im Bach oder Fluß Felsblöcke liegen. Deshalb heißt der Inn bei Landeck „Arch'n“.... Der Grabstein der slavischen Agnes Bernauer besagt soviel wie das urkundliche Material, nämlich nichts. Die unglückliche Veronika von Jeschenitz, Gräfin von Cilli, hat einen Hofdamen-Roman erlebt und das winzige Maß von kurzem Glück im Jahre 1436 mit üblich tragischem Ende gebüßt. Tugendhaft hatte Veronika dem in sie rasend „verschossenen“ Grafen Friedrich II. von Cilli erklärt, daß der Weg zu ihrem Herzen nur über den — Altar führe. Im übrigen pochte Veronika auf ihre Hofdamengrundsätze. Der junge Graf Friedrich II. war bereits und ausgiebig verheiratet, hitziger Natur und rasend verliebt in Veronika. Die Zeit aber war rauh. Graf Friedrich II. „erstach“ als hitziger „Gemütsmensch“ seine sanft und ahnungslos schlummernde Gemahlin und „heiratete“ dann mit der im fünfzehnten Jahrhundert üblich gewesenen Eile die Hofdame seiner „verblichenen“ Gemahlin. Nun erst wurde die Angelegenheit „brenzlich“; denn der Altgraf Hermann von Cilli trat auf den Plan, und Seine Gräfliche Gnaden waren noch hitzköpfiger als der Sohn. Der Papa verübelte nicht die „kurzhändige“ Beseitigung der Gemahlin Nr. 1, sondern die Heirat der Hofdame aus „nichtebenbürtigem“ kleinem Landadel. Die „Mesalliance“ paßte dem Alten nicht. Die Nichtberücksichtigung der Standesinteressen mußte „gerochen“ werden, und zwar mit der gleichen Eile, mit der Friedrich seine erste Gemahlin aus dem Leben ins Jenseits befördert hatte. Der abkunftstolze Altgraf sandte zwei gutgenährte kräftige Ritter in die Burg Osterwitz bei Franz (Umgebung von Cilli), wo Veronika „residierte“, und ließ Friedrichs Gemahlin Nr. 2 einfach und kurzerhand in einem mit Wasser reichlich gefüllten — Waschbottich ertränken. Gleichzeitig wurde der Sohn Friedrich zur — Abkühlung in das Verließ der Burg Cilli gesteckt. Das ist der „etwas“ tragische Roman der Hofdame Veronika von Jeschenitz, der slavischen Agnes Bernauer und steierischen Inez de Castro. Mehr war nicht zu erfahren und die Stimmung damals diesem „Stoff“ nicht günstig. Weit mehr als die arme Veronika fesselte die Behauptung im Freundeskreise zu Römerbad, daß der deutsche Reichskanzler _von Caprivi_ von — Slovenen abstamme, und daß seine Ahnen an der Sann seßhaft waren, nämlich auf dem Edelsitz Scheuern bei Steinbrück am Zusammenfluß der Sann und Save. Ahnherr war Ritter Andreas _Kopriva_ (zu deutsch: Brennessel), der 1680 starb ohne die geringste Ahnung, daß etwas mehr als zweihundert Jahre später ein preußischer General von _Caprivi_ deutscher Reichskanzler, noch dazu als Bismarcks Nachfolger „Politik machen“ werde. Nicht ein Wort von dieser „Behauptung“ habe ich damals geglaubt. Unvorsichtig gab ich dem Zweifel auch noch schriftlich Ausdruck, machte „Witze“ über die Abstammung Caprivis von dem slovenischen Geschlecht der Kopriva. Sehr bald ging ein Platzregen von brieflichen Nachweisen, Urkundenabschriften usw. auf den spottlustigen Zweifler nieder. Heute weiß ich auf Grund gewissenhafter Forschungen, daß Caprivi wirklich ein umgemodelter Kopriva gewesen ist. Auf Dauer und noch dazu im wonnigen Gelände von Römerbad konnte aber auch der „gehorsame Soldat“ Caprivi, den Wilhelm II. zum Reichskanzlerdienst einfach „befohlen“ hatte, nicht fesseln. Das Herz flog dem Freunde R.U. entgegen, der den Vorschlag gemacht hatte, sein neugekauftes Automobil zu einer Fahrt nach „Halbasien“, hinunter zu den Wasserwundern von Plitvice im südlichsten Zipfel von Kroatien zu erproben. Praktisches Geographiestudium! Reisen bildet! „Automobilfahren ist schöner noch als Jagd und Liebe!“ Dieser Ausspruch kühlte meine Begeisterung ab. Doch der Süden, der mir unbekannte Süden Kroatiens, die Schilderungen von der märchenhaften Schönheit der Korana und von Plitvice gaben den Ausschlag! Also los! Drei Stunden flinker Fahrt, und wir beguckten die fast unleserliche Aufschrift auf Eisentafeln, die auf dicken, rotweißblau angestrichenen Holzpfählen thronten: „Hrvatska i Slavonia“. (Kroatien und Slavonien). Damals ein Königreich, das zu Ungarn gehörte, deshalb das ungarische Staatswappen auch am Schilde jeder Tabaktrafik. Das Wort Goethes vom Deutschen, der keinen Franzmann leiden kann, doch seine Weine gerne trinkt, hätte man damals mit gewissen Veränderungen auf Kroatien anwenden können. Viel Zuneigung für ungarische Freiheit in Gesetzgebung und Verwaltung, „Autonomie der Munizipien“ (Selbständigkeit der Gemeinden) usw., Komitatsselbstherrlichkeit, _das_ paßte den Hrvaten; daß die kroatische Sprache für Ortsnamen, Schule und Verkehr auf Landstraßen und bei Behörden im Lande „zugestanden“ war, bildete ein Ärgernis wegen der Form der „Konzession“; denn die Bestrebungen, die auf Magyarisierung hinausliefen, kannte man in Kroatien so gut wie in Budapest; man wußte auch, daß Kaiser Franz Joseph den Kroaten ihre Sprache in Land, Amt und Schule erhalten wollte, jeder Magyarisierung widerstrebte. Als aber die ungarische Regierung verfügte, daß die Verkehrssprache auf den Eisenbahnen (M.A.V. = magyar allam vašutak, ungarische Eisenbahnen; alter deutscher Eisenbahnerwitz in der Übersetzung: M.A.V. = „miserabelste aller Verwaltungen“) „_magyarisch_“ auch in Kroatien und Slavonien sein _müsse_, war es aus mit der „Zuneigung“ der Südslaven für — ungarische Freiheit usw. Damals „liebten“ die Kroaten die gewalttätigen Magyaren „tödlich“.... Gottlob wurde diese „Liebe“ nicht auf uns deutsche „Benzinisten“ übertragen; gelegentliche Versuche kroatischer Kinder, dem Kraftwagen Steine nachzuwerfen, hatten nichts zu bedeuten. In Hotels wurden lediglich die Ohren gespitzt; man wollte hören, welcher Sprache die Automobilisten sich bedienten. Als Deutsche wurden wir freundlich und gut bedient. Was der Name „Kroat“, slavisch Hrvat, Horvat, Arvat, eigentlich bedeutet, wissen die Kroaten selber nicht. In Agram war es vor zehn Jahren ganz unbekannt, daß die Erklärung des Namens im — Titel des Bischofs von Zengg steckt! Der Titel lautet: „Bischof von Modrusch und Korbavia“. Letzteres Wort stammt von „Korba“, das sich im Russischen erhalten und die Bedeutung hat: nasse, sumpfige Gegend. Dieses Korba steckt in den topographischen Namen: Korpula, Skorba, Karwin, Charbin. Die Bewohner wie die Grenzgegenden an der „Korba“ in alter Zeit erhielten den Namen „Korbati“, was Ufergebirge, Uferbewohner bedeutet. Aus „Korbati“ wurde dann: Chorbaten, Karwaten (Karpaten), Kroaten. Deutschland machte die Bekanntschaft mit den Kroaten, mit ihrem Mut, mit ihrer Beutegier und Grausamkeit im Laufe des Dreißigjährigen Krieges. Der Name „Kroat“ (Krawat) wurde ein Schimpfwort im Deutschen („Schimpf“ in neuerer Bedeutung, nicht in der mittelalterlichen, wo das Wort soviel wie Vergnügen, Unterhaltung bedeutete); dazu hat ab 1740 Baron von der Trenck mit seinen Panduren und Greueltaten sein Teil reichlich beigetragen. Nicht mit Unrecht sagt der Kroate Dr. von Tkalac im Vorwort zu seinen „Erinnerungen“: „Kroatien und die Kroaten spielen in der deutschen Litteratur keine erfreuliche Rolle. Daß die Kroaten bei dem letzten großen Einfall der Mongolen im Jahre 1242 durch ihren Sieg in Grobnik (bei Fiume) Europa vor Verwüstung und Barbarei gerettet, daß sie jahrhundertelang eine Vormauer Europas gegen das damals noch mächtige Türkentum bildeten, ist weit weniger bekannt, als daß sie dem Hause Habsburg im Dreißigjährigen, im Erbfolgekrieg von 1740 und im Siebenjährigen Krieg Heerfolge und Schergendienste leisteten und sich dadurch die Feindschaft der abendländischen Völker zuzogen. In ‚Wallensteins Lager‘ läßt Schiller von einem Scharfschützen einen kroatischen Soldaten mit den Worten ansprechen: ‚Kroat, wo hast du das Halsband gestohlen?‘ Der Kroat antwortet: ‚Du willst mich betrügen, Schütz‘, und der Trompeter bestätigt dies: ‚Seht nur, wie der den Kroaten prellt?‘ Die Gaunerei des Scharfschützen macht auf die Zuhörer keinen Eindruck, aber seine Ansprache: ‚Kroat, wo hast du das Halsband gestohlen?‘ bewirkt eine Erschütterung des Zwerchfells, die nicht wieder vergessen wird. Und wenn nun gar in geographischen und geschichtlichen Werken Kroatien als ein Land dargestellt wird, das von verschiedenen halbwilden Völkerschaften, namentlich von Panduren, Hajduken, Schereschanern, Morlaken, Uskoken, Primorzen, Schokatzen, Raitzen usw. bewohnt wird, wissen gar viele nicht, daß die Mark Brandenburg von einer Menge verschiedener Völkerschaften, wie Potsdamern, Charlottenburgern, Teltowern, Schönebergern, Lichterfeldern usw., bewohnt wird. Ich will nun freilich nicht behaupten, daß Kroatien das irdische Paradies und die Kroaten das auserwählte Volk Gottes seien, aber wenn man sich für die unwirtlichsten Länder Innerafrikes und Zentralasiens und für deren wilde und stupide Bevölkerungen interessiert, würde wohl auch das nicht so fern liegende Kroatien und sein Volk verdienen, daß man sich in Deutschland über beide besser unterrichtete.“ Bitter klagte Dr. von Tkalac auch darüber, daß er als Universitätsstudent in Berlin als eine Art ethnographisches Wundertier, weil Kroat von Geburt, angestaunt wurde. Eine den höchsten Kreisen Berlins angehörende Dame konnte es überhaupt nicht begreifen, daß ein Universitätsstudent, der Griechisch und Latein verstand und Italienisch, Französisch und Deutsch sprach, ein — Kroat sein konnte. Ähnliche und bittere Klagen zu erheben, hatten die Slovenen vielfach Ursache, die man stets zum Dienervolk herunterdrücken wollte, und deren Sprache man bestenfalls als Verständigungsmittel für Dienstboten bezeichnete. Wer viel und lang in slovenischen Familien der Intelligenz verkehrte, mußte zur Überzeugung gelangen, daß überlange ungerechte Behandlung, gewaltsame Unterdrückung eine gefährliche Verbitterung im slovenischen Volke heraufbeschwören werde. Zündstoff war mehr als genug vorhanden. Die überstürzte Gründung der schlecht geleimten „_Država SHS_“ war allerdings nicht vorauszusehen. Seitens der Slovenen und Kroaten ist sie ein menschlich begreiflicher Racheakt. Und „Rache ist süß“. Ist sie aber genügend ausgekostet, wird auch die Verbitterung weichen, bei den Südslaven und Deutschen der südlichen Gebiete die Vernunft einkehren und lehren, daß man aufeinander angewiesen sei und miteinander leben müsse. Hoffentlich dann beiderseits mit weiser Mäßigung in Politik und nationalen „Gefühlen“.... Auf der flinken Fahrt zu den so gut wie unbekannten Wasserwundern von Plitvice macht man erstmals die Bekanntschaft mit der stahlblauen Korana in _Karlstadt_, wo sich Kulpa und Korana, diese interessanten Flüsse Kroatiens, vereinen. Was doch die Neuzeit alles schafft! Aus einer wuchtigen Grenzfestung, die im sechzehnten Jahrhundert als Trutzburg gegen die nahe Türkei (Türkisch-Bosnien) angelegt wurde, aus dem düsteren, blutgetränkten Städtle Karlovatz ist eine moderne, fast elegant zu nennende, freundliche Stadt mit schönen Gebäuden geworden. Für Reisen im Kraftwagen sind immer von Wichtigkeit die Straßenverhältnisse und Charaktereigenschaften der Bevölkerung des jeweils zu durchfahrenden Landes. Die Gutmütigkeit des kroatischen Volkes, solange der Kroat keinen Schnaps im Leibe hat, wird gerühmt; dicht neben ihr sitzt aber die „negative Intelligenz“, die sich in Kopflosigkeit äußert, wenn ein Automobil herankommt. Ein lammfrommes Pferd muß erschrecken, so der Fuhrmann ihm plötzlich mit den Händen an den Kopf greift und die Augen verdeckt. Just im gefährlichsten Moment, da der Kraftwagen vorüberfährt, erweist sich die Neugierde viel stärker als die Vorsicht; der Bauer benötigt zweifellos die Hände zum — Schauen, zieht sie also von den Augen des Pferdes weg, und der Zusammenprall ist fertig.... Wenige Stunden hinter Karlstadt beginnt die Melancholie des Karstlandes, genannt _Lika_, ein begrüntes Gebiet, aus dem stellenweise stattliche Berge, kahle Felshäupter aufragen; tief eingerissen sind die wenigen Flußtäler mit Wasserläufen, die plötzlich im Boden verschwinden, unterirdisch Seen bilden und unvermittelt wieder zutage treten. Auch die Korana hat solche „Mucken“. Eine eigenartige Welt, echtes Karstgebiet mit seinen Eigenheiten, das im nördlichen Teil der fruchtbaren Täler und Dolmen nicht entbehrt. Herbe spärliche Schönheit in tiefster Melancholie, wie sie aus Lenaus Gedichten weht.... Beim türkisch angelegten Städtchen _Slujn_ prahlt die lichtblaue Korana erstmals mit ihrer Schönheit in überraschenden Wasserfällen. Nach Süden steigert sich die öde der Lika zur Schaurigkeit, überall steile Höhen, tiefe Schluchten, freiliegendes Gestein, in den Dolinen wenig Ackerboden, geringwertige Weideplätze. Winzige Dörfer, deren trostlose Häuschen tief im Boden stecken, mit Stroh oder Dünger gedeckt sind. So eine „Wohnstätte“ enthält einen einzigen Raum, den die Familie, Ziegen, Schweine, Hühner und etliche Gänse „bewohnen“. Der Winter soll in der Lika sehr streng und lang (6-7 Monate) sein und enorme Schneefälle bringen. Die Lika umfaßt 6212 Quadratkilometer, hat eine Bevölkerung von rund 192000 Seelen und besaß (1890) im Städtle Gospic eine einzige Apotheke für die ganze Provinz! Stundenlang währte die Fahrt durch dieses melancholische Karstgelände. Dann endlich erklomm das ratternde Auto eine letzte Anhöhe, bekrönt von einer steinernen Kanzel hart an der schmalen Straße. Ein auffallendes Bauwerk in weltentlegener, schauriger Einsamkeit, das eine Zweckerforschung geradezu erzwingt. Ein Blick in die Tiefe, ein Ruf höchster Überraschung! In einer wohl hundert Meter tiefen Erosionsschlucht entwickelt die hier smaragdgrüne Korana die zaubervollste Romantik: viele weißschäumende Kaskaden, blaue Bassins, graugrüne Seen, entzückend geformte Terrassen inmitten wuchtig starrender Sturzfelsen. Wahrhaftige Wasserwunder, märchenschöne Gebilde, erzeugt von einem einzigen Wildbach. Die Pforte zu einem Paradiese auf südkroatischem Boden! In drängender Sehnsucht nun weiter mit der Höchstgeschwindigkeit des Kraftwagens, hinein in die Märchenwelt von _Plitvice_. Ein blauschimmernder See, umrahmt von herrlich prangenden Wäldern, die Üppigkeit einer Tropenwelt; hochstämmige Buchen mit mächtigsten Kronen, dichtbemantelte Edeltannen, Ahorn massenhaft mit großartigem Wuchs. Nicht minder häufig die Eibe, doch nur als Gestrüpp. Ein ungeheurer Naturpark, überwältigende Waldeinsamkeit bei einem unglaublichen Wasserreichtum. Der untere (Kozjak-) See schillert in seltsamen Farbentönen, bald tiefblau, dann smaragdgrün, gelb und grau. Auf grüner Anhöhe thront das vom Agramer Komitee zur Erschließung der Plitvicer Wasserpracht erbaute Hotel. Auf die Länge von acht Kilometern sind hier zusammengedrängt 13 (!) Seen und 30 (!) entzückende Wasserfälle bei einem Höhenunterschiede von rund 200 Metern. Wasserwunder der bescheidenen blauen Korana, der Tochter des Kapelagebirges, die nach dem Verlassen des Plitvicer Märchengebietes alsbald im Karstboden versinkt, später wieder zutage tritt, als unscheinbares Flüßchen nach Norden eilt und sich bei Karlstadt mit der schiffbaren Kulpa vereinigt. Jeder der dreizehn Seen von Plitvice (kroatisch und russisch plit = Felsplatte) zeigt sich anders hinsichtlich der Konfiguration und Wasserfarbe; das Farbenspiel ist von der Temperatur abhängig, unter fünfzehn Grad Celsius erscheinen alle Seen grau! So alt das Haus Habsburg geworden war, von männlichen Mitgliedern hatte sich kein Prinz je nach — Plitvice „verirrt“. Die Kronprinzessin Stefanie, jetzige Gräfin Lonyay, ließ sich gelegentlich einer Quarnerofahrt bereden, von Zengg an der kroatischen Küste aus die Märchenwelt von Plitvice zu besuchen. So qualvoll die Wagenfahrt gewesen, die Dame hatte den Besuch nicht bereut; sie war sprachlos vor Überraschung. Wenn es erlaubt ist, _meinen_ Eindruck mit einem einzigen Wort zu erwähnen, so wäre zu sagen, daß ich „tirolisch“ gerufen habe: „Oha!“ Mehr Worte standen nicht zur Verfügung.... Das Staunen war zu groß. Der Eindruck viel gewaltiger als etliche Tage später hoch am Vratnik beim ersten Anblick der tief unten blauenden Adria, die der „Benzinist“ bereits kannte. Daß das Erscheinen eines Reichsdeutschen in Plitvice, im südlichsten Zipfel Kroatiens, Aufsehen erregte, ist begreiflich; haben ja noch wenige — Kroaten den weiten mühevollen Weg „hinunter“ gefunden. Die Regierung Kroatiens hatte sich Jahrzehnte hindurch bemüht, der Pester „Hegemonie“ eine Bahnverbindung von Ogulin nach Plitvice zur Erschließung der Wasserwunder abzuringen. Immer vergeblich! Plitvice liegt auf — kroatischem Boden, nicht auf ungarischer bzw. magyarischer Erde. Vor etwa acht Jahren war es gelungen, eine Verbindung mit Hilfe eines — Postautomobils zu schaffen. Sechs Personen hatten darin Platz, und zur Besichtigung der Wasserwunder von Plitvice war — eine ganze Stunde Zeit gegeben. Wer diese Verfügung ersonnen, hätte verdient, strafweise „Präsident“ der „Država SHS“ zu werden.... Oder „Ehrenbürger von München“ während der „wonnigen Tage der Räterepublik 1919“. An sich aber war die Verfügung sehr nett, nämlich als durchschlagender Beweis, daß „St. Bureaukratius“ auch in der slavischen Welt gedeiht! Eine einzige Stunde Besichtigungszeit für das größte Wasserwunder des Erdballs!!! Einfach „köstlich“! Doch es gibt auch für jenen südslavischen St. Bureaukratius eine Entschuldigung in der Person jenes Altmünchener Hausbesitzers, der in jener Zeit, als München noch München, eine reinliche gemütliche Stadt und nicht spartakistisch durchseucht war, nach Paris fuhr, drei Tage später aber schon wieder im „königlich bayerischen“ Hofbräuhause saß und die erstaunten Freunderln bezüglich der überraschend schnellen Rückkehr dahin aufklärte, daß in Paris „auch nichts los“ sei. Alles gesehen, alles sei genau wie in München. „Auf dem _Père la chaise_ einmal — _herumgetanzt_, is aa nix!“ — — — In _Plitvice_ kann man, was im Flachlande Kroatiens unmöglich ist, reichlich und gefahrlos — Wasser trinken. Wein ist aber besser, der Slibovitz ausgezeichnet. Wir haben uns bemüht, möglichst viel von den Wasserwundern dieser südkroatischen Märchenwelt auf die photographische Platte zu bringen. Doch der beste Apparat kann nicht das unsäglich schöne Farbenspiel offenbaren. Wollte ein gottbegnadeter Künstler sie malen, _den_ Menschen möchte ich kennen lernen, der beim Anschauen der Bilder dem Maler glaubt, die Wahrheit auf die Leinwand gezaubert zu haben.... In Agram kann man immer viel Dinge hören, die man nicht zu glauben braucht. Die Versicherung, daß es in der Lika schon längst keine Räuber mehr gibt, das Reisen völlig sicher und gefahrlos sei, hatte mein „Automobilherr“ mit Vergnügen entgegengenommen. Mir war in Erinnerung, in einem Geschichtswerk gelesen zu haben: „Ni gora bez vuka, ni Lika bez hajduka!“ (Weder ist das Gebirge ohne Wölfe noch die Lika ohne Räuber!) Der Spruch stammt aus unruhigen Zeiten, als noch den Nordkroaten und Slavoniern Likabewohner und Räuber sinnverwandte Worte waren. Zu lesen war aber auch, daß der Likaner damals nicht aus Habsucht Hajduk wurde, sondern aus gekränktem — Ehrgefühl wegen Verprügelung; unter dem überstrengen Grenzregime wurde das geringste Vergehen grausam mit Stockschlägen usw. bestraft. Entehrenden Strafen zu entgehen, flohen die kurzhändig Verurteilten ins Gebirge; bitterste Not und Verzweiflung machten die Hungernden dann zu Räubern. Als Kaiser Franz Joseph die Leibesstrafe, die grausame Verprügelung, aufhob, hörten in der Lika die Räubereien sehr rasch auf. Der letzte Hajduk namens Toma Kovačević aus Vranik wurde im Jahre 1872 hingerichtet. Von alledem sagte ich kein Wort. Aber als „Justamentmensch“ und echt bayerischer Dickschädel wollte ich bezüglich der öffentlichen Sicherheit im südlichsten Zipfel Kroatiens und hart an der bosnischen Grenze, also „fern von Europa“ eine „Probe auf das Exempel“ machen, es auf einen räuberischen Überfall ankommen lassen. Also wurde die Geldtasche im Kasten des Hotelzimmers versperrt, als einzige Waffe wie immer nach alter Gewohnheit das griffeste Jagdmesser mitgenommen. Speiste vorher mit den Reisegenossen zu abend, und dann ging ich bei salzburgischem Schnürlregen „im Mondschein spazieren“. Ein Ausflug in pechschwarzer Nacht auf einsamer Landstraße zur bosnischen Grenze. Mutterseelenallein und furchtlos, neugierig und erpicht, mit likanischen Räubern Bekanntschaft zu machen und etliche Worte auf Südkroatisch wechseln zu können. „Schrecklich solide“ Leute diese Likaner. Bleiben bei Muttern zu Hause, wenn es finster ist und schnürlregnet, lieben die Trockenheit und Wärme. Ein Vergnügen war dieser frostige Spaziergang so tief im Süden wirklich nicht; aber „poetisch“ das Geheul frierender Dorfköter in langgezogenen elegischen Tönen. Unweit des zweiten Dorfes auf dieser einsamen trutzigen Wanderung endlich ein verdächtiges Geräusch. Ein Knacken von Holz, das etwas Ähnlichkeit mit dem Aufziehen von Gewehrhähnen hatte. Also doch! Und gleich mehrere Räuber und schußbereit! Nein! Richtige Raubgesellen machen vor dem Angriff nicht so blöden Lärm; auch ist es nicht üblich, daß echte Hajduken sich angesichts des Menschen, der überfallen werden soll, am Boden wälzen.... Zwei Esel waren die Spektakelmacher, zwei arme Langohrige, die zur Nachtruhe die Packsättel los werden wollten. Eine Grausamkeit höherer Art, den armen Lasttieren niemals die Traggestelle vom Rücken zu nehmen. Damals war mir noch nicht bekannt, daß nicht Grausamkeit vorliegt, sondern tiefgewurzelter, bei den Südslaven unausrottbarer Aberglauben, wonach die Stellen, wo sich Esel wälzten, dem Menschen „fürchterliches“ Unglück bringen. Man läßt, beispielsweise auf der Insel Lissa, dem Grauen den Packsattel ständig auf dem Rücken, damit der Esel sich nie richtig wälzen kann.... In der Nähe des lissanischen Städtchens Comisa hielt mich mein Begleiter mit — Gewalt ab, den Fleck zu betreten, auf dem ein Langohr Wälzversuche machte, um das lästige Gestell vom Rücken zu bringen. Mit dem Raubüberfall war es also nichts. Demgemäß weitergewandert auf der einsamen Landstraße durch Nacht und Finsternis. Auf südkroatischem Boden mit dem Eigensinn und Trotz des niederbayerischen Dickschädels! Irgendein Mensch, Kroat oder Bosniak, wird mir doch begegnen in dieser Finsternis. Und wissen, erleben wollte ich, ob der südslawische Mitmensch den einsamen Bajuvaren anbetteln oder niederzuschlagen versuchen werde. Der Schnürlregen hatte aufgehört; kühl wehte ein „südliches“ Windchen, glitschigfeucht war die Straße. Ein schlechtes Wandern. Im Dickschädel regte sich die — Vernunft mit dem Gedanken, daß das Hotel in Plitvice erreicht werden müsse, bevor der Pförtner sich zur Nachtruhe begibt. Denn dem Wanderer fehlte der Hausschlüssel, und Hotelportiers im ersten Schlafe „orgeln“ überall sehr fest, hören in diesem Zustande schlecht. Jetzt umkehren? Ohne einem Kroaten auf einsamer nachtumfangener Landstraße begegnet und angegriffen worden zu sein? Nicht um das ganze Königreich Kroatien! Auch dann nicht, wenn die kühle regenfeuchte Nacht „fern von Europa“ im Freien obdachlos verbracht werden müßte! Der Dickschädel aus Niederbayern gibt nicht nach ohne Zwang! Und der Zwang muß überwältigend stark sein; ansonsten erreicht er nur gesteigerten Trotz. Justament wurde weitergewandert. Irgendwo vor mir erscholl Hundegebell. Also mußte ein Dorf oder doch ein Gehöft an der Straße liegen, ein Mensch durchgewandert oder doch vorübergegangen sein. Vielleicht pilgerte der nächtliche Wanderer mir entgegen? Wenn ja, bräuchte ich nicht länger weiterzumarschieren, könnte alsbald umkehren, in das Hotel zurückkehren; vorausgesetzt, daß der Dickschädel noch im Besitz seiner Spazierhölzer und sonst heilgeblieben sein wird. Der Trotz schließt die Vorsicht nicht aus. Niederschlagen lassen lediglich aus Interesse für kroatische Verhältnisse wäre — übertriebene Sympathie, Abwehr eines Angriffs hingegen Pflicht der Selbsterhaltung. Demgemäß wurde der hemmende Wettermantel, wiewohl tropfnaß, gerollt und auf die linke Schulter genommen, das Jagdmesser in der Scheide gelockert, griffbereit gemacht. Zu sehen war der „Entgegenkömmling“ nicht, aber zu hören, denn fest der Tritt auf der quietschendnassen Straße. Demnach kein Bosniak in Opanken, sondern ein Kroat in soliden Stiefeln, oder ein Obersteirer in grobgenähten Goiserner Bergschuhen. Der Luftzug wehte entgegen, brachte aber keine „Witterung“ von dem nächtlichen Wanderer, der Kerl rauchte nicht. Ein Kroat, der nicht raucht, ist deshalb zwar noch nicht „suspekt“, aber immerhin eine Ausnahme, wenn er Tobak besitzt. Ein leidenschaftlicher Raucher ohne Rauchzeug kann unter Umständen gefährlich werden. Vorsichtshalber wurde das Jagdmesser nun doch ganz aus der Lederscheide genommen, die scharfgeschliffene Klinge in der Hand bereitgehalten. Hieb oder Stich je nach Bedarf augenblicklich möglich. In Notwehr selbstverständlich. Auf Entfernung von etwa zwanzig Schritten mußte der Kerl gemerkt haben, daß ihm ein Mensch entgegenkam; er blieb stehen und horchte. Das tat auch meine Wenigkeit. Überdies schnupperte ich, da der Wind etwas wie — Schafwitterung an die Nase brachte. Sind — Schafhirten gefährlich? Ich glaubte nicht daran und schritt weiter. Nur noch fünf Schritte Entfernung. Schafdunst zum Übelwerden. Distanz zwei Schritt. Der Kerl hob einen Arm in die Höhe. Das sah aus, als sei ein Schlag auf mein deutsches „Denker“haupt beabsichtigt. Aber der „Schafene“ hatte keinen Stock in der Faust. Ob etwa einen Stein, das war in der Finsternis nicht zu erkennen. Groß und demgemäß gefährlich konnte der „Stein“ nicht sein. Ein Steinchen brauchte der festgebaute bayerische Dickschädel nicht zu fürchten. Also drauf ankommen lassen! Schlägt der Kerl zu, bekommt er im selben Augenblick die Klinge des Jagdmessers in die Brust. Ein Zuruf, zwei Worte in kroatischer Sprache: „Dobro noć!“ (Gute Nacht!) Weich im Dialekt gesprochen, Schafwitterung dazu, dick und aufdringlich. Dank meinerseits im Vorübergehen: „Lahko noć!“ (Leichte Nacht!) und dazu ein Auflachen der Selbstverspottung wie des Vergnügens darüber, daß der Kerl sich vor mir — gefürchtet hatte. So endete das „furchtbare“ Abenteuer zu nächtlicher Stunde auf einsamer Landstraße tief im Süden Kroatiens, im „Räuberwinkel“ „fern von Europa“. Eine Wahl ohne Ochsen, ohne Wein. Im Kroatien der dreißiger Jahre stand die ungarische Feudalverfassung in Geltung; der Schwerpunkt des gesamten Verwaltungssystems lag in der Autonomie der Komitate. An der Spitze der Komitate standen jeweils entweder ein erblicher oder ein vom König ernannter Obergespan (supremus comes, kroatisch: veliki župan = großer Führer). Dem Obergespan untergeordnet waren zwei Vizegespane (podžupani), die Ober- und Vizestuhlrichter sowie die Notare als Vollzugsorgane der Verwaltung und der Rechtsprechung (Gerichte). Justiz und Verwaltung waren damals wie überall in diesen Organen vereinigt (so z.B. in Tirol, in Bayern usw.). Diese Organe wurden in Kroatien — gewählt und zwar von der „Kongegration“ des im Komitat ansässigen Adels auf jeweils drei Jahre. „Dekretiert“ war, daß diese Wahl, die zu jener Zeit auf lateinisch „restauratio“ genannt wurde, „frei“ sein sollte, von der Regierung nicht beeinflußt werden durfte. Was eine „Wahl“ nach ungarischem Muster, „frei“ und von der Regierung nicht „beeinflußt“, bedeutet, weiß heutzutage jeder Gymnasiast und Realschüler. Wie aber vor 1848 in Kroatien „gewählt“ wurde, erzählt Dr. von Tkalac in seinen „Jugenderinnerungen“ auf Grund von Mitteilungen, die er aus dem Munde des — bereits genannten — Agramer Obergespans Nikola von Zdenčaj, eines „berühmten Wahlmachers“, selbst erhalten hatte. Die Darstellung ist, wie mir auf mehrfache Umfragen bestätigt wurde, richtig und einwandfrei, wiewohl sie jedem Begriff von „Wahl“ ins Gesicht schlägt und das Dekret, betr. „Nichtbeeinflussung“, in noch nicht dagewesener Weise verhöhnt. Doch zu den Verhältnissen jener Feudalzeit paßte der Vorgang im Komitat Turopolje (Türkenfeld) zu Agram, Anfang der dreißiger Jahre, ganz ausgezeichnet; die Wahl eines Vizegespans bleibt typisch und ist wohl in Ewigkeit bezüglich „Freiheit“ und „Nichtbeeinflussung“ nicht zu übertreffen. Sogar die gegenwärtige jugoslavische Briefzensur in Agram, so Erstaunliches sie leistet, ist kaum ein Abglanz jener großartigen Willkürherrschaft seitens der Komitatsgewaltigen. Der Agramer Obergespan des Komitates Turopolje, Nikola von Zdenčaj, sah der nötig gewordenen Neuwahl des ersten Vizegespans, der „Restauration“, aus dem Grunde mit gewissem Unbehagen entgegen, weil sich sein Gehilfe Lentulaj (etwa mit Ruderer, Steuerer, Lenker zu übersetzen) der Neuwahl unterziehen mußte, Zdenčaj diesen sehr verständigen, rechtlichen und diensterfahrenen Beamten nicht verlieren wollte. Die Gefahr solchen Verlustes war groß, da die Gegenpartei nicht Lentulaj, sondern einen Herrn Čegetek (Zwitscherer), einen kreuzbraven Mann, aber von geringen Verwaltungsfähigkeiten, „korteschierte“, d. h. für ihn die Wahlagitation betrieb. Ein Teil des Landadels ließ ziemlich viel Geld springen, Gutsbesitzer spendeten Wein in Gebinden und Ochsen, welch letztere im ganzen am Spieß zur Belebung der Wahlstimmung auf dem Marktplatz in Agram gebraten werden sollten, jeden Abend zwei Ochsen bis zum Wahlschluß. „Wein in Strömen“. Kein Wunder deshalb, daß die Turopoljer in dichten Scharen schon vor dem Wahltage nach Agram zogen und die schöne Stadt „bevölkerten“. Für Speise und Trank war ja reichlich gesorgt; außerdem zogen diese Scharen lärmend und singend zur Belebung der Wahlstimmung unter Führung von Anhängern Čegeteks von Kneipe zu Kneipe. Verbieten konnte der Komitatsgewaltige diese Umzüge der Turopoljer nicht, überhaupt vor der Wahl nicht eingreifen; das „Dekret“ mußte „beachtet“ werden „vor“ den Wahltagen, wenigstens der Schein der Nichtbeeinflussung gewahrt werden. Mit Wein und Bratochsen zugunsten des ihm sympathischen Wahlkandidaten Lentulaj durfte Herr von Zdenčaj nicht „operieren“. Lentulaj selbst ließ angesichts der starkbetriebenen „Korteschierung“ Čegeteks die Ohren hängen und die Hoffnung sinken. Am letzten Abend vor der Wahl sah er sich den Rummel auf dem Hauptplatz an, wo die Anhänger Čegeteks in weinseliger Begeisterung die am Bratspieß „duftenden“ Ochsen betrachteten und ihren Kandidaten „hochleben“ ließen. Es war nichts zu wollen, gegen Čegeteks Freunde nicht aufzukommen. In gedrückter Stimmung ging Lentulaj zum Chef, dem Obergespan Nikola von Zdenčaj, und klagte ihm das Wahlleid: „Keine, nicht die geringste Aussicht, amice, selbst wenn ich Geld für zehn Ochsen und hundert Fässer Wein bester Sorte hätte! Ich werde nicht gewählt werden, mit Glanz durchfallen!“ Der Komitatsgewaltige hatte zwar noch keine Idee, wie der sympathische Wahlwerber und Vizegespan „durchgedrückt“ werden könnte, aber entschlossen war Herr von Zdenčaj zu einer „männlich festen“ Tat. Also lachte er zunächst und sprach die aufmunternden Worte. „Laß mich nur machen! Du wirst zum ersten Vizegespan ‚gewählt‘ werden, ohne Wein und ohne Ochsen! Ich bürge dafür!“ Lentulaj dankte, glaubte nicht an solche Möglichkeit, hoffte aber doch, da er die — Willenskraft des Obergespans aus dem Dienstleben kannte, und verbrachte eine schlechte Nacht zwischen schmerzlichem Verzicht und beseligender Hoffnung. Schon um acht Uhr morgens war der Sitzungssaal des Komitathauses, „Aula“ genannt, als Wahllokal, von Wahlberechtigten und Neugierigen, die dort nichts zu tun hatten, dicht gefüllt. Der Obergespan Nikola von Zdenčaj konnte sich durch die Menschenmenge nur mit Mühe hindurchdrängen und seinen Platz an dem Präsidialtische erreichen. Sonst als Komitatsgewaltiger ein kleiner Herrgott, war der Obergespan diesmal nur eine geduldete, wenig beachtete Persönlichkeit, der Wahlleiter, weiter nichts. Im Stimmengewirr, dem Summen in einem Bienenkorbe ähnlich, ging seine Ansprache völlig verloren; die Wähler hörten wenig, die Anhänger Čegeteks gar nicht auf die Rede Zdenčajs, mit der die Wahlhandlung eröffnet wurde. Verärgert forderte der Obergespan „Silentium“, und dann schrie er in den menschenüberfüllten Saal die Mitteilung, daß _zwei_ Kandidaten, die Herren von Lentulaj und Čegetek, zur Wahl stehen, einer von ihnen für den Posten des Vizegespans zu wählen sei, und zwar der Einfachheit halber „per acclamationem“, durch Zuruf. Diese „Einfachheit“ paßte den Anhängern Čegeteks, die in erdrückender Mehrheit im Saale erschienen waren, ausgezeichnet in den Kram. Donnerähnlich wuchtig und brausend erschollen die Rufe aus Hunderten von Kehlen. „Wir wollen den Čegetek!“ Über die Lage konnte kein Zweifel mehr bestehen: es stand ein einziger Mann, der Obergespan allein, gegen eine erdrückende Mehrheit von Gegnern, die fest entschlossen waren, nicht zu wanken, nicht nachzulassen, bis ihr Wille durchgesetzt sei. Den Willen, nicht Čegetek, sondern seinen erprobten Amtshelfer von Lentulaj „wählen zu lassen“, hatte aber der Obergespan. Und zum Willen hatte Herr von Zdenčaj auch noch die Kaltblütigkeit, wiewohl er gleich den Wählern Kroate, ein sonst hitziger Südslave war. Also rief der Obergespan dröhnend in den Saal: „Silentium! Ich kandidiere zwei Herren: Lentulaj und Čegetek? Wer davon ist genehm? Lentulaj oder Čegetek?“ Ein ohrenbetäubendes Gebrüll brach los. Sämtliche Anwesende im Saale, ausgenommen die Herren am Präsidialtische, tobten und brüllten den Namen: „Čegetek!“ Obergespan v. Zdenčaj blieb ruhig und klaren Kopfes, wiewohl er den Ausruf zum dritten Male in den Saal schrie: „Silentium! Čegetek oder Lentulaj!“ In höchstgesteigerter Erregung, gereizt und aufgestachelt durch das Verhalten des Präsidenten, der immer wieder den Namen des Gegenkandidaten nannte, brüllte die Mehrheit. „Čegetek! Nur Čegetek! Kein anderer! Čegetek!“ Ein Stocktauber, ja ein — Toter hätte den Donnerruf, den in fanatischer Wut gebrüllten Namen: „Čegetek!“ hören müssen. Der Obergespan wollte ihn aber nicht hören. Herr von Zdenčaj legte die Hand als Schallbecher an das rechte Ohr, tat so, als horche er angestrengt, und schüttelte in prachtvoll geheuchelter Gelassenheit den Kopf. Augenblicklich wurde es still im Saale. Jetzt verkündete der Obergespan mit köstlichem ruhigem Spott: „Ich höre nur den Namen — Lentulaj!“ Ein Stutzen erst, dann brach der Entrüstungssturm los, donnernd, kreischend, vom Baß hinaufreichend bis zu den Fisteltönen hellster Wut. „Nicht Lentulaj, sondern Čegetek!“ Bisher hatte Nikola von Zdenčaj, in Wahrung seiner Würde als Komitatsgewaltiger, von seinem rotgepolsterten Fauteuil aus, _sitzend_ zur Wählermasse gesprochen. Nun _stand er auf_ zum Zeichen, daß eine _offizielle_ Mitteilung verkündet werde. Die Wähler verstummten in gespanntester Erwartung und horchten. Herr von Zdenčaj in unerschütterlicher Ruhe erklärte: „_Ich habe bisher nur den Namen ‚Lentulaj‘ vernommen_. Demgemäß _proklamiere_ ich amtlich in meiner Eigenschaft als Obergespan und Leiter der Wahlhandlung Herrn von _Lentulaj_ als gewählt durch Akklamation zum ersten Vizegespan! _Herr von Lentulaj ist — gewählt_!“ Sprachs und setzte sich. Viel Hunderte Wutschreie gellten durch den Saal, ein Orkan der Entrüstung entlud sich, wie wahnsinnig tobten die geprellten nhänger Čegeteks und brüllten den Protest: „Gewaltstreich! — Nichtswürdigkeit! — Gemeinheit! — Sind wir in der Türkei? Wir protestieren — zu Protokoll! Die Proklamation gilt nicht! Sie ist ungiltig!“ Statuengleich saß der Obergespan auf dem roten Fauteuil und wartete ruhig, geduldig. Herr von Zdenčaj kannte seine Leute und ließ sie toben, brüllen, protestieren, austoben. Das dauerte eine Weile — dann aber flaute der Sturm ab. Es wurde etwas ruhiger im Saale. Der Obergespan verneigte sich leicht gegen die Wählerschaft, wandte sich zum Obernotar am Präsidialtische und befahl mit lauter Stimme: „_Die Proklamation Lentulajs ist zu protokollieren!_“ Im Saale erst allgemeine Verblüffung. Die Leute waren sprachlos vor Überraschung; denn viele hatten es doch nicht für möglich gehalten, daß der Obergespan angesichts des deutlich genug zum Ausdruck gebrachten Willens der erdrückenden Stimmenmehrheit genau das Gegenteil feststellen werde. Seine Gelassenheit, die souveräne Nichtbeachtung der Mehrheit flößte wie immer jenes Höchstmaß von „Respekt“ ein, das teils ein Lachen hilfloser Verlegenheit bewirkt, teils zu Anzeichen ungefährlicher Drohungen reizt. Während ein Teil der übertrumpften Anhänger Čegeteks lachte, ballten andere die Fäuste in ohnmächtiger Wut gegen den schlaueren Obergespan, der klug genug war, jetzt erst recht gelassen zu bleiben und alles unterließ, was einen neuen Sturm hätte erzeugen können. Herr von Zdenčaj erhob sich und forderte die Wähler auf, mit Zuruf für die Stelle des zweiten Vizegespans entweder Herrn Čegetek oder Herrn von Busić zu wählen. Abermalige Verblüffung. Die Aufforderung mit Nennung des Namens „Čegetek“ an erster Stelle hatte die Wirkung eines kalten Wasserstrahles auf die erhitzten Köpfe. Die Leute glaubten, daß der Obergespan _jetzt ihren_ Willen erfüllen, _Čegetek_ zum zweiten Vizegespan _haben möchte_. Das aber wollten die Wähler justament nicht; sie wünschten Rache zu nehmen und Zdenčajs „Plan“ zu vereiteln. Mit donnernden Zurufen wurde Herr — _Busić_ gewählt. Der Obergespan beherrschte sich völlig, nichts deutete an, daß mit dieser Wahl ihm ein Wunsch erfüllt worden war, die Wähler abermals „reingefallen“ waren. Nach erfolgter Protokollierung wurde das Wahlgeschäft geschlossen; die „Komödie“ war — aus. Langsam leerte sich der Saal. Und schier jeder Čegetekianer guckte noch einmal nach dem Gewaltigen am Präsidialtische, hoffend, ein Lächeln oder eine Geste des Triumphes erspähen zu können. Doch Herr von Zdenčaj wahrte die undurchdringliche Gelassenheit und eiserne vornehme Ruhe, bis er sich in seinem Arbeitszimmer und ohne Beobachter befand. Dann erst schmunzelte er vergnügt. Nach Jahren äußerte er sich zum jungen Herrn von Tkalac, der ihn wegen dieser „Wahlhandlung“, die in Kroatien viel besprochen und belacht worden war, befragte, mit dem Behagen einer angenehmen Erinnerung. „Es kommt bei solchen Gelegenheiten nur auf Willenskraft und Kaltblütigkeit des Obergespans an; wer diese nicht besitzt, wird bei der ‚Restauration‘ immer geschlagen werden. Das Geschrei von hundert Eseln ist nicht soviel wert wie die einzige Stimme eines verständigen und ehrlichen Menschen.“ Ob nach Umfluß von drei Jahren jener Herr von Lentulaj nochmals _ohne Ochsen und ohne Wein_ zum ersten Vizegespan gewählt wurde, ist nicht festzustellen, da gegenwärtig jede Verbindung mit dem Agramer Komitatsarchiv unmöglich erscheint. Die tausendjährige Linde. Kräftiger und süßer denn je dufteten die Blüten der riesigen uralten, vielleicht tausendjährigen Linde nächst der Kirche von Krašič (Kraschidsch), einem Winzerdorfe an der östlichen Abdachung des Uskokengebirges in Kroatien. Den Slaven war und ist die Linde ein geheiligter Baum, das Wahrzeichen alter Rechte, für Freud und Leid, die Beratungsstelle zum Austrag von wichtigen Gemeindeangelegenheiten, von Streitigkeiten unter den Bauern wie mit der Grundherrschaft. Sommerliche Festlichkeiten, Tanzvergnügungen usw. wurden stets unter der Linde, pod lipom, veranstaltet. Noch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde jede Dorflinde für unverletzlich gehalten, selbst ein abgestandener Baum niemals gefällt; Sagen und Märchen, viel Aberglauben umrankten die Linde, der man keinen Ast abbrechen durfte, weil jede Beschädigung als Verbrechen ähnlich der Kirchenschändung erachtet wurde. Der Stamm der Riesenlinde von Krašič hatte einen Umfang von mehr als zwei Klaftern; der Baum stand in voller Herrlichkeit und blühte im Juli 1838 so wonnig, kräftig und süß, wie sich die Dorfbewohner und auch der alte Pfarrer nicht erinnern konnten. Es galt in Krašič für sicher, daß dieser außergewöhnlich starke Blütenduft der Dorflinde etwas bedeuten müsse; doch konnte niemand, auch der weißhaarige Župnik (Pfarrer) nicht, sagen, was die Ursache sei, und was der Duft ankündigen wolle, der über die Gemarkung des Dorfes hinausdrang und, zeitweilig vom Luftzug verweht, sogar in den Weinbergen der Novakovičgora noch wahrzunehmen war. Diese Linde überragte alle Dächer, schirmte sozusagen das Kirchenschiff und den Widum (Pfarrhaus) und glich gewissermaßen den Schwingen einer Gluckhenne, unter denen die Kücken Schutz finden. Stolz waren die Krašićer auf ihre Riesenlinde so hoch und breit. Wegen des überstarken Blütenduftes im Juli schüttelte aber der Župnik wie der Starešina den Kopf. Der Älteste (Dorfvorsteher) Zaka (Zacharias) glaubte, daß der fast betäubende Duft ein großes Unglück ankündigen werde, war aber außerstande, zu sagen, was als ein besonderes Unglück anzusehen wäre. In seligem Frieden mit der gräflichen Grundherrschaft lebten die Dörfler allerdings nicht; der Haß galt nicht der gräflichen Familie, sondern den Gutsbeamten, die sich mit dem Neuntel von Getreide und Heu, mit dem Zehntel von der Weinfechsung nicht begnügten, regelmäßig die Hälfte forderten, aber nicht immer erhielten. Bisher hatten die Krašićer beim Domanialgericht Klage geführt, immer wieder Beschwerde eingelegt, aber nichts zu ihren Gunsten erreichen können. Der Richter stand auf Seite der Gutsherrschaft; die Beamten wollten nicht locker lassen und hatten dafür ihre Sondergründe. In der pfarrlichen Arbeitsstube, durch deren offen stehende Fenster der Lindenblütenduft wonnig eindrang, sagte der Starešina, ein großer, noch immer schöner Mann im Weißbart, zum allgemein verehrten Priestergreise. „Der Duft ist zu stark; er gefällt mir nicht! Ich gehe nach Karlstadt und will fragen, was er bedeutet!“ Der ehrwürdige Pfarrer konnte und wollte den Dorfvorsteher vom Gang zur Kreisstadt nicht abhalten, hatte jedoch den Wunsch, zu verhüten, daß sich der Starešina mit der komischen Frage nach der Ursache des überstarken Blütenduftes bei der Beamtenschaft in Karlstadt lächerlich mache und verhöhnt werde. In der Meinung, daß der Vorsteher in einem Scherz das Körnchen Ernst herausfinden werde, verwies der Pfarrer auf den Spruch: „Ne prelazi na cetir noge mosta!“[15]. Damit wollte der Župnik andeuten, daß man _nicht überstürzt reiten_, das Pferd am Zügel führen solle, weil möglicherweise die Brücke morsch sei. Vor einem übereilten Schritt wollte der Pfarrer den Vorsteher abhalten oder doch warnen. Der Starešina hob den weißbebuschten Kopf, richtete die blitzenden Augen auf den Župnik und sprach. „Wer _zu Fuß_ geht, kommt auch über eine baufällige Brücke!“ Nach kurzem Abschied verließ der Vorsteher das Pfarrhaus und stapfte nach Karlstadt. Zwei Tage später stand er wieder vor dem Pfarrer und berichtete, daß der überstarke Blütenduft der Linde „neue Rechte“, nove pravice[16], ankündigen wollte, ein neues Urbanialgesetz, das der Kaiser und König den Bauern zum Schutz gegen die aussaugenden Grundherren gegeben habe. Mit der Raubwirtschaft und Bauernschinderei sei es jetzt zu Ende; die Bauern hätten nun mit kaiserlicher Ermächtigung ein Recht, Neuntel, Zehent und Robot zu verweigern, ihre Peiniger, die Blutsauger, zurückzuwerfen und zu verprügeln, wenn die Gutsbeamten mit Gewalt vorgehen. Der Pfarrer ahnte Schlimmes und bat flehentlich, jede Gewalttat zu unterlassen, das Neuntel von der beendigten Ernte diesmal noch zu geben, da einstweilen vom Reichstag nur die „königliche Proposition“ angenommen, das Gesetz selbst vom Monarchen noch nicht „sanktioniert“, nicht vollziehbar sei. Der Starešina war nicht zu belehren, die Mitteilung von dem in Budapest angenommenen Gesetz zum Bauernschutz zu Kopf gestiegen. Er wollte nicht mehr auf den Pfarrer hören, wiewohl der Vorsteher sonst zugänglich war und mit allen Gemeindeangehörigen den greisen Župnik aufrichtig verehrte. Scharfen Tones, metallhart sprach der Starešina die Worte. „Jetzt wird die Linde sprechen; sie allein entscheidet mit dem letzten Wort!“ Damit verließ der alte Zaka den Widum und blieb dem Pfarrer fern. Von Haus zu Haus lief die aufwühlende Kunde von dem „neuen Recht“. Und für den nächsten Sonntag nach Beendigung des Gottesdienstes wurde der „Rat unter der Linde“ einberufen. Die „Linde sollte sprechen“.... Schwere Befürchtungen erfüllten die Seele des ehrlichen Pfarrers, der sich entschloß, in der nächsten Sonntagspredigt die Gemeinde vor den Folgen der Zinspflichtverweigerung umso mehr eindringlich zu warnen, als im Dorfe Leute auftauchten, die zweifellos zu offenem Widerstand aufreizten und den Bauern alle Freiheit und obendrein eine goldene Zukunft versprachen. Fast ein halbes Jahrhundert hindurch war der Pfarrer unter oft bitterharten Verhältnissen Seelsorger, doch nie fiel ihm der Gang zur Kanzel so schwer wie an diesem Sonntag. Und wie er den Leuten zureden sollte, wußte er nicht, als er bereits auf der Kanzel stand. Beim Anblick der Männer mit gewissermaßen bissigem Gesichtsausdruck kam die Erleuchtung plötzlich und ebenso jäh der unbeugsame Entschluß, all die Beliebtheit und Verehrung dranzusetzen, den verhetzten Bauern rückhaltlos, unbekümmert um die Folgen für den Prediger, die Wahrheit zu sagen. Und so hub der greise Župnik zu sprechen an, daß es leicht sei, im schwer arbeitenden und unter harten Lebensverhältnissen leidenden Volke mit lockenden Worten große, ja ungeheure Hoffnungen auf schrankenlose Freiheit und goldene Zeit zu erwecken. Wer die leichtgläubige, begehrliche, geldlüsterne Menge mit frechen Versprechungen überschütte, der habe immer gewonnenes Spiel, mag der Schwätzer ein Verräter, ein Dieb, ein Überläufer, ein Schuft sein. Das Volk opfert immer für eine glänzende Hoffnung die kleine Habe, das bißchen angeborenen gesunden Menschenverstand. Blitzdumm sei es, die wenigen letzten Gulden den Schwätzern nachzuwerfen in der Hoffnung, daß die kommende Zeit Dukaten in schwerer Menge einbringen werde. Die Zukunft bringe aber kein Geld, überhaupt keinen Gewinn, dafür aber bittere Enttäuschung und schweres Unglück in der Familie, in der Gemeinde, im Vaterlande. Das sei immer und überall so gewesen, wo Geldgier und Faulheit größer waren als Verstand und Vernunft. „Die Gescheitesten auf Gottes weiter Erde sind wir Kroaten schon in früheren Jahrhunderten nicht gewesen, weil wir für andere Leute und fremde Interessen Blut und Leben hingegeben, dafür keine Entschädigung, nicht mal ein Dankeswort erhalten haben. Leute von Krašić! Zeiget doch ihr, daß wir nicht die Dümmsten von Kroatien sind! Ein bissel dumm sein, ist ja ganz nett und bekömmlich für Leib und Seele! Aber die Allerdümmsten wollen wir nicht sein! Wir sind es aber, wenn wir auf ein Gesetz pochen, das noch nicht Gesetzeskraft erlangt hat, weil der Kaiser-König es noch nicht sanktioniert hat. Es muß das Neuntel von Getreide und Heu gegeben werden, weil der Monarch die Bauern _noch nicht_ von dieser Abgabenpflicht befreit hat! Sobald das geschehen ist, das Gesetz rechtskräftig geworden ist, bin ich der erste, der es verkündigen und euch auffordern wird, der Grundherrschaft das Neuntel und Zehntel zu verweigern! Bis jetzt sind wir _noch nicht_ so weit: wir müssen zinsen! Seid vernünftig, Männer von Krašić!“ Ein Gepolter machte den Kanzelredner stutzig. Der Pfarrer hielt inne und guckte betroffen auf die Bauern, die rücksichtslos aus den Kirchenstühlen traten, in Haufen das Gotteshaus verließen. Nur Weiber und Kinder blieben beim greisen Pfarrer zurück, der die Predigt jäh beendete und tiefbetrübt den Gottesdienst fortsetzte. Unter der duftenden Linde versammelten sich die Dörfler von Krašić zum Schwur, alle Abgaben der Grundherrschaft zu verweigern, die „Blutsauger“ (Beamten) mit Gewalt zu vertreiben, wenn nötig totzuschlagen. Denn damit sei der Kaiser-König einverstanden, der die alten Rechte (stare pravice) erneuerte und der Bauernschinderei ein Ende gemacht habe. Gegen den greisen Pfarrer fiel kein Wort; die Verehrung saß tief genug, die Dankbarkeit wurzelte so fest, daß einer der Hetzer aus Karlstadt, der zu einer Art „Katzenmusik“ vor dem Widum auffordern wollte, regelrecht verprügelt und aus dem Bereich der heiligen Linde entfernt wurde. Und nach Beendigung der Versammlung unter der Linde ging der Starešina zum greisen Pfarrer und bat um Verzeihung, daß die Bauern so rappelköpfisch während der Predigt die Kirche verlassen hatten. „Wenn es nur das wäre! Es wird noch viel schlimmer kommen!“ meinte ahnungsvoll der bekümmerte Župnik. „Wollen wir hoffen, daß der König das Gesetz sanktioniert, _bevor_ die Ernte eingebracht ist!“ Der greise Pfarrer verwies auf die Langsamkeit, mit der in Pest und Wien gearbeitet werde. „So? Dann trägt der König Verantwortung und Schuld!“ „Und die Krašićer werden in — Blut schwimmen!“ Der alte Zaka richtete einen langen Blick auf den greisen Pfarrer, seufzte tief und ging. Als die Linde verblüht hatte, ihr auffallend starker Duft erloschen war, brachten die Bauern die letzten Garben unter Dach und Fach. Der übliche Erntejubel unterblieb. Die Spannung war zu groß, die Erwartung, was nun erfolgen werde. Der Starešina ging nach Karlstadt und fragte bei der Vizegespanschaft an, ob das Urbanialgesetz sanktioniert worden sei. Er kam mit dem betrübenden Bescheid zurück, daß bis auf weiteres alles beim alten bleibe, also das Neuntel der Ernte gezinst werden müsse, widrigenfalls die bockbeinigen Bauern mit Gewalt dazu gezwungen würden. Alle Bauern, nicht nur die von Krašić! Das Wetter schlug um. Auf die südlich-heißen Erntetage folgten windgepeitschte Regengüsse, die den Boden Kroatiens in Morast verwandelten, den Verkehr unterbanden. Auf Seitenstraßen und Dorfwegen konnten Ochsenfuhrwerke kaum durchkommen. Die Bauern des abseits gelegenen Dorfes Krašić frohlockten in der Meinung, daß das Neuntel ihnen verbleiben werde, einmal weil der „Lindenschwur“ bekannt geworden sei und die Herrschaft eingeschüchtert habe, und dann, daß den Blutsaugern die — Rache verregnet sei. Verregnet war allerdings auch der Erntetanz unter der Linde; er sollte stattfinden am nächsten sonnigen Sonntag. Der Warmwind flog über das Land und trocknete rasch auf. Schon am zweiten Tage darauf staubte die gute Straße von Karlstadt nach Ogulin wieder. Und die Sonne brannte hernieder. In Krašić war es rasch trocken, die Linde hatte sich alle Tropfen vom Laub geschüttelt; köstlicher Erdgeruch überall, wonniger Duft in den Rebgeländen. Im Dorf erscholl heftiges Peitschengeknall. Herrschaftliche Gutsbeamte waren mit Leiterwagen gekommen, wollten das Neuntel von den Bauern einheimsen und wegfahren. Eine rücksichtsvolle Neuerung: man _holte_ das Neuntel, _ersparte_ den _Zinspflichtigen_ die _Bringung_ zum weit entfernten gräflichen Schlosse. Dagegen hieß es: Rasch heraus mit dem Getreideneuntel! Alsbald gab es Lärm in Haus und Scheune des Starešina, dessen Enkel ausliefen wie bei Feuersnot und Einsturzgefahr. Und sogleich wimmerten die Kirchglocken, riefen um Hilfe gegen Bedrücker und Nötiger. Gemäß dem „Schwur unter der Linde“ rückten die Bauern aus mit Beilen, Sensen, Schaufeln und sonstigem Werkzeug, das zum Schlagen gebraucht werden kann. In regellosen Haufen setzten sich die Krašićer zur Wehr, griffen an. Der Starešina Zaka wollte freilich nur die Verjagung der habgierigen Gutsbeamten und ihrer Helfer; aber einmal im Angriff wurde in den Bauern die Kampflust der Südslaven, mit ihr die Wut gegen die Peiniger und Blutsauger lebendig. Und da gab es kein Halten mehr. Halbtot wurden die Handlanger geschlagen, und nur der gräfliche Upravnik (Verwalter) konnte sich unverletzt retten, weil der Dorfvorsteher sich schützend vor ihn gestellt hatte. Mit dieser Hilfeleistung erreichte der Starešina aber nur die — _beschleunigte_ Benachrichtigung der Gutsherrschaft von dem Krawall in Krašić und deren Verlangen von _militärischem_ Schutz bei der Komitatsbehörde. Geheuer war dem Vorsteher nicht, als er die übel zugerichteten Gutsknechte erblickte, denen die Bauern und das Weibsvolk nicht den geringsten Beistand leisten wollten. Sogar das Verbinden der halbtot Geschlagenen wurde verweigert. Der Haß war zügellos geworden. Nur mit Mühe konnte der alte Zaka seine eigenen Angehörigen dazu bewegen, die Verletzten notdürftig zu verbinden und auf einem Leiterwagen bis in die Nähe des gräflichen Schlosses zu fahren, wo die Knechte wie gebundene Kälber abgeladen wurden. Worauf die Starešina-Leute _sofort_ Reißaus nahmen und im Galopp davonrasselten. Zaka selbst wanderte nach Karlstadt, wo er den Sachverhalt vorbringen, um „gut Wetter“ bitten wollte. Was er von den Schreibern zu hören bekam, lautete bereits übel genug; bis zum Vizegespan gelangte der Starešina überhaupt nicht. Und im Gerichtsgebäude äußerten etliche Juratuši (Auskultatoren, Rechtspraktikanten), daß wegen der Schandtat in Krašić das Standrecht verkündet, jeder dritte Mann werde gehängt werden. Und wenn der Starešina nicht schleunigst verschwinde, werden ihm als dem „Oberhetzer“ fünfzig Stockprügel auf Grund der „alten Rechte“ verabreicht werden. Stehenden Fußes verließ Zaka die Kreisstadt und und lief heim, so rasch es den steifen alten Beinen noch möglich war. Er eilte auch noch in das Dorf Jaska, das an der Straße von Agram nach Karlstadt lag, und wo der Vizestuhlrichter Žaba (Frosch) seinen Amtssitz hatte. Diesen Gerichtsbeamten wollte der Starešina um Rat und Fürsprache bitten. Aber der Herr war nicht zu Hause. Dem alten Vorsteher entschlüpfte die Äußerung, daß der Richter nie zu Hause sei, wenn man ihn zu Rat und Hilfe benötige. Wegen dieser Bemerkung wollte der Gerichtsdiener dem alten Zaka ein viertelhundert „amtliche“ Stockprügel „aufmessen“. Verängstigt und erbittert tat der Starešina im Heimatdorfe das Dümmste, so er tun konnte: er rief die Bauern unter die Linde und erzählte ihnen seine Erlebnisse in Karlstadt und Jaska. Die Folge dieser aufreizenden Mitteilung war, daß die Krater Bauern nicht nur alle Schlagwerkzeuge, sondern auch Schußwaffen hervorholten, sich zum Empfang von Panduren (Gerichtsdienern) und Gendarmen bereithielten, nicht mehr abwehren, sondern in entfesselter Mordlust alle Personen totschlagen wollten, die aus der Kreisstadt und von Jaska kommen würden. Zu spät merkte der Starešina, was er angerichtet hatte, und daß sich dieser Sturm nicht mehr beschwören ließ. An die Möglichkeit, daß der Gutsherrschaft Militär zum Schutz gegeben werden könnte, dachte er überhaupt nicht. Groß war deshalb die Überraschung, als am dritten Tage nach dem Krawall eine verstärkte Kompagnie Soldaten mit Offizieren und mit einem Hauptmann zu Pferd an der Spitze in Krašić einrückte. Reden konnte der Vorsteher nicht mehr, nur mitlaufen, als die zum erbitterten Kampf entschlossenen, mit allerlei Mordwaffen ausgerüsteten Bauern zur Linde sprangen. „Unter der Linde“ hielten sich die Bauern gesichert, vor dem ersten Angriff der Militärmacht gefeit. Mochten auch glauben, daß die Soldaten das Schießen nicht wagen würden, solange man im Bannkreis der „heiligen“ Linde stehe. „Pod lipom“ fand der Starešina auch die Sprache wieder, die für einen Vorsteher nötige Intelligenz freilich nicht, denn er richtete an den Kapetan (Hauptmann) die naive Frage, was das Erscheinen so vieler, nicht zu Gast geladener Soldaten in Krašić zu — bedeuten habe. Der Hauptmann verstand nicht Kroatisch und ließ durch den Profosen fragen, was der Starešina mitteilen wolle. Für sein Patriarchenalter war Zaka ein arger Hitzkopf, oder es hatte ihn der höhnische Ton, das spöttische Lachen des Profosen außer Fassung gebracht; der Vorsteher rief erregt, daß das kleine Dorf so viele Soldaten nicht beherrbergen könne, dazu keine Lust habe; die Bauern von Krašić aber wollen weiter nichts als ihre vom Kaiser-König gegebenen Rechte. Zum Schluß krähte der alte Zaka die Forderung, daß die Soldaten sofort abzumarschieren hätten! Lachend übersetzte der Profos die „Befehle“ des Starešina dem Hauptmann, dem man das Erstaunen über das Verhalten des Dorfvorstehers und des sichtlich angriffslustigen Bauernhaufens anmerken konnte. Eine kurze Zwiesprache folgte in scharfem Ton seitens des Kommandanten, der an dem „Spaß“ bereits genug hatte. Der Profos meldete nun dienstlich und ernsthaft auf kroatisch: der ganzen Kompagnie samt Offizieren sei sofort im Dorfe gutes Quartier zu beschaffen und reichliche Verpflegung mit Wein zu geben. Wer sich weigere, erhalte erstmals fünfundzwanzig Stockstreiche. Die Bauern haben alle Gewehre „unter der Linde“ niederzulegen, dann schleunigst heimzugehen und für Quartier zu sorgen; ansonsten fünfzig Stockprügel für jeden Agrikel. Wer sich weigert oder gar lärmt, wird an der Linde aufgehängt! „Vorwärts, marsch!“ Der Starešina verlor den Verstand, brüllte tobsüchtig, warf seine Tabakspfeife zu Boden und zerstampfte sie. Brüllte aus Leibeskräften: „Sind wir Hajduken? Uns ehrlichen Bauern eine solch schändliche Behandlung! Gehet fort, Soldaten, von hier, wo ihr nichts zu suchen habet! Mit unseren Schindern werden wir schon alleine fertig! Fort mit euch!“ Mehr als die herausgeschrienen Zornesworte des Dorfältesten wirkte auf die Bauern die Tatsache, daß der Starešina sein kostbarstes Gut auf Erden, die silberbeschlagene Tabakspfeife, mit den Füßen trat. Dies war bei ihm das Zeichen für die höchste Entrüstung, für die größte Wut, das Signal, daß nun „ausgeredet“ sei und mit aller Schärfe „gehandelt und eingegriffen“ werden müsse. Ein erneutes Gespräch zwischen dem Kapetan und dem Profosen blieb unbeachtet im Trubel an der Linde; doch horchten die Bauern auf, als der Profos die Drohung rief, daß der Starešina als erster fünfzig Stockprügel sofort „aufgemessen“ erhalte, wenn die Leute nicht augenblicklich die Waffen niederlegen und still auseinandergehen würden. Zur Verstärkung der Drohung zog der Hauptmann hoch zu Roß den Säbel. Nun gab es kein Halten mehr. Die Wut der Bauern war entfesselt. Etliche der Jungbauern sprangen los, der Kapetan wurde vom Pferd gerissen trotz heftiger Abwehr mit Säbelhieben, zu Boden geworfen und mißhandelt. Kommandorufe der anderen Offiziere erschollen, Schüsse blitzten auf. Vier Bauern fielen tot nieder; andere wurden schwer angeschossen. Brüllend und rasend vor Wut warfen sich alte und junge Bauern auf die Soldaten, schlugen mit Beilen, Hacken und Sensen, Schaufeln und Knütteln los. Die Flintenträger drehten die Gewehre um und droschen mit den Kolben auf Infanteristenköpfe. Die Soldaten feuerten abermals. Etwa zehn Bauern stürzten leblos zu Boden. Zu einer weiteren Salve kam das erste Glied nicht mehr: die rasenden Bauern schlugen die Reihe nieder; das zweite Glied mußte mit Kolbenhieben abwehren. Über den Knäuel verkämpfter, blutender und sterbender Bauern und Soldaten hinweg feuerte das dritte Glied auf die anstürmenden, rasenden Krašićer abermals eine Salve, die breite Lücken riß und zur Flucht zwang. Auf die springenden Bauern schossen die ausschwärmenden Soldaten nun wie auf Hasen im Kesseltreiben, rasch, „lustig“ und erfolgreich. Etwa zwei Dutzend Krašićer fielen bei dieser „Jagd“. An der Linde lagen etwa fünfzehn Bauern, darunter mit zerschmettertem Schädel der Starešina Zaka und an zehn Infanteristen, teils tot, teils sterbend. Vom Geknatter der Schüsse aufgeschreckt, rannten die Weiber aus den Häusern und zur Linde. Heulend die einen, kreischend und fauchend die anderen; etliche so wütend, daß sie einzeln stehende Soldaten angriffen, die Mühe hatten, die rabiaten Weiber abzuwehren. Hornsignale riefen die Kompagnie zum „Sammeln“ Der Platz um die Dorflinde wurde im langsamen Vorschreiten gesäubert, das Weibervolk gegen die Häuser zurückgedrängt. Der Profos verkündete auf kroatisch, daß erschossen werde, wer vom Zivil ein Haus betrete oder verlasse. Einquartierung dazu. Jedes Haus wurde militärisch besetzt. Das konnte erzwungen werden. Der Weiber in den Häusern vermochten die Soldaten aber nicht Herr zu werden. Die Zungen waren nicht zu bändigen, die Tränen der Witwen nicht zu stillen. Wortkampf und Fluchen in jeder Hütte. Und als sich die Kunde wie Flugfeuer verbreitete, daß der Vizestuhlrichter von Jaska zu Wagen angekommen sei, konnten die Soldaten die wütenden Weiber nicht in den Häusern halten. Reden und abrechnen wollten die Weiber mit diesem Behördenmanne, der ihrer Meinung nach seine Pflicht gröblich verletzte, weil er nicht zu Hause war. In flatternden Röcken, mit aufgelöstem Haar, kreischend und fluchend stürmten die Weiber zum Lindenplatz, wo sich der Vizestuhlrichter mit zwei Offizieren um den übel zugerichteten Hauptmann bemühte. Sein Unterbeamter, ein junger Juratuš, suchte im Knäuel der Bauern und Soldaten nach, wer noch am Leben war. Der Vizestuhlrichter, ein angejahrter, erfahrener Mann, war dienstlich in Karlstadt festgehalten gewesen, konnte nicht rechtzeitig in Krašić erscheinen. Mit der Volksseele vertraut, insbesondere ein Kenner der Südslavin wußte er, daß, wie die Bosnierin, auch die Kroatin im Zorn ihren Kindern, so diese ungehorsam sich erwiesen, die Schmerzen der Geburtswehen vorhält in der Meinung, dadurch die ahnungslosen Kinder hart zu strafen. Auf Grund solcher psychologischer Kenntnisse war Herr Žaba auf „kräftige“ Vorwürfe seitens der Krašićer Weiber wegen seines verspäteten Erscheinens gefaßt. Den Hagelsturm von Verwünschungen und Flüchen, wie er in wilder Wut und fanatischer Kraft niederbrauste und -prasselte, konnte der Richter aber doch nicht ahnen. Ein Wortgeschmetter gräßlichster Art von tobsüchtigen Weibern, die gewillt waren, den schuldlosen Gerichtsbeamten in Fetzen zu zerreißen, und nur von herbeigeeilten Soldaten von Mord und Totschlag abgehalten werden konnten. Alle Seelenkunde ließ Žaba im Stich; solchem Verfluchen war er, selbst ein Südslave und dem Einfluß eigenartiger Erziehung und absonderlicher Verhältnisse unterworfen, nicht gewachsen; sein Denken wurde verwirrt, die Seele in Angst vor Verdammung versetzt dadurch, daß schwangere Weiber, deren Gatten erschlagen und erschossen auf dem Dorfplatze lagen, dem Richter die Verantwortung an dem furchtbaren Unglück aufluden, ihn vor den Richterstuhl Gottes forderten und seine Sterbestunde verfluchten. Sinnverwirrt, an vermeintliche Schuld nun selbst glaubend, wiewohl schuldlos, klagte er sich vor den tobenden Weibern der Nachlässigkeit und leichtsinnigen Verspätung an; besinnungslos rannte er von einer Leiche zur anderen, bat jeden Toten um Verzeihung und heulte, da er keine Antwort bekam. Die Offiziere, von den Weibern maßlos beschimpft, machten der Szene ein Ende, führten den sinnverwirrten Richter von dem Lindenplatz weg und redeten ihm zu, Vorkehrungen für die — Beerdigung zu treffen. Dadurch gerieten die Gedanken auf den greisen — Pfarrer, den kein Auge erblickt hatte. Von der Domestika erfuhr man, daß der hochwürdige Pfarrer tags vorher nach Agram gefahren war und für den Abend in Krašić erwartet wurde. Der zappelige Richter verfügte die Verbringung der Leichen in die — Kirche und sandte Boten nach Jaska, die — Särge beschaffen sollten. Diese Anordnung beruhigte in etwas die Weiber, die auf Zureden älterer Männer auch in die Häuser zurückkehrten und für die Soldaten kochten. Nicht aus christlicher Barmherzigkeit, sondern im Bestreben, Plünderungen zu verhindern. Dann eilten die Witwen in die Kirche zu ihren Toten.... Der verwundeten Soldaten wegen kam ein Militärarzt, der sich auch der verletzten Bauern nach Möglichkeit annahm. Daß der Schreiner in Jaska Särge in großer Anzahl weder vorrätig hatte noch sofort beschaffen konnte, war vorauszusehen; der sinnverwirrte Richter erwartete jedoch das Unmögliche, brachte mit seinem Geschrei neue Aufregung in das Dorf. Nicht ein einziger Sarg wurde gebracht. Die Boten kamen nicht wieder. Spät am Abend kehrte von Agram der greise Pfarrer zurück. Die Schreckenskunde raubte dem ehrwürdigen Seelsorger die Sprache. Erschüttert vergoß er Tränen bittersten Leides. Unter der Linde von Greisen, Weibern und Kindern umringt, suchte er Trost zu spenden, die Leute zu beruhigen, von Rachegedanken abzulenken. Freilich schreie das vergossene Blut gen Himmel, doch die Rache liege bei Gott.... Betend verbrachte der Pfarrer mit den Witwen die schwüle Nacht bei den Toten in der Kirche. Am Morgen konnte er noch die Trauermesse lesen. Dann aber machte der Verwesungsgeruch der Leichen den Aufenthalt in der Kirche unmöglich. Schnelle Beerdigung war geboten. Särge hatte man nicht. Verschwunden der Richter, die Offiziere. Aus benachbarten Dörfern kamen Bauern in Scharen. Von der Gutsherrschaft ließ sich niemand blicken. Unschlüssig warn die Soldaten bezüglich ihres Verhaltens; der Befehl lautete, niemanden aus den Häusern zu lassen; doch die Leute wollten zur Beerdigung gehen, die persönliche Freiheit erzwingen. Die Gefahr eines neuen Krawalls stieg bedrohlich auf. Da ließen die Soldaten alle Leute frei. Auf Anordnung des Pfarrers wurden die Todesopfer auf Brettern auf den Friedhof getragen und in ein gemeinsames Riesengrab gelegt. Was arbeitsfähig war, mußte mithelfen, auch die Gaffer aus den Nachbardörfern. Am Riesengrab der siebenundzwanzig Leichen sprach der greise Pfarrer nicht viel, aber eindringlich von der Strafe Gottes für jene, welche die Verantwortung zu tragen haben. Glühend brannte die Sonne Kroatiens hernieder; der Verwesungsgeruch drängte zur Eile. In aller Hast mußte das große Grab zugeschüttet werden. Mit der Mahnung zum Frieden, zur Rückkehr in die Häuser, zu Gebet und Arbeit entließ der Pfarrer das tieferschütterte Volk. Und wie betäubt und gebrochen wankte er dem kleinen Widum zu.... Während der heißen Nachmittagstunden schien das Dorf ausgestorben zu sein. Niemand zu sehen, auch die Soldeska nicht, kein Offizier; verschwunden die Gaffer aus den umliegenden Dörfern. Tot die Stätte des Jammers, leer der Platz um die tausendjährige Linde von Krašić. Gegen Abend Wagengerassel, Lärm und Befehlsrufe: der Oberstuhlrichter von Karlstadt war mit Gerichtsbeamten und etlichen Juratuši gekommen, wollte „ptotokollieren“. Der stellvertretende Starešina mußte erst die Offiziere herbeirufen, dann die älteren Männer von Krašić. Tatbestandaufnahme unter der Linde. Tische und Stühle wurden aus dem Widum geholt, der Protest der Domestika höhnend verlacht. Mit „vorbereiteten Protokollen“ konnte summarisch „gearbeitet“ werden; es ging glatt bezüglich der Aussagen der beteiligten Offiziere. Die älteren Bauern von Krašić wollten nicht reden, konnten überhaupt nicht schreiben und hatten etwas im Blick, das den Oberrichter schwer reizte und schreien machte: „Wir wissen schon, was ihr wollet! Eure Rechte! Wir werden euch zeigen, was eure Rechte sind! Was geschehen ist, habet ihr reichlich verdient! Schade ist, daß nicht alle Aufrührer erschossen und erschlagen worden sind! Die Protokollierung seid ihr nicht wert! Gehet alle zum Teufel! Fort!“ Die Juratuši schrieben emsig weiter. Es mochte sich um das „Generalprotokoll“ handeln, für das die Unterschrift der Hauptperson, des Dorfpfarrers, gewünscht und benötigt wurde. Zwar erschien schleppenden Ganges, gebeugt und zermürbt von dem schweren Schicksalsschlag der Seelsorger im Weißhaar vor dem Tisch des Oberrichters unter der Linde, hörte demütig und aufmerksam an, was mit zuckersüßer Stimme freundlich lockend gesprochen wurde, doch die Antwort war ein Kopfschütteln, das die Silbersträhne flattern machte. Der Ton der Bitte um die Unterschrift des Župnik wurde weich und flehend. Das Weißhaar flatterte heftiger. Eindringlich wurde der Hinweis, daß der Priester es in der Hand habe, seiner Gemeinde den Frieden zu bringen, der Behörde die schwere Arbeit zu erleichtern und abzukürzen. „Ich kann nicht unterschreiben! Und ich will nicht!“ erklärte festen Tones der greise Pfarrer. Was nun geschah, machte die Juratuši und Beisitzer trotz der heißen Temperatur frösteln: der hochmütige Oberstuhlrichter bat mit gefalteten Händen den Dorfpfarrer um die Unterzeichnung des Protokolltextes.... Wieder flatterte das Silberhaar. Der Oberrichter schlug einen anderen Ton an, sprach jedoch nicht deutlich aus, was beabsichtigt sei und geschehen werde. Dem Sinn nach war es die Drohung, daß der Bauern alte und neue Rechte „begraben“ würden, und daß der Župnik von Krašić dafür die Verantwortung zu tragen haben werde. Der alte Pfarrer richtete einen langen forschenden Blick auf den Oberrichter und ging müde, wie gebrochen, von der Linde weg. Niemand wußte, ob der Priester den Sinn der Drohung verstanden hatte oder nicht verstehen wollte. Zur Nächtigung begaben sich die Gerichtsherren in das benachbarte Dorf Jaska, wo der Stuhlrichter Žaba für Quartier und Verlegung sorgte. Krašić blieb unter Bewachung seitens des Militärs mit scharfem Nachtdienst. Am Vormittag kehrten die Gerichtsherren in das unglückliche Dorf zurück. Tisch und Bänke wurden hart an der Kirche aufgestellt; jedoch wurde nichts mehr geschrieben. Der Oberrichter sprach mit den herbeigeeilten Offizieren, von denen dann ein Leutnant mit einem Juratuš ins Dorf hineinschritt. Ein Stündchen später kam dieser Offizier mit dem Juratuš und fünfzig Soldaten, die Äxte und Beile trugen, zurück, und alle nahmen Aufstellung unter der tausendjährigen heiligen Linde. Der Platz ringsum blieb menschenleer. Die Dörfler wurden vom Militär gewaltsam in den Häusern und Hütten festgehalten. Ein Wink des Oberrichters. Ein militärischer Kommandoruf ertönte. Gleich darauf geschah etwas Unerhörtes nach südslavischen Begriffen: die uralte Linde wurde mit Axtschlägen mißhandelt. Knatternde Beilhiebe gegen den Stamm der heiligen Linde. Dumpf, dröhnend, knatternd, prasselnd. Ein fast kindisches Tun am riesenhaften Baum; die schärfsten Eisen konnten die Rinde ritzen; nicht aber den Splint angreifen. Kaum kleine Splitter sprangen ab vom Stamm. Zurufe des Oberrichters, dem die Vernichtungsarbeit zu langsam vor sich ging, reizten auf, erzwangen den kräftigeren Angriff. Die Schneide einer Axt wurde schräg angesetzt; mit wuchtigen Hieben trieben die Soldaten die Rücken anderer Beile tiefer in den Splint; ein Dutzend Hände drängte den Axtstiel seitlich, so daß der Axtkopf klaffend Bresche riß, ein Stück Splint mit Rinde absprang. Unzählige Male wurde dieses mühsame Tun wiederholt, doch blieb der Erfolg gering bei dem ungeheuren Umfang dieses riesenhaften Baumes; so gering, daß beim Scheine mehrerer Lagerfeuer die Nacht hindurch an dem Vernichtungswerk gearbeitet wurde. Bis spät in die Nacht hinein vertrieben sich die Richter, die Juratuši und die Offiziere die Zeit mit Kartenspiel und fleißigem Zechen, den — Sturz der heiligen Linde erwartend, dessen Zeugen die gewaltigen Herren sein wollten. Den greisen Pfarrer konnte man händeringend am Fenster sehen.... Im Dorfe wußte man von der Zerstörungsarbeit nichts. Niemand durfte das Haus verlassen. Das Militär hielt scharfe Wacht.... Gegen Morgengrauen weckten dumpfes Getöse und ein markdurchdringender Schrei die Gerichtsherren am Zechtisch aus dem Schlummer: die riesige Linde war krachend niedergestürzt, ihr Stamm hatte im Sturz einen Soldaten erwischt und zermalmt. Gefällt und vernichtet das Heiligtum, das Wahrzeichen altslavischen Glaubens und Rechtes, die Linde als Versammlungsstätte und Symbol.... Wie ein rachegieriges Ungeheuer lag der Baumstamm auf der Leiche des zermalmten Soldaten. Alle Versuche, dieses Opfer frei zu bekommen, schlugen fehl. Die Südslaven unter den bestürzten Soldaten jammerten, murrten, daß der von der Linde erschlagene Kamerad des Grabes in geweihter Erde auf lange Zeit entbehren müsse. Den Offizieren wurde unbehaglich. Der ob der Lindenvernichtung triumphierende Oberrichter wischte sich den Schlaf aus den weintrüben Augen und empfahl die Abtrennung der Beine vom Leichnam des zermalmten Soldaten. Die Beine sollte man im Friedhof begraben, dann können Leib und Kopf leichter — warten. Mit schallendem Gelächter begrüßten die Juratuši diesen „Witz“ ihres obersten Vorgesetzten. Ein Frühstück noch, das der Widum liefern mußte; dann fuhr die Gerichtskommission eilig von Krašić weg. Bis zur Mittagsstunde war auch die militärische Besatzung abmarschiert, so still, daß die Dörfler nur mählich ihre Befreiung merkten. Als die der Linde benachbarten Hausbewohner das Zerstörungswerk gewahrten, verbreiteten sie heulend die Kunde im Dorf, so daß zum Abend die Bevölkerung weinend den heiligen Baum umstand, klagend in tiefster Trauer, wie um einen geliebten hervorragend edlen Menschen.... Kein Dörfler nahm auch nur ein Zweiglein von der Linde zum Gedenken heim. Der Baum blieb unberührt. Still und wehmütig kehrten die Leute in ihre Häuser zurück. So groß und niederschmetternd war der Eindruck der Vernichtung des Dorfheiligtums, daß Empörung und Rachegier nicht aufkommen konnten. Mächtiger war der Schmerz.... Unter Leitung des stellvertretenden Starešina fand am Morgen eine Trauerversammlung unweit der gefällten Linde statt, und ruhig verhielten sich die Männer, solange der Vorsteher in Wehmut von der Vernichtung des Wahrzeichens sprach und die Leute von Krašić aufforderte, keinen Finger zur Fortschaffung des Baumes zu rühren. Es solle der Lindenbaum ein Zeuge des Unglückes von Krašić bleiben.... Die Köpfe der Männer gingen hoch, als der Starešina der Hoffnung Ausdruck gab, daß aus den Wurzeln der alten Linde ein neuer Baum, mit ihm die Gerechtigkeit ersprießen möge, das neue Recht zugunsten der gepeinigten Bauern. Eine siebenköpfige Abordnung wurde gewählt, die zu Fuß nach Agram zog, den Banus um Gerechtigkeit und Bestrafung der Mörder von siebenundzwanzig Krašićern und der heiligen Linde zu bitten. Unverrichteter Dinge kehrte die Abordnung zurück. Der Ban hatte die Leute nicht empfangen ihnen sagen lassen, daß eine strenge Untersuchung stattfinden werde. Drei Monate warteten die Krašićer auf die „Gerechtigkeits“-Kommission — vergeblich. Es kam kein „Herr“ von Karlstadt, niemand von Agram. Bauern von weither in Massen, die entblößten Hauptes vor der gemordeten Linde standen und beteten. Jahre hindurch blieb der vermodernde Riesenstamm unberührt als Zeuge jenes bitteren Ereignisses liegen. Die Krašićer rührten keinen Finger. Die Behörden erst recht nicht. Tatsächlich sproß aus der Leiche der alten heiligen Linde ein neues Bäumchen hervor, das eine neue Zeit und mit ihr eine Regelung der Abgabenpflichten und der Rechte der Bauern brachte. Und als der Moder der alten Linde zerfallen, vom Meteorwasser verschwemmt, von den Winden verweht war, das Jungbäumchen erstarkte, erlosch der grimme Haß des kroatischen Bauers gegen jeden „Herrn“, das heißt gegen jeden Menschen, der nicht ständig Bauernkleidung trug. Das ist die Geschichte der tausendjährigen Linde. Fußnoten: [15] Nicht überschreite er auf vier Füßen die Brücke. [16] Pravo = Recht, Berechtigung. Gemeint war die „Königliche Proposition“ des nach mehrjährigen Parlamentskämpfen im Ungarischen Reichstag endlich 1837 zustande gekommenen Urbanialgesetztes gegen die Bauernschinderei. End of the Project Gutenberg EBook of Aus Kroatien, by Arthur Achleitner *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUS KROATIEN *** ***** This file should be named 15734-0.txt or 15734-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/1/5/7/3/15734/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.net This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. *** END: FULL LICENSE ***