The Project Gutenberg EBook of Synnöve Solbakken, by Björnstjerne Björnson This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Synnöve Solbakken Erzählung Author: Björnstjerne Björnson Release Date: May 26, 2015 [EBook #49050] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SYNNÖVE SOLBAKKEN *** Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.
Erzählung
von
Björnstjerne Björnson
Im Insel-Verlag zu Leipzig
In einem weiten Tal findet man zuweilen eine nach allen Seiten hin freiliegende Erhöhung, auf die die Sonne ihre Strahlen vom Aufgang bis zum Untergang hinabsendet. Und die, die hart am Fuße der Berge wohnen und weniger Sonne haben, nennen eine solche Stelle einen Sonnenhügel. Die, von der hier erzählt werden soll, wohnte auf einem solchen, von dem auch der Hof seinen Namen erhalten hatte. Dort blieb der Schnee zuletzt liegen im Herbst, dort schmolz er auch im Frühling zuerst wieder.
Die Besitzer des Hofes waren Haugianer und wurden Leser genannt, weil sie eifriger in der Bibel lasen als alle andern Leute. Der Mann hieß Guttorm und die Frau Karen; sie bekamen einen Knaben, der wieder starb, und drei Jahre lang kamen sie nicht an die Ostseite der Kirche. Nach dieser Zeit bekamen sie ein Mädchen, das sie nach dem Knaben nannten; er hatte Syvert geheißen, und sie wurde Synnöv getauft, da sie nichts Näherliegendes fanden. Die Mutter aber nannte sie Synnöve, weil sie, solange das Kind klein war, die Gewohnheit hatte, »mein« hinten an den Namen anzuhängen, und meinte, daß es so leichter auszusprechen sei. Wie es nun auch sein mochte: als das Mädchen größer wurde, nannten sie alle Synnöve wie die Mutter, und die meisten sagten, seit Menschengedenken sei im ganzen Kirchspiel kein so schönes Mädchen herangewachsen wie Synnöve Solbakken1. Sie war noch ganz klein, als die Eltern sie an jedem Sonntag, wo gepredigt wurde, mit in die Kirche nahmen, obwohl Synnöve anfangs nichts weiter begriff, als daß der Pfarrer dastand und den Zuchthaus-Bert ausschalt, den sie gerade unter der Kanzel sitzen sah. Der Vater aber wollte, daß sie mitgehn sollte, »um sich zu gewöhnen«, wie er sagte; und die Mutter wollte es auch, »da man ja nicht wissen konnte, ob daheim jemand acht auf sie gebe«. War auf dem Hofe ein Lamm, ein Zicklein oder ein kleines Ferkel, das nicht gedeihen wollte, oder eine Kuh, der etwas fehlte, so4 ward das betreffende Tier immer Synnöve zu eigen gegeben, und die Mutter wollte wissen, daß es sich von der Stunde an erhole; der Vater glaubte nicht so recht, daß es daher käme, aber »es war ja einerlei, wem von ihnen das Vieh gehörte, wenn es nur gedieh«.
Jenseits des Tals und hart am Fuße des hohen Berges lag ein Hof, der Granliden hieß, weil er mitten in einem großen Tannenwalde lag, dem einzigen in weitem Umkreise. Der Urgroßvater des Besitzers war mit unter denen gewesen, die in Holstein gelegen und auf die Russen gewartet hatten, und von diesem Zuge hatte er viele fremde und merkwürdige Sämereien in seinem Tornister mit heimgebracht. Die hatte er rings um seine Hofgebäude gepflanzt; im Laufe der Zeiten war aber eine Pflanze nach der andern ausgegangen, nur einige Tannenzapfen, die merkwürdigerweise dazwischengekommen waren, waren zu einem dichten Walde herangewachsen und beschatteten nun die Gebäude von allen Seiten. Der Holsteinfahrer hatte nach seinem Großvater Thorbjörn geheißen, sein ältester Sohn nach seinem Vater Sämund, und so hatten auf diesem Hofe die Besitzer abwechselnd Thorbjörn und Sämund geheißen – seit unvordenklichen Zeiten. Aber die Sage ging, daß in Granliden nur jeder zweite Mann Glück habe, und das war nicht der, der Thorbjörn hieß. Als der jetzige Besitzer, Sämund, den ersten Sohn bekam, machte er sich allerlei Gedanken darüber, wagte aber doch nicht, die Familientradition zu durchbrechen, und so nannte er ihn denn Thorbjörn. Er grübelte nun darüber, ob der Knabe nicht so erzogen werden könnte, daß er an dem Steine, den ihm das Schicksal und das Gerede der Leute in den Weg gelegt hatten, glücklich vorüberkommen könnte. Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, einen widerspenstigen Sinn bei dem Knaben zu spüren. »Das muß ausgetrieben werden,« sagte er zu der Mutter, und sobald Thorbjörn drei Jahre alt geworden war, setzte sich der Vater oft mit einer Rute in der Hand hin, zwang ihn, alle Holzscheite wieder auf ihren Platz zu legen,5 die Tasse wieder aufzuheben, die er hinuntergeworfen, die Katze zu streicheln, die er gekniffen hatte. Die Mutter pflegte hinauszugehn, wenn den Vater diese Laune anwandelte.
Sämund wunderte sich darüber, daß, je größer der Knabe ward, um so mehr an ihm zu tadeln war, und das, obgleich er immer strenger behandelt wurde. Er hielt ihn frühzeitig zum Lesen an und nahm ihn mit aufs Feld, um ihn unter Augen zu haben. Die Mutter hatte einen großen Haushalt und kleine Kinder, sie konnte nichts weiter tun, als den Sohn streicheln und ihm jeden Morgen, wenn sie ihn ankleidete, gute Ermahnungen geben und freundlich mit dem Vater reden, wenn sie an Sonn- und Feiertagen zusammensaßen. Thorbjörn aber dachte, wenn er Schläge bekam, weil ab nicht »ba«, sondern »ab« hieß, und weil er die kleine Ingrid nicht prügeln durfte, wie der Vater ihn prügelte: Es ist doch merkwürdig, daß ich es so schlecht haben soll, während alle meine kleinen Geschwister es so gut haben!
Da er meistens bei dem Vater war und nicht wagte, sonderlich viel mit ihm zu reden, wurde er wortkarg, obwohl er keineswegs gedankenarm war. Einmal, als sie das nasse Heu wendeten, entschlüpfte es ihm jedoch: »Weshalb ist alles Heu da drüben auf Solbakken trocken und eingefahren, während es hier naß ist?« – »Weil sie mehr Sonne haben als wir.« – Es war dies das erstemal, daß es ihm zum Bewußtsein kam, daß er selber von dem Sonnenglanz da drüben, über den er sich so oft gefreut hatte, ausgeschlossen sei. Seit jenem Tage war sein Blick öfter nach Solbakken hinübergerichtet als bisher. – »So sitz doch nicht da und gaffe,« sagte der Vater und versetzte ihm einen Puff; »hier unten müssen wir uns abmühen, soviel wir können, groß und klein, wenn wir etwas unter Dach und Fach haben wollen.«
Als Thorbjörn etwa sieben oder acht Jahre alt sein mochte, wechselte Sämund seinen Knecht. Der neue hieß Aslak, und er war, wie es schien, schon weit in der Welt herumgekommen, obwohl er hier nur Kleinknecht war. An dem Abend, als er kam, war Thorbjörn6 schon zu Bett gegangen, aber am nächsten Tage, als er dasaß und lernte, schlug jemand die Tür mit einem solchen Fußstoß auf, wie er es noch nie gehört hatte, und das war Aslak, der mit einem großen Arm voll Holz hereingepoltert kam und es mit einer solchen Gewalt zu Boden warf, daß die Scheite nach allen Seiten auseinanderflogen. Er selber sprang hoch in die Luft, um den Schnee abzuschütteln, und bei jedem Sprung rief er: »›Es ist kalt,‹ sagte die Braut des Kobolds, als sie bis an den Gürtel im Eis steckte.« – Der Vater war nicht zu Hause – die Mutter aber fegte den Schnee zusammen und trug ihn stillschweigend hinaus. – »Wonach glotzt du denn da?« fragte Aslak Thorbjörn. – »Nach nichts Besonderm,« erwiderte dieser, denn er fürchtete sich. – »Hast du den Hahn gesehn, den du da hinten im Buche hast?« – »Ja!« – »Er hat eine Menge Hühner um sich, wenn das Buch zu ist; hast du das gesehn?« – »Nein!« – »Nun, so sieh nach!« – Der Knabe tat es. – »Du bist ein Schafskopf,« sagte Aslak. Aber seit diesem Augenblick hatte niemand eine solche Macht über ihn wie Aslak.
»Du weißt gar nichts,« sagte Aslak eines Tages zu Thorbjörn. – Dieser trippelte wie gewöhnlich hinter ihm drein, um achtzugeben. – »Doch, ich weiß bis zum vierten Hauptstück.« – »Pah! Du hast ja nicht einmal von dem Kobold gehört, der so lange mit der Dirne tanzte, bis die Sonne unterging, und dann platzte wie ein Kalb, das saure Milch gefressen hat!« – Sein ganzes Leben lang hatte Thorbjörn noch nicht so viel Gelehrsamkeit auf einmal gehört. »Wo war denn das?« fragte er. – »Wo? – ja, das – war drüben auf Solbakken!« – Thorbjörn starrte ihn an. – »Hast du von dem Manne gehört, der sich dem Teufel für ein Paar alte Stiefel verkaufte?« – Thorbjörn vergaß zu antworten, so verwundert war er. – »Du denkst wohl darüber nach, wo das geschehen sein mag, he? Das war auch drüben auf Solbakken, da unten an dem Bach, den du da siehst! – Du großer Gott! Sieht das aber traurig aus mit deinem Christentum,« fuhr er fort. »Du hast wohl nicht einmal von Kari mit dem hölzernen Rock gehört?«7 – Nein, er hatte nichts davon gehört. Und während Aslak jetzt eifrig arbeitete, erzählte er noch eifriger, nämlich von Kari mit dem hölzernen Rock und von der Mühle, die auf dem Meeresgrunde Salz mahlte, von dem Teufel mit den Holzschuhen, von dem Kobold, der mit dem Bart in dem Baumstamm hängen blieb, von den sieben grünen Jungfrauen, die dem Schützenpeter die Haare aus den Waden zwickten, während er schlief, und durchaus nicht aufwachen konnte, und das alles trug sich drüben auf Solbakken zu.
»Was in Gottes Namen ist nur mit dem Jungen los?« sagte die Mutter am nächsten Tage. »Den ganzen Morgen, seit es hell geworden ist, hat er auf den Knien auf der Bank gelegen und nach Solbakken hinübergestarrt.« – »Ja, er hat es heute sehr damit,« sagte der Vater, der dalag und sich den lieben langen Sonntag ausruhte. – »Die Leute sagen, er sei mit Synnöve Solbakken verlobt,« sagte Aslak; »aber die Leute sagen ja immer soviel,« fügte er hinzu. Thorbjörn verstand es nicht so recht, errötete aber doch über das ganze Gesicht. Als Aslak die andern hierauf aufmerksam machte, kroch er von der Bank herab, nahm seinen Katechismus und begann darin zu lesen. – »Ja, tröste du dich nur mit Gottes Wort, du,« sagte Aslak; »du bekommst sie doch nicht.«
Späterhin im Laufe der Woche, als er glaubte, daß sie es vergessen hätten, fragte er die Mutter ganz leise, denn er war ein wenig verschämt: »Du – wer ist Synnöve Solbakken?« – »Das ist ein kleines Mädchen, das einst Besitzerin von Solbakken werden wird.« – »Hat sie denn keinen hölzernen Rock?« – Die Mutter sah ihn verwundert an. »Was sagst du da?« fragte sie. Er fühlte, daß es etwas Dummes sein müßte, und schwieg. – »Niemand hat je ein schöneres Kind gesehn, als sie ist,« fuhr die Mutter fort, »und der liebe Gott hat sie so gemacht zur Belohnung dafür, daß sie immer so artig und brav ist und so fleißig lernt.« – Jetzt wußte er das auch.
Eines Tages, als Sämund mit Aslak auf dem Felde gewesen war, sagte er am Abend zu Thorbjörn: »Du sollst nicht so oft mit dem8 Knecht zusammen sein.« – Thorbjörn aber achtete nicht weiter darauf. Nach einer Weile hieß es: »Wenn ich dich noch einmal mit ihm zusammen sehe, geht es dir schlecht!« Da schlich Thorbjörn ihm nach, wenn es der Vater nicht sah. Dieser überraschte sie aber, als sie beieinander saßen und schwatzten; da bekam Thorbjörn Prügel und wurde hineingejagt. Von nun an aber paßte Thorbjörn Aslak auf, wenn der Vater nicht zu Hause war.
Eines Sonntags, als der Vater in der Kirche war, machte Thorbjörn zu Hause Unfug. Aslak und er warfen einander mit Schneebällen. – »Nein, nein, du erstickst mich noch,« bat Thorbjörn; »laß uns zusammen nach was anderm werfen.« – Aslak war gleich dazu bereit, und so warfen sie denn erst nach der kleinen Tanne neben dem Vorratshause, dann nach der Tür und endlich nach dem Fenster des Vorratshauses. – »Nicht nach dem Fenster selber,« sagte Aslak, »sondern nach dem Rahmen!« – Thorbjörn traf aber das Fenster und erbleichte. – »Pah! Wer erfährt das? Wirf besser!« – Er warf abermals, traf aber wieder eine Fensterscheibe. – »Jetzt werfe ich nicht mehr,« sagte er. – In demselben Augenblick kam seine älteste Schwester, klein Ingrid, heraus. »Wirf nach ihr!« – Thorbjörn war gleich bereit, die Kleine schrie, und die Mutter kam heraus. Sie befahl ihm, mit dem Werfen aufzuhören. »Wirf! Wirf!« flüsterte Aslak. Thorbjörn war heiß und aufgeregt; er tat es. – »Ich glaube, du hast deinen Verstand verloren,« sagte die Mutter und lief auf ihn zu. Er entwischte ihr, sie lief hinter ihm drein – rund um den Hof herum; Aslak lachte, und die Mutter drohte. Aber endlich gelang es ihr, ihn in einer Schneewehe zu fassen, und sie schickte sich an, ihn gehörig durchzuprügeln. – »Ich schlage wieder – das tu ich – das ist hier so Sitte.« – Die Mutter hielt verwundert inne und sah ihn an. »Das hat dich ein andrer gelehrt,« sagte sie dann, nahm ihn stillschweigend bei der Hand und führte ihn hinein. Sie sagte kein Wort mehr zu ihm, sondern beschäftigte sich freundlich mit den kleinen Geschwistern und erzählte ihnen, daß der Vater jetzt gleich aus der Kirche heimkehre.9 Da begann es entsetzlich heiß in der Stube zu werden. Aslak bat um die Erlaubnis, einen Verwandten besuchen zu dürfen; er erhielt sie sogleich. Thorbjörn aber wurde sehr klein, sobald Aslak gegangen war. Er hatte schreckliche Magenschmerzen, und seine Hände waren so feucht, daß sie am Buche festklebten, wenn er es anfaßte. Wenn nur die Mutter dem Vater nichts sagen wollte, wenn er nach Hause käme, aber sie darum zu bitten, das brachte er nicht fertig. Alles um ihn her hatte sich verändert, und die Stubenuhr sagte: »Prügel, Prügel – Prügel, Prügel!« Er mußte aufs Fenster hinaufklettern und nach Solbakken hinübersehn. Es lag verschneit, einsam und friedlich da und lachte wie immer im Sonnenschein; das Haus stand da und blitzte aus allen Fenstern, und dort war sicher nicht ein einziges zerschlagen; übermütig, fröhlich stieg der Rauch aus dem Schornstein auf, sicher wurde dort auch für die Kirchgänger gekocht. Synnöve schaute wohl nach ihrem Vater aus und sollte sicher keine Schläge haben, wenn der heimkehrte. Er wußte nicht, was er anfangen sollte, und wurde plötzlich so liebevoll gegen seine Schwestern, daß er kein Ende fand. Gegen Ingrid war er so gut, daß er ihr einen blanken Knopf schenkte, den er von Aslak bekommen hatte. Sie umarmte ihn, und auch er schlang seine Arme um ihren Hals. – »Meine liebe kleine Ingrid, bist du mir auch böse?« – »Nein, lieber Thorbjörn, du kannst mich meinetwegen so viel schneeballen, wie du willst.« – Aber da stampfte sich jemand draußen den Schnee von den Füßen. Richtig, es war der Vater; er sah so sanft und freundlich aus, und das war noch schlimmer. – »Nun?« sagte er und sah sich um – es war ein Wunder, daß die Wanduhr nicht herabstürzte! Die Mutter trug das Essen auf. – »Wie steht es denn hier?« fragte der Vater, indem er sich hinsetzte und den Löffel ergriff.
Thorbjörn sah die Mutter an, bis ihm die Tränen in die Augen kamen. – »Ach, ganz gut,« sagte sie unglaublich langsam, und sie wollte noch mehr sagen, das sah er deutlich. – »Ich habe Aslak erlaubt, auszugehn,« sagte sie. – »Das ist nur der Anfang,« dachte10 Thorbjörn und fing an mit Ingrid zu spielen, als denke er an nichts weiter in der Welt. So lange hatte der Vater niemals gegessen, und Thorbjörn fing schließlich an jeden Bissen zu zählen; als er aber an den vierten kam, wollte er sehn, wie weit er zwischen dem vierten und fünften zählen könnte, und dadurch kam er aus dem Zählen heraus. Endlich erhob sich der Vater und ging hinaus. – »Die Fensterscheiben! die Fensterscheiben!« klang es ihm in den Ohren, und er sah sich um, ob die in der Stube alle heil seien. Ja, sie waren alle heil. Aber nun ging auch die Mutter hinaus. Thorbjörn nahm die kleine Ingrid auf den Schoß und sagte so sanft, daß sie ihn ganz verwundert anstarrte: »Wir beide wollen einmal Goldkönigin auf der Wiese spielen, wir!« – Das wollte sie gern. Und dann sang er, während ihm die Beine schlotterten:
Und sie antwortete:
Als nun aber dies Spiel gerade im besten Gange war, kam der Vater herein und sah ihn forschend an. Er preßte Ingrid fester an sich und fiel gar nicht vom Stuhl! Der Vater wandte sich ab und sagte kein Wort; eine halbe Stunde verging, und noch immer hatte er nichts gesagt – und Thorbjörn war nahe daran, ganz fröhlich zu werden, wagte es aber doch nicht. Er wußte nicht, was er davon denken sollte, als ihm der Vater selber beim Auskleiden half; er fing von neuem an zu zittern. Da fuhr ihm der Vater liebkosend über den Kopf und streichelte ihm die Wange; das hatte er nicht getan, solange der Knabe zurückdenken konnte, und deswegen wurde ihm so warm ums Herz und über den ganzen Leib, daß die Furcht aus seiner Seele schwand wie das Eis vor der Sonne. Er wußte nicht, wie er ins Bett kam, und da er sich weder durch Rufen noch durch Singen Luft machen konnte, faltete er still die Hände, betete sechsmal das Vaterunser ganz leise vorwärts und rückwärts – und fühlte, als er einschlief, daß es auf Gottes grüner Erde doch niemand gebe, den er so lieb hätte wie seinen Vater.
Am nächsten Tage erwachte er in furchtbarer Angst, weil er nicht schreien konnte, denn nun sollte er doch Prügel haben. Als er aber die Augen aufschlug, merkte er zu seiner großen Erleichterung, daß er es nur geträumt hatte, aber er merkte auch bald, daß gerade ein andrer Prügel haben sollte, nämlich Aslak. Sämund ging im Zimmer auf und nieder, und den Gang kannte Thorbjörn nur zu gut. Der ziemlich kleine, aber stämmige Mann sah von Zeit zu Zeit unter seinen buschigen Brauen so zu Aslak hinüber, daß dieser sehr wohl fühlte, was in der Luft lag; Aslak selber saß oben auf einem großen Faß und ließ seine Beine bald herabbaumeln, bald zog er sie unter sich in die Höhe. Er hatte wie gewöhnlich die Hände in den Taschen, und die Mütze auf dem Kopfe war leicht in die Stirn gedrückt, so daß das dicke, dunkle Haar in Büscheln unter dem Schirm hervorguckte. Der etwas schiefe Mund war heute noch schiefer als gewöhnlich, den ganzen Kopf hielt er ein12 wenig schief und sah Sämund unter halb geschlossenen Augenlidern von der Seite an. – »Ja, dein Junge ist nicht recht gescheit,« sagte er, »weit schlimmer aber ist es, daß dein Pferd verhext ist.« – Sämund blieb stehn. »Du bist ein Lümmel!« sagte er, daß es durch die Stube dröhnte und Aslak die Augenlider noch fester schloß. Sämund ging wieder auf und nieder, Aslak saß wieder eine Weile schweigend da. – »Ja, weiß Gott, es ist verhext!« – Er schielt von der Seite zu ihm hinüber, um zu sehn, welche Wirkung dies auf ihn mache. – »Nein, aber es ist bange vor dem Walde, das ist es,« sagte Sämund und schritt weiter auf und nieder. »Du hast im Felde einen Baum über das Tier gefällt, du nichtsnutziger Schlingel, und deswegen will es jetzt dort nicht mehr ruhig gehn.« – Aslak hörte das eine Weile an. – »Ja, ja! Glaub du das nur, der Glaube macht niemand zuschanden. Ich zweifle nur, daß er dein Pferd wieder kuriert,« fügte er hinzu, schob sich ein wenig höher auf die Tonne hinauf und bedeckte sein Gesicht mit der einen Hand. Sämund kam wirklich zu ihm hinüber und sagte in leisem, aber unheilverkündendem Tone: »Du bist ein schlechter –« – »Sämund!« ertönte eine Stimme vom Herde herüber. Es war Ingebjörg, seine Frau, die ihn beschwichtigte, wie sie ihr kleinstes Kind beschwichtigte, das bange war und schreien wollte. Das Kind hatte sie schon zum Schweigen gebracht, und nun schwieg auch Sämund, aber er hielt doch seine für einen so stämmigen Mann sehr kleine Faust Aslak gerade unter die Nase und hielt sie dort eine Weile, indem er sich vorbeugte und ihm seine zornsprühenden Augen ins Gesicht bohrte. Darauf schritt er wieder auf und nieder und sah von Zeit zu Zeit hastig zu ihm hinüber. Aslak war sehr bleich, grinste aber doch mit dem halben Gesicht zu Thorbjörn hinüber, während er die Seite, die er Sämund zugewandt hatte, ganz stramm hielt. – »Gott schenke uns Geduld!« sagte er nach einer Weile, hob aber in demselben Augenblick die Ellenbogen in die Höhe, als wollte er einen Schlag abwehren. Sämund blieb plötzlich stehn und schrie mit der ganzen13 Kraft seiner Stimme, indem er auf die Erde stampfte, so daß Aslak zusammenzuckte: »Nenne ihn nicht! – du! –« Ingebjörg sprang mit dem Säugling auf und faßte ihn sanft am Arm. Er sah sie nicht an, ließ aber doch sofort den Arm sinken. Sie setzte sich hin, er schritt von neuem auf und nieder; niemand aber sprach ein Wort. Als dies eine Weile gewährt hatte, konnte sich Aslak nicht länger bezwingen: »Jawohl, er hat hier auf Granliden freilich viel zu tun!« – »Sämund! Sämund!« flüsterte Ingebjörg; ehe das aber zu ihm drang, war Sämund schon auf Aslak losgerast, der den Fuß vorstreckte; den schlug er zurück, faßte den Burschen daran und am Rockkragen, hob ihn in die Höhe und warf ihn mit solcher Gewalt gegen die geschlossene Tür, daß die Füllung hinausfiel und er kopfüber durchflog. Die Mutter, Thorbjörn und alle Kinder schrien und baten für ihn, und das ganze Haus erscholl von Jammergeschrei. Sämund aber stürzte ihm nach, dachte nicht daran, die Tür gehörig aufzumachen, sondern stieß die Überbleibsel beiseite, nahm ihn nochmals auf, trug ihn von dem Vorbau auf den Hof hinaus, hob ihn hoch in die Höhe und warf ihn mit aller Gewalt nieder. Und als er merkte, daß da zu viel Schnee lag, als daß er sich hätte gründlich Schaden zufügen können, setzte er ihm das Knie auf die Brust und schlug ihn gerade ins Gesicht, packte ihn dann zum drittenmal, trug ihn wie ein Wolf, der einen zerrissenen Hund davonschleppt, an eine mehr schneefreie Stelle, schleuderte ihn noch heftiger zu Boden als zuerst, setzte ihm das Knie auf die Brust – und niemand weiß, wie dies geendet hätte, wenn nicht Ingebjörg mit dem Säugling im Arm dazwischengestürzt wäre. – »Mach uns nicht unglücklich!« schrie sie.
Eine Weile darauf saß Ingebjörg im Zimmer. Thorbjörn kleidete sich an, der Vater ging wieder auf und nieder, trank von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser, aber die Hand zitterte ihm so, daß das Wasser über den Rand der Tasse floß und auf den Boden platschte. Aslak kam nicht zurück, und nach einer Weile schickte sich Ingebjörg an, hinauszugehn. – »Bleib hier,« sagte er in einem Ton, als14 spräche er nicht mit ihr, und sie blieb. Aber nach einiger Zeit ging er selber hinaus. Er kam nicht wieder. Thorbjörn nahm sein Buch und las unablässig ohne aufzusehn, obwohl er nicht einen einzigen Satz verstand.
Etwas später, am Vormittag, war das Haus wieder in seiner alten Ordnung, obgleich alle ein Gefühl hatten wie nach einem fremden Besuch. Thorbjörn wagte sich endlich hinaus, und der erste, der ihm an der Tür begegnete, war Aslak, der all sein Hab und Gut auf einen Schlitten gepackt hatte; der Schlitten aber gehörte Thorbjörn. Thorbjörn starrte ihn an, denn er sah schrecklich aus. Das Blut war ihm im Gesicht festgeklebt, und alle seine Kleider waren mit Blut beschmutzt. Er hustete und griff sich oft nach der Brust. Eine Weile sah er Thorbjörn schweigend an, dann rief er heftig: »Ich kann deine Augen nicht ausstehn, Junge!« – Damit spreizte er die Beine über den Schlitten, setzte sich und fuhr bergab. – »Du kannst sehn, wie du deinen Schlitten wiederkriegst!« sagte er und lachte, indem er sich noch einmal umwandte und ihm die Zunge ausstreckte. So zog Aslak von dannen.
Aber in der Woche, die nun folgte, kam der Vogt nach Granliden. Der Vater war oft abwesend, die Mutter weinte, und auch sie war mehrmals fort. »Was ist nur, Mutter?« – »Ach, Aslak ist an allem schuld.«
Und dann eines Tages ertappten sie die kleine Ingrid, wie sie dasaß und sang:
Es wurde ein Verhör angestellt, wo sie das Stück Lied her hätte. Ja, sie hatte es von Thorbjörn gehört. Dieser wurde sehr ängstlich und sagte, Aslak habe es ihn gelehrt. Da erhielt er denn den Bescheid, daß er, wenn er selber solche Lieder sänge oder sie der Schwester beibrächte, sich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen könne. Kurz darauf fing die kleine Ingrid an zu fluchen. Thorbjörn wurde abermals ins Verhör genommen, und Sämund meinte, es würde wohl das beste sein, wenn er gleich die Rute bekäme; aber er weinte und gelobte heilig und teuer, sich zu bessern, so daß er diesmal mit der Angst davonkam.
Am nächsten Sonntag, wo gepredigt wurde, sagte der Vater zu ihm: »Heute sollst du keine Gelegenheit haben, daheim Unheil anzustiften, du kannst mich in die Kirche begleiten.«
Die Kirche steht in den Gedanken des Bauern auf einer hohen Stelle und ganz für sich, weihevoll, die Feierlichkeit der Gräber ringsumher, den lebendigen Gottesdienst drinnen. Es ist das einzige Haus im ganzen Tal, worauf er Pracht verwandt hat, und ihr Turm ragt deswegen auch etwas höher empor, als er zu ragen scheint. Ihre Glocken begrüßen ihn schon aus der Ferne auf seinem Gange durch den klaren Sonntagmorgen, und er lüftet immer die Mütze, wenn er sie hört, als wollte er sagen: »Dank für das letztemal!« Es besteht ein Bündnis zwischen ihm und ihnen, das niemand kennt. In frühester Kindheit stand er wohl in der offnen Tür und lauschte ihrem Klang, während die Kirchgänger in stillem Zuge unten auf dem Wege vorübergingen; der Vater schloß sich ihnen an, aber er selbst war noch zu klein. Er verband damals mancherlei Vorstellungen mit diesem schweren, vollen Ton, der eine oder auch zwei Stunden die Herrschaft zwischen den Bergen hatte und von einer Felswand zur andern widerhallte; eins aber war unzertrennlich von diesem Getön: reine,16 neue Kleider, geschmückte Frauen, geputzte Pferde mit blitzendem Geschirr.
Und wenn sie dann eines Sonntags über seinem eignen Glück läuten und er selber in funkelnagelneuen, aber viel zu großen Kleidern gesetzt an der Seite des Vaters einhergeht und das erstemal dahin soll – ja, dann liegt Freude und Jubel in ihrem Klange. Da öffnen sie ihm die Türen zu alledem, was er nun zu sehn bekommen soll! Und auf dem Heimwege, wenn sie über seinem Haupte dröhnen, das noch schwer und wirr ist von dem Gesang, der Messe, den Worten der Predigt, die auf ihn eingedrungen und wieder verdrängt worden sind von alledem, was das Auge zugleich aufgenommen hat: die Altartafel, die Trachten, alle die Menschen – da wölben sie sich ein für allemal über alle diese Eindrücke und geben der kleinern Kirche, die er fortan in seinem Innern trägt, die rechte Weihe.
Ist er ein wenig älter geworden, so muß er auf den Bergen das Vieh hüten; wenn er aber an einem schönen, taufrischen Sonntagmorgen so auf dem Felsblock sitzt, das Vieh zu seinen Füßen, und hört, wie die Kirchenglocken das Herdengeläute übertönen, da wird ihm ganz wehmütig ums Herz. Denn mit ihnen tönt etwas Lichtes, Leichtes, Lockendes zu ihm herauf, der Gedanke an die Bekannten bei der Kirche, an die Freude, wenn man da ist, und die noch größere, wenn man dagewesen ist, an das gute Essen daheim, an den Vater, die Mutter, die Geschwister, an das Spiel auf der Wiese an fröhlichen Sonntagabenden – und das kleine Herz wird ganz aufrührerisch in der Brust. Aber seine Gedanken kehren doch immer wieder zu den Kirchenglocken zurück, die zu ihm heraufschallen; er sinnt nach und entdeckt schließlich auch ein Bruchstück eines Kirchenliedes in seinem Gedächtnis; das singt er mit gefalteten Händen und einem sehnsüchtigen Blick ins Tal hinab, spricht dann ein kleines Gebet hinterher, springt auf, ist fröhlich und stößt in sein langes Hirtenhorn, daß es in den Bergen widerhallt.
Hier in den stillen Bergtälern hat die Kirche noch ihre besondre17 Sprache für jedes Alter, ihr besondres Aussehn für jedes Auge; vieles kann sich dazwischen aufgetürmt haben, nichts aber ragt über sie hinweg. Den Konfirmanden steht sie erhaben und vollkommen da – mit erhobnem Finger, halb drohend, halb winkend dem Jüngling, der seine Wahl getroffen hat; breitschultrig und stark über der Sorge des Mannes, geräumig und mild über dem müden Greise. Mitten während des Gottesdienstes werden die kleinen Kinder hereingetragen und getauft, und es ist bekannt, daß bei dieser Handlung die Andacht am größten ist.
Man kann deswegen norwegische Bauern – weder gute noch schlechte – nicht zeichnen, ohne irgendwo mit der Kirche in Berührung zu kommen. Das mag einförmig erscheinen, aber das ist vielleicht nicht das Schlimmste. Dies sei ein für allemal gesagt, und nicht einzig und allein wegen des Kirchenbesuchs, der nun folgt.
Thorbjörn war glücklich über den Gang zur Kirche und alles, was er sah; wunderlich viele Farben nahm sein Auge vor der Kirche in sich auf, er fühlte sich bedrückt durch die Stille drinnen, die auf allen und allem ruhte, ehe noch die Messe begonnen hatte; und obwohl er selber vergaß, den Kopf zu senken, als das Gebet verlesen wurde, war er doch wie gebeugt durch den Anblick mehrerer hundert gebeugter Köpfe. Der Gesang erschallte, und alle rings um ihn her sangen, sangen auf einmal, so daß es ihm fast ängstlich zumute wurde. So versunken saß er da, daß er wie aus einem Traum in die Höhe fuhr, als ihr Stuhl leise geöffnet wurde und jemand eintrat. Nachdem der Gesang beendet war, reichte der Vater dem Manne die Hand und fragte: »Geht alles gut auf Solbakken?«
Thorbjörn riß die Augen auf; aber soviel er auch starrte, war es ihm unmöglich, diesen Mann mit irgendeiner Art von Zauberei in Zusammenhang zu bringen. Es war ein freundlich aussehender, blonder Mann mit großen blauen Augen, hoher Stirn und stattlicher Haltung; er lächelte, wenn man ihn anredete, und sagte ja zu allem, was Sämund sagte, war aber sonst wortkarg. – »Da18 kannst du Synnöve sehn,« sagte der Vater, indem er sich zu Thorbjörn hinabbeugte, ihn auf sein Knie zog und nach dem ihnen gerade gegenüberliegenden Frauenstuhl zeigte. Da kniete ein kleines Mädchen oben auf der Bank und sah über die Seitenlehne des Kirchstuhls herüber; sie war noch blonder als der Mann, so blond, wie er nie etwas Ähnliches gesehn hatte. Sie hatte rote, flatternde Bänder an der Mütze, unter der das weißblonde Haar hervorguckte, und lachte zu ihm herüber, so daß er eine ganze Weile nichts andres ansehn konnte als ihre weißen Zähne. Sie hielt ein schimmerndes Gesangbuch in der einen Hand und ein zusammengefaltetes rotgelbes seidnes Taschentuch in der andern und ergötzte sich nun damit, daß sie das Tuch um das Gesangbuch wickelte. Je mehr er sie anstarrte, um so mehr lachte sie, und nun wollte auch er auf die Bank knien, so wie sie. Da nickte sie ihm zu. Er sah sie eine Weile ganz ernsthaft an, dann nickte auch er. Sie lachte und nickte noch einmal; er nickte zurück, und noch einmal und noch einmal; sie lachte, nickte aber nicht mehr – bis nach einer Weile, als er es schon vergessen hatte, da nickte sie.
»Ich will auch sehn!« hörte er eine Stimme hinter sich, und in demselben Augenblick fühlte er sich an den Beinen auf den Boden herabgezogen, so daß er beinahe gefallen wäre; es war ein vierschrötiger kleiner Bursche, der sich nun tapfer auf seinen Platz hinaufarbeitete; auch er hatte blondes, aber struppiges Haar und eine Stumpfnase. Aslak hatte Thorbjörn gelehrt, wie die bösen Jungen, mit denen er in der Kirche und in der Schule zusammentreffen würde, gehandhabt werden müßten; deswegen kniff denn Thorbjörn den Buben von hinten, so daß der schon laut aufschreien wollte, sich aber zusammennahm und statt dessen ganz geschwinde wieder von der Bank herabkroch und Thorbjörn bei beiden Ohren packte. Dieser faßte ihn beim Schopf und zwang ihn unter sich, noch schrie er nicht, biß aber Thorbjörn in den Schenkel; Thorbjörn zog sein Bein zurück und preßte das Gesicht des andern hart gegen die Erde. Da wurde er selber beim Rockkragen gepackt und19 wie ein Strohsack in die Höhe gehoben – es war der Vater, der ihn auf seinen Schoß setzte. »Wäre es nicht in der Kirche, so bekämst du Prügel,« flüsterte er ihm ins Ohr und drückte seine Hand so, daß es ihn bis in den Fuß schmerzte. Da fiel ihm Synnöve ein, und er sah wieder hinüber; sie stand noch da, aber so starr und entsetzt, daß ihm eine Ahnung davon aufging, daß das, was er getan hatte, etwas sehr Schlimmes sein müsse. Sobald sie merkte, daß er sie ansah, kroch sie auf die Bank hinab und war nicht mehr zu sehn.
Nun kam der Küster, und dann kam der Pfarrer: aufmerksam hörte und sah er sie an. Dann kam abermals der Küster und hinterdrein wieder der Pfarrer; aber noch immer saß er da auf dem Schoß des Vaters und dachte: »Ob sie wohl nicht bald wieder aufsehn wird?« Der Junge, der ihn von der Bank heruntergezogen hatte, saß auf einem Schemel weiter hinten im Stuhl, und jedesmal, wenn er aufstehn wollte, bekam er einen Puff in den Rücken von einem alten Manne, der auch dasaß und nickte, aber regelmäßig aufwachte, sobald der Junge Miene machte, aufzustehn. – »Ob sie wohl nicht bald herübersehn wird?« dachte Thorbjörn, und jedes rote Band, das er ringsumher flattern sah, und jedes bunte Bild in der alten Kirche war entweder ebenso groß oder ebenso klein wie sie. Ja, da hob sie den Kopf wieder hervor! Sowie sie ihn aber erblickte, zog sie ihn ernsthaft wieder zurück. – Noch einmal kamen der Küster und der Geistliche zum Vorschein, die Glocken läuteten, und man erhob sich. Der Vater sprach wieder leise mit dem blonden Manne; sie gingen zusammen hinüber nach dem Frauenstuhl, wo man sich ebenfalls erhoben hatte. Die erste, die heraustrat, war eine blonde Frau, die ebenso lächelte wie der Mann, aber doch etwas schwächer; sie war ganz klein und blaß und hielt Synnöve an der Hand. Thorbjörn eilte sofort geradeswegs auf sie zu; sie aber entzog sich ihm schnell und verkroch sich hinter dem Kleide ihrer Mutter. – »Laß mich,« sagte sie. – »Der da ist wohl noch nie in der Kirche gewesen,« sagte die blonde Frau20 und legte ihm die Hand auf den Kopf. – »Nein, deswegen prügelt er sich auch das erstemal, wo er drin ist,« sagte Sämund. Thorbjörn sah beschämt zu ihr auf und dann zu Synnöve, die ihm noch ernster erschien. Sie gingen alle hinaus, die Eltern im Gespräch miteinander, Thorbjörn aber hinter Synnöve her, die sich jedesmal, wenn er ihr näher kam, dichter an die Mutter herandrängte. Den andern Jungen sah er nicht mehr. Draußen auf dem Kirchenanger blieben sie stehn und begannen ein längeres Gespräch. Thorbjörn hörte mehrmals den Namen Aslak, und da er fürchtete, es könne bei dieser Gelegenheit auch ein wenig von ihm selber geredet werden, zog er sich zurück. – »Du brauchst das nicht zu hören,« sagte die Mutter zu Synnöve, »geh ein wenig beiseite, mein Herz – geh weg, sage ich dir.« Synnöve zog sich zögernd zurück. Jetzt näherte sich Thorbjörn ihr und sah sie an, und sie sah ihn an, und so standen sie eine ganze Weile da und betrachteten sich gegenseitig. Endlich sagte sie: »Pfui!« – »Weshalb sagst du pfui?« fragte er. – »Pfui!« sagte sie noch einmal. »Pfui, schäm dich,« fügte sie hinzu. – »Was habe ich denn getan?« – »Du hast dich in der Kirche geprügelt, und noch dazu während der Pfarrer vor dem Altare stand – pfui!« – »Ja, aber das ist schon lange her.« – Das leuchtete ihr ein, und nach einer Weile sagte sie: »Bist du der, der Thorbjörn Granliden heißt?« – »Ja; und bist du die, die Synnöve Solbakken heißt?« – »Ja. Ich habe immer gehört, du wärst ein so artiger Junge.« – »Nein, das ist nicht wahr, denn ich bin zu Hause der schlimmste von uns allen,« sagte Thorbjörn. – »So was habe ich doch noch nie gehört!« sagte Synnöve und schlug die kleinen Hände zusammen; »Mutter, Mutter – er sagt –« – »Schweig und geh weg,« entgegnete ihr die Mutter. Sie blieb stehn, wandte sich dann langsam um und kehrte rückwärtsgehend zurück, die großen, blauen Augen auf die Mutter gerichtet. – »Ich habe immer gehört, du wärst so artig,« sagte Thorbjörn. – »Ja, zuweilen, wenn ich recht fleißig gelernt habe,« erwiderte sie. – »Ist es wahr, daß es bei euch von Kobolden und21 Hexen und andern bösen Geistern wimmelt?« fragte er, stemmte den Arm in die Seite, setzte den einen Fuß vor und stützte sich auf den andern, wie er es von Aslak gesehn hatte. – »Mutter, Mutter, weißt du, was er sagt? Er sagt –« – »Laß mich in Frieden, hörst du, und komm nicht hierher, bis ich dich rufe.« – Sie mußte abermals langsam und rückwärtsgehend umkehren, sie nahm einen Zipfel ihres Taschentuchs in den Mund, biß darauf und zerrte daran. – »Ist es denn gar nicht wahr, daß da drüben in den Hügeln jede Nacht Musik gemacht wird?« – »Nein!« – »Hast du denn nie einen Kobold gesehn?« – »Nein!« – »Aber in Jesu Namen –« – »Pfui, das mußt du nicht sagen!« – »Ach was, das ist nicht schlimm,« sagte er und spuckte durch die Zähne, um ihr zu zeigen, wie weit er spucken könne. – »Ja, ja,« sagte sie, »denn sonst kommst du in die Hölle!« – »Glaubst du das?« fragte er bedeutend kleinmütiger; denn er hatte nur gedacht, er könnte Prügel dafür bekommen, und der Vater stand jetzt weit von ihm entfernt. – »Wer bei euch ist der Stärkste?« fragte er und setzte die Mütze ein wenig mehr auf die eine Seite. – »Das weiß ich wirklich nicht!« – »Ja, bei uns ist es der Vater, er ist so stark, daß er Aslak geprügelt hat, und der ist stark, das kannst du mir glauben.« – »So?« – »Ja, er hat einmal ein Pferd genommen und es in die Höhe gehoben.« – »Ein Pferd?« – »Das ist so wahr, so wahr – denn er hat es selber erzählt!« – Da zweifelte sie auch nicht mehr daran. – »Wer ist Aslak?« fragte sie. – »Das ist ein schlimmer Gesell, das kannst du mir glauben. Vater, der hat ihn so geprügelt, wie auf der ganzen Welt noch nie ein Mann geprügelt worden ist.« – »Prügelt ihr euch denn da drüben bei euch?« – »Ja, manchmal, dann – tut ihr es bei euch nicht auch?« – »Nein, nie!« – »Was tut ihr denn?« – »Ach, die Mutter kocht das Essen und strickt und näht; das tut Kari auch, aber sie kann es nicht so gut wie die Mutter, denn Kari ist so faul. Und Randi besorgt die Küche, und der Vater und die Knechte sind auf dem Felde oder auch zu Hause.« – Diese Erklärung schien ihn22 vollständig zu befriedigen. – »Aber jeden Abend lesen und singen wir,« fuhr sie fort, »und das tun wir des Sonntags auch.« – »Alle zusammen?« – »Ja!« – »Das muß langweilig sein!« – »Langweilig! Mutter, er sagt –« Aber dann fiel ihr ein, daß sie die Mutter nicht stören sollte. – »Du kannst mir glauben, ich habe viele Schafe!« sagte sie. – »Wirklich?« – »Ja, zwei bekommen diesen Winter Lämmer, und das eine, glaube ich ganz sicher, bekommt zwei.« – »So, du hast also Schafe, du?« – »Ja, ich habe auch Kühe und Schweine. Hast du denn keine?« – »Nein!« – »Dann komm nur zu mir, dann will ich dir ein Lamm schenken. Du sollst sehn, du bekommst dann mehrere davon.« – Das würde schrecklich lustig sein! – Sie standen eine Weile schweigend da. – »Könnte Ingrid nicht auch ein Lamm bekommen?« fragte er. – »Ingrid? Wer ist Ingrid?« – »Ingrid – die kleine Ingrid!« – Nein, die kannte sie nicht. – »Ist sie kleiner als du?« – »Freilich ist sie kleiner als ich – ungefähr so wie du.« – »Ach ja, die mußt du mitbringen, hörst du!« – Ja, das wollte er tun. – »Aber,« sagte sie, »da du ein Lamm bekommst, so soll sie ein Ferkel haben!« – Das fand er auch viel vernünftiger, und dann sprachen sie ein wenig über gemeinsame Bekannte, deren sie freilich nicht viele hatten. Die Eltern waren fertig, und sie mußten nach Hause gehen.
In der Nacht träumte er von Solbakken, und es war ihm, als sähe er da drüben nur weiße Lämmer und ein kleines blondes Mädchen mit roten Bändern zwischen ihnen umhergehn. Ingrid und er sprachen jeden Tag davon, daß sie hinübergehn wollten, sie hatten so viele Lämmer und kleine Ferkel zu hüten, daß sie gar nicht wußten, wie sie damit fertig werden sollten. Indessen wunderten sie sich sehr darüber, daß sie nicht sofort hinübergehn durften. – »Nur weil euch das kleine Mädchen eingeladen hat?« fragte die Mutter. »Hast du je so etwas gehört?« – »Ja, ja, wartet nur bis zum nächsten Sonntag, wo gepredigt wird,« sagte Thorbjörn, »da werdet ihr schon sehn.«
Der Sonntag kam. – »Du sollst so arg prahlen und lügen und23 fluchen,« sagte Synnöve da zu ihm, »daß du nicht eher kommen darfst, als bis du dir das abgewöhnt hast.« – »Wer hat das gesagt?« fragte Thorbjörn ganz verwundert. – »Die Mutter.«
Ingrid sah voller Erwartung der Heimkehr entgegen, und er erzählte ihr und der Mutter, wie es ihm ergangen wäre. – »Siehst du wohl!« sagte die Mutter. Ingrid aber sagte nichts. Doch von nun an gaben sie und die Mutter acht auf ihn, sobald er prahlte oder fluchte. Ingrid und er gerieten sich indessen eines Tages darüber in die Haare, ob der Ausdruck: »Der Hund fahre in mich!« als Fluch zu betrachten sei oder nicht. Ingrid bekam Prügel, und nun sagte er den ganzen Tag: »Der Hund fahre in mich!« Am Abend aber hörte der Vater es. – »Ja, er soll in dich fahren!« sagte er und versetzte ihm eine Ohrfeige, daß er zu Boden taumelte. Thorbjörn schämte sich am meisten vor Ingrid; aber nach einer Weile kam sie zu ihm hin und streichelte ihn.
Als ein paar Monate vergangen waren, gingen sie beide nach Solbakken hinüber; dann kam Synnöve zu ihnen, und sie waren wieder bei ihr, und so ging es während der ganzen Zeit, daß sie heranwuchsen. Thorbjörn und Synnöve lernten um die Wette; sie gingen in dieselbe Schule, und er machte schließlich größre Fortschritte; so gute Fortschritte machte er, daß sich der Pfarrer seiner annahm. Mit Ingrid ging es nicht so gut, und die beiden andern halfen ihr. Sie und Synnöve wurden so unzertrennlich, daß die Leute sie die Schneehühner nannten, weil sie immer beieinander flatterten, und weil sie beide so blond waren.
Es kam wohl vor, daß Synnöve sich über Thorbjörn ärgerte, weil er gar zu wild war und beständig in Schlägerei geriet. Ingrid legte sich dann immer ins Mittel, und sie waren gute Freunde wie zuvor. Hörte aber Synnöves Mutter von der Schlägerei, so durfte er in der Woche nicht nach Solbakken und nur mit genauer Not in der nächsten. Sämund wagte niemand etwas von dergleichen zu erzählen; »er ist zu hart mit dem Jungen,« sagte die Mutter und gebot allen Schweigen.
Als sie nun heranwuchsen, waren sie alle drei schön anzusehn, jedes freilich auf seine Weise. Synnöve wurde groß und schlank, hatte hellblondes Haar, ein feines, leuchtendes Gesicht und sanfte, blaue Augen. Sie lächelte, wenn sie sprach, und schon früh sagten die Leute, es sei ein Segen, in den Bereich dieses Lächelns zu kommen. Ingrid war kleiner, aber rundlicher, sie hatte noch helleres Haar und ein ganz kleines, rundes, weiches Gesicht. Thorbjörn wurde mittelgroß, aber er war gut gewachsen, hatte dunkles Haar, dunkelblaue Augen, scharfe Gesichtszüge und starke Glieder. Er pflegte, wenn er zornig war, zu erzählen, daß er ebenso gut lesen und schreiben könne wie der Schulmeister und sich vor niemand im ganzen Tal fürchte – den Vater ausgenommen, dachte er bei sich; aber das sagte er nicht.
Thorbjörn wollte gern früh konfirmiert werden, aber daraus wurde nichts. »Solange du nicht konfirmiert bist, bist du nur ein Knabe, und ich kann besser mit dir fertig werden,« sagte sein Vater. So kam es denn, daß er, Synnöve und Ingrid zu derselben Zeit zum Pfarrer gingen. Synnöve hatte auch lange gewartet, sie war fünfzehn Jahre und ging ins sechzehnte. – Man kann nie genug, wenn man sein Glaubensbekenntnis ablegen soll, hatte die Mutter immer gesagt, und der Vater Guttorm Solbakken hatte sein Ja dazu gesprochen. Da war es denn nicht zu verwundern, daß sich schon ein paar Freier zeigten, der eine der Sohn eines vornehmen Mannes, der andre ein reicher Nachbar. »Das ist aber doch zu arg! Sie ist ja noch nicht einmal eingesegnet!« – »Ja, dann müssen wir sie wohl einsegnen lassen,« meinte der Vater. Von alledem wußte aber Synnöve selbst nichts.
Auf dem Pfarrhofe hatten die Damen Synnöve so gern, daß sie sie hereinholten, um sich mit ihr zu unterhalten. Ingrid und Thorbjörn waren draußen bei den andern stehngeblieben, und als einer der Knaben zu ihm sagte: »Du kamst also nicht mit hinein? Die schnappen sie dir gewiß noch weg!« da kostete es den Burschen ein blaues Auge. Von nun an wurde es Sitte bei den andern Knaben,25 ihn mit Synnöve zu necken, und es zeigte sich, daß ihn nichts in einen so großen Zorn versetzen konnte. In einem Walde unterhalb des Pfarrhofes kam es schließlich verabredetermaßen zu einer großen Prügelei, die ihren Grund in diesen Hänseleien hatte. Die Zahl seiner Gegner wuchs so an, daß sich Thorbjörn schließlich gegen eine ganze Schar auf einmal zu verteidigen hatte. Die Mädchen waren vorausgegangen, so daß niemand da war, der sie hätte auseinanderbringen können, und deswegen wurde es ärger und ärger. Nachgeben wollte er nicht, es drangen immer mehr auf ihn ein, und nun verteidigte er sich, wie er am besten konnte, und daher wurden Schläge ausgeteilt, die später selbst erzählten, was vorgefallen war. Die Veranlassung zu der Prügelei wurde zugleich bekannt, und infolgedessen entstand ein großes Gerede im Kirchspiel.
Am folgenden Sonntag wollte Thorbjörn nicht zur Kirche gehn, und am nächsten Tage, als sie zum Pfarrer gehn sollten, stellte er sich krank. Ingrid ging deswegen allein. Er fragte sie bei der Heimkehr, was Synnöve gesagt habe. – »Nichts.«
Als er dann wieder mitging, glaubte er, alle Leute sähen ihn an, und die Konfirmanden lachten über ihn. Aber Synnöve kam später als die andern und war an diesem Tage lange im Pfarrhause. Er fürchtete, Vorwürfe von dem Pfarrer zu bekommen, merkte aber bald, daß die beiden einzigen im ganzen Kirchspiel, die nichts von der Schlägerei wußten, der Vater und der Pfarrer waren. Das war ja soweit alles ganz gut, nur wußte er nicht, wie er es anfangen sollte, wieder mit Synnöve zu sprechen, denn zum erstenmal wagte er nicht recht, Ingrid um ihre Vermittlung zu bitten. Nach dem Unterricht ging Synnöve wieder ins Pfarrhaus. Er wartete, solange noch andre auf dem Hofe waren; schließlich mußte aber auch er gehn. Ingrid war mit den ersten fortgegangen.
Am nächsten Tage war Synnöve vor allen andern gekommen und ging mit einer der Damen und einem jungen Herrn im Garten. Das Fräulein grub Blumen aus und gab sie Synnöve, der Herr26 war dabei behilflich, und Thorbjörn stand draußen unter den andern und sah zu. Sie erklärten ihr so laut, daß alle es hörten, wie diese Blumen eingepflanzt werden müßten, und Synnöve versprach, es eigenhändig zu tun, damit es genau so würde, wie sie es ihr gesagt hatten. – »Allein kannst du es nicht,« sagte der fremde Herr, und das merkte sich Thorbjörn. – Als Synnöve wieder zu den andern herauskam, erzeigten ihr diese noch mehr Achtung als sonst; Synnöve aber ging zu Ingrid hin, begrüßte sie freundlich und bat sie, mit ihr zusammen auf den Grasplatz hinauszukommen. Dort setzten sie sich hin, denn es war lange her, seit sie vertraulich miteinander geredet hatten. Thorbjörn stand wieder unter den andern und betrachtete Synnöves schöne, ausländische Blumen.
An diesem Tage ging Synnöve mit den andern zusammen nach Hause. – »Soll ich dir nicht die Blumen tragen?« fragte Thorbjörn. – »Das kannst du gern tun,« erwiderte sie sanft, aber ohne ihn anzusehn, dann nahm sie Ingrid bei der Hand und ging voran. In der Nähe von Solbakken blieb sie stehn und sagte Ingrid Lebewohl. »Das kleine Stück kann ich sie sehr gut noch selber tragen,« sagte sie und nahm den Korb auf, den Thorbjörn niedergesetzt hatte. Den ganzen Morgen lang hatte er darüber nachgedacht, daß er sich erbieten wollte, ihr die Blumen einzupflanzen, aber nun kam er nicht dazu, denn sie wandte sich rasch um. Er dachte aber an nichts andres danach, als daß er ihr doch bei den Blumen hätte helfen sollen. – »Worüber habt ihr beiden denn gesprochen?« fragte er Ingrid. – »Über nichts.«
Als die andern alle zu Bette gegangen waren, kleidete er sich leise wieder an und ging hinaus. Es war ein schöner Abend, warm und still; über den Himmel lag ein leichter Schleier von blaugrauen Wolken ausgebreitet, der hie und da zerrissen war, so daß es aussah, als ob jemand aus dem tiefen Blau wie aus einem Auge hervorluge. Niemand war zu sehn in der Nähe des Gehöfts und auch nicht in der Ferne, aber auf allen Seiten zirpten die Heuschrecken im Grase, rechts schlug eine Wachtel, eine andre antwortete27 ihr von links her, worauf ein Gesang im Grase hin und her anhub, so daß es ihm zuletzt war, wie er dahinging, als habe er ein großes Gefolge um sich, obwohl er nichts sehn konnte. Der Wald zog sich blau, dann dunkel und immer dunkler zum Gebirge hinauf und glich einem großen Nebelmeer. Drinnen aber hörte er den Auerhahn spielen und balzen; eine einsame Eule schrie, und der Gießbach sang seine alten, harten Reime lauter als je – jetzt, wo sich alles niedergelassen hatte, um ihn anzuhören. Thorbjörn schaute nach Solbakken hinüber und schritt weiter. Er bog von den gewöhnlichen Wegen ab, kam schnell hinüber und stand bald in dem kleinen Garten, der Synnöve gehörte und der gerade unter dem einen Giebelfenster lag, gerade unter dem, hinter dem sie schlief. Er lauschte und spähte, aber alles war still. Da sah er sich im Garten nach Arbeitsgerät um und fand auch richtig Spaten und Rechen. Mit der Umgrabung des einen Beetes war schon begonnen worden, aber nur eine kleine Ecke war fertig geworden, in die aber schon zwei Blumen gesetzt worden waren, wahrscheinlich um zu sehn, wie es sich ausnehmen würde. – Sie ist müde geworden, die Ärmste, und hat die Arbeit aufgeben müssen, dachte er; hier ist eine männliche Kraft nötig, dachte er weiter und nahm die Arbeit in Angriff. Er fühlte keine Lust zum Schlafen, ja es war ihm, als habe er niemals eine so leichte Arbeit verrichtet. Er erinnerte sich, wie die Blumen gepflanzt werden sollten, er erinnerte sich auch des Pfarrgartens und richtete nun das eine nach dem andern. Die Nacht verstrich, aber er merkte es nicht, er ruhte kaum, und es gelang ihm auch, das ganze Beet umzugraben, die Blumen einzupflanzen und die eine und die andre wieder umzusetzen, um es noch schöner zu machen, und dabei warf er von Zeit zu Zeit einen Blick nach dem Giebelfenster hinauf, ob nicht vielleicht doch jemand ihn bemerke. Aber weder dort noch anderswo war jemand, auch hörte er nicht einmal einen Hund bellen. Endlich begann der Hahn zu krähen und weckte die Vögel des Waldes, die nun einer nach dem andern aufflogen, um ihre »Guten28 Morgen« zu singen. Während er so dastand und die Erde glattklopfte, fielen ihm die Märchen ein, die ihm Aslak früher erzählt hatte, und daß er ehemals geglaubt hatte, drüben auf Solbakken wüchsen Kobolde und Hexen. Er schaute zum Giebelfenster hinauf und lächelte bei dem Gedanken, was Synnöve wohl sagen würde, wenn sie in der Morgenstunde herunterkäme. Es war schon ganz hell geworden, die Vögel machten schon einen großen Lärm, deswegen schwang er sich über die Gartenhecke und eilte nach Hause. Ja, nun sollte nur einer sagen, daß er es gewesen wäre, der drüben in Synnöve Solbakkens Garten die Blumen eingepflanzt hätte!
Bald erzählte man sich allerlei im Kirchspiel, niemand aber wußte etwas Bestimmtes. Niemals mehr sah man Thorbjörn auf Solbakken, seit sie beide eingesegnet worden waren, und gerade das konnten die Leute gar nicht verstehn. Ingrid kam oft hinüber; dann pflegten Synnöve und sie einen Spaziergang im Walde zu machen. – »Bleibt nicht so lange fort!« rief ihnen die Mutter nach. – »Ach nein!« antwortete Synnöve – und kam vor Abend nicht wieder nach Hause. Die beiden Freier meldeten sich von neuem. »Sie muß selber entscheiden,« sagte die Mutter, der Vater war derselben Ansicht. Als man aber Synnöve beiseite nahm und sie fragte, bekamen beide eine Absage. Es meldeten sich noch mehr Freier, aber niemand hörte, daß einer das Glück von Solbakken mit heimgetragen hätte. Einmal, als die Mutter und sie mit dem Scheuern der Milchkübel beschäftigt waren, fragte die Mutter sie, an wen sie eigentlich denke. Die Frage kam Synnöve so unerwartet, daß sie rot wurde. »Hast du irgend jemand ein Versprechen gegeben?« fragte sie weiter und sah sie forschend an. – »Nein,« antwortete Synnöve schnell. Es wurde nicht weiter über die Sache gesprochen.
Da sie weit und breit die beste Partie war, so folgten ihr lange29 Blicke, wenn sie zur Kirche kam, dem einzigen Orte, wo sie außer zu Hause zu sehn war. Man sah sie, da die Eltern Haugianer waren, weder beim Tanz noch bei andern Festlichkeiten. Thorbjörn saß ihr im Kirchenstuhl gerade gegenüber, aber sie sprachen, soweit die Leute sehn konnten, niemals miteinander. Daß irgendein Verhältnis zwischen ihnen bestehe, glaubte aber alle Welt zu wissen, und da sie nicht auf dieselbe Weise miteinander verkehrten wie andre junge Brautleute im Tal, fing man an, allerlei über sie zu schwatzen. Thorbjörn wurde unbeliebt. Er hatte wohl selber ein Gefühl davon, denn er kehrte seine rauhe Seite nach außen, wenn er mit andern zusammen war, wie beim Tanz oder auf Hochzeiten, und dann geschah es wohl zuweilen, daß er sich auf Schlägereien einließ. Dies nahm jedoch ab, als man erst merkte, wie stark er war; Thorbjörn gewöhnte sich deswegen früh daran, nicht zu dulden, daß ihm irgend jemand in den Weg trat. – »Jetzt kannst du dich auf deine eigne Faust verlassen,« sagte sein Vater Sämund zu ihm; »vergiß aber nicht, daß meine doch vielleicht stärker ist als die deine.«
Der Herbst und der Winter gingen dahin, der Frühling kam, und noch immer wußten die Leute nichts Bestimmtes. Es waren so viele Gerüchte im Umlauf über die Körbe, die Synnöve Solbakken ausgeteilt hätte, daß sie fast ganz allein dastand. Ingrid aber blieb ihr treu; die beiden sollten in diesem Jahre zusammen auf die Alm, da die Leute von Solbakken einen Anteil an der Granlider Alm gekauft hatten. Man hörte Thorbjörn oben an den Felsabhängen singen, denn er brachte dort allerlei für sie in Ordnung.
Eines schönen Tages, als es schon gegen den Abend zu ging und er mit seiner Arbeit fertig war, setzte er sich hin und sann über dies und das nach, besonders aber dachte er an das, was man sich im Kirchspiel erzählte. Er legte sich auf den Rücken in das rote und braune Heidekraut, und die Hände unter dem Kopf schaute er zum Himmel hinauf, der sich blau und schimmernd über den dichten Laubkronen wölbte. Das grüne Laub und die Tannenzweige30 flossen in einen wogenden Strom zusammen, und die dunkeln Zweige, die ihn durchschnitten, zeichneten wilde, phantastische Figuren hinein. Der Himmel selbst war aber nur zu sehn, wenn ein Blatt zur Seite wehte; weiterhin, zwischen den Kronen, die nicht zueinander hinreichten, brach er hervor wie ein breiter Bach in launenhaften Windungen. Dies versetzte sein Gemüt in Stimmung, und er begann über das nachzudenken, was er sah.
– – Die Birke lachte wieder mit tausend Augen zu der Tanne hinauf, die Föhre stand da mit stiller Verachtung und spreizte ihre Nadeln nach allen Seiten hin aus; denn je kosender die Luft wehte, desto mehr schwache Schößlinge erstarkten, schossen empor und steckten ihr frisches Laub der Föhre gerade unter die Nase. »Ich möchte wissen, wo ihr diesen Winter gewesen seid,« sagte die Föhre, fächelte sich und schwitzte Harz in der unerträglichen Hitze. »Das ist wirklich zu arg! So hoch im Norden – pfui!«
Aber da stand eine alte, grauköpfige Föhre, die über alle die andern wegsah, aber doch noch einen fingerreichen Zweig fast lotrecht herabbeugen und einem kühnen Ahorn in den obersten Haarschopf fassen konnte, so daß er bis in die Knie hinunter erzitterte. Diese klafterdicke Föhre hatten die Menschen immer weiter und weiter hinauf ihrer Zweige beraubt, bis sie eines Tages, dieser Behandlung müde und überdrüssig, plötzlich so in die Höhe schoß, daß die schmächtige Tanne an ihrer Seite erschrak und sie fragte, ob sie auch der Winterstürme gedenke. – »Ob ich der Winterstürme gedenke?« sagte die Föhre und schlug die Tanne mit Hilfe des Nordwindes dermaßen um die Ohren, daß sie nahe daran war, ihre Haltung zu verlieren, und das war schlimm genug. Die grobgliedrige, dunkle Föhre hatte nun ihren Fuß so mächtig in die Erde gesetzt, daß die Zehen ungefähr sechs Fuß davon aus der Erde herausguckten und auch da noch dicker waren als die Weide an ihrer dicksten Stelle, was diese eines Abends mit einer gewissen Verschämtheit dem Hopfen zuflüsterte, der sie verliebt umschlungen hielt. Die bärtige Föhre war sich ihrer Macht bewußt und rief den Menschen zu, indem sie hoch31 über deren Bereich einen Zweig nach dem andern in die milde Luft hineintrieb: »Nehmt mir meine Zweige, wenn ihr könnt!«
»Nein, dir können sie die Zweige nicht mehr rauben,« sagte der Adler, ließ sich gnädig herab, legte seine Flügel mit Würde zusammen und begann, etwas elendes Schafblut von seinen Federn zu putzen. »Ich glaube, ich bitte die Königin, sich hier niederzulassen; sie hat ein paar Eier, die sie legen will,« fügte er leise hinzu und sah auf seine nackten Füße nieder; denn er schämte sich, daß eine Menge süßer Erinnerungen an jene ersten Frühlingstage geflogen kamen, wo man halb närrisch wird über die ersten Sonnenstrahlen. Bald hob er den Kopf wieder empor und schaute unter den federbeschatteten Augenbrauen hinauf nach den schwarzen Felsriffen, ob die Königin dort nicht irgendwo kreise, eierbelastet und matt. Von dannen rauschte er, und bald konnte die Föhre das Paar hoch oben in der blauen, klaren Luft erblicken, wo es in gleicher Höhe mit dem höchsten Berggipfel dahinsegelte und seine häuslichen Angelegenheiten besprach. Sie konnte sich von einer gewissen Unruhe nicht freimachen, denn so vornehm sie sich auch fühlte, es mußte doch noch vornehmer sein, ein Adlerpaar zu wiegen. Die ließen sich beide herab und gerade auf die Föhre zu! Sie sprachen nicht miteinander, sondern fingen sofort an, Zweige zusammenzutragen. Die Föhre breitete sich wenn möglich noch weiter aus – es war ja auch niemand da, der sie daran hätte hindern können.
Aber durch den ganzen übrigen Wald ging ein geschäftiges Gerede, als man sah, welche Ehre der großen Föhre widerfahren war. Da war zum Beispiel eine niedliche kleine Birke, die an einem Teiche stand und sich darin spiegelte; sie glaubte, daß sie wohl berechtigt sei, ein wenig Liebe von einem grauweißen Hänfling zu erwarten, der seinen Mittagsschlaf in ihren Zweigen zu halten pflegte. Sie hatte dem Hänfling ihren Duft gerade in den Schnabel hineingehaucht, hatte kleine Insekten an ihren Blättern festgeklebt, so daß sie leicht zu fangen waren; ja schließlich hatte sie in der Hitze ein32 kleines dichtes Haus aus ihren Zweigen gefügt und gebaut und mit frischen Blättern gedeckt, so daß der Hänfling wirklich im Begriff gewesen war, sich dort für den Sommer häuslich niederzulassen. Jetzt aber hatte sich der Adler auf der großen Föhre angesiedelt, und nun mußte der Hänfling fort! War das ein Kummer! Er trillerte ein Abschiedslied, aber ganz leise, daß der Adler es nicht merken sollte.
Nicht besser erging es einigen kleinen Spatzen im Erlenstrauch. Sie hatten dort ein so liederliches Leben geführt, daß eine Drossel dicht daneben, oben in einer Esche, niemals zur rechten Zeit einschlafen konnte und zuweilen ganz wütend wurde und schrecklich schimpfte. Ein ernster Specht in einem benachbarten Baume hatte so darüber gelacht, daß er beinahe von seinem Ast heruntergefallen wäre. Aber dann sahen sie den Adler in der großen Föhre! Und die Drossel und die kleinen Spatzen und der Specht und alles, was fliegen konnte, mußte über Hals und Kopf davon über und unter den Zweigen. Die Drossel schwur im Davonfliegen, sie würde sich niemals wieder so einmieten, daß sie die Spatzen zu Nachbarn bekäme.
So stand denn der Wald ringsumher verlassen und nachdenklich da mitten im hellen Sonnenschein.
Alle seine Freude sollte ihm jetzt von der großen Föhre kommen, aber das war nur eine armselige Freude! Der Wald beugte sich furchtsam jedesmal, wenn der Nordwind darüber hinging, die Föhre aber peitschte die Luft mit ihren gewaltigen Ästen, und der Adler umkreiste sie, ruhig und besonnen, als sei es nur ein leichter Windstoß, der etwas elenden Weihrauch aus dem Walde zu ihm emportrug. Aber die ganze Föhrenfamilie freute sich; keins von ihnen bedachte, daß es selber in diesem Sommer kein Nest wiegen sollte. »Weg!« sagten sie, »wir gehören zur Sippe.«
– – »Was liegst und sinnst du da?« fragte Ingrid – sie trat lächelnd zwischen den Büschen hervor, die sie zur Seite bog. Thorbjörn sprang auf: »Ach, es geht einem so viel im Kopfe herum!«33 sagte er und sah trotzig über die Bäume hin. »Übrigens schwatzten mir in der letzten Zeit die Leute im Kirchspiel zu viel,« fügte er hinzu, indem er sich den Staub abklopfte. – »Warum kümmerst du dich nur immer um das, was die Leute reden?« – »Ach, ich weiß nicht recht; aber bisher haben mir die Leute auch noch nichts gesagt, was ich nicht selbst im Sinne gehabt hätte, wenn ichs auch nicht getan habe!« – »Das war häßlich gesprochen!« – »Freilich war es das,« sagte er; und nach einer Weile fügte er hinzu: »Aber es ist wahr.« – Sie setzte sich ins Gras, er stand da und sah vor sich nieder: »Ich kann sehr leicht so werden, wie sie mich haben wollen; sie sollten mich so lassen, wie ich bin.« – »So wäre es doch deine Schuld.« – »Mag sein, aber die andern haben auch ihr Teil daran. Ich sage dir, ich will Ruhe haben!« Er schrie es beinah und sah zu dem Adler empor. – »Aber Thorbjörn!« flüsterte Ingrid. Er wandte sich nach ihr um und lachte. – »Stille, stille!« sagte er; »wie gesagt – es geht einem mancherlei durch den Kopf. Hast du heute mit Synnöve gesprochen?« – »Ja; sie ist schon auf die Alm hinaufgegangen.« – »Heute?« – »Ja!« – »Mit dem Vieh von Solbakken?« – »Ja.« – »Tralala!«
»Morgen treiben wir das Vieh hinauf,« sagte Ingrid; sie wollte ihn auf andre Gedanken bringen. – »Ich will es mit treiben helfen!« erwiderte Thorbjörn. – »Nein, der Vater will selber mit,« sagte sie. – »Ach so!« sagte er und schwieg. – »Er hat heute nach dir gefragt,« sagte sie. – »So, hat er das getan?« entgegnete Thorbjörn, schnitt einen Zweig mit seinem Schnitzmesser ab und fing an, ihn abzuschälen. – »Du solltest mehr mit dem Vater sprechen,34 als du es tust,« sagte sie sanft, »er hat dich so lieb,« fügte sie hinzu. – »Das mag sein,« sagte er. – »Er spricht oft von dir, wenn du fort bist.« – »Um so seltner, wenn ich daheim bin.« – »Das ist deine Schuld!« – »Das mag sein!« – »So solltest du nicht reden, Thorbjörn, du weißt selber, was zwischen euch liegt.« – »Was ist es denn?« – »Soll ich das sagen?« – »Es kommt wohl auf eins hinaus, Ingrid; du weißt, was ich weiß.« – »Freilich, du wirtschaftest zu viel auf eigne Hand, du weißt aber, daß er das nicht leiden kann.« – »Nein, er möchte mich am liebsten am Arm festhalten.« – »Ja, namentlich wenn du zuschlägst.« – »Sollen denn die Leute tun und sagen dürfen, was ihnen beliebt?« – »Nein, aber du kannst ihnen auch ein wenig aus dem Wege gehn; das hat er selber getan, und er ist ein geachteter Mann dabei geworden.« – »Man hat ihn vielleicht nicht so schrecklich gequält.« – Ingrid schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort, nachdem sie sich vorher umgesehn hatte: »Es nützt wohl nichts, daß ich noch einmal wieder darauf zurückkomme; und doch – wo du weißt, daß du mit Feinden zusammentreffen kannst, solltest du fernbleiben.« – »Nein, gerade da will ich sein! Ich heiße nicht umsonst Thorbjörn Granliden.« – Er hatte die Rinde von dem Zweig geschält, jetzt schnitt er ihn mitten durch. Ingrid saß da und sah ihn an und fragte zögernd: »Willst du am Sonntag nach Nordhaug?« – »Ja!« – Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, ohne ihn anzusehn, begann sie von neuem: »Weißt du, daß Knud Nordhaug zur Hochzeit seiner Schwester nach Hause gekommen ist?« – »Ja!« – Jetzt sah sie ihn an. »Thorbjörn! Thorbjörn!« – »Soll er denn jetzt mehr Recht haben, sich zwischen mich und andre zu drängen?« – »Er drängt sich nicht dazwischen! Nicht mehr als andre wollen.« – »Niemand kann wissen, was andre wollen.« – »Das weißt du recht wohl!« – »Sie selber sagt auf alle Fälle nichts!« – »Ach, wie du nur so reden kannst,« sagte Ingrid, sah ihn unwillkürlich an, erhob sich und schaute hinter sich. Er warf die Stücke des Zweiges weg, steckte das Messer in die Scheide und wandte sich35 zu ihr: »Du, manchmal hab ich die ganze Sache satt. Die Leute bringen mich wie sie um die Ehre, weil nichts offen geschieht. Und auf der andern Seite – ich komme ja nicht einmal nach Solbakken hinüber, weil mich die Eltern nicht mögen, wie sie sagt. Ich darf sie nicht besuchen, wie andre Burschen ihre Mädchen besuchen, weil sie zu den Heiligen gehört! Jetzt weißt dus!« – »Thorbjörn!« rief Ingrid und wurde unruhig, er aber fuhr fort: »Vater will kein Wort für mich einlegen; verdien ich sie, so krieg ich sie! sagt er; Klatsch und nichts als Klatsch auf der einen Seite – und nicht die geringste Entschädigung für den Klatsch auf der andern Seite – ja, ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich –« Ingrid sprang auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Mund, indem sie sich umwandte. Da zerteilten sich die Büsche abermals, und eine hohe, schlanke Gestalt trat tief errötend hervor. Es war Synnöve.
»Guten Abend!« sagte sie. Ingrid sah Thorbjörn an, als wollte sie sagen: »Da siehst dus.« – Thorbjörn sah Ingrid an, als wolle er sagen: »Das hättest du nicht tun sollen!« Keins von beiden sah Synnöve an. »Ich darf mich wohl ein wenig setzen,« sagte sie, »ich bin heute schon so viel gegangen.« Und sie setzte sich. Thorbjörn wandte den Kopf, wie um zu sehn, ob es da, wo sie sich hinsetzte, trocken wäre. Ingrids Augen schweiften nach Granliden hinunter, und plötzlich rief sie aus: »Ach nein, ach nein! Fagerlin hat sich losgerissen und geht mitten auf dem frischen Acker. Das abscheuliche Tier! Und Kelleros auch? Nein, das ist denn doch wirklich zu arg! Es wird die höchste Zeit, daß wir bald wieder auf die Alm hinaufkommen!« – Und damit sprang sie den Abhang hinab, ohne auch nur Abschied zu nehmen. Synnöve erhob sich sofort. »Willst du schon gehn?« fragte Thorbjörn. – »Ja,« sagte sie, blieb aber stehn.
»Du könntest wohl noch ein wenig bleiben,« sagte er, ohne sie anzusehn. – »Ein andermal,« erwiderte sie. – »Das kann lange währen!« – Sie sah auf; auch er sah sie jetzt an, aber es währte36 eine ganze Weile, ehe wieder eins von ihnen sprach. – »Setz dich doch wieder,« sagte er ein wenig verlegen. – »Nein,« entgegnete sie und blieb stehn. Er fühlte, wie der Trotz in ihm aufstieg; da aber tat sie etwas, was er nicht erwartet hatte; sie trat einen Schritt vor, beugte sich ihm entgegen, sah ihm in die Augen und sagte lächelnd: »Bist du mir böse?« Und als er sie ansah, weinte sie. – »Nein,« sagte er und wurde dunkelrot.
Er streckte die Hand aus; da aber ihre Augen voll Tränen standen, bemerkte sie es nicht, und er zog die Hand wieder zurück. Dann sagte er endlich: »Du hast es also gehört?« – »Ja,« erwiderte sie, sah auf und lächelte, aber jetzt standen noch mehr Tränen in ihren Augen als zuvor; er wußte nicht, was er tun und sagen sollte; deswegen sagte er endlich: »Ich bin wohl zu schlimm gewesen?« Er sagte das sehr sanft; sie sah nieder und wandte sich halb ab. »Du solltest nicht über das urteilen, was du nicht kennst,« sagte sie mit halberstickter Stimme, und ihm ward ganz unbehaglich dabei; er kam sich vor wie ein Knabe und sagte deswegen endlich, da ihm nichts andres einfiel: »Ich bitte dich um Verzeihung!« – Da aber brach sie wirklich in Tränen aus. Das konnte er nicht ertragen, er ging hin, faßte sie um den Leib, beugte sich zu ihr herab und sagte: »Hast du mich denn auch wirklich lieb, Synnöve?« – »Ja,« schluchzte sie. – »Aber es macht dich nicht glücklich?« – Sie antwortete nicht. – »Aber es macht dich nicht glücklich?« wiederholte er. Sie weinte noch heftiger als bisher und wollte sich ihm entziehn. – »Synnöve!« sagte er und zog sie fester an sich. Sie schmiegte sich an ihn und weinte unaufhaltsam.
»Komm, wir wollen ein wenig miteinander reden,« sagte er und half ihr, sich ins Heidekraut zu setzen; er selber setzte sich neben sie. Sie trocknete die Augen und versuchte zu lächeln; aber das wollte noch nicht gehn. Er hielt eine ihrer Hände in der seinen und schaute ihr ins Antlitz. »Liebste, weshalb darf ich nicht nach Solbakken hinüberkommen?« – Sie schwieg. – »Hast du nie darum gebeten?« – Sie schwieg noch immer. – »Weshalb hast du das nicht37 getan?« fragte er und zog ihre Hand näher zu sich heran. – »Ich wage es nicht!« sagte sie ganz leise.
Eine Wolke des Unmuts huschte über seine Stirn; er zog seinen Fuß ein wenig an, stützte den Ellenbogen auf das Knie und legte den Kopf in die Hand. – »Auf die Weise werde ich wohl niemals hinkommen,« sagte er endlich. Statt einer Antwort fing sie an, Heidekraut auszurupfen. – »Ach ja – ich mag wohl manches getan haben, was nicht so war, wie es sein sollte. – – Aber man sollte doch ein wenig Nachsicht mit mir haben. Ich bin nicht schlecht« – er hielt eine Weile inne –; »ich bin auch noch jung – kaum zwanzig Jahre alt – ich« – er konnte nicht sogleich fortfahren. – »Aber die, die mich wirklich liebt,« sagte er dann – – »die müßte doch« – und hier blieb er ganz stecken. Da vernahm er neben sich mit gedämpfter Stimme die Worte: »Du mußt nicht so reden, du weißt, wie sehr – – ich wage kaum, es Ingrid zu sagen« – und abermals brach sie in bitterliches Weinen aus –; »ich – leide – – so sehr!« Er schlang den Arm um sie und zog sie fest an sich. »Sprich mit deinen Eltern,« flüsterte er, »und du sollst sehn, es wird noch alles gut wenden.« – »Es wird so, wie du es willst,« flüsterte sie. – »Wie ich es will?« – Da wandte Synnöve sich um und schlang ihren Arm um seinen Nacken. – »Liebtest du mich so, wie ich dich liebe!« sagte sie sehr herzlich und versuchte zu lächeln. – »Und das täte ich nicht?« entgegnete er sanft und leise. – »Nein, nein, du nimmst niemals Rat von mir an; du weißt, was uns vereinigen würde, aber du tust es nicht. Weshalb tust du es nicht?« – Und da sie nun einmal angefangen hatte, fuhr sie in einem Zuge fort: »Großer Gott, wüßtest du, wie ich mich nach dem Tage gesehnt habe, wo ich dich auf Solbakken sehn würde! Immer aber muß man etwas hören, was nicht so ist, wie es sein sollte – und die Eltern selber müssen es einem mitteilen!« – Da ging ihm gleichsam ein Licht auf; er sah sie nun deutlich auf Solbakken umhergehn und auf den kleinen, friedlichen Augenblick warten, wo sie ihn freudig den38 Eltern zuführen könnte; er aber schenkte ihr nie einen solchen Augenblick.
»Das hättest du mir früher sagen sollen, Synnöve!« – »Und das hätte ich nicht getan?« – »Nein; nicht so!« – Sie sann eine Weile darüber nach, dann sagte sie, indem sie ihren Schürzenzipfel in kleine Falten legte: »Dann kam es wohl daher, daß – ich es nicht recht wagte.« – Der Gedanke aber, daß sie sich seinetwegen fürchten müsse, rührte ihn so, daß er ihr zum erstenmal in seinem Leben einen Kuß gab.
Da ging eine solche Umwandlung mit ihr vor, daß ihre Tränen plötzlich versiegten und ihr Blick unsicher wurde, indem sie zu lächeln versuchte; sie sah nieder, sah dann endlich zu ihm auf und lächelte nun wirklich. Sie sprachen jetzt nicht mehr miteinander, nur ihre Hände fanden sich wieder, doch wagte keins die Hand des andern zu drücken. Dann zog sie sich sanft zurück, begann die Augen und das Gesicht zu trocknen und das Haar, das ein wenig in Unordnung gekommen war, zu glätten. Er saß da und dachte im stillen, während er sie ansah: Wenn sie schüchterner ist als die andern Mädchen im Tal und in andrer Weise behandelt werden will, so darf man ja nichts dagegen sagen.
Er begleitete sie bis zur Alm hinauf, die nicht weit davon lag. Er wäre gern Hand in Hand mit ihr gegangen, aber es war etwas über ihn gekommen, was ihn abhielt, sie zu berühren; es erschien ihm fast wunderbar, daß er an ihrer Seite gehn durfte. – Als sie sich trennten, sagte er deshalb auch: »Es soll lange währen, bis du wieder etwas Schlimmes von mir zu hören bekommst.«
Daheim fand er seinen Vater beschäftigt, Korn aus dem Vorratshause nach der Mühle zu tragen; denn die Leute ringsumher im Kirchspiel mahlten auf der Granlider Mühle, wenn das Wasser in ihren eignen Bächen versiegt war; der Granlider Bach trocknete niemals aus. Es waren viele Säcke zu tragen, einige davon recht groß, andre von gewaltigem Umfang. Die Frauen standen in der Nähe und rangen Wäsche aus. Thorbjörn ging zum Vater und39 packte einen Sack. – »Soll ich dir vielleicht helfen?« – »Ach, ich werde schon allein fertig werden,« erwiderte Sämund, hob schnell einen Sack auf den Rücken und schritt damit auf die Mühle zu. – »Es sind ihrer viele,« sagte Thorbjörn, packte zwei große Säcke, stemmte den Rücken dagegen und zog mit jeder Hand einen Sack über die Schulter und stemmte die Ellenbogen in die Seite. Auf halbem Wege begegnete er Sämund, der zurückkam, um einen neuen Sack zu holen; der Vater sah ihn hastig an, sagte aber nichts. Als Thorbjörn seinerseits nach dem Vorratshause zurückkehrte, begegnete ihm Sämund mit zwei noch größern Säcken. Diesmal nahm Thorbjörn einen ganz kleinen Sack und trug ihn zur Mühle; als Sämund ihm begegnete, sah er ihn wieder an, und zwar länger als das erstemal. Da geschah es, daß sie beim Vorratshause zusammentrafen. – »Es ist ein Bote aus Nordhaug gekommen,« sagte Sämund, »sie wollen dich am Sonntag mit zur Hochzeit haben.« – – Ingrid sah flehend von ihrer Arbeit zu ihm auf, ebenso die Mutter. – »So?« sagte Thorbjörn trocken und packte diesmal die beiden größten Säcke, die er finden konnte. – »Gehst du hin?« fragte Sämund finster. – »Nein!«
Die Granlider Alm hatte eine wundervolle Lage, man konnte von dort das ganze Kirchspiel übersehn, vor allem Solbakken mit seinem vielfarbigen Wald ringsumher, und dann die andern Gehöfte, die wie in einem Kranz von Waldungen dalagen, so daß der grüne Grasplatz mit den Häusern in der Mitte aussah wie ein Hort des Friedens, den man dem rauhen Erdboden mit Gewalt abgerungen hatte. Vierzehn Höfe konnte man von der Granlider Alm aus zählen. Von Granliden selber sah man aber nur die Dächer der Häuser, und zwar auch nur von dem höchsten Punkte der Alm aus. Trotzdem pflegten die Mädchen dort oft zu sitzen und den Rauch zu beobachten, der aus den Schornsteinen aufstieg.40 – »Jetzt kocht Mutter das Mittagessen,« sagte Ingrid; »heute gibt es Salzfleisch und Speck.« – »Horch! jetzt werden die Männer gerufen!« sagte Synnöve; »wo sie heute wohl arbeiten?« und ihre Augen folgten dem Rauch, der ungestüm und lustig in die klare, sonnige Luft aufstieg, bald aber langsamer wurde, sich besann und dann in breitem Zuge über den Wald hinströmte, bis er immer dünner wurde und schließlich als flatternder Flor in der Ferne verschwand. Mancherlei Gedanken stiegen in ihnen auf und schweiften dahin über das Kirchspiel. Heute weilten sie in Nordhaug. Es war einige Tage nach der Hochzeit, da diese aber sechs Tage dauern sollte, drangen noch immer hin und wieder Schüsse und vereinzelte, besonders laute Rufe zu ihnen hinauf. – »Sie sind lustig da unten,« sagte Ingrid. – »Ich gönns ihnen,« erwiderte Synnöve und griff wieder zu ihrem Strickzeug. – »Es wäre doch ganz amüsant, wenn man mit dabei sein könnte,« sagte Ingrid, die im Grase kauerte und nach dem Hofe hinüberschaute, wo die Leute zwischen den Gebäuden hin und her gingen – einige nach dem Vorratshause, wo sicher reichgedeckte Tische standen, andre weiter entfernt, paarweise und in vertraulicher Unterhaltung. – »Ich weiß nicht recht, weswegen man sich dahinsehnen sollte,« sagte Synnöve. – »Ich weiß es auch kaum,« entgegnete Ingrid, die noch immer im Grase saß. »Es muß wohl der Tanz sein,« fügte sie dann hinzu. Synnöve erwiderte nichts hierauf. – »Hast du niemals getanzt?« fragte Ingrid. – »Nein!« – »Glaubst du eigentlich, daß Tanzen eine Sünde ist?« – »Ich weiß nicht recht.« – Ingrid ließ den Gegenstand der Unterhaltung vorläufig fallen, denn sie erinnerte sich, daß das Tanzen bei den Haugianern streng verboten war, und das Verhältnis der Eltern zu Synnöve in diesem Punkte wollte sie nicht weiter untersuchen. Wie nun auch ihre Gedanken darüber sein mochten, so sagte sie nach einer Weile: »Einen bessern Tänzer als Thorbjörn habe ich noch niemals gesehn.« – Synnöve wartete ein wenig, dann sagte sie: »Ja, er soll gut tanzen.« – »Du solltest ihn nur tanzen sehn,« rief Ingrid und wandte sich nach41 ihr herum. Synnöve aber antwortete schnell: »Nein, das will ich nicht!«
Ingrid stutzte bei diesen Worten, Synnöve beugte sich tief über ihr Strickzeug und fing an, die Maschen zu zählen. Plötzlich ließ sie das Strickzeug in den Schoß fallen, sah gerade vor sich hin und sagte: »So von Herzen froh wie heute bin ich lange nicht gewesen.« – »Weshalb denn?« fragte Ingrid. – »Ach, weil er heute nicht auf Nordhaug tanzt!« – Ingrid hing ihren eignen Gedanken nach: »Ja, es sollen dort Mädchen sein, die sich nach ihm sehnen,« sagte sie. Synnöve öffnete den Mund, als wollte sie reden, schwieg aber, zog eine Stricknadel heraus und wechselte. – »Thorbjörn wäre gewiß auch gern da; davon bin ich fest überzeugt,« sagte Ingrid, merkte aber erst hinterher, was sie gesagt hatte, und sah Synnöve an, die wie mit Blut übergossen dasaß und strickte. Jetzt übersah Ingrid plötzlich ihr ganzes Gespräch, schlug die Hände zusammen, rutschte auf den Knien im Heidekraut bis dicht zu Synnöve heran und sah ihr in die Augen. Synnöve aber strickte weiter. Da lachte Ingrid und sagte: »Nun hast du mir alle diese langen Tage hindurch wieder etwas verheimlicht.« – »Was sagst du da?« fragte Synnöve und sah sie mit unsicherm Blick an. – »Du bist nicht böse, daß Thorbjörn tanzt,« sagte Ingrid und lachte noch immer. Synnöve antwortete nicht; Ingrid aber lachte über das ganze Gesicht, sie faßte Synnöve um den Hals und flüsterte ihr ins Ohr: »Aber du ärgerst dich, weil er mit andern als mit dir tanzt.«
»Wie du nur so reden kannst!« sagte Synnöve, riß sich los und stand auf. Ingrid erhob sich gleichfalls und ging ihr nach. »Es ist eine Schande, Synnöve, daß du nicht tanzen kannst,« sagte sie und lachte; »eine wahre Schande! Komm nur, ich wills dich gleich lehren!« – Sie faßte Synnöve um den Leib. – »Was willst du?« fragte diese. – »Dich tanzen lehren, daß du nicht mehr den schrecklichen Kummer hast, daß er mit andern tanzt als mit dir.« – Jetzt mußte auch Synnöve lachen oder doch so tun, als lache sie. – »Es könnte uns leicht jemand sehn,« sagte sie. – »Gott segne dich für42 die Antwort, so dumm sie auch war,« sagte Ingrid und begann schon eine Tanzweise zu summen und Synnöve nach dem Takt zu drehen. – »Nein, nein, es geht nicht!« – »Du sagtest doch vorhin selbst, du wärst manchen Tag nicht so vergnügt gewesen; komm nur!« – »Wenn es nur ginge!« – »Versuchs nur, dann wirst du schon sehn, daß es geht!« – »Du bist so ausgelassen, Ingrid!« – »So sagte auch die Katze zum Sperling, als der Sperling nicht still sitzen wollte, daß die Katze ihn fangen könnte. So komm nur!« – »Im Grunde hätte ich wohl Lust, aber –« – »Nun bin ich Thorbjörn, und du bist seine junge Frau, die nicht will, daß er mit andern als mit ihr tanzen soll.« – »Aber –« Ingrid summte die Melodie. – »Aber« – wiederholte Synnöve noch einmal; aber sie tanzte schon! Es war ein Springtanz, und Ingrid ging voran mit großen Schritten und männlichen Armbewegungen, Synnöve folgte ihr mit kurzen Schritten und niedergeschlagnen Augen – und Ingrid sang:
»Nun, ging es nicht ganz gut?« fragte Ingrid, als sie atemlos innehielten.
Synnöve lachte und sagte, sie habe mehr Lust zu einem Walzer. – »Ja, dem steht nichts im Wege,« meinte Ingrid, und sie schickten sich schon dazu an, indem Ingrid ihr zeigte, wie sie die Füße setzen müsse. – »Denn das Walzen, das ist schwer.« – »Ach, es wird schon gehn, wenn wir nur erst im Takt sind,« sagte Synnöve, und nun wollte Ingrid, daß sie einen Versuch machten. Und das taten sie denn auch, Ingrid sang, und Synnöve sang mit – anfangs summte sie nur, dann sang sie lauter. Da aber hielt Ingrid inne, ließ sie los und schlug die Hände vor lauter Verwunderung über dem Kopf zusammen. »Aber du kannst ja walzen!« rief sie.
»Pst! sprich nur nicht darüber!« sagte Synnöve und umfaßte Ingrid abermals, um weiterzutanzen. – »Aber wo hast du es denn nur gelernt?« – »Trala, trala!« – und sie schwenkte sie herum. Da tanzte Ingrid aus Herzenslust und sang dazu:
»Was für wunderliche Lieder du singst!« sagte Synnöve und hörte auf zu tanzen. – »Ich weiß wirklich nicht, was ich singe; Thorbjörn hat sie gesungen.« – »Es sind Lieder von dem Zuchthaus-Bert,« sagte Synnöve; »ich kenne sie.« – »Sind sie von dem?«44 fragte Ingrid erschrocken. Sie sah vor sich hin und sagte nichts; plötzlich gewahrte sie jemand unten am Wege. – »Du – da fährt jemand von Granliden die Landstraße entlang!« – Nun sah auch Synnöve hin. – »Ist er es?« fragte sie. – »Ja, das ist Thorbjörn, er will zur Stadt.« – –
Es war wirklich Thorbjörn, und er fuhr zur Stadt. Sie war weit entfernt, sein Wagen war schwer beladen, deswegen fuhr er langsam die staubige Straße entlang. Diese lag so, daß man sie von der Alm aus übersehn konnte, und als er nun von dort oben herab Jodler vernahm, erkannte er, wer es war, stieg oben auf seinen Wagen und sandte einen Jodler zurück, daß es in den Bergen widerhallte. Dann wurde auf dem Hirtenhorn zu ihm herabgeblasen, er saß da und lauschte, und als die Töne verhallt waren, erhob er sich wieder und sandte einen Jodler in die Luft empor. So ging es eine Zeitlang fort, und eine fröhliche Stimmung überkam ihn. Er sah nach Solbakken hinüber, und es war ihm, als habe es die Sonne noch niemals so strahlend beschienen wie eben jetzt. Aber wie er so dasaß und hinüberschaute, vergaß er das Pferd, so daß es weiter trabte, wie es ihm beliebte. Da schreckte er plötzlich empor, denn das Pferd machte einen solchen Sprung zur Seite, daß die eine Deichselstange brach, und nun raste das Pferd in wildem Galopp über den Nordhauger Acker, denn darüber führte der Weg. Er erhob sich im Wagen und zog die Zügel an; es entstand ein Kampf zwischen ihm und dem Pferde, das einen steilen Abhang hinunter wollte, wovon er es zurückzuhalten suchte. Er zog die Zügel so straff an, daß es sich bäumte; zugleich sprang er ab, und es gelang ihm, ehe das Pferd wieder weiterrasen konnte, die Zügel um einen Baum zu schlingen – und nun mußte das Pferd stehn. Die Ladung war zum Teil abgeworfen worden, die eine Deichselstange war zerbrochen, und das Pferd stand da und zitterte. Er trat zu ihm heran, faßte es am Zügel und redete ihm sanft zu; er wendete es gleich um, daß es nicht den Abhang hinuntersausen solle, falls es abermals durchgehn wollte; stillestehn konnte es nicht,45 so außer sich war es, und er mußte halb springend nebenher laufen, weiter und weiter, bis er wieder auf dem Wege angelangt war. Dabei kam er an seinen abgeworfnen Sachen vorüber, die durcheinandergeworfen umherlagen – die Gefäße zerschlagen, der Inhalt zum Teil verdorben. Bisher hatte ihn die Gefahr ganz in Anspruch genommen, jetzt fing er an, die Folgen des Unfalls zu erwägen, und wurde zornig; es war klar, daß aus der Fahrt in die Stadt nichts mehr wurde, und je mehr Betrachtungen er anstellte, desto wütender wurde er. Auf der Landstraße scheute das Pferd nochmals und versuchte einen Sprung zu machen, um sich loszureißen – da aber brach der Zorn los. Während er es mit der Linken am Gebiß festhielt, versetzte er ihm mit der Rechten in die Flanke mit seiner großen Reisepeitsche Schlag auf Schlag, Schlag auf Schlag, so daß es vor Wut schäumte und ihm mit den Vorderhufen nach der Brust schlug. Er aber hielt es sich vom Leibe, schlug es noch heftiger als vorher, aus Leibeskräften, und gebrauchte dazu das dicke Ende der Peitsche. – »Ich will dichs lehren, du widerspenstige Kreatur!« und er schlug drauflos. Das Pferd wieherte und schrie, er schlug. – »Du sollst kennen lernen, wie eine starke Faust schmeckt!« und er schlug. Das Pferd schnob, daß ihm der Schaum über die Hand floß; er aber schlug. – »Das soll das erste- und das letztemal sein, du Bestie! Da! Da hast du noch einen, du Lumpenvieh! Ich will dich parieren lehren!« und er schlug. Währenddem hatten sie sich herumgedreht, das Pferd leistete keinen Widerstand mehr, es zitterte und bebte bei jedem Schlag und beugte den Kopf wiehernd, sobald es sah, daß die Peitsche sich über ihm in der Luft hob. Da überkam es Thorbjörn wie Scham; er hielt inne. In demselben Augenblick wurde er eines Mannes gewahr, der auf die Ellenbogen gestützt am Grabenrande lag und über ihn lachte. Er wußte nicht, wie es zuging, aber es wurde ihm schwarz vor den Augen, und das Pferd am Zügel drang er mit erhobner Peitsche auf ihn ein. »Ich werde dir was zum Lachen geben!« Der Schlag fiel, traf aber nur halb, da der Mann sich mit einem46 Schrei in den Graben hinabwälzte. Hier blieb er auf allen Vieren liegen, drehte aber den Kopf herum, schielte Thorbjörn an und verzog den Mund zum Lachen; das Lachen selber hörte man aber nicht. Thorbjörn stutzte, denn dies Gesicht hatte er schon früher gesehn. Ja, es war Aslak.
Thorbjörn wußte nicht, warum, aber ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinab. – »Das warst wohl du, der das Pferd beide Male scheu gemacht hat,« sagte er.– »Ich lag hier nur und schlief ein,« antwortete Aslak und erhob sich ein wenig; »und dann wecktest du mich, als du wie ein Verrückter mit deinem Pferd umgingst.« – »Du hast es scheu gemacht; alle Tiere fürchten sich vor dir!« und er streichelte das Pferd, das so schwitzte, daß der Schweiß von ihm herabtroff. – »Es fürchtet sich jetzt sicher mehr vor dir als vor mir; ich habe niemals ein Pferd so mißhandelt,« sagte Aslak; er hatte sich jetzt im Graben auf den Knien aufgerichtet. – »Nimm nur den Mund nicht allzuvoll,« sagte Thorbjörn und drohte mit der Peitsche. Da erhob sich Aslak und kroch herauf. – »Was, ich – ich sollte meinen Mund zu voll nehmen? Nein. – Aber wo willst du denn hin, daß du so eilig fährst?« sagte er mit sanfter Stimme, indem er sich näherte, dabei aber von einer Seite auf die andre schwankte, denn er war betrunken. – »Ich werde heute wohl nicht viel weiterkommen,« sagte Thorbjörn, der das Pferd ausspannte. – »Das ist ja fatal, das,« meinte Aslak, kam noch näher heran und zog den Hut. »Herrje!« sagte er, »was für ein großer, schöner Bursche du geworden bist, seit ich dich nicht mehr gesehn habe.« – Er hatte beide Fäuste in die Taschen gesteckt und stand da, so gut es gehn wollte, und beobachtete Thorbjörn, der das Pferd nicht von dem zerbrochnen Wagen losbekommen konnte. Thorbjörn bedurfte der Hilfe; aber er konnte es nicht über sich gewinnen, Aslak darum zu bitten, denn er sah garstig aus; seine Kleider waren vom Graben beschmutzt, sein Haar hing verfilzt unter einem alten, blanken Hut heraus, und das Gesicht, das freilich zum Teil noch die wohlbekannten Züge trug, war jetzt zu einem47 beständigen Lächeln verzogen, und die Augen waren noch mehr geschlossen als früher, so daß er den Kopf ein wenig hintenüber und den Mund halbgeöffnet halten mußte, wenn er jemand ansah. Alle seine Züge waren schlaff und die ganze Gestalt steif geworden, denn Aslak trank. Thorbjörn hatte ihn auch früher häufig gesehn, aber Aslak tat, als wisse er das nicht. Als Hausierer durchzog er die ganze Gegend und war gern da, wo es lustig zuging, denn er konnte viele Lieder singen, erzählte gut und wurde dafür mit Branntwein traktiert. So war er jetzt auch auf der Nordhauger Hochzeit gewesen, hatte es aber, wie Thorbjörn später erfuhr, für ratsam gehalten, sich für eine Weile zu verziehen, da er nach alter Gewohnheit die Leute gegeneinander aufgehetzt hatte und es schließlich über ihn selber herzugehn drohte. – »Du kannst das Pferd ebensogut an den Wagen binden als es abschirren,« sagte er; »du mußt doch nach Nordhaug, um alles wieder in Ordnung zu bringen.« Thorbjörn hatte denselben Gedanken gehabt, ihn jedoch bisher von sich gewiesen. – »Es ist eine große Hochzeit dort,« sagte er. – »Und deswegen ist auch hinreichend Hilfe dort zu haben, entgegnete Aslak. Thorbjörn stand ein wenig unschlüssig da; aber ohne Hilfe konnte er weder vorwärts noch rückwärts kommen, und da war es denn das beste, auf den Hof zu gehn. Er band das Pferd solange fest und entfernte sich. Aslak folgte ihm. Thorbjörn sah sich nach ihm um. – »Ich kehre in guter Gesellschaft auf die Hochzeit zurück,« sagte Aslak und lachte. Thorbjörn antwortete ihm nicht, sondern beschleunigte seine Schritte. Aslak ging hinter ihm drein und sang:
ein altes, wohlbekanntes Lied. – »Du gehst aber schnell,« sagte er nach einer Weile. »Du kommst immer noch früh genug,« fügte er hinzu. Thorbjörn antwortete ihm nicht. Töne von Tanz und Spiel drangen ihnen entgegen, durch die offnen Fenster des zweistöckigen Gebäudes schauten Gesichter zu ihnen herab. Im Hofe48 bildeten sich Gruppen; er sah, daß sie untereinander darüber sprachen, wer es wohl sein könnte; bald bemerkte er, daß er erkannt sei und daß sie nach und nach das Pferd und das über das Feld zerstreute Geschirr gewahrten. Das Tanzen hörte auf, der ganze Schwarm ergoß sich gerade in dem Augenblick, als sie kamen, über den Hof. – »Hier kommen Hochzeitsgäste wider Willen,« rief Aslak, als er sich endlich hinter Thorbjörn der Gesellschaft näherte. – Man begrüßte Thorbjörn und bildete einen Kreis um ihn.
»Gott segne das Gelage, gutes Bier auf dem Tische, schöne Dirnen auf dem Tanzboden und gute Musikanten auf dem Schemel,« sagte Aslak und drängte sich bei diesen Worten mitten unter die Menge. Einige lachten, andre blieben ernsthaft; einer sagte: »Der Ranzen-Aslak ist allzeit guter Laune.« Thorbjörn traf bald Bekannte, denen er von seinem Unfall erzählen mußte; sie erlaubten ihm nicht, selber nach dem Pferd und den Sachen umzukehren, sondern schickten andre hinunter. Der Bräutigam, ein junger Mann und ehemaliger Schulkamerad von ihm, lud ihn ein, das Hochzeitsbier zu schmecken, und nun zog alles wieder ins Haus. Einige, namentlich die Mädchen, wollten den Tanz fortsetzen, andre wünschten eine kleine Zechpause zu machen, und Aslak sollte erzählen, da er ja nun doch zurückgekommen sei. – »Aber du mußt etwas vorsichtiger sein als das letztemal,« fügte einer hinzu. Thorbjörn fragte, wo die übrigen Gäste seien. – »Ach,« erwiderte man ihm, »es ging vorhin ein wenig unruhig zu; nun haben sich einige zur Ruhe gelegt, andre sitzen draußen in der Scheune und spielen Karten; und wieder andre sitzen da, wo Knud Nordhaug ist.« Er fragte nicht, wo Knud Nordhaug zu finden sei.
Der Vater des Bräutigams, ein alter Mann, der dasaß, aus einer Tonpfeife rauchte und Bier trank, sagte nun: »Erzähl uns jetzt eine Geschichte, Aslak; ausnahmsweise kann man so etwas wohl mal mit anhören.«
»Sind da noch mehrere, die mich bitten?« fragte Aslak, der sich in einiger Entfernung von dem Tisch, an dem die andern saßen,49 rittlings über einen Schemel gesetzt hatte. – »Freilich!« sagte der Bräutigam und gab ihm ein Glas Branntwein; »jetzt bitte ich dich.« – »Sind da noch andre, die mich ebenso bitten?« fragte Aslak. – »Mag sein,« entgegnete eine junge Frau, die auf einer der Seitenbänke saß, und bot ihm einen Becher Wein. Es war die Braut; sie mochte ungefähr zwanzig Jahre alt sein, war blond, aber mager mit großen Augen und einem harten Zug um den Mund. – »Mir gefällt es gut, was du erzählst,« fügte sie hinzu. Der Bräutigam sah sie an, und sein Vater ihn. – »Ja, die Leute von Nordhaug haben meine Erzählungen immer gern gehört,« sagte Aslak. »Sie leben hoch!« rief er und leerte ein Glas, das ihm einer der Brautführer reichte. – »Komm heraus mit etwas!« riefen mehrere. – »Von Ingrid, dem Zigeunerweib,« rief eine. – »Nein, das ist eine häßliche Geschichte,« sagten andre, namentlich die Frauen. – »So erzähle von der Schlacht bei Lier,« bat der Tambour Svend. – »Nein, lieber etwas Ergötzliches,« meinte ein schlanker Bursch, der in Hemdsärmeln dastand und sich gegen die Wand lehnte, während seine Rechte, die schlaff herabhing, ziemlich ungeniert mit den Haaren von ein paar jungen Mädchen spielte, die dort saßen; sie schalten, rührten sich aber nicht vom Fleck.
»Jetzt erzähle ich, was mir beliebt,« sagte Aslak. – »Zum Teufel auch!« brummte ein älterer Mann, der auf dem Bette lag und rauchte; das eine Bein hing herab, mit dem andern stieß er nach einer feinen Jacke, die über dem Bettpfosten hing. – »Laß meine Jacke in Frieden,« rief der Bursche, der an der Wand stand. – »Laß du meine Töchter in Frieden!« erwiderte der Mann auf dem Bette. Nun rückten die Mädchen weg.
»Ja, ich erzähle, was mir beliebt,« rief Aslak. »Geht der Branntwein ins Blut, so gibts frischen Mut!« sagte er und schlug die Hände zusammen, daß es klatschte. – »Du erzählst, was wir verlangen!« fuhr der Mann auf dem Bette fort, »denn der Branntwein gehört uns.« – »Was soll das heißen?« fragte Aslak mit weit geöffneten50 Augen. – »Ach, das Schwein, das wir mästen, das schlachten wir auch,« sagte der Mann und baumelte mit dem Bein. Aslak schloß die Augen wieder, blieb aber in derselben Stellung sitzen, schließlich sank ihm der Kopf auf die Brust, und er sagte nichts mehr.
Mehrere redeten ihn an, aber er hörte es nicht. »Der Branntwein hat es ihm angetan,« sagte der auf dem Bette. Da blickte Aslak auf und begann wieder zu lächeln. »Ja, nun sollt ihr ein lustiges Stück hören,« sagte er. »Gott bewahre, wie lustig es ist!« sagte er nach einer Weile und lachte mit weit geöffnetem Munde, aber ohne daß sie das Lachen hörten. – »Er hat heute wirklich seinen guten Tag,« sagte der Vater des Bräutigams. – »Ja, meine Mittel erlauben es mir!« sagte Aslak; »noch einen Schluck mit auf die Reise!« rief er und streckte die Hand aus. Der Branntwein kam, er trank ihn langsam aus, hielt den Kopf mit dem letzten Tropfen auf der Zunge ein wenig hintenüber, schluckte ihn und sagte dann zu dem Mann auf dem Bett gewandt: »Jetzt bin ich euer Schwein, ich!« und lachte wie vorhin. Er umspannte das Knie mit beiden Händen, bewegte den Fuß auf und nieder, indem er sich dabei hin und her wiegte, und dann begann er: »Ja, es war einmal ein Mädchen, das wohnte in einem Tale. Der Name des Tals tut nichts zur Sache, ebensowenig wie der Name des Mädchens. Aber das Mädchen war schön, und das fand der Bauer auch – pst! –, und das war der, bei dem sie diente. Sie bekam einen guten Lohn, den bekam sie, und sie bekam noch mehr, als sie bekommen sollte, sie bekam ein Kind. Die Leute sagten, es sei von ihm, aber das sagte er nicht; denn er war verheiratet, und auch sie sagte es nicht, denn sie war stolz, das arme Ding. So wurde denn bei der Taufe eine Lüge gesprochen, und es war ein Taugenichts von Jungen, den sie geboren hatte, und so war es einerlei, daß er mit einer Lüge getauft worden war. Sie aber bekam eine Ruhestelle unterhalb des Hofs, und das gefiel der Frau nicht, wie man sich ja denken kann. Kam das Mädchen auf den51 Hof, so spuckte sie nach ihr, kam aber ihr kleiner Junge, um mit den Kindern vom Hofe zu spielen, so hieß sie diese den Hornung wegjagen; er sei nicht mehr wert, sagte sie.
»Sie bat ihren Mann Tag und Nacht, die Person vom Hofe zu jagen. Er hielt stand, solange er ein Mann war, dann aber ergab er sich dem Trunke, und da bekam die Frau das Regiment. Von nun an ging es dem armen Mädchen sehr schlecht; es wurde mit jedem Jahre schlechter, und es fehlte nicht viel, so wäre sie mitsamt ihrem kleinen Buben verhungert, denn der wollte nicht von seiner Mutter, er.
»So verstrich ein Jahr und noch eins, und schließlich waren acht Jahre verflossen; aber noch immer wohnte die Dirne auf ihrer Stelle, obwohl sie weg sollte. – Und dann kam sie wirklich weg! – Vorher aber stand der Hof in lichterlohen Flammen, und der Mann verbrannte, denn er war betrunken; die Frau rettete sich mit den Kindern, und sie sagte, die Betteldirne unten auf der Stelle hätte es getan. Das konnte ja sein, daß sie das getan hatte. – Und es konnte leicht auch anders sein. – Es war ein merkwürdiger Junge, den sie hatte. Acht Jahre lang hatte er es mit angesehn, wie seine Mutter sich abhärmte, und er wußte sehr wohl, wo die Schuld lag; denn die Mutter hatte es ihm oft erzählt, wenn er fragte, warum sie immer weine. Das tat sie auch an dem Tage, ehe sie fort mußte, und deswegen war er während der Nacht nicht zu Hause. – Aber sie kam lebenslänglich ins Zuchthaus, denn sie sagte selber zu dem Schreiber, sie hätte das schöne Feuer auf dem Hofe gemacht. – Der Junge blieb in der Gegend, und alle Leute halfen ihm, weil er eine so schlechte Mutter hatte. – Dann zog er aus der Gegend weg, weit weg in eine andre, wo man nicht so gut gegen ihn war, denn dort wußte wohl keiner, was für eine schlechte Mutter er hatte. Ich glaube nicht, daß er es selber sagte. – Das letztemal, als ich von ihm hörte, war er betrunken, und die Leute sagen, daß er sich in der letzten Zeit aufs Trinken gelegt habe; ob das wahr ist, will ich dahingestellt sein lassen; eins aber52 ist wahr, daß ich nicht weiß, was er Besseres tun könnte. Er ist ein schlechter, böser Bursche, das könnt ihr mir glauben; er mag die Menschen nicht leiden – und noch weniger mag er es, daß sie gut gegeneinander sind, am allerwenigsten aber, wenn sie gut gegen ihn selber sind. Und er sähe es gern, wenn andre so wären wie er selber – aber das sagt er nur, wenn er betrunken ist. Und dann weint er auch, weint wie ein Schloßhund – über gar nichts; denn worüber sollte er auch wohl weinen? Er hat nie einem Menschen einen Heller gestohlen oder etwas von dem Schlechten getan, was manche andre tun, so daß er wirklich nichts hat, worüber er weinen könnte. Und doch weint er, weint er wie ein Schloßhund. Und solltet ihr ihn einmal weinen sehn, so achtet nicht darauf, denn er weint nur, wenn er betrunken ist, und dann weiß er nicht, was er tut.«
Hier fiel Aslak unter heftigem Weinen rücklings von seinem Schemel herunter, aber er beruhigte sich doch bald wieder, denn er schlief ein.
»Jetzt ist das Schwein besoffen,« sagte der Mann auf dem Bette. »Dann liegt er immer da und heult sich in Schlaf.« – »Das war eine häßliche Geschichte,« sagten die Frauen, standen auf und gingen hinaus. – »Ich habe ihn niemals andre Geschichten erzählen hören, wenn man ihm seinen eignen Willen ließ,« sagte ein alter Mann, der von seinem Sitz an der Tür aufstand. »Gott weiß, warum die Leute ihn hören wollen,« setzte er hinzu und sah nach der Braut hinüber.
Einige gingen hinaus, andre suchten den Spielmann, daß er wieder hereinkäme, damit der Tanz beginnen könnte. Aber der Spielmann war in einer Ecke der Diele eingeschlafen, und einige von den Gästen baten, man möge ihn ruhig liegen lassen. Seit sein Kamerad Lars zuschanden geschlagen worden ist, hat Ole Tag und Nacht spielen müssen. Man hatte Thorbjörns Pferd und53 seine Sachen auf den Hof geschafft und einen andern Wagen vorgespannt, da er trotz aller Bitten wieder fort wollte. Namentlich der Bräutigam suchte ihn zurückzuhalten: »Hier ist vielleicht nicht so große Freude für mich, wie man glauben sollte,« sagte er, und Thorbjörn dachte das seine dabei; aber er beschloß doch, weiterzufahren, ehe es Abend wurde. Als man sah, daß er unerschütterlich war, zerstreute man sich über den Hof. Es waren viele Leute da, aber es war sehr still, und das Ganze sah wenig nach einer Hochzeit aus. Thorbjörn mußte einen neuen Deichselpflock haben und ging, sich einen zu suchen. Auf dem Hofe war kein passender Gegenstand, deswegen ging er ein wenig weiter und kam an einen Holzschuppen, in den er hineinging, langsam und still, da ihn die Worte des Bräutigams verfolgten. Er fand, was er suchte, und setzte sich dann, ohne recht zu wissen, was er tat, an die eine Wand, Messer und Pflock in der Hand. Da hörte er ganz in der Nähe etwas stöhnen; es war auf der andern Seite der dünnen Wand, wo das Wagenschauer war, und nun lauschte er. – »Bist du es – auch wirklich?« hörte er eine männliche Stimme leise und in langen Zwischenräumen sagen, als spräche sie mit großer Anstrengung. Dann hörte er jemand weinen, aber es war kein Mann. – »Weshalb kamst du auch hierher?« fragte eine Stimme, die der Weinenden gehören mußte, denn sie war von Tränen erstickt. – »Hm – auf wessen Hochzeit sollte ich denn spielen, wenn nicht auf deiner!« sagte die erste Stimme. ›Das ist sicher der Spielmann Lars, der da liegt,‹ dachte Thorbjörn. Lars war ein kräftiger, schöner Bursch, dessen alte Mutter auf einer Häuslerstelle, die zu dem Gehöfte gehörte, zur Miete wohnte, die andre aber mußte die Braut sein! – »Weshalb hast du nur nie gesprochen?« sagte sie leise, aber sehr langsam, als sei sie in großer Erregung. – »Ich glaubte, das sei zwischen uns beiden nicht nötig,« war die kurze Antwort. Dann war eine Weile alles still, endlich begann sie von neuem: »Du wußtest doch, daß er hierherkam. – Ich hatte dich für stärker gehalten.« – Er hörte nun nichts als Weinen, endlich54 brach sie wieder in die Worte aus: »Warum hast du nicht gesprochen?«
»Es hätte dem Sohne der alten Birthe wohl wenig genützt, wenn er die Tochter auf Nordhaug angesprochen hätte,« antwortete er nach einer Pause, während der er schwer geatmet und viel gestöhnt hatte. Er wartete auf Antwort. – »Wir haben einander doch so viele Jahre nachgeschaut,« sagte sie endlich.
»Du warst so stolz, man wagte nicht, ordentlich mit dir zu reden.«
»Und doch habe ich nichts in der Welt so sehr gewünscht! – Ich wartete jeden Tag; wo wir uns begegneten – es war mir fast, als böte ich mich dir an. Und dann dachte ich, daß du mich verschmähtest.« – Wieder war alles still. Thorbjörn hörte keine Antwort, kein Weinen; er hörte den Kranken auch nicht atmen.
Thorbjörn dachte an den Bräutigam, den er kannte und für einen guten Mann hielt, und er empfand Mitleid mit ihm. Da sagte sie: »Ich fürchte, er wird wenig Freude an mir haben, er – der –« – »Es ist ein braver Mann,« sagte der Kranke und fing wieder an, leise zu stöhnen, da ihn offenbar die Brust schmerzte. Es schien, als fühle sie seinen Schmerz mit, denn sie sagte: »Das ist nun so schwer für dich – aber es wäre wohl niemals zur Aussprache zwischen uns gekommen, wenn dies nicht geschehn wäre. Als du Knud den Schlag versetztest, verstand ich dich erst.«
»Ich konnte es nicht länger ertragen,« erwiderte er. Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Knud ist schlecht!« – »Er ist nicht gut,« sagte die Schwester.
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte er: »Es soll mich wundern, ob ich wohl jemals wieder gesund werde. Nun, das ist jetzt auch ganz einerlei.« – »Hast du es schlimm, so habe ich es noch weit schlimmer,« und abermals folgte heftiges Weinen. – »Willst du jetzt gehn?« fragte er dann. – »Ja,« lautete die Antwort, und nach einer Weile sagte sie: »O mein Gott, mein Gott, was für55 ein Leben wird das werden!« – »Weine nicht,« sagte er; »der liebe Gott wird meinem Leben bald ein Ende machen, und dann wird es auch für dich besser werden, das sollst du sehn.« – »Jesus, Jesus, daß du nicht gesprochen hast!« rief sie mit verhaltner Stimme, wie wenn sie die Hände ränge; Thorbjörn glaubte, daß sie weggegangen sei, oder daß sie nicht imstande sei, länger zu reden; denn er hörte eine ganze Weile nichts. Er ging.
Den ersten besten, dem Thorbjörn im Hofe begegnete, fragte er: »Was ist eigentlich zwischen dem Spielmann Lars und Knud Nordhaug vorgefallen?« – »Ha? Zwischen denen? Ja« – sagte der Häusler Peter und zog das Gesicht zusammen, als wollte er etwas in den Falten verbergen; »danach kannst du wohl fragen, denn das war um nichts und wieder nichts. Knud fragte Lars nur, ob seine Fiedel auf dieser Hochzeit einen guten Klang habe.«
In diesem Augenblick ging die Braut vorüber; sie hatte das Gesicht abgewandt, als sie aber den Namen Lars vernahm, wandte sie sich um und zeigte ein Paar große, rotgeweinte Augen, die unsicher blickten; sonst aber war das Gesicht ganz kalt, so kalt, daß Thorbjörn es nicht mit ihren Worten von vorhin zusammenreimen konnte. Das gab ihm noch mehr zu denken.
Etwas weiter nach vorn im Hofe stand das Pferd und wartete; er befestigte seinen Pflock und sah sich nach dem Bräutigam um, von dem er sich verabschieden wollte. Er hatte keine große Lust, ihn zu suchen, es war ihm sogar lieb, daß er nicht kam, und er setzte sich also auf den Wagen. Da vernahm er von der linken Seite des Hofes her, wo die Scheune stand, Lärmen und Rufen; es war eine ganze Gesellschaft, die aus der Scheune herauskam; ein großer Mann, der voranging, rief: »Wo ist er? – Hat er sich versteckt? – Wo ist er?« – »Da, da!« riefen mehrere. – »Laßt ihn nicht dorthin,« sagten andre, »es gibt nur ein Unglück.« – »Ist das Knud?« fragte Thorbjörn einen kleinen Jungen, der neben seinem Wagen stand. – »Ja, er ist betrunken, dann sucht er immer Händel!« –56 Thorbjörn saß schon auf dem Wagen und trieb nun das Pferd an. –»Nein, halt, Kamerad,« hörte er eine Stimme hinter sich; er hielt das Pferd an, als dies aber weiterging, ließ er es laufen. – »Hallo! bist du bange, Thorbjörn Granliden?« schrie jetzt die Stimme ganz dicht hinter ihm. Jetzt zog er die Zügel an, sah sich aber nicht um.
»Steig ab und nimm teil an unsrer guten Gesellschaft,« rief jemand. Thorbjörn wandte den Kopf: »Danke, ich muß nach Hause,« sagte er. Sie unterhandelten eine Weile, und währenddes war der ganze Schwarm an den Wagen herangekommen; Knud stellte sich vor das Pferd hin, streichelte es erst und faßte es dann beim Kopfe, um es zu betrachten. Knud war hochgewachsen, er hatte blondes, aber struppiges Haar und eine aufgeworfne Nase, der Mund war groß und dick, die Augen milchblau, aber frech. Er hatte wenig Ähnlichkeit mit der Schwester, nur einen Zug um den Mund hatten sie gemein, und dann hatte er dieselbe gerade aufsteigende Stirn, nur etwas niedriger, wie denn alle ihre feinen Züge bei ihm gröber waren. – »Was willst du für deinen Gaul haben?« fragte Knud. – »Ich will ihn gar nicht verkaufen,« erwiderte Thorbjörn. – »Du glaubst wohl, ich könnte ihn nicht bezahlen?« sagte Knud. – »Ich weiß nicht, was du kannst.« – »So? Du zweifelst daran? Davor solltest du dich denn doch hüten,« sagte Knud. Der Bursche, der vorhin drinnen im Zimmer an der Wand gestanden und mit dem Haar der Mädchen gespielt hatte, sagte nun zu einem Nachbarn: »Knud wagt es diesmal nicht recht.«
Das hörte Knud. – »Ich wage es nicht? Wer sagt das? Ich wage es nicht?« schrie er. Mehr und mehr Leute kamen herzu. – »Aus dem Wege, gebt acht aufs Pferd!« schrie Thorbjörn und schwang die Peitsche; er wollte fahren. – »Sagst du zu mir: Aus dem Wege?« fragte Knud. – »Ich sprach mit dem Pferd; ich muß fort,« sagte Thorbjörn, wich aber auch nicht zur Seite. – »Was, du fährst gerade auf mich zu?« fragte Knud. – »So geh aus dem Wege!« – und das Pferd erhob den Kopf, sonst hätte es Knud57 damit gerade vor die Brust stoßen müssen. Da faßte Knud es beim Gebiß, und das Pferd, das diesen Griff noch von der Landstraße her kannte, fing an zu zittern. Das aber rührte Thorbjörn, der bereute, was er dem Pferde angetan hatte; jetzt wandte sich sein Zorn gegen Knud, er erhob sich mit der Peitsche in der Hand und schlug Knud über den Kopf. – »Du schlägst?« schrie Knud und drängte sich näher heran; Thorbjörn sprang vom Wagen herab. – »Du bist ein schlechter Mensch!« sagte er leichenblaß und übergab die Zügel dem Burschen aus der Stube, der herzukam und sich erbot, das Pferd zu halten. Aber der alte Mann, der von seinem Sitze neben der Tür aufgestanden war, als Aslak seine Erzählung beendet hatte, ging jetzt zu Thorbjörn heran, faßte ihn am Arm und sagte: »Sämund Granliden ist ein zu braver Mann, als daß sich sein Sohn mit einem solchen Raufbold prügeln sollte.« Da wurde Thorbjörn ruhig, Knud aber rief: »Ich bin ein Raufbold! Das ist er ebensogut wie ich, und mein Vater ist ebenso gut wie der seine. – Komm heran! Es ist schlimm, daß die Leute nicht wissen, wer von uns beiden der stärkste ist,« fügte er hinzu und nahm sein Halstuch ab. – »Das wird sich schon früh genug zeigen,« sagte Thorbjörn. Da sagte der Mann, der vorhin auf dem Bette gelegen hatte: »Sie sind wie zwei Katzen; sie müssen sich erst Mut einreden, alle beide!« Thorbjörn hörte das, antwortete aber nicht. Einige aus der Menge lachten, andre sagten, es wäre schändlich mit allen den Prügeleien hier auf der Hochzeit und namentlich, daß sie einen fremden Mann verhöhnten, der friedlich seiner Wege ziehn wollte. Thorbjörn sah sich nach dem Pferde um; es war seine Absicht, weiterzufahren. Der Bursche aber hatte es umgewandt und eine ganze Strecke fortgefahren; nun stand er dicht hinter ihnen. – »Wonach siehst du dich um?« fragte Knud; »Synnöve ist weit weg!« – »Was geht dich die an?« – »Nein, solche scheinheilige Frauenzimmer gehn mich nichts an,« sagte Knud, »aber vielleicht hat sie dich um deinen Mut gebracht.« – Dies war zu viel für Thorbjörn; sie sahn, wie er sich umschaute und den Platz58 prüfte. Jetzt legten sich wieder einige von den ältern Leuten ins Mittel und meinten, Knud hätte auf dieser Hochzeit schon genug Unheil angerichtet. – »Mir soll er nichts tun,« sagte Thorbjörn, und als die andern das hörten, schwiegen sie. Andre sagten: »Laßt sie die Sache ausfechten, dann werden sie wieder gute Freunde; diese beiden haben sich lange genug feindlich angesehn.« – »Ja,« meinte einer, »sie wollen beide erster im Kirchspiel sein, jetzt werden wir es ja sehn.« – »Habt ihr etwa einen gewissen Thorbjörn Granliden gesehn?« fragte Knud; »mich dünkt, er sei hier vorhin auf dem Hofe gewesen.« – »Ja, hier ist er,« sagte Thorbjörn, und in demselben Augenblick bekam Knud einen Schlag über das rechte Ohr, so daß er zwischen zwei Männer taumelte, die dastanden. Jetzt trat tiefe Stille ein. Knud erhob sich und stürzte vor, ohne ein Wort zu sagen, Thorbjörn trat ihm entgegen. Es entstand ein langer Faustkampf, da beide einander auf den Leib wollten; beide aber waren geübte Ringer, und jeder hielt den andern von sich ab. Thorbjörns Schläge fielen doppelt so schnell, und einige meinten, auch doppelt so schwer. – »Da hat Knud seinen Mann gefunden,« sagte der Bursche, der das Pferd hielt; »macht Platz!« – Die Frauen flüchteten, nur eine stand hoch oben auf einer Treppe, um besser sehn zu können; es war die Braut. Thorbjörn erblickte einen Schimmer von ihr und hielt einen Augenblick inne – da sah er ein Messer in Knuds Hand; er erinnerte sich ihrer Worte, daß Knud kein guter Mensch sei, und mit einem wohlgezielten Schlage traf er Knuds Arm über dem Handgelenk, so daß das Messer zu Boden fiel und der Arm kraftlos herabsank. »Au, wie du schlägst,« sagte Knud. – »Meinst du?« entgegnete Thorbjörn und drang auf ihn ein. Knud konnte sich mit einem Arm nur schlecht wehren, er wurde aufgehoben und davongetragen, aber es währte lange, bis er wieder geworfen wurde. Er wurde mehrmals so hart zu Boden geworfen, daß jeder andre genug daran gehabt hätte, aber Knuds Rücken war stark; Thorbjörn stürzte vorwärts mit ihm, die Leute wichen zurück, er kam ihnen nach mit59 seiner Last, so ging es um den ganzen Hof herum, bis sie an die Treppe kamen, wo er ihn noch einmal in die Höhe hob und mit solcher Gewalt zu Boden schleuderte, daß seine Knie nachgaben und Knud über die steinernen Stufen fiel, daß es in ihm sang. Knud blieb regungslos liegen, stieß einen tiefen Seufzer aus und schloß die Augen. Thorbjörn erhob sich und sah sich um; sein Blick fiel gerade auf die Braut, die regungslos dastand und zuschaute. – »Holt etwas und legt es ihm unter den Kopf,« sagte sie, wandte sich um und ging ins Haus.
Zwei alte Weiber gingen vorüber; die eine sagte zu der andern: »Herrgott, da liegt schon wieder einer! Wer ist denn das nun?« Ein Mann antwortete: »Das ist Knud Nordhaug.« Da sagte die andre Frau: »Da hat es in Zukunft wohl ein Ende mit diesen Schlägereien! Sie sollten ihre Kräfte doch auch zu etwas Besserm gebrauchen.« – »Da hast du ein wahres Wort geredet, Randi,« meinte die andre; »Gott helfe ihnen so weit, daß sie aneinander vorbei und zu etwas Höherm hinaufsehn lernen.«
Diese Worte machten einen eigentümlichen Eindruck auf Thorbjörn; er hatte kein Wort gesagt, sondern stand schweigend da und sah den Leuten zu, die um Knud beschäftigt waren. Mehrere sprachen mit ihm, aber er antwortete nicht; er wandte sich ab und versank in Gedanken. Synnöve trat ihm vor die Seele, und er schämte sich tief. Er überlegte, was für eine Erklärung er ihr geben sollte, und er dachte darüber nach, daß es doch nicht so leicht sei, sich zu bessern, wie er geglaubt hatte. In demselben Augenblick hörte er hinter sich den Ruf: »Nimm dich in acht, Thorbjörn!« Ehe er sich aber umwenden konnte, war er von hinten bei den Schultern gepackt und niedergeworfen, und er fühlte nichts mehr als einen stechenden Schmerz, ohne recht zu wissen, wo er ihn empfand. Er hörte Stimmen um sich her, fühlte, daß gefahren wurde, glaubte selber zeitweise, daß er führe, war sich aber über nichts klar.
Dies währte eine lange Zeit, es wurde kalt, dann bald wieder warm, und dann war ihm so leicht, so leicht, daß er zu schweben60 glaubte – und jetzt begriff er es: er wurde von einem Baumgipfel zum andern getragen, so daß er auf den Bergabhang hinaufkam, und höher hinauf, bis auf die Alm – noch höher hinauf – bis auf den höchsten Berg; da beugte Synnöve sich über ihn und weinte und sagte, er hätte doch reden sollen. Sie weinte heftig und meinte, er hätte doch selber sehn können, daß Knud Nordhaug ihm in den Weg träte – ihm beständig in den Weg getreten wäre, und da habe sie ja Knud nehmen müssen. Und dann streichelte sie ihm sanft die eine Seite, so daß er da ganz warm wurde, und weinte so, daß sein Hemd an der Stelle ganz naß wurde. Aslak aber kauerte oben auf einem großen, spitzen Stein und zündete die Baumwipfel ringsumher an, so daß es knisterte und prasselte und die Zweige um ihn herumflogen, er selber lachte mit weit aufgerissenem Munde und sagte: »Ich bin ja nicht, der es tut, meine Mutter tut es!« Und Sämund, sein Vater, stand auf der einen Seite und warf Kornsäcke so hoch in die Höhe, daß die Wolken sie zu sich emporzogen und das Korn ausbreiteten wie einen Nebel – und es erschien ihm sonderlich, daß sich das Korn wie ein Nebel über den ganzen Himmel ausbreiten konnte. Als er zu Sämund selbst hinabblickte, erschien ihm dieser so klein, so klein, daß er schließlich kaum noch über den Erdboden aufragte, trotzdem aber warf er die Säcke immer höher und höher und sagte: »Mach mir das einmal nach, du!« – Weit fort in den Wolken stand die Kirche, und die blonde Frau von Solbakken stand oben auf dem Turm und winkte mit einem rötlichgelben Taschentuch in der einen und einem Gesangbuch in der andern Hand und sagte: »Hierher kommst du nicht, ehe du dir das Prügeln und Fluchen abgewöhnt hast!« – und als er genauer hinsah, war es nicht die Kirche, sondern Solbakken, und die Sonne schien so grell auf alle die Hunderte von Fensterscheiben, daß die Augen ihn schmerzten und er sie fest schließen mußte. –
»Vorsichtig, vorsichtig, Sämund!« hörte er eine Stimme sagen und erwachte wie aus einem Schlummer davon, daß er getragen wurde,61 und als er sich umsah, war er in die Stube zu Granliden gekommen; ein großes Feuer brannte auf dem Herde, die Mutter stand neben ihm und weinte; der Vater hatte gerade den Arm unter ihn geschoben – er wollte ihn in ein Nebenzimmer tragen. Da ließ der Vater ihn wieder los: »Es ist noch Leben in ihm,« sagte er mit bebender Stimme zur Mutter gewandt. – »Herr, sei uns gnädig!« rief sie, »er schlägt die Augen auf! Thorbjörn! Thorbjörn! Geliebter Junge, was haben sie dir getan!« und sie beugte sich über ihn herab und streichelte seine Wange, während ihre Tränen warm auf sein Antlitz fielen. Sämund strich sich mit dem einen Ärmel über das Auge, schob dann die Mutter sanft zur Seite: »Ich will ihn lieber gleich nehmen!« Und er schob die eine Hand vorsichtig unter die Schulter und legte die andre ein wenig tiefer unter den Rücken: »Halte du den Kopf, Mutter, wenn er nicht Kraft genug haben sollte, ihn zu tragen.« – Sie ging voran und hielt den Kopf, Sämund versuchte, Schritt mit ihr zu halten, und bald lag Thorbjörn auf dem Bett in der andern Stube. Als sie ihn nun zugedeckt und sorgfältig gebettet hatten, fragte Sämund, ob der Knecht fort sei. – »Sieh, da ist er!« sagte die Mutter und zeigte aus dem Fenster. Sämund öffnete das Fenster und rief hinaus: »Wenn du in einer Stunde da bist, sollst du deinen Jahreslohn doppelt haben – einerlei, ob du das Pferd zuschanden reitest.«
Er kehrte wieder an das Bett zurück, Thorbjörn sah ihn mit großen, klaren Augen an, der Vater mußte hineinschauen, und da begannen die seinen feucht zu werden. »Ich wußte, daß es so enden würde,« sagte er leise, wandte sich ab und ging hinaus. Die Mutter saß auf einem Schemel zu den Füßen des Sohnes und weinte, sprach aber nicht. Thorbjörn wollte sprechen, aber er fühlte, daß es ihm schwer fallen würde, und so schwieg er. Aber er sah die Mutter unverwandt an, und die Mutter hatte niemals einen solchen Glanz in seinen Augen bemerkt, sie waren auch nie so schön gewesen, und das schien ihr ein schlimmer Vorbote zu sein. »Gott der Herr helfe62 dir!« rief sie endlich, »ich weiß, daß es mit Sämund aus ist an dem Tage, wo du gehst!« Thorbjörn sah sie mit unbeweglichen Augen und Zügen an. Dieser Blick ging ihr durch und durch, und sie begann, ihm ein Vaterunser vorzubeten, denn sie glaubte, daß er nur noch kurze Zeit zu leben habe. Während sie so dasaß, ging es ihr durch den Sinn, wie teuer gerade er ihnen allen gewesen war, und jetzt war keins von seinen Geschwistern zu Hause. Sie sandte einen Boten nach der Alm hinauf, um Ingrid und einen jüngern Bruder zu holen, kehrte dann zurück und setzte sich wieder an ihren alten Platz. Er sah sie noch immer an, und sein Blick wirkte auf sie wie der Gesang eines Kirchenliedes, der ihre Gedanken nach und nach zu höhern Dingen hinleitete, und die alte Ingebjörg wurde andächtig, holte die Bibel und sagte: »Jetzt will ich dir vorlesen, das wird dir wohltun.« Da sie keine Brille zur Hand hatte, schlug sie eine Stelle auf, die sie noch aus ihrer Mädchenzeit ungefähr auswendig wußte, und das war aus dem Evangelium Johannis. Sie war nicht sicher, ob er sie hörte, denn er lag unbeweglich wie zuvor da und starrte sie nur an; aber sie las doch, wenn nicht für ihn, so doch für sich selbst.
Ingrid war schnell daheim, um sie abzulösen, da aber schlief Thorbjörn. Ingrid weinte unablässig; sie hatte schon zu weinen begonnen, ehe sie von der Alm gegangen war; denn sie dachte an Synnöve, die nichts erfahren hatte. – Jetzt kam der Doktor und untersuchte ihn. Er hatte einen Messerstich in die Seite bekommen und war auch sonst verletzt worden, aber der Doktor sagte nichts, und niemand fragte ihn. Sämund folgte ihm in die Krankenstube, blieb dort stehn und sah das Gesicht des Doktors ununterbrochen an, ging mit ihm hinaus, half ihm auf das Kariol und griff an die Mütze, als der Doktor sagte, daß er am nächsten Tage wiederkommen würde. Dann wandte er sich zu seiner Frau, die mit hinausgekommen war: »Wenn der Mann nichts sagt, ist es gefährlich!« Seine Lippen bebten, er schlang den einen Fuß um den andern, und dann ging er auf das Feld hinaus.
Niemand wußte, wo er geblieben war, denn an jenem Abend und auch in der Nacht kehrte er nicht heim, sondern erst am nächsten Morgen, und da sah er so finster aus, daß ihn niemand etwas zu fragen wagte. Er selber fragte: »Nun?« – »Er hat geschlafen!« antwortete Ingrid; »aber er ist so kraftlos, daß er nicht einmal die Hand aufzuheben vermag.« Der Vater wollte hinein, um nach ihm zu sehn, kehrte aber um, als er an die Tür gekommen war.
Der Doktor war da, wie auch am folgenden Tage und mehrere Tage darauf; Thorbjörn konnte sprechen, durfte sich aber nicht bewegen. Meist saß Ingrid bei ihm, aber auch die Mutter und sein jüngerer Bruder; aber er fragte sie nach nichts, und auch sie fragten ihn nicht. Der Vater kam niemals herein; sie sahn, daß es dem Kranken auffiel; jedesmal, wenn sich die Tür öffnete, merkte er auf, und sie glaubten, es müsse sein, weil er den Vater erwarte. Schließlich fragte Ingrid ihn, ob er sonst noch jemand zu sehn wünsche. – »Ach, sie wollen mich wohl nicht sehn,« erwiderte er. Dies wurde Sämund wiedererzählt, der nicht gleich darauf antwortete; an diesem Tage aber war er nicht zu Hause, als der Doktor kam. Als der Doktor aber die Landstraße eine Strecke hinabgefahren war, traf er Sämund, der am Wege saß und auf ihn wartete. Nachdem er ihn begrüßt hatte, fragte Sämund nach seinem Sohne. – »Er ist arg zugerichtet,« lautete die kurze Antwort. – »Kommt er durch?« fragte Sämund und zog den Sattelgurt des Pferdes an. – »Danke, der sitzt ganz gut,« sagte der Doktor. – »Er war nicht stramm genug,« erwiderte Sämund. Es entstand nun ein kurzes Schweigen, währenddessen der Doktor ihn betrachtete. Sämund aber war eifrig mit dem Gurt beschäftigt und sah nicht auf. – »Du fragtest, ob er durchkommen würde; ich glaube wohl,« sagte der Doktor langsam. Sämund sah hastig auf. – »Ist er außer Lebensgefahr?« fragte er. – »Das ist er schon seit mehreren Tagen,« antwortete der Doktor. Da tropften ein paar Tränen aus Sämunds Augen; er versuchte sie wegzuwischen, aber sie kamen wieder: »Es ist wirklich eine Schande, wie ich an64 dem Jungen hing,« schluchzte er, »aber siehst du, Doktor, einen stattlichern Burschen gibts im ganzen Kirchspiel nicht.« – Der Doktor war gerührt: »Weshalb hast du erst jetzt danach gefragt?« – »Ich war nicht stark genug, es zu hören,« erwiderte Sämund und kämpfte noch mit den Tränen, die er nicht zurückzuhalten vermochte, – »und da waren die Weiber« – fuhr er fort, »sie gaben jedesmal acht, ob ich fragen würde, und da konnte ich nicht.« – Der Doktor ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen, und dann sah ihn Sämund fest an: »Bekommt er seine Gesundheit wieder?« fragte er plötzlich. – »Bis zu einem gewissen Grade; übrigens kann man noch nichts mit Bestimmtheit sagen.« – Da wurde Sämund ruhig und nachdenklich. – »Bis zu einem gewissen Grade,« murmelte er. Er stand da und sah vor sich hin; der Doktor wollte ihn nicht stören, weil ein gewisses Etwas an dem Mann ihm das verbot. Plötzlich hob Sämund den Kopf in die Höhe: »Ich danke dir für die Nachricht,« sagte er, reichte ihm die Hand und ging zurück.
Zu derselben Zeit saß Ingrid bei dem Kranken. »Wenn du dich stark genug fühlst, mich anzuhören, dann will ich dir etwas von dem Vater erzählen,« sagte sie. – »Erzähle,« sagte er. – »Ja, den ersten Abend, als der Doktor hier gewesen war, verschwand der Vater, und niemand wußte, wo er war. Er aber war drüben im Hochzeitshause gewesen, und allen Leuten war ganz unheimlich zumute geworden, als er kam. Er hatte sich unter sie gesetzt und hatte getrunken, und der Bräutigam hat erzählt, er glaube, der Vater habe sich einen kleinen Rausch angetrunken. Dann erst fing er an, sich nach der Prügelei zu erkundigen, und er erhielt genauen Bescheid, wie alles zugegangen war. Knud kam hinzu, und nun wollte der Vater, daß er erzählen solle, und er ging auf den Hof hinaus nach der Stelle, wo ihr euch geprügelt hattet. Alle Leute gingen mit. Knud erzählte ihm dann, wie du ihm mitgespielt hättest, nachdem du ihm die Hand lahm geschlagen hattest, als aber Knud nicht weitererzählen wollte, sprang der Vater auf und fragte, ob es dann so zugegangen sei – und damit ergriff er65 Knud bei der Brust, hob ihn auf und legte ihn auf die Steinplatte, an der noch dein Blut klebte. Er hielt ihn mit der linken Hand nieder und zog mit der rechten sein Messer; Knud wurde leichenblaß, und alle Gäste schwiegen. Einige von den Leuten haben gesehn, wie der Vater weinte, aber er tat Knud nichts. Knud selber rührte sich nicht. Dann hob der Vater Knud wieder in die Höhe, legte ihn aber nach einer Weile wieder nieder: »Es wird mir sauer, dich laufen zu lassen,« sagte er und stand da und starrte ihn an, während er ihn festhielt.
»Zwei alte Frauen gingen vorüber, und die eine von ihnen sagte: ›Denke an deine Kinder, Sämund Granliden!‹ Und sie sagen, da hätte der Vater Knud sofort losgelassen, und nach einer Weile sei er vom Hofe verschwunden gewesen; Knud aber schlich sich zwischen den Gebäuden weg von der Hochzeit und kehrte nicht wieder zurück.«
Kaum hatte Ingrid diese Erzählung beendet, als sich die Tür öffnete und jemand hereinsah. Es war der Vater. Sie ging sogleich hinaus, und Sämund kam herein. Was die beiden miteinander gesprochen haben, hat niemand erfahren; die Mutter, die an der Tür stand, um zu lauschen, glaubte aufgefangen zu haben, daß sie davon gesprochen hätten, wie weit er seine Gesundheit wieder erlangen würde. Aber sie war sich dessen nicht ganz sicher, wollte auch nicht hineingehn, solange Sämund da war. Als Sämund herauskam, war er sehr weich gestimmt, und seine Augen waren gerötet. »Wir behalten ihn noch,« sagte er im Vorübergehn zu Ingebjörg. »Aber Gott weiß, ob er seine Gesundheit je wieder erlangen wird.« Ingebjörg fing an zu weinen und folgte ihrem Mann auf den Hof hinaus. Auf der Treppe des Vorratshauses setzten sie sich nebeneinander, und nun wurde gar manches zwischen den beiden beredet.
Als aber Ingrid wieder leise zu Thorbjörn hineinkam, lag er mit einem kleinen Zettel in der einen Hand da und sagte ruhig und langsam: »Das hier mußt du Synnöve geben, sobald du sie wiedersiehst.«66 Als Ingrid gelesen hatte, was darauf stand, wandte sie sich um und weinte; denn auf dem Zettel stand:
An die wohlgeachtete Jungfer Synnöve Guttormstochter Solbakken!
Wenn Du diese Zeilen gelesen hast, muß es zwischen uns beiden vorbei sein. Denn ich bin nicht der, den Du haben sollst. Der liebe Gott sei mit uns beiden.
Thorbjörn Sämundsen Granliden.
Synnöve hatte es am Tage darauf erfahren, daß Thorbjörn zur Hochzeit gewesen war. Sein jüngerer Bruder war mit der Nachricht nach der Alm hinaufgekommen. Ingrid aber hatte ihn gerade noch draußen im Vorbau erwischt, als er gehn wollte, und sie hatte ihm eingeschärft, was er sagen sollte. Synnöve wußte deswegen nichts weiter, als daß Thorbjörn umgeworfen hatte und dann nach Nordhaug gegangen war, um Hilfe zu suchen, daß Knud und er dort aneinandergeraten waren und daß Thorbjörn leicht zu Schaden gekommen wäre und jetzt zu Bette liege, ohne daß indessen die Sache gefährlich sei. Die Nachricht war derart, daß Synnöve sich mehr darüber ärgerte als betrübte. Und je mehr sie darüber nachsann, um so verzagter wurde sie. Wie viele Versprechungen er ihr auch machte, immer betrug er sich doch wieder so, daß die Eltern etwas gegen ihn zu sagen hatten. ›Aber trotzdem lassen wir uns nicht auseinanderbringen,‹ dachte Synnöve.
Es kam nicht häufig Nachricht auf die Alm hinauf, und deswegen währte es eine ganze Weile, ehe Synnöve wieder etwas erfuhr. Die Ungewißheit lastete schwer auf ihrem Gemüt, und Ingrid kam nicht wieder herauf, folglich mußte sich irgend etwas ereignet haben. Sie war nicht mehr imstande, ihre Kühe des Abends heimzusingen, so wie sie es früher getan hatte, und des Nachts schlief sie nicht gut, da Ingrid ihr fehlte. So kam es, daß sie am Tage müde war, und67 das machte ihr den Sinn nicht leichter. Sie ging umher und arbeitete, sie scheuerte Milcheimer und Tonnen, machte Käse und setzte Milch an, aber es geschah alles ohne Lust, und Thorbjörns jüngerer Bruder und der andre Junge, der zusammen mit ihm das Vieh hütete, glaubten jetzt steif und fest, daß zwischen ihr und Thorbjörn etwas los sei, was ihnen Stoff zu mancher Unterhaltung gab oben auf den Halden.
Am Nachmittage des achten Tages, nachdem Ingrid nach Hause geholt worden war, fühlte sie den Druck mehr als je auf sich lasten. Nun war so lange Zeit verflossen, und noch immer keine Nachricht da. Sie ließ ihre Arbeit liegen und setzte sich und sah über das Tal hin; das war ihr, als hätte sie Gesellschaft, und sie wollte nun einmal nicht mehr allein sein. Wie sie so dasaß, wurde sie müde, legte den Kopf auf ihren Arm und schlief ein; die Sonne aber stach, und es war ein unruhiger Schlaf. Sie war drüben auf Solbakken, oben auf der Bodenkammer, wo ihre Sachen standen, und wo sie zu schlafen pflegte; die Blumen aus dem Garten sandten einen süßen Duft zu ihr herauf, wenn auch nicht den, an den sie gewohnt war, sondern einen andern, fast wie von Heidekraut. ›Woher mag das wohl kommen?‹ dachte sie und beugte den Kopf zum offnen Fenster hinaus. Ja, da stand Thorbjörn unten im Garten und pflanzte Heidekraut. – »Aber, Liebster, weshalb tust du denn das?« fragte sie. – »Ach, die Blumen wollen nicht wachsen,« erwiderte er und arbeitete weiter im Garten. Da tat es ihr leid um die Blumen, und sie bat ihn, sie ihr doch heraufzubringen. – »Ja, das will ich gern tun,« meinte er, und dann sammelte er sie auf und brachte sie ihr; aber es war nicht mehr in der Bodenkammer, wo sie saß, denn jetzt konnte er geradeswegs zu ihr hereinkommen. Gerade da kam die Mutter herein. »In Jesu Namen! Soll der abscheuliche Bursche von Granliden zu dir hereinkommen?« sagte die Mutter, sprang hinzu und stellte sich ihm gerade in den Weg. Aber er wollte dennoch herein, und nun begannen die beiden miteinander zu ringen. – »Mutter, Mutter, er wollte mir ja nur68 meine Blumen bringen,« bat Synnöve und weinte. – »Ja, das hilft nichts,« sagte die Mutter und rang weiter. Und Synnöve war so erschrocken, so erschrocken, denn sie wußte nicht, wem sie den Sieg wünschen sollte, unterliegen aber sollte keins von ihnen. – »Nimm meine Blumen in acht!« rief sie, aber sie rangen jetzt heftiger als zuvor, und all die schönen Blumen wurden ringsumhergestreut. Die Mutter trat darauf, und er auch; Synnöve weinte. Als aber Thorbjörn die Blumen hatte fallen lassen, wurde er so häßlich, so häßlich; das Haar wurde lang, und das Gesicht wurde ganz groß, die Augen blickten so böse, und mit langen Krallen packte er die Mutter. – »Nimm dich in acht, Mutter! siehst du nicht, daß es ein andrer ist? – nimm dich in acht!« schrie sie und wollte der Mutter helfen, konnte sich aber nicht vom Fleck rühren. Da rief jemand nach ihr – und noch einmal hörte sie ihren Namen rufen. Sofort aber stürzte Thorbjörn hinaus, und die Mutter ihm nach. Abermals hörte sie ihren Namen rufen. – »Ja!« sagte Synnöve und erwachte.
»Synnöve!« rief es. – »Ja,« antwortete sie und sah auf. – »Wo bist du?« fragte eine Stimme. – ›Das ist die Mutter, die mich ruft,‹ dachte Synnöve, erhob sich und ging nach dem Weideplatz, wo die Mutter mit einem Eßkorb in der einen Hand stand, während sie sich mit der andern die Augen beschattete und zu ihr hinübersah.
»Hier liegst du und schläfst auf der bloßen Erde!« sagte die Mutter. – »Ich war so müde,« entgegnete Synnöve, »daß ich mich einen Augenblick niederlegte, und ich bin eingeschlafen, ehe ich michs versah.« – »Davor mußt du dich in Zukunft hüten, mein Kind. Hier ist etwas für dich in dem Korbe; ich habe gestern gebacken, da Vater eine lange Reise antreten will.« – Synnöve fühlte aber, daß die Mutter nicht deswegen allein gekommen war, und sie meinte, daß sie nicht ohne Grund von ihr geträumt habe. Karen, so hieß die Mutter, war, wie schon vorher gesagt worden ist, klein und fein gebaut, mit blondem Haar und blauen Augen, die ihr lebhaft im69 Kopfe herumgingen. Sie lächelte ein wenig, wenn sie sprach, aber nur, wenn sie mit fremden Leuten redete. Ihre Züge waren mit der Zeit ein wenig scharf geworden, sie war rasch in ihren Bewegungen und war immer sehr geschäftig. – Synnöve dankte ihr für das Mitgebrachte, hob den Deckel ab und sah nach, was es war. – »Ach, das hat Zeit bis später.« sagte die Mutter; »ich habe vorhin bemerkt, daß deine Milchkübel noch nicht gescheuert waren, mein Kind, das mußt du immer tun, ehe du dich zur Ruhe legst.« – »Ja, das war heute auch nur ausnahmsweise.« – »Komm jetzt, dann will ich dir helfen, da ich nun einmal hier bin,« sagte die Mutter und stürzte die Röcke auf. »Du mußt dich an Ordnung gewöhnen, du magst unter meiner Aufsicht sein oder nicht.« – Sie ging voraus nach der Milchkammer, und Synnöve folgte ihr langsam. Sie nahmen alles heraus und wuschen es ab; die Mutter sah das Geschirr nach und fand alles in gutem Zustande vor, sie erteilte fleißig Ratschläge und half beim Ausfegen; so vergingen ein paar Stunden. Während der Arbeit hatte sie Synnöve erzählt, was sie daheim trieben, und wieviel sie zu tun gehabt habe, um alles für die Abreise des Vaters fertigzumachen. Dann fragte sie, ob Synnöve auch daran denke, Gottes Wort zu lesen, ehe sie sich am Abend schlafen lege; »denn das darfst du nicht vergessen,« sagte sie, »sonst geht die Arbeit am nächsten Tage schlecht.«
Als sie mit allem fertig waren, gingen sie auf den Weideplatz hinaus, um dort die Kühe zu erwarten. Und als sie eine Weile beieinander gesessen hatten, fragte die Mutter nach Ingrid, ob die nicht bald wieder auf die Alm heraufkäme. Synnöve wußte darüber nicht mehr als die Mutter. – »Ja, so kann es den Leuten gehn!« sagte die Mutter, und Synnöve begriff sehr wohl, daß nicht Ingrid gemeint war; sie hätte gern von etwas anderm angefangen, aber sie hatte nicht den Mut dazu. – »Wer den Herrn nicht im Herzen trägt, der wird von ihm heimgesucht, wenn ers am mindesten glaubt,« sagte die Mutter. – Synnöve erwiderte kein Wort. – »Nein, das habe ich immer gesagt, aus dem Burschen wird70 nichts – – sich so zu benehmen! – pfui!« – Sie kauerten beide auf dem Rasen und sahn hinunter ins Tal, aber sie sahn sich nicht an. – »Hast du gehört, wie es mit ihm steht?« fragte die Mutter und sah nun schnell zu der Tochter hinüber. – »Nein,« antwortete Synnöve. – »Es soll schlecht mit ihm stehn,« sagte die Mutter. Die Brust schnürte sich Synnöve zusammen. – »Ist es denn gefährlich?« fragte sie. – »Ach ja, da ist der Messerstich in die Seite – und dann hat er auch noch arge Schläge bekommen.« – Synnöve fühlte, daß sie dunkelrot wurde; sie wandte sich hastig ab, daß es die Mutter nicht sehn sollte. – »Aber das hat wohl nicht viel zu bedeuten?« fragte sie so ruhig, wie es ihr nur möglich war; die Mutter aber hatte bemerkt, wie heftig ihre Brust arbeitete, deswegen antwortete sie: »Ach nein, das hat es wohl nicht!« – Da begann Synnöve zu ahnen, daß etwas sehr Ernstes vorgefallen sein müsse. – »Liegt er?« fragte sie. – »Natürlich liegt er! Es ist ein Jammer um die Eltern, so brave Leute! Gut erzogen ist er auch, so kann ihnen Gott das nicht zur Last legen.« – Synnöve wurde nun so beklommen, daß sie sich nicht zu helfen wußte. Da fuhr die Mutter fort: »Nun zeigt es sich, was für ein Glück es ist, daß niemand an ihn gebunden ist. Der liebe Gott führt doch alles zum besten.« – Synnöve wurde so schwindlig, als müsse sie den Berg hinabstürzen.
»Nein, ich habe es immer zum Vater gesagt, ich: Gott bewahre uns, habe ich gesagt, wir haben nur diese einzige Tochter, und für die müssen wir sorgen. Er ist ein wenig weich von Natur, der Vater, so brav er sonst ist; da ist es denn ein Glück, daß er Rat da sucht, wo er ihn findet, nämlich in Gottes Wort.«
Als nun aber Synnöve an ihren Vater dachte, wie sanft der allezeit war, wurde es ihr noch schwerer, die Tränen zu unterdrücken, und diesmal half denn auch kein Widerstand; sie fing an zu weinen. – »Weinst du?« fragte die Mutter und sah nach ihr hin, ohne ihr jedoch ins Gesicht sehn zu können. – »Ja, ich dachte an den Vater, und da – –« und nun brachen die Tränen gewaltsam hervor. –71 »Aber liebes Kind, was hast du nur?« – »Ach, ich weiß nicht recht – es überkam mich so – – vielleicht kann es ihm übel ergehn auf dieser Reise," schluchzte Synnöve. – »Wie kannst du nur so reden,« sagte die Mutter; »weswegen sollte es ihm nicht gut gehn auf der Reise zur Stadt, die ebene Landstraße entlang!« – »Ja – aber denk doch nur – wie es – dem andern erging,« schluchzte Synnöve. – »Ja – dem! – Aber dein Vater fährt doch nicht drauflos wie ein Verrückter, sollt ich meinen! Er kehrt sicher wohlbehalten wieder heim – wenn nur Gott seine Hand über ihm hält!«
Der Mutter aber gaben diese Tränen, die gar nicht wieder aufhören wollten, zu denken. Und wie sie so dasaß, sagte sie plötzlich: »Es gibt viele Dinge auf dieser Welt, die schwer genug sein können, aber da muß man sich damit trösten, daß sie noch viel schwerer hätten sein können.« – »Ja, das ist ein trauriger Trost,« sagte Synnöve und weinte bitterlich. Die Mutter konnte es nicht über das Herz bringen, zu antworten, was sie dachte, so sagte sie denn nur: »Gott der Herr lenkt gar vieles für uns in sichtbarer Weise; das hat er wohl auch hier getan!« Und dann erhob sie sich, denn die Kühe fingen an oben auf dem Bergrücken zu brüllen, die Glocken erklangen, die Hirtenjungen jubelten, und die Herde kam langsam bergab, da das Vieh satt und ruhig war. Sie stand da und sah zu, dann hieß sie Synnöve mitkommen und sie in Empfang nehmen. Synnöve erhob sich jetzt auch und folgte der Mutter, aber es ging langsam.
Karen Solbakken war nun vollauf in Anspruch genommen durch die Begrüßung ihrer Herde. Da kam eine Kuh nach der andern herbei, und alle erkannten sie und brüllten. Sie streichelte sie, sprach mit ihnen und wurde wieder fröhlich, als sie sah, wie gut sie alle zugenommen hatten. – »Ach ja,« sagte sie, »Gott ist dem nahe, der sich zu ihm hält!« – Sie half nun Synnöve das Vieh eintreiben, denn bei Synnöve ging es heute nur langsam. Die Mutter sagte nichts dazu; sie half ihr auch beim Melken, obwohl sie infolgedessen länger da oben blieb, als sie beabsichtigt hatte.72 Als sie nun die Milch geseiht hatten, schickte die Mutter sich an, heimzukehren, und Synnöve wollte sie eine Strecke begleiten. – »Ach nein,« sagte die Mutter, »du bist sicher müde und sehnst dich nach Ruhe«; und so nahm sie denn den leeren Korb, gab ihr die Hand und sagte, indem sie sie fest ansah: »Ich komme bald wieder herauf, um zu sehn, wie es dir geht. – – Halte dich zu uns, und denke nicht an andre.«
Kaum war die Mutter ihr aus dem Gesichtskreis entschwunden, als sie schon darüber nachdachte, wie sie am schnellsten einen Boten nach Granliden hinabschicken könnte. Sie rief Thorbjörns Bruder, sie wollte ihn hinabsenden; aber als er kam, konnte sie sich nicht entschließen, sich ihm anzuvertrauen, deswegen sagte sie: »Ach, es war nichts!« Dann dachte sie daran, selber zu gehn. Gewißheit mußte sie haben, und es war unrecht von Ingrid, ihr keine Nachricht zu senden. Die Nacht war ganz hell, und der Hof lag nicht so weit talabwärts, daß sie den Weg nicht hätte machen können, wenn es sie so hinabzog. Während sie dasaß und hierüber nachdachte, wiederholte sie sich in Gedanken noch einmal alles das, was die Mutter gesagt hatte, und ihre Tränen begannen von neuem zu fließen. Da aber zögerte sie nicht länger, warf ein Tuch um und wählte einen Schleichweg, damit die Jungen nichts merken sollten.
Je weiter sie kam, um so mehr beeilte sie sich, und schließlich sprang sie den Fußpfad hinunter, daß die kleinen Steine abbröckelten, hinabrollten und ihr Schrecken verursachten. Obwohl sie wußte, daß es nur Steine waren, die rollten, war es ihr doch, als wenn jemand in der Nähe sei, und sie mußte stehnbleiben und lauschen. Aber es war nichts, und sie sprang schneller als zuvor bergab. Da geschah es, daß sie mit einem stärkern Sprung auf einen großen Stein geriet, der ein Stück aus dem Wege hervorragte, sich aber jetzt löste und an ihr vorbei hinunterrollte. Er machte argen Lärm, es knackte in den Büschen, und sie war ganz bange, erschrak aber noch mehr, als sie leibhaftig sah, wie sich da unten jemand erhob73 und bewegte. Zuerst dachte sie, es könne ein wildes Tier sein, sie blieb stehn und hielt den Atem an – auch die Gestalt unten am Wege stand still. »Hoi–ho!« rief es. Es war die Mutter. Das erste, was Synnöve tat, war, daß sie zur Seite sprang und sich versteckte. Sie saß eine ganze Weile da und wartete, ob die Mutter sie erkannt hätte und zurückkäme; aber das tat sie nicht. Dann wartete sie noch eine Weile, damit die Mutter einen guten Vorsprung gewänne. Als sie sich dann wieder auf den Weg machte, ging sie ganz langsam, und bald näherte sie sich den Häusern.
Sie wurde wieder ein wenig beklommen, als sie das Gehöft liegen sah, und ihre Beklommenheit nahm zu, je näher sie kam. Alles war still dort, die Arbeitsgerätschaften standen an die Wand gelehnt, Brennholz lag gehauen und aufgestapelt da, und die Axt war in den Holzblock festgeschlagen. Sie ging vorbei und auf die Tür zu; dort blieb sie noch einmal stehn, sah sich um und lauschte; es rührte sich aber nichts. Und wie sie so dastand und unschlüssig war, ob sie auf den Boden hinauf zu Ingrid gehn solle oder nicht, kam ihr der Gedanke, es müsse wohl eine solche Nacht gewesen sein, damals vor Jahren, als Thorbjörn hinübergekommen war und ihre Blumen eingepflanzt hatte. Schnell zog sie die Schuhe aus und schlich die Treppe hinauf.
Ingrid erschrak sehr, als sie erwachte und sah, daß es Synnöve war, die sie geweckt hatte. – »Wie geht es ihm?« fragte Synnöve. Jetzt fiel Ingrid alles wieder ein, und sie wollte sich ankleiden, um nicht sogleich antworten zu müssen. Synnöve aber setzte sich auf die Bettkante, bat sie, sich wieder hinzulegen, und wiederhole die Frage.
»Jetzt geht es besser,« sagte Ingrid flüsternd; »ich komme bald hinauf zu dir.« – »Liebe Ingrid, verbirg mir nichts; du kannst mir nichts Schlimmes sagen, was ich mir nicht viel schlimmer gedacht habe.« – Ingrid war noch immer bemüht, Synnöve zu schonen, deren Furcht aber drängte sie, und es blieb ihr keine Zeit, Ausflüchte zu machen. Flüsternd fielen die Fragen, flüsternd die Antworten;74 das tiefe Schweigen ringsumher machte sowohl Frage als Antwort noch schwerer, so daß es einer der feierlichen Augenblicke wurde, wo man es wagt, der Wahrheit gerade ins Auge zu sehn. Darüber aber wurden sich beide klar, daß Thorbjörns Schuld diesmal gering war und daß sich nichts Schlechtes von seiner Seite zwischen ihn und ihr Mitgefühl für ihn drängte. Da weinten sich beide gründlich satt, aber sie weinten leise, und Synnöve weinte am heftigsten; sie saß ganz zusammengesunken auf der Bettkante. Ingrid suchte sie zu erheitern dadurch, daß sie sie daran erinnerte, wieviel Freude sie alle drei miteinander gehabt hätten; da aber ging es hier, wie es so oft geht, daß sich jede kleine Erinnerung aus den Tagen, über denen stiller Sonnenschein liegt, jetzt im Kummer in Tränen auflöst.
»Hat er nach mir gefragt?« flüsterte Synnöve. – »Er hat fast noch gar nicht gesprochen.« – Ingrid dachte an den Zettel, und der fing an, sie zu bedrücken. – »Ist er denn nicht imstande, zu sprechen?« – »Ich weiß nicht, wie es sich damit verhält – er denkt wohl um so mehr.« – »Liest er?« – »Die Mutter hat ihm vorgelesen, jetzt muß sie es jeden Tag tun.« – »Was sagt er denn?« – »Nein, er sagt nichts – das erzählte ich dir ja schon. Er liegt nur da und sieht vor sich hin.« – »Liegt er in der gemalten Stube?« – »Ja.« – »Mit dem Kopfe nach dem Fenster zu?« – »Ja!« – Sie schwiegen beide eine Weile. Dann sagte Ingrid: »Das kleine St. Johannisspiel, das du ihm einmal geschenkt hast, hängt dort im Fenster und dreht sich.«
»Ja, es ist mir einerlei,« sagte Synnöve plötzlich und mit Nachdruck; »nie im Leben soll mich jemand dahin bringen, daß ich ihn aufgebe, es mag gehn, wie es will!« – Ingrid wurde sehr beklommen: »Der Doktor weiß nicht, ob er seine Gesundheit je wieder erlangen wird,« flüsterte sie.
Da richtete Synnöve den Kopf auf, drängte die Tränen zurück, sah sie an, ohne ein Wort zu sagen, ließ den Kopf wieder sinken und blieb in Gedanken verloren sitzen; die letzten Tränen rannen75 ihr leise die Wangen hinab, aber es kamen keine neuen mehr; sie faltete die Hände, bewegte sich aber nicht: es war, als sitze sie da und fasse einen großen Entschluß. Dann erhob sie sich plötzlich mit einem Lächeln, beugte sich über Ingrid hinab und gab ihr einen warmen, langen Kuß. – »Erlangt er seine Gesundheit nicht wieder, dann will ich ihn pflegen. Jetzt rede ich mit meinen Eltern.«
Dies rührte Ingrid tief; ehe sie aber etwas erwidern konnte, fühlte sie ihre Hand ergriffen: »Leb wohl, Ingrid! Jetzt will ich allein hinaufgehn.« – Und sie wandte sich schnell ab.
»Da ist noch ein Zettel!« rief Ingrid ihr flüsternd nach. – »Ein Zettel?« fragte Synnöve. Ingrid war schon aus dem Bett, suchte ihn hervor und brachte ihn ihr; indem sie ihn ihr aber mit der linken Hand in den Busen steckte, schlang sie den rechten Arm um ihren Hals und gab ihr den Kuß zurück, während Synnöve ihre Tränen warm und schwer auf ihr Gesicht fallen fühlte. Dann schob Ingrid sie leise zur Tür hinaus und schloß ab, denn sie hatte nicht den Mut, das Weitere mit anzusehn.
Synnöve schlich leise auf den Socken die Treppe hinab; da aber zu viele Gedanken auf sie einstürmten, machte sie unversehens Geräusch, erschrak, eilte über die Flur, ergriff die Schuhe und lief, sie in der Hand haltend, an den Wirtschaftsgebäuden vorüber, über die Felder, bis an das Zauntor; dort hielt sie inne, zog die Schuhe an und begann nun eiligen Schrittes bergan zu gehn, denn ihr Blut war in Wallung geraten. Sie schritt dahin, summte eine Melodie, ging schneller und schneller, bis sie zuletzt müde wurde und sich setzen mußte. Da erinnerte sie sich des Zettels. – –
Als der Hirtenhund am nächsten Morgen Lärm machte, als die Jungen erwachten und die Kühe gemolken und hinausgelassen werden sollten, war Synnöve noch nicht zurückgekehrt.
Während die Hirtenjungen noch dastanden und sich wunderten, wo sie wohl sein könnte, und herausfanden, daß sie die ganze Nacht nicht zu Bette gewesen war – da erschien Synnöve.
Sie war sehr blaß und still. Ohne ein Wort zu sagen, begann sie76 die Mahlzeit für die Hirtenjungen zu bereiten, packte ihnen Mundvorrat ein und half ihnen dann beim Melken.
Der Nebel hing noch schwer über den niedrigen Bergrücken, das Heidekraut auf der braunroten Weide glitzerte vom Morgentau, es war ziemlich kalt, und wenn der Hund bellte, hallte es von allen Seiten wider. Die Kühe wurden herausgelassen, sie brüllten in der frischen Luft, und eine nach der andern ging den Fußsteg entlang; dort aber saß der Hund schon, nahm sie in Empfang und hielt sie zurück, bis alle herausgekommen waren, worauf auch er sie durchließ; das Schellengeläute tönte über den Bergrücken hin, der Hund bellte so, daß es durch das Läuten drang, die Jungen versuchten, wer am lautesten jodeln könnte. Von all diesem Lärm wandte sich Synnöve ab und ging nach der Stelle auf der Alm, wo Ingrid und sie zu sitzen pflegten. Sie weinte nicht, still saß sie da und starrte vor sich hin und vernahm nur von Zeit zu Zeit das lebensfrohe Geräusch, das sich immer mehr entfernte und harmonischer ineinanderfloß, je größer die Entfernung wurde. Währenddes fing sie an, eine Melodie leise vor sich hin zu summen, dann sang sie ein wenig lauter, und schließlich erscholl mit klarer, lauter Stimme folgendes Lied. Sie hatte es einem andern nachgebildet, das sie von Kindheit an gekannt hatte.
Eine ganze Weile nach alle diesem saßen Guttorm Solbakken und Karen zusammen in der großen, hellen Stube auf Solbakken und lasen einander aus einigen neuen Büchern vor, die sie aus der Stadt erhalten hatten. Sie waren am Vormittag in der Kirche gewesen, denn es war Sonntag; dann hatten sie einen kleinen Gang durch die Felder gemacht, um zu sehn, wie die Saat stehe, und um zu überlegen, welche Äcker im nächsten Jahre brachliegen78 und welche bebaut werden sollten. Sie waren von einem Brachfelde und Acker zum andern gegangen, und es schien ihnen, als sei ihr Besitztum gut vorwärts gekommen, seit sie es bewirtschafteten. »Gott weiß, wie es aussehn wird, wenn wir einmal fort sind,« harte Karen gesagt. Da hatte Guttorm sie gebeten, mit hineinzukommen und in den neuen Büchern zu lesen; denn man tut am besten, wenn man sich solche Gedanken aus dem Sinne schlägt.
Nun waren aber die Bücher durchgesehn, und Karen meinte, die alten wären besser: »Die Leute schreiben nur wieder daraus ab!« – »Daran mag etwas Wahres sein; Sämund sagte heute in der Kirche zu mir, die Kinder wären auch nur die Eltern noch einmal wieder.« – »Ja, du und Sämund, ihr habt heute viel miteinander gesprochen.« – »Sämund ist ein verständiger Mann.« – »Er hält sich aber wenig zu seinem Herrn und Heiland, fürchte ich.« – Hierauf erwiderte Guttorm nichts. – – »Wo ist denn nur Synnöve geblieben?« fragte die Mutter. – »Die ist oben auf dem Boden,« antwortete er. – »Du saßest ja vorhin bei ihr, wie war sie gestimmt?« – »Ach – – du hättest sie dort nicht allein sitzen lassen sollen.« – Es kam jemand. – Die Frau schwieg eine Weile. – »Wer war denn das?« – »Ingrid Granliden.«
»Ich glaubte, sie sei noch auf der Alm.« – »Sie ist heute nach Hause gekommen, daß die Mutter zur Kirche gehn konnte.« – »Ja, wir haben sie ja auch wirklich einmal da gesehn.« – »Sie hat viel zu schaffen.« – »Das haben andre auch; aber man kommt schon dahin, wohin das Herz steht.« – Guttorm erwiderte nichts hierauf. – Nach einer Weile sagte Karen: »Heute waren alle Leute aus Granliden da, Ingrid ausgenommen.« – »Ja, das war wohl, um Thorbjörn das erstemal das Geleite zu geben.« – »Er sah elend aus.« – »Das war nicht anders zu erwarten; ich wunderte mich, daß er noch so gut aussah.« – »Ja, er hat für seine Torheit büßen müssen.« – Guttorm sah ein wenig vor sich nieder: »Er ist ja noch die pure Jugend!« – »Es ist kein guter Grund in ihm, man kann sich niemals auf ihn verlassen.«
Guttorm, der die Ellenbogen auf den Tisch gestützt hatte und ein Buch in der Hand hin und her drehte, öffnete dieses, und indem er scheinbar anfing, leise darin zu lesen, ließ er die Worte fallen: »Man meint, daß er ganz sicher seine Gesundheit wiedererlangen wird.« – Auch die Mutter nahm jetzt ein Buch: »Das wäre ein großes Glück für einen so schönen Burschen,« sagte sie. »Der liebe Gott lehre ihn in Zukunft bessern Gebrauch davon machen.« – Sie lasen beide; dann sagte Guttorm, indem er ein Blatt umwandte: »Er hat heute nicht ein einziges Mal zu ihr hinübergesehn.« – »Nein, ich bemerkte auch, daß er ruhig in seinem Stuhle sitzen blieb, bis sie gegangen war.« – Nach ein er Weile sagte Guttorm: »Glaubst du, daß er sie vergessen wird?« – »Das wäre auf alle Fälle das beste.«
Guttorm las weiter, seine Frau blätterte in ihrem Buch. – »Es gefällt mir gar nicht, daß Ingrid hier so lange sitzen bleibt,« sagte sie. – »Synnöve hat kaum jemand, mit dem sie reden könnte.« – »Sie hat uns.« – Jetzt sah der Vater zu ihr hinüber: »Wir dürfen nicht zu strenge sein.« – Die Frau schwieg; nach einer Weile sagte sie: »Ich habe es ihr auch niemals verboten.« – Der Vater klappte das Buch zu, stand auf und sah zum Fenster hinaus. »Da geht Ingrid,« sagte er. – Kaum hatte die Mutter das gehört, als sie schnell hinausging. Der Vater stand noch lange am Fenster, dann wandte er sich ab und ging auf und nieder; die Frau kam wieder herein, er blieb stehn. – »Ja, es war so, wie ich dachte,« sagte sie; »Synnöve sitzt da oben und weint, wühlt aber in ihrer Lade herum, sobald ich hereinkomme.« Und dann fuhr sie fort, indem sie den Kopf schüttelte: »Nein, es ist nicht gut, daß Ingrid hierherkommt.« – Sie machte sich mit dem Abendbrot zu schaffen und ging oft aus und ein. Einmal, während sie draußen war, kam Synnöve still mit rotgeweinten Augen herein; sie glitt an dem Vater vorüber, sah ihm ins Gesicht, setzte sich dann an den Tisch und nahm ein Buch. Nach einer Weile machte sie es wieder zu, ging zur Mutter und fragte, ob sie ihr helfen sollte. – »Ja, tu das nur!« sagte diese; »Arbeit ist für alles gut.«
Sie mußte den Tisch decken, der am Fenster stand. Der Vater, der bisher auf und nieder gegangen war, trat jetzt ans Fenster und sah hinaus. – »Ich glaube, der Gerstenacker, den der Regen niedergeschlagen hat, richtet sich wieder auf,« sagte er; sie stellte sich neben ihn und schaute auch hinaus. Er wandte sich um, die Mutter war im Zimmer, so streichelte er nur sanft Synnöves Hinterkopf und begann dann wieder auf und nieder zu gehn. Sie aßen, aber es war eine sehr schweigsame Mahlzeit. Die Mutter sprach heute das Tischgebet, vor wie nach dem Essen, und als sie aufgestanden waren, schlug sie vor, zu lesen und zu singen, was sie auch taten. – »Gottes Wort gibt Frieden; das ist doch der größte Segen im Hause.« – Die Mutter sah dabei zu Synnöve hinüber, die die Augen niedergeschlagen hatte. – »Jetzt will ich eine Geschichte erzählen,« sagte die Mutter, »jedes Wort davon ist wahr, und dem, der darüber nachdenken will, wird es nicht zum Schaden sein.«
Und dann erzählte sie: »Es lebte in meiner Jugend ein Mädchen auf Haug, das war die Enkelin eines alten, gelehrten Schulzen. Er nahm sie früh zu sich, um in seinen alten Tagen Freude an ihr zu haben, und lehrte sie natürlich Gottes Wort und gute Sitten. Sie lernte leicht und gern, so daß sie uns in kurzer Zeit weit hinter sich ließ; sie schrieb und rechnete, wußte ihre Schulbücher und fünfundzwanzig Kapitel aus der Bibel auswendig, als sie fünfzehn Jahre alt war. Ich erinnere mich dessen, als wäre es gestern gewesen. Sie mochte lieber lesen als tanzen, so sah man sie nur selten dort, wo Lustbarkeit war, desto häufiger aber in des Großvaters Bodenstube, wo seine vielen Bücher standen. So kam es, daß sie jedesmal, wenn wir mit ihr zusammen waren, so dastand, als wären ihre Gedanken anderswo, und wir sagten zueinander: ›Wären wir bloß so klug wie Karen Haugen!‹ Sie sollte den Alten beerben, und viele brave Burschen erboten sich, halbpart mit ihr zu machen; sie erhielten sämtlich einen Korb. Um diese Zeit kehrte der Sohn des Pfarrers von seiner Priesterlehre zurück; es war nicht gut mit ihm gegangen, denn er hatte mehr Sinn für ein wildes81 Leben und für alles Böse gehabt als für das Gute; jetzt trank er. ›Hüte dich vor ihm!‹ sagte der alte Schulze; ›ich bin viel mit den Vornehmen zusammen gewesen, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß sie unser Vertrauen weit weniger verdienen als die Bauern.‹ – Karen hörte stets mehr auf seine Stimme als auf die aller andern, und als sie später zufällig mit dem Sohne des Pfarrers zusammentraf, ging sie ihm aus dem Wege; denn er trachtete ihr nach. Seither konnte sie nirgends gehn, ohne ihm zu begegnen. – ›Geh!‹ sagte sie, ›es nützt dir doch nichts!‹ – Er aber ging ihr nach, und so kam es, daß sie doch endlich stehnbleiben und ihn anhören mußte. Er war sehr schön, als er aber sagte, er könne nicht ohne sie leben, da lief sie erschreckt davon. Er trieb sich um ihren Hof herum, aber sie kam nicht heraus; er stand des Nachts vor ihrem Fenster, aber sie kam nicht zum Vorschein; er sagte, er wolle seinem Leben ein Ende machen, Karen aber wußte, was sie davon zu denken hatte. Da fing er wieder an zu trinken. – ›Sei auf deiner Hut! Das sind alles nur Teufelskünste,‹ sagte der alte Großvater. Da stand der Bursche eines Tages plötzlich mitten in ihrem Zimmer, niemand wußte, wie er dahingelommen war. ›Jetzt will ich dich ermorden!‹ sagte er. – ›Ja, tu du das nur,‹ sagte sie. Da aber weinte er und sagte, es stünde in ihrer Macht, ihn zu einem braven Menschen zu machen. – ›Könntest du dich nur ein halbes Jahr des Trinkens enthalten!‹ sagte sie. Und da enthielt er sich ein halbes Jahr des Trinkens. – ›Glaubst du mir nun?‹ fragte er. – ›Nicht ehe du ein halbes Jahr von allen Festlichkeiten und Gelagen ferngeblieben bist.‹ – Das tat er. – ›Glaubst du mir nun?‹ fragte er. – ›Nicht ehe du hingehst und deine geistlichen Studien beendest.‹ – Auch das tat er, und im folgenden Jahre kehrte er als ausgelernter Pfarrer zurück. – ›Glaubst du mir nun?‹ fragte er und hatte obendrein Talar und Halskrause um. – ›Jetzt will ich dich ein paarmal Gottes Wort verkünden hören,‹ sagte Karen. Und das tat er wahr und lauter, wie es sich für einen Geistlichen geziemt; er sprach von seiner eignen Sündhaftigkeit, und wie leicht82 es sei zu siegen, wenn man nur erst den Anfang gemacht habe, und wie schön Gottes Wort sei, wenn man es nur erst gefunden habe. Darauf begab er sich abermals zu Karen. – ›Ja, nun glaube ich, daß du nach dem leben wirst, was du selber weißt,‹ sagte Karen, ›und nun will ich dir auch erzählen, daß ich seit drei Jahren mit meinem Vetter, Anders Haugen, verlobt bin; du sollst uns am nächsten Sonntag aufbieten.‹« – –
Hier schloß die Mutter. Synnöve hatte anfangs nur geringe Teilnahme für die Erzählung bezeugt, dann aber war ihre Interesse erwacht, und nun folgte sie mit Spannung jedem Wort. – »Kommt nicht noch mehr?« fragte sie ganz erschrocken. – »Nein,« sagte die Mutter. Der Vater sah die Mutter an, da glitt ihr Blick unsicher zur Seite, und nachdem sie sich einen Augenblick besonnen hatte, fuhr sie fort, indem sie mit dem Finger über die Tischplatte hinstrich: »Vielleicht könnte noch etwas kommen – aber das tut nichts zur Sache.« – »Ist da noch mehr?« wandte sich Synnöve nun an den Vater, der es zu wissen schien. – »Hm – ja! Aber es verhält sich so, wie die Mutter sagt – es tut nichts zur Sache.« – »Wie erging es ihm denn?« fragte Synnöve. – »Ja, das ist es eben,« sagte der Vater und sah zu der Mutter hinüber. Diese hatte sich an die Wand gelehnt und sah sie beide an. – »Wurde er unglücklich?« fragte Synnöve leise. – »Wir müssen schließen, wo der Schluß sein soll,« sagte die Mutter und stand auf. Der Vater tat ebenso, und Synnöve stand dann auch auf.
Einige Wochen später an einem frühen Morgen machten sich sämtliche Bewohner von Solbakken zum Kirchgang fertig; es war Konfirmation, die in diesem Jahre etwas früher fiel als gewöhnlich, und bei einer solchen Gelegenheit wurden alle Häuser abgeschlossen; denn dann mußten alle mit. Fahren wollten sie nicht, da das Wetter klar war, wenn auch ein wenig kalt und scharf83 in der frühen Morgenstunde; der Tag versprach schön zu werden. Der Weg führte durch das Kirchspiel, an Granliden vorbei, bog dann rechts ab, und eine gute Viertelstunde weiter lag die Kirche. Das Korn war an den meisten Stellen gemäht und in Hocken gesetzt, die Kühe waren fast überall aus den Bergen heruntergeholt und weideten angepflöckt, die Wiesen waren entweder zum zweitenmal grün oder auf magerm Boden grauweiß; ringsumher stand der vielfarbige Wald, die Birke schon müde, die Espe ganz blaßgelb, die Eberesche mit trocknen, zusammengeschrumpften Blättern und vielen Beeren. Es hatte mehrere Tage stark geregnet, das niedrige Gestrüpp, das am Wege entlang wuchs und sonst im Staube der Landstraße dastand und nieste, war jetzt reingewaschen und frisch. Die Felswände aber begannen sich schwer auf das Tal zu legen, jetzt, wo der plündernde Herbst sie entkleidete und ihnen ein ernsthaftes Angesicht gab, während sich die Felsenbäche, die im Sommer nur hin und wieder Leben gezeigt hatten, jetzt übermütig aufbäumten und mit lautem Lärm hinunterschäumten. Der Granlider Gießbach nahm einen schwerern, ruhigern Gang an, namentlich bis er an den Granlider Steingrund hinabkam, wo der Fels ihn auf einmal nicht weiter begleiten wollte, sondern sich von ihm zurückzog. Da machte er einen Sprung über die Steine und brauste brüllend dahin, so daß der Fels erbebte. Ihm wurde für seine Verräterei gründlich der Kopf gewaschen, denn der Gießbach sandte ihm höhnisch einen Spritzstrahl gerade ins Gesicht. Einige neugierige Erlenbüsche, die sich der Schlucht genähert hatten, wären beinahe von der Flut mit fortgeschwemmt worden; sie standen nun da und schnauften in dem Wasserbade, denn der Gießbach war heute nicht geizig.
Thorbjörn, seine beiden Eltern und seine beiden Geschwister sowie die übrigen Hausbewohner kamen gerade vorüber und beobachteten dies alles. Thorbjörn war jetzt wieder gesund, er zog kräftig wie ehemals seinen Strang bei der Arbeit des Vaters. Die beiden gingen jetzt immer zusammen, so auch hier. – »Ich glaube fast,84 wir haben die Leute von Solbakken gerade hinter uns,« sagte der Vater. Thorbjörn sah nicht zurück, die Mutter aber sagte: »Ja, so ist es; aber ich sehe nicht – ach ja, da ist sie – ganz hinten.« – Entweder gingen die Granlider jetzt schneller, oder die Leute von Solbakken hatten ihren Schritt gemäßigt, aber der Abstand zwischen ihnen wurde größer und größer, schließlich sah man einander kaum noch. Es schien, daß heute viel Volk bei der Kirche zusammenkommen würde; der lange Weg war schwarz von gehenden, fahrenden, reitenden Menschen; die Pferde waren jetzt in der Erntezeit übermütig und wenig daran gewöhnt, mit andern zusammen zu sein, deswegen war ein Gewiehere und eine Unruhe unter ihnen, die die Fahrt gefahrvoll, aber sehr lebhaft machten.
Je näher man an die Kirche herankam, desto größern Lärm machten die Pferde, denn jedes, das kam, schrie zu denen hinüber, die schon angebunden dastanden, und diese zerrten an den Leinen, stampften mit den Hinterfüßen und wieherten den Ankömmlingen einen Gruß zu. Alle Hunde des Kirchspiels, die die ganze Woche zu Hause gesessen, einander angehört, sich gegenseitig angeknurrt und herausgefordert hatten, trafen sich jetzt hier bei der Kirche, stürzten sich in die großartigste Beißerei, paarweise und in ganzen Rudeln, weit über die Felder hin. Die Leute standen still an den Häusern und an der Kirchenmauer; sie führten eine flüsternde Unterhaltung und sahen sich nur von der Seite an. Der Weg, der an der Mauer vorbeiführte, war nicht breit, und auf der andern Seite lagen die Häuser dicht nebeneinander; und nun standen die Frauen gewöhnlich an der Mauer, die Männer ihnen gegenüber an den Häusern. Erst später wagten sie es, zueinander hinüberzugehn; auch wenn sich Bekannte von weitem sahen, taten sie, als kennten sie sich nicht, bis dieser Augenblick gekommen war; manchmal geschah es, daß sie sich so nahe gegenüberstanden, wenn der eine Teil kam, daß sie einen Gruß nicht vermeiden konnten; dann geschah es mit halb abgewandtem Gesicht und in kurzen Worten, worauf sich jeder wieder an seinen Platz zurückzog.
Als die Granlider herankamen, wurde es fast noch stiller als zuvor; Sämund hatte nicht viele zu begrüßen, weswegen es mit ihm schnell die Reihe entlang ging; die Frauen dagegen blieben gleich hängen und blieben bei den ersten stehn. Daher mußten die Männer, als man zur Kirche gehn wollte, wieder zu den Frauen zurückkehren. In diesem Augenblick kamen drei Wagen in einer Reihe ungestümer als alle die andern herangefahren und hielten nicht eher an, als bis sie mitten unter den Leuten waren. Sämund und Thorbjörn, die beinahe überfahren worden waren, sahen zu gleicher Zeit auf; im ersten Wagen saßen Knud Nordhaug und ein alter Mann, im zweiten seine Schwester mit ihrem Manne, im dritten die Altenteiler. Vater und Sohn sahn sich gegenseitig an; Sämund verzog keine Miene, Thorbjörn war sehr bleich. Als ihre Blicke sich trennten, schweiften sie weiter und fielen auf die Leute von Solbakken, die gerade ihnen gegenüber stehngeblieben waren, um Ingebjörg und Ingrid Granliden zu begrüßen. Die Wagen waren zwischen ihnen durchgefahren, die Unterhaltung war unterbrochen worden, die Augen hingen noch an den Dahinfahrenden, und es währte eine ganze Zeit, ehe sie sich davon losreißen konnten. Als sie dann nach dieser Überraschung wieder zu sich gekommen waren und die Augen umherschweifen ließen, um einen Übergang zu suchen, gewahrten sie Thorbjörn und Sämund, die dastanden und starrten. Guttorm Solbakken wandte sich ab, seine Frau aber sah sofort nach Thorbjörns Augen; Synnöve, die einen Blick von ihm erhascht hatte, wandte sich zu Ingrid Granliden und ergriff ihre Hand, wie um sie zu begrüßen, obwohl sie das schon einmal getan hatte. Aber alle fühlten sie auf einmal, daß ihr Gesinde und ihre Bekannten, einer wie alle, sie beobachteten, und nun kam Sämund selber geradeswegs hinüber und reichte Guttorm mit abgewandtem Gesicht die Hand: »Hab Dank für das letztemal.« – »Hab selber Dank für das letztemal.« – Dann reichte er der Frau die Hand: »Hab Dank für das letztemal!« – »Hab selber Dank für das letztemal,« erwiderte sie, ebenfalls ohne aufzusehn. Thorbjörn ging86 hinterdrein und tat wie der Vater; dieser kam nun zu Synnöve, und sie war die erste, die er ansah. Auch sie sah ihn an und vergaß »Hab Dank für das letztemal« zu sagen. In demselben Augenblick kam Thorbjörn; er sagte nichts, sie sagte nichts, sie reichten einander die Hand, aber nur lose, keins schlug die Augen auf, keins vermochte einen Fuß zu rühren. – »Es wird heute sicher ein gesegnetes Wetter,« sagte Karen Solbakken und ließ den Blick schnell von Synnöve zu Thorbjörn hinüberschweifen. Sämund antwortete ihr: »Ach ja, dieser Wind treibt die Wolken weg.« – »Gut für das Korn, das noch steht und der Trockenheit bedarf,« sagte Ingebjörg Granliden und fing an, Sämund hinten an die Jacke zu klopfen, vermutlich weil sie glaubte, daß er voll Staub sei. – »Gott hat uns ein gutes Jahr beschert, aber es ist noch unsicher, ob alles unter Dach und Fach kommt,« sagte Karen wieder und sah nach den beiden hinüber, die sich seit vorhin noch nicht vom Fleck gerührt hatten. – »Das kommt auf die Zahl der Leute an,« sagte Sämund und wandte sich zu ihr, so daß sie nicht gut dahinsehn konnte, wohin sie sehn wollte. – »Ich habe oft gedacht, wenn nur ein paar Höfe ihre Kräfte zusammenlegen wollten, da würde es besser gehn.« – »Aber es kann ja so sein, daß sie beide das trockne Wetter gleichzeitig benutzen wollen,« sagte Karen Solbakken und machte einen Schritt zur Seite. – »Freilich,« meinte Ingebjörg und stellte sich dicht neben ihren Mann, so daß Karen auch jetzt nicht dahinsehn konnte, wohin sie sehn wollte; – »aber an manchen Stellen reift es früher als an andern; Solbakken ist uns oft um vierzehn Tage voraus.« – »Ja, da könnten wir einander ja gut helfen,« sagte Guttorm und trat einen Schritt näher heran. Karen sah ihn hastig an. – »Aber es gibt immer so manche Umstände, die einem in den Weg kommen,« setzte er hinzu. – »Das ist so,« sagte Karen und trat einen Schritt auf die eine Seite und einen auf die andre, und noch einen, aber dann wieder zurück. – »Ach ja, es kommt einem oft mancherlei in den Weg,« sagte Sämund und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. – »Freilich ist es87 so,« sagte Guttorm, seine Frau aber fiel ihm ins Wort: »Menschenmacht reicht nicht weit, Gottes Macht ist die größte, und auf ihn allein kommt es an.« – »Er würde doch wohl nichts Wesentliches dagegen einzuwenden haben, daß wir einander bei der Ernte auf Granliden und Solbakken behilflich wären?« – »Nein,« meinte Guttorm, »dagegen kann er wohl nichts einzuwenden haben,« und er sah seine Frau ernsthaft an. Diese gab dem Gespräch eine andre Wendung: »Es sind viele Leute heute zur Kirche gekommen,« sagte sie; »es tut einem wohl, zu sehn, wie die das Haus Gottes aufsuchen.« – Niemand schien hierauf etwas erwidern zu wollen; da sagte Guttorm: »Ich glaube wirklich, es nimmt zu mit der Gottesfurcht, es gehn jetzt mehr Leute zur Kirche als in meiner Jugend.« – »Ach ja – die Menschen vermehren sich,« sagte Sämund. – »Es sind wohl viele unter ihnen, vielleicht der größte Teil, die nur aus Gewohnheit kommen,« meinte Karen Solbakken. – »Vielleicht die Jüngern,« entgegnete Ingebjörg. – »Die Jüngern wollen einander gern treffen,« sagte Sämund. – »Habt ihr gehört, daß der Pfarrer von hier fort will?« fragte Karen und gab dem Gespräch zum zweitenmal eine andre Wendung. – »Das tut mir leid,« sagte Ingebjörg; »er hat alle meine Kinder getauft und auch konfirmiert.« – »Und nun möchtest du wohl, daß er sie auch traute?« sagte Sämund und kaute auf einem Stück Holz, das er aufgenommen hatte. – »Es wundert mich, daß die Kirche immer noch nicht beginnt,« sagte Karen und sah nach dem Eingang hinüber. – »Ja, es ist heute heiß hier draußen,« bemerkte Sämund und lächelte abermals. – »Komm jetzt, Synnöve, wir wollen hineingehn.« – Synnöve fuhr zusammen und wandte sich um, denn sie hatte mit Thorbjörn geredet. – »Willst du nicht warten, bis es geläutet hat?« sagte Ingrid Granliden und sah zu Synnöve hinüber. – »Dann gehn wir alle miteinander,« fügte Ingebjörg hinzu. Synnöve wußte nicht, was sie antworten sollte.
Sämund sah über den Rücken zu ihr hinüber: »Wenn du nur warten willst, dann läutet es bald – für dich,« sagte er. Synnöve88 wurde dunkelrot, die Mutter sah ihn ärgerlich an. Er aber lächelte ihr zu: »Es kommt alles so, wie Gott es will, sagtest du das nicht vorhin selber?« Und er schritt allen voran auf die Kirche zu, die andern folgten ihm.
An der Kirchentür war großes Gedränge, und als sie näher zusahn, war sie noch nicht geöffnet. Gerade als sie näher herangingen, um nach der Ursache zu fragen, wurde sie geöffnet, und die Leute gingen hinein; einige aber kamen auch wieder zurück, wodurch die Ankommenden voneinander getrennt wurden. An die Wand gelehnt standen zwei Männer und sprachen miteinander; der eine groß und stark mit blondem, ein wenig struppigem Haar und einer Stulpnase, und das war Knud Nordhaug. Als er die Leute von Granliden kommen sah, hörte er auf zu sprechen, wurde ein wenig verlegen, blieb aber trotzdem stehn. Sämund mußte nun gerade an ihm vorüber, er sah ihn scharf an, Knud schlug aber seine Augen nicht zu Boden, wenn auch sein Blick nicht ganz sicher war. Nun kam Synnöve, und als sie Knud so unerwartet erblickte, wurde sie leichenblaß. Da schlug Knud die Augen nieder und richtete sich von der Wand auf, um zu gehn. Er hatte nur ein paar Schritte gemacht, da sah er vier Gesichter auf sich gerichtet, Guttorms, Karens, Ingrids und Thorbjörns. Verwirrt wie er war, ging er gerade auf sie zu, so daß er, ohne es selber zu wissen, bald von Angesicht zu Angesicht mit Thorbjörn selber stand; es schien, als wolle er sich sofort zurückziehn, aber es waren mehr Leute herzugekommen, und es ließ sich nicht so leicht bewerkstelligen. Dies trug sich gerade auf der Fliesenplatte zu, die vor der Fagerlidkirche liegt; oben auf der Schwelle zum Waffenhause war Synnöve stehngeblieben, während Sämund etwas weiter hinein stand; sie konnten, da sie höher standen, deutlich von allen draußen gesehn werden, wie auch sie alle sehn konnten. Synnöve hatte alles um sich her vergessen und stand da und starrte Thorbjörn an; dasselbe taten Sämund, seine Frau, die Leute aus Solbakken und Ingrid. Thorbjörn fühlte das und stand wie festgenagelt; Knud89 aber fühlte, daß er hier etwas tun müsse, und so streckte er denn die eine Hand ein wenig vor, sagte aber nichts. Thorbjörn streckte die seine ebenfalls ein wenig vor, jedoch nicht weit genug, daß sie einander hätten berühren können. »Hab Dank für –«, begann Knud, besann sich jedoch, daß das hier kein richtiger Gruß sei, und wich einen Schritt zurück. Thorbjörn sah auf, und sein Auge traf Synnöve, die weiß wie Schnee war. Er tat einen langen Schritt vorwärts, faßte Knuds Hand mit einem kräftigen Griff und sagte so laut, daß die Zunächststehenden es hören konnten: »Hab Dank für das letztemal, Knud! Vielleicht ist es für uns beide – gut gewesen.«
Knud gab einen Laut von sich, der ungefähr wie ein Schlucken klang, und es sah aus, als nähme er mehrmals einen Anlauf zum Sprechen, aber es kam nicht dazu. Thorbjörn hatte nichts mehr zu sagen, er wartete – sah nicht auf, sondern wartete nur. Es fiel indes kein Wort, und als nun Thorbjörn dastand und sein Gesangbuch in der Hand hin und her drehte, ließ er es unversehens fallen. Sofort beugte sich Knud hinab, nahm es auf und reichte es ihm. »Danke,« sagte Thorbjörn, der sich selbst hinabgebeugt hatte; er sah auf, da aber Knud wieder niedersah, dachte Thorbjörn, es ist wohl am besten, wenn ich gehe. Und so ging er denn.
Die andern gingen auch, und als Thorbjörn sich gesetzt hatte und nach einer Weile nach dem Frauenstuhl hinübersah, begegnete er Ingebjörgs Gesicht, die ihm mütterlich zulächelte, und Karen Solbakken hatte offenbar erwartet, daß er hinübersehn würde, denn in demselben Augenblick, als er das tat, nickte sie ihm dreimal zu, und als er darüber staunte, nickte sie noch dreimal, und zwar noch freundlicher als vorhin. Sämund, sein Vater, flüsterte ihm ins Ohr: »Das hatte ich mir gedacht.« – Sie hatten das Einleitungsgebet gehört und einen Gesang gesungen, jetzt stellten sich schon die Konfirmanden auf, als er ihm nochmals zuflüsterte: »Aber Knud wird es schwer, gut zu sein; laß es immer weit von Granliden bis Nordhaug sein.«
Die Konfirmation nahm ihren Anfang, der Geistliche trat vor, und90 die Kinder stimmten das Konfirmationslied von Kingo an. Sie alle auf einmal und allein so zuversichtlich singen zu hören – das pflegt die Leute zu ergreifen, namentlich die noch nicht so weit gekommen sind, daß sie sich ihres eignen Konfirmationstages nicht mehr erinnern. Wenn dann eine tiefe Stille folgt und der Geistliche, seit mehr als zwanzig Jahren ist es derselbe, derselbe, der wohl in einer stillen Stunde jedem einzelnen von ihnen einmal zum Guten geredet hat – wenn er nun die Hände über der Brust faltet und zu reden beginnt, so ist die Bewegung am höchsten. Die Kinder aber fangen an zu weinen, wenn der Pfarrer sich zu den Eltern wendet und sie auffordert, zu Gott für ihre Kinder zu beten. Thorbjörn, der noch vor kurzem dem Tode nahe gewesen war, und der dann später geglaubt hatte, er würde zeitlebens ein Krüppel bleiben, weinte viel, besonders aber als die Kinder ihr Gelöbnis ablegten und alle so fest überzeugt waren, daß sie es halten würden. Er sah nicht ein einziges Mal zum Frauenstuhl hinüber; aber nach dem Gottesdienst ging er zu Ingrid, seiner Schwester, hinüber und flüsterte ihr etwas zu, worauf er sich schnell durch die Menge und hinausdrängte – einige wollten wissen, er sei, statt die Landstraße einzuschlagen, am Bergesabhang entlang in den Wald hinaufgegangen; aber sie waren sich dessen nicht sicher. Sämund suchte nach ihm, gab es aber auf, als er sah, daß auch Ingrid verschwunden war. Er sah sich dann nach den Leuten von Solbakken um; diese liefen über den ganzen Friedhof und fragten nach Synnöve, von der niemand etwas gesehn hatte. Da zogen sie heim – jedes Paar für sich, und ohne ihre Kinder.
Weit voran auf dem Wege aber waren Synnöve und Ingrid. »Ich bereue es fast, daß ich mitgekommen bin,« sagte die erste. – »Es ist jetzt nichts Unrechtes mehr, seit der Vater darum weiß,« entgegnete die andre. – »Aber er ist doch nicht mein Vater,« sagte Synnöve. – »Wer weiß?« erwiderte Ingrid, und dann wurde über die Sache nicht mehr gesprochen. – »Ich glaube, es war hier, wo wir warten sollten,« sagte Ingrid, als der Weg eine große91 Biegung gemacht hatte und sie in einem dichten Walde standen. – »Er hat einen langen Umweg,« sagte Synnöve. – »Aber er ist schon da!« fiel Thorbjörn ein, der sich hinter einem großen Stein aufrichtete.
Er hatte sich im Kopfe alles zurechtgelegt, was er sagen wollte, und das war nicht wenig. Aber heute sollte es flott damit gehn, denn sein Vater wußte darum und wollte es, dessen glaubte er sicher zu sein nach dem, was vor der Kirche geschehn war. Und dann hatte er sich den ganzen Sommer so schrecklich gesehnt, da mußte es ihm doch jetzt leichter werden, mit ihr zu reden, als es bisher gewesen war. »Es ist am besten, wenn wir den Waldweg einschlagen,« sagte er, »der führt schneller vorwärts.« Die Mädchen sagten nichts, folgten ihm aber. Thorbjörn wollte mit Synnöve reden, meinte aber, es sei besser, zu warten, bis sie den Hügel erklommen hatten, und dann, bis sie an dem Sumpfe vorbei wären; als das alles aber glücklich überstanden war, meinte er, es sei das richtigste, anzufangen, sobald sie etwas weiter in den Wald hineingekommen wären. Ingrid, die offenbar der Ansicht war, daß es reichlich langsam mit ihnen ging, begann ihren Gang zu hemmen und blieb mehr und mehr zurück, bis sie fast nicht mehr zu sehn war. Synnöve tat, als merke sie es nicht, sondern begann hie und da eine Beere zu pflücken, die am Wegesrande stand.
›Es wäre doch merkwürdig, wenn ich nicht mit der Sprache herauskäme,‹ dachte Thorbjörn, und dann begann er: »Es ist doch heute noch schönes Wetter geworden.« – »Ja, das ist es geworden,« antwortete Synnöve. Und dann ging es wieder eine Strecke weiter; sie pflückte Beeren, und er ging neben ihr. – »Es war hübsch von dir, daß du mitkamst,« sagte er; darauf erwiderte sie aber nichts. – »Das ist ein langer Sommer gewesen,« sagte er, aber auch darauf erwiderte sie nichts. – ›Nein, solange wir gehn, kommen wir doch nicht zur Aussprache,‹ dachte Thorbjörn. »Ich glaube, wir tun am besten, wenn wir ein wenig auf Ingrid warten,« sagte er. – »Ja, laß uns das tun,« sagte Synnöve und blieb stehn;92 hier waren keine Beeren, nach denen sie sich hätte bücken können, das hatte Thorbjörn sehr wohl gesehn; Synnöve aber hatte sich einen langen Grashalm gepflückt und stand nun da und zog die Beeren auf den Halm.
»Heute mußte ich so viel an die Zeit denken, als wir zusammen zum Konfirmationsunterricht gingen,« sagte er. – »Ich mußte auch daran denken,« erwiderte sie. – »Es hat sich vielerlei seitdem ereignet« – und als sie nichts sagte, fuhr er fort: »Das meiste ist aber so gekommen, wie wir es nicht erwartet hatten!« – Synnöve zog ihre Beeren noch immer fleißig auf den Halm und hielt den Kopf bei der Arbeit geneigt; er rückte ein wenig beiseite, um ihr ins Gesicht zu sehn; aber als ob sie seine Absicht bemerkt hätte, wußte sie es so zu machen, daß sie sich nach der andern Seite wenden mußte. Da überkam ihn fast die Angst, daß er nichts herausbringen würde. – »Synnöve, du hast mir doch auch wohl ein wenig zu sagen?« Da sah sie auf und lachte: »Was soll ich sagen?« fragte sie. Da kehrte ihm der Mut zurück, er wollte sie um die Taille fassen, aber als er ganz nahe an sie herangekommen war, wagte er es nicht recht, sondern fragte nur ganz kleinmütig: »Ingrid hat wohl mit dir gesprochen?« – »Ja,« antwortete sie. – »Dann weißt du also etwas,« sagte er. – Sie schwieg. – »Dann weißt du also etwas,« wiederholte er noch einmal und kam ihr noch einen Schritt näher. – »Du weißt wohl auch etwas?« erwiderte sie – das Gesicht konnte er nicht sehn. – »Ja!« sagte er und wollte eine ihrer Hände ergreifen; aber sie war jetzt fleißiger als die ganze Zeit zuvor. – »Es ist so unangenehm,« sagte er, »daß du mir allen Mut raubst.« – Er konnte nicht sehn, ob sie dazu lächelte, und deswegen wußte er nicht, was er weiter sagen sollte. – »Kurz und gut!« rief er plötzlich mit lauter, wenn auch ein wenig unsichrer Stimme, »was hast du mit dem Zettel gemacht?« Sie antwortete nicht, sondern wandte sich ab. Er ging ihr nach, legte die eine Hand auf ihre Schulter und beugte sich über sie. – »Antworte mir!« flüsterte er. – – »Ich habe ihn verbrannt!«
Rasch umfaßte er sie und wandte sie zu sich herum, da aber sah er, daß sie dem Weinen nahe war, und nun verlor er den Mut und ließ sie los. – ›Es ist doch auch schlimm, daß sie immer gleich anfängt zu weinen,‹ dachte er. Als sie noch so dastanden, sagte sie leise: »Weshalb hast du den Zettel geschrieben?« – »Das hat Ingrid dir ja gesagt!« – »Freilich, aber – es war grausam von dir.« – »Der Vater verlangte es –« – »Trotzdem –« – »Er glaubte, daß ich mein Leben lang ein Krüppel bleiben würde; von jetzt an werde ich für dich sorgen, sagte er.«
Ingrid wurde unten am Hügel sichtbar, und nun begannen sie sofort wieder zu gehn. – »Es war mir, als sähe ich dich am deutlichsten vor mir, als ich glaubte, daß ich dich nie mehr bekommen würde,« sagte er. – »Man prüft sich selber, wenn man allein ist,« sagte sie. – »Ja, da fühlt man deutlich, wer die größte Macht über uns hat,« sagte Thorbjörn mit klarer Stimme und schritt ernsthaft neben ihr her.
Jetzt pflückte sie keine Beeren mehr. – »Willst du sie haben?« fragte sie und reichte ihm den Grashalm. – »Danke!« sagte er und hielt die Hand fest, die ihm die Beeren reichte. – »Dann ist es wohl am besten, wenn alles beim alten bleibt,« sagte er mit leise bebender Stimme. – »Ja,« flüsterte sie kaum hörbar und wandte sich ab. Sie gingen weiter, und solange sie schwieg, wagte er nicht, sie zu berühren oder zu sprechen; aber es war ihm, als habe sein Körper alle Schwere verloren, und er war deswegen nahe daran, zu träumen. Es flimmerte ihm vor den Augen, und als sie jetzt an einen Hügel kamen, von wo aus man Solbakken deutlich sehn konnte, war es ihm, als habe er dort sein ganzes Leben lang gewohnt, als sehne er sich jetzt dahin zurück. – ›Ich will sie nur gleich hinüberbegleiten,‹ dachte er und schöpfte Mut aus dem Anblick, den er vor sich hatte, so daß er mit jedem Schritt in seinem Vorsatz fester wurde. – ›Der Vater hilft mir,‹ dachte er; ›ich halte dies nicht länger aus, ich muß hinüber – ich muß!‹ – Und er ging schneller und schneller, sah nur gerade vor sich hin.94 Das Tal und das Gehöft lagen sonnenüberflutet da. – ›Ja, heute! Nicht eine Stunde länger will ich warten‹ – und er fühlte sich so stark, daß er nicht wußte, wohin er sich wenden sollte.
»Du läufst mir ja ganz fort,« hörte er eine sanfte Stimme hinter sich; es war Synnöve, die ihm kaum folgen konnte und es nun aufgeben mußte. Er wandte sich beschämt um, kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und dachte: ›Ich will sie hoch über meinen Kopf heben‹; als er aber nahe an sie herangekommen war, tat er es doch nicht. – »Ich gehe so schnell, ich,« sagte er. – »Ja, das tust du,« erwiderte sie.
Sie waren jetzt nahe an der Landstraße; Ingrid, die die ganze Zeit nicht zu sehn gewesen war, ging jetzt dicht hinter ihnen. – »Jetzt solltet ihr nicht länger zusammen gehn,« sagte sie. Thorbjörn zuckte zusammen, es kam ihm zu früh; auch Synnöve wurde es ganz wunderlich zumute. – »Ich hatte noch so viel, was ich dir sagen wollte,« flüsterte Thorbjörn. Sie mußte lächeln. – »Nun ja,« sagte er, »ein andermal.« Er nahm ihre Hand.
Sie sah mit einem klaren, innigen Blick zu ihm auf; es wurde ihm warm dabei, und es fuhr ihm durch den Kopf: Ich gehe sofort mit ihr! Da aber zog sie ihre Hand leise zurück, wandte sich ruhig zu Ingrid und sagte ihr Lebewohl; dann ging sie langsam bergab, der Landstraße zu. Er blieb zurück.
Die beiden Geschwister gingen durch den Wald heim. »Habt ihr euch denn jetzt ausgesprochen?« fragte Ingrid. – »Nein, der Weg war zu kurz,« sagte er und beschleunigte seinen Schritt, als wolle er nicht mehr davon hören.
»Nun?« fragte Sämund und sah vom Tische auf, als die beiden Geschwister in die Stube traten. Thorbjörn erwiderte nichts, sondern ging zu der Bank auf der andern Seite, offenbar um seinen Rock auszuziehn; Ingrid folgte ihm und lächelte. Sämund fing wieder an zu essen; von Zeit zu Zeit sah er zu Thorbjörn hinüber, der sehr beschäftigt zu sein schien, lächelte und aß weiter. – »Komm und iß,« sagte er; »das Essen wird kalt.« – »Danke, ich will nicht95 essen,« sagte Thorbjörn und setzte sich. – »So?« – und Sämund aß weiter. Nach einer Weile sagte er: »Ihr hattet es ja heute nach der Kirche sehr eilig!« – »Da war jemand, mit dem wir noch reden wollten,« sagte Thorbjörn und hockte auf die Bank nieder. – »Nun – hast du denn mit ihm gesprochen?« – »Ich weiß nicht recht,« entgegnete Thorbjörn. – »Das ist doch des Teufels,« sagte Sämund und aß weiter. Bald darauf war er fertig und stand auf. Er trat an das Fenster, blieb dort eine Weile stehn und sah hinaus, dann wandte er sich um: »Du, wir wollen hinausgehn und uns nach der Ernte umsehn.« – Thorbjörn erhob sich. – »Nein, zieh nur lieber etwas an.« – Thorbjörn, der in Hemdsärmeln dasaß, zog eine alte Jacke an, die über ihm an der Wand hing. – »Du siehst doch, daß ich die neue angezogen habe,« sagte Sämund. Thorbjörn tat desgleichen, und sie gingen hinaus, Sämund voran, Thorbjörn hinterdrein.
Sie gingen nach der Landstraße hinab. – »Wollen wir nicht nach der Gerste hingehn?« fragte Thorbjörn. – »Nein, wir wollen zu dem Weizen hinübergehn,« sagte Sämund. Gerade als sie auf die Landstraße einbogen, kam ein Wagen langsam dahergefahren. – »Das ist ein Nordhauger Fuhrwerk,« sagte Sämund. – »Das sind die jungen Leute aus Nordhaug,« versetzte Thorbjörn; die »jungen Leute« bedeutet aber soviel wie die Neuvermählten.
Der Wagen hielt, als er in die Nähe der Granlider gekommen war. – »Wirklich ein stolzes Frauenzimmer, diese Marit Nordhaug!« flüsterte Sämund und konnte den Blick nicht von ihr abwenden; sie saß ein wenig zurückgelehnt im Wagen, hatte ein Tuch lose über den Kopf gebunden und ein zweites um sich. Sie sah die beiden mit starrem Blick an; nichts bewegte sich in ihren reinen, kräftigen Zügen. Der Mann war sehr bleich und mager, er sah noch sanfter aus als sonst, wie jemand, der einen Kummer hat, über den er nicht reden kann. – »Ihr Leute wollt wohl das Korn ansehn?« fragte er. – »Wills glauben,« entgegnete Sämund. – »Es steht gut in diesem Jahr!« – »Ach ja – es hätte schlechter sein können.«96 – »Ihr kommt spät,« sagte Thorbjörn. – »Da waren so viele Frauenzimmer, von denen ich Abschied nehmen mußte,« sagte der Mann. – »Wie – willst du verreisen?« fragte Sämund. – »Ja, das will ich.« – »Geht die Reise weit?« – »Ach – ja!« – »Wohin willst du denn?« – »Nach Amerika!« – »Nach Amerika!« riefen beide Männer wie aus einem Munde – »ein jungvermählter Mann!« fügte Sämund hinzu. Der Mann lächelte: »Ich denke, ich bleibe der Nahrung wegen hier, sagte der Fuchs, da saß er im Fangeisen fest.« – Marit sah erst ihn und dann die andern an, eine leichte Röte huschte über ihr Antlitz, das aber sonst unverändert blieb. – »Deine Frau reist wohl mit?« fragte Sämund. – »Nein, das tut sie eben nicht.« – »Man sagt, es soll leicht sein, in Amerika zu Reichtum zu gelangen,« sagte Thorbjörn, er hatte das Gefühl, daß die Unterhaltung nicht ins Stocken geraten dürfe. – »Ach – ja,« erwiderte der Mann. – »Aber Nordhaug ist ein schönes Gut,« meinte Sämund. – »Es sind zu viele da,« erwiderte der Mann. Die Frau sah ihn abermals an. – »Der eine steht dem andern im Wege,« fügte er hinzu.
»Nun denn, glückliche Reise!« sagte Sämund und reichte ihm die Hand. »Gott gebe dir das, was du suchst!«
Thorbjörn sah seinem Schulkameraden scharf ins Auge: »Ich muß noch einmal mit dir sprechen,« sagte er. – »Es tut einem gut, wenn man mit jemand sprechen kann,« entgegnete der Mann und kratzte mit der Peitsche auf den Boden des Wagens.
»Komm zu uns herüber,« sagte Marit, und Thorbjörn wie auch Sämund sahn erstaunt auf: sie vergaßen immer, daß Marit eine so sanfte Stimme hatte.
Sie fuhren weiter; es ging langsam vorwärts, eine leichte Staubwolke wirbelte hinter ihnen auf, die Abendsonne fiel voll auf sie herab; gegen seine dunkeln Frieskleider hob sich ihr seidnes Tuch hell ab – dann kam ein Hügel, und sie verschwanden.
Vater und Sohn schritten lange schweigend dahin. – »Es ahnt mir, daß es lange währen wird, ehe er heimkehrt,« sagte Thorbjörn97 endlich. – »Es ist auch wohl so am besten,« meinte Sämund, »wenn man das Glück nicht im eignen Lande findet« – und dann schritten sie wieder schweigend dahin. – »Du gehst ja an dem Weizenacker vorüber,« sagte Thorbjörn. – »Wir können ihn auf dem Rückwege besehn!« – Und sie gingen weiter. Thorbjörn wollte nicht gern fragen, wohin es gehn sollte, denn jetzt hatten sie die Granlider Feldmark überschritten.
Guttorm und Karen Solbakken hatten schon gegessen, als Synnöve rot und außer Atem eintrat. »Aber mein liebes Kind, wo bist du nur gewesen?« fragte die Mutter. – »Ich blieb mit Ingrid zurück,« sagte Synnöve und blieb stehn, um ein paar Tücher abzulegen; der Vater suchte im Schrank nach einem Buche. – »Was hattet ihr beiden euch denn zu erzählen, daß es so lange dauerte?« – »Ach, nichts Besondres!« – »Dann wäre es doch sicher besser gewesen, du hättest dich zu den Kirchgängern gehalten, mein Kind!« – Sie erhob sich und setzte ihr zu essen hin. Als sich Synnöve zum Essen niedergesetzt und die Mutter ihr gerade gegenüber Platz genommen hatte, sagte sie: »Waren da etwa noch andre, mit denen du gesprochen hast?« – »Ja, da waren noch viele andre,« sagte Synnöve. – »Aber das Kind darf doch wohl mit den Leuten reden,« sagte jetzt Guttorm. – »Freilich darf sie das,« sagte die Mutter ein wenig freundlicher; »aber sie hätte sich doch zu ihren Eltern halten müssen.« – Hierauf wurde nichts erwidert.
»Das war ein gesegneter Kirchtag,« sagte die Mutter; »es tut einem gut, die Jugend vor dem Altare zu sehn.« – »Man denkt an seine eignen Kinder,« sagte Guttorm. – »Darin hast du recht,« versetzte die Mutter und seufzte, »niemand kann wissen, wie es ihnen ergehn wird.« – Guttorm saß lange schweigend da. – »Wir haben Gott für vieles zu danken,« sagte er endlich; »er hat uns ein Kind98 behalten lassen.« – Die Mutter saß da und zog mit dem Finger über den Tisch; sie sah nicht auf. – »Sie ist doch unsre größte Freude,« sagte sie leise; »sie ist auch gut geartet,« fügte sie noch leiser hinzu. Es entstand eine lange Pause. – »Ja, sie hat uns viel Freude gemacht,« sagte Guttorm, und mit weicher Stimme fuhr er nach einer Weile fort: »Der liebe Gott mache sie glücklich!« – Die Mutter fuhr wieder mit dem Finger über den Tisch, es fiel eine Träne darauf, die sie wegwischte. – »Warum ißt du nicht?« sagte der Vater, als er nach einer Weile aufblickte. – »Danke, ich bin satt,« antwortete Synnöve. – »Aber du hast ja gar nichts gegessen!« sagte nun auch die Mutter; »du hast einen weiten Weg gemacht.« – »Ich kann nicht essen,« erwiderte Synnöve und zog einen Zipfel ihres Busentuches heraus. – »Iß, mein Kind!« sagte der Vater. – »Ich kann wirklich nicht,« erwiderte Synnöve und fing an zu weinen. – »Aber liebes Kind, weshalb weinst du denn?« – »Ich weiß es nicht!« und sie schluchzte. – »Sie weint so leicht!« sagte die Mutter. Der Vater erhob sich und trat ans Fenster.
»Da kommen zwei Männer den Weg herauf,« sagte er. – »So? Um diese Zeit?« fragte die Mutter, und nun trat auch sie an das Fenster. Sie schauten lange hinab. – »Lieber, wer mag das sein?« sagte schließlich Karen, aber es klang nicht wie eine Frage. »Ich weiß es nicht,« erwiderte Guttorm, und sie standen da und schauten hinaus. – »Ich kann das nicht recht verstehn,« sagte sie. – »Ich auch nicht,« meinte er. Die Männer kamen näher heran. – »Sie müssen es doch sein,« sagte sie endlich. – »Ja, es wird wohl so sein,« versetzte Guttorm. Die Männer kamen immer näher heran, der ältere blieb stehn und schaute zurück, der jüngere ebenfalls; dann gingen sie weiter.
»Hast du eine Ahnung, was sie wollen mögen?« fragte Karen in demselben Ton wie vorhin. – »Nein, ich habe keine,« erwiderte Guttorm. Die Mutter wandte sich ab, trat an den Tisch, trug ab und räumte ein wenig auf. – »Du mußt dich wieder anziehn, Kind,« sagte sie zu Synnöve, »denn es kommen Fremde hierher.«
Kaum hatte sie das gesagt, als Sämund die Tür öffnete und hereinkam, Thorbjörn folgte ihm. – »Gesegnetes Beisammensein,« sagte Sämund, blieb einen Augenblick an der Tür stehn und ging dann sachte vor, um die Anwesenden zu begrüßen. Thorbjörn ging hinter ihm drein. Zuletzt kamen sie zu Synnöve, die noch hinten in einer Ecke mit ihrem Tuch in der Hand dastand und nicht wußte, ob sie es umbinden solle oder nicht; sie wußte wohl kaum, daß sie es in der Hand hielt. – »Ihr müßt zusehn, wie ihr einen Platz zum Sitzen findet,« sagte die Frau. – »Danke, es ist übrigens kein weiter Weg bis hierher,« sagte Sämund, setzte sich aber doch; Thorbjörn nahm neben ihm Platz. – »Ihr wart heute gleich weg nach der Kirche,« sagte Karen. – »Ja, ich habe nach euch gesucht,« entgegnete Sämund. – »Es waren viele Leute da,« sagte Guttorm. – »Ja, es waren sehr viele Leute da,« wiederholte Sämund; »es war auch ein schöner Kirchtag.« – »Ja, wir sprechen eben auch davon,« sagte Karen. – »Es ist so wunderlich, einer Konfirmation beizuwohnen, wenn man selber Kinder hat,« fügte Guttorm hinzu; seine Frau setzte sich auf die Bank. – »Das ist so,« sagte Sämund; »man wird veranlaßt, ernstlich über sie nachzudenken – und gerade das ist der Grund, weswegen ich heute abend noch hierhergeschlendert bin,« setzte er hinzu, sah sich zuversichtlich um, nahm ein neues Stück Kautabak und legte das alte sorgfältig in die Messingdose. Guttorm, Karen, Thorbjörn, alle wichen sich mit den Augen aus, jedes sah woanders hin. – »Ich dachte, ich wollte Thorbjörn nur lieber hierherbegleiten,« begann Sämund langsam; »allein wäre er wohl schwerlich so bald herübergekommen; auch fürchtete ich, er führe seine Sache nicht zum besten.« – Er sah Synnöve von der Seite an; sie fühlte seinen Blick. – »Es verhält sich nämlich so, daß er, seit er alt genug geworden war, daß er Verstand für so etwas hatte, sein ganzes Sinnen auf Synnöve gerichtet hat – und auch sie kann wohl nicht leugnen, daß sie ihm ihr Herz zugewandt hat. Aber da denke ich, es ist am besten, die beiden kriegen sich. – Ich war nicht sehr dafür, solange ich sah, daß er sich kaum100 selber regieren konnte, geschweige denn andre; aber jetzt, glaube ich, kann ich für ihn bürgen, und wenn ich es nicht kann, so kann sie es; denn sie hat jetzt doch wohl die größte Macht über ihn. – Was denkt ihr darüber, wollen wir sie zusammengeben? Es hat wohl noch keine Eile, aber ich weiß auch nicht, weshalb wir warten sollten. Du, Guttorm, bist in guten Verhältnissen, ich habe freilich nicht so viel und habe mehrere, unter die ich teilen muß, aber trotzdem denke ich, daß es sich machen läßt. Ihr müßt nun sagen, wie ihr hierüber denkt – sie frage ich zuletzt, denn ich glaube zu wissen, was sie will.«
So sprach Sämund. Guttorm saß zusammengesunken da – legte abwechselnd die eine Hand über die andre, machte mehrmals Miene aufzustehn, indem er jedesmal tiefer aufatmete; es gelang ihm aber erst beim vierten oder fünften Mal, da erst bekam er den Rücken gerade, strich sich mehrmals über das Knie und sah zu seiner Frau hinüber, doch so, daß sein Blick von Zeit zu Zeit Synnöve streifte. Diese rührte sich nicht, niemand konnte ihr Gesicht sehn. Karen saß am Tisch und strich mit dem Finger darüber hin. »Die Sache liegt ja so – daß dies ein gutes Anerbieten ist,« sagte sie. – »Ja, ich meine, wir müssen es mit Dank annehmen,« sagte Guttorm mit lauter Stimme, als fühle er sich sehr erleichtert, und sah von seiner Frau zu Sämund hinüber, der seine Arme gekreuzt und sich an die Wand gelehnt hatte. – »Wir haben nur diese eine Tochter,« sagte Karen, »wir müssen uns die Sache bedenken.« – »Dafür wird es Rat geben,« sagte Sämund, »aber ich wüßte nicht, was dich verhindern sollte, gleich zu antworten, sagte der Bär, als er den Bauern fragte, ob er seine Kuh bekommen könne.« – »Wir können wohl sofort antworten,« erwiderte Guttorm und sah zu seiner Frau hinüber. – »Es ist nur das eine zu bedenken, daß Thorbjörn ein wenig wild sein möchte,« sagte sie, aber ohne aufzusehn. – »Ich glaube, das hat sich geändert,« entgegnete Guttorm; »du weißt selber, was du heute gesagt hast.« – – Die Eheleute sahn nun eins das andre an; das mochte wohl eine ganze101 Minute währen. – »Wenn wir uns nur auf ihn verlassen könnten!« sagte sie. – »Ja,« nahm nun Sämund abermals das Wort, »was den Punkt betrifft, so muß ich wiederholen, was ich vorhin gesagt habe; die Fuhre wird gut gehn, wenn sie die Zügel führt. Es ist erstaunlich, was für eine Macht sie über ihn hat; das merkte ich damals, als er daheim bei mir krank lag und nicht wußte, ob es zur Genesung ginge oder nicht.« – »Du mußt nicht so schwierig sein,« sagte Guttorm; »du weißt, was sie selber will, und wir leben doch nur für sie!« – Da sah Synnöve zum erstenmal auf und sah den Vater innig und dankbar an. – »Ach ja,« sagte Karen nach kurzem Schweigen und fuhr ein wenig härter als bisher über die Tischplatte; »habe ich so lange widerstanden, so geschah es wohl, weil ich eine gute Absicht damit hatte. – – Ich war vielleicht nicht so hart wie meine Worte« – sie sah auf und lächelte, aber Tränen traten ihr in die Augen. Da erhob sich Guttorm: »So ist denn in Gottes Namen das geschehn, was mein liebster Wunsch hier auf dieser Welt gewesen ist,« sagte er und ging durch das Zimmer zu Synnöve hinüber. – »Ich bin deswegen nie besorgt gewesen,« sagte Sämund und erhob sich nun auch; »was zusammenkommen soll, kommt zusammen.« – Er ging auch hinüber. – »Nun, was sagst denn du dazu, mein Kind?« fragte die Mutter, die ebenfalls zu Synnöve herangetreten war.
Diese saß noch da; sie standen alle rings um sie herum, alle, mit Ausnahme von Thorbjörn, der auf demselben Flecke saß, wo er sich zuerst hingesetzt hatte. – »Du mußt aufstehn, Kind,« flüsterte die Mutter ihr zu. Sie erhob sich, lächelte, wandte sich ab und weinte. – »Gott sei mit dir jetzt und allezeit!« sagte die Mutter, schlang die Arme um sie und weinte mit ihr. Die beiden Männer gingen durch das Zimmer, jeder nach seinem Platz.
»Du muß zu ihm hingehn,« sagte die Mutter noch immer weinend, ließ sie los und schob sie sanft vorwärts. Synnöve tat einen Schritt, blieb aber stehn, weil sie nicht weiter zu gehn vermochte; Thorbjörn sprang auf und ging auf sie zu, ergriff ihre Hand und hielt102 sie fest, wußte nicht, was er weiter tun sollte, und blieb stehn, ihre Hand in der seinen, bis sie sie ihm leise wieder entzog. Dann standen sie still und schweigend nebeneinander da.
Die Tür wurde lautlos geöffnet, jemand steckte den Kopf herein. – »Ist Synnöve hier?« fragte eine schüchterne Stimme; es war Ingrid Granliden. – »Ja, sie ist hier; komm nur herein!« sagte der Vater. Ingrid zögerte ein wenig. – »Komm nur! hier ist alles in Ordnung!« fügte er hinzu. Jetzt sahen alle sie an. Sie schien ein wenig verlegen zu sein; »es ist noch jemand draußen,« sagte sie. – »Wer ist das?« fragte Guttorm. – – »Es ist die Mutter,« sagte sie leise. – »Laß sie hereinkommen!« riefen vier Stimmen auf einmal. – – Und die Frau auf Solbakken ging auf die Tür zu, während die andern sich glücklich ansahn. – »Du kannst getrost hereinkommen, Mutter,« hörten sie Ingrid sagen. Und dann trat Ingebjörg Granliden in ihrer weißen Haube herein. – »Ich merkte es wohl,« sagte sie, »obwohl Sämund nie etwas sagen kann; und da konnten Ingrid und ich es nicht länger aushalten, wir mußten hierherkommen.« – »Ja, hier ist alles so, wie du es haben willst,« sagte Sämund und trat beiseite, damit sie zu ihnen herankommen könnte. – »Gott segne dich, daß du ihn zu dir hingezogen hast,« sagte sie zu Synnöve, umarmte sie und streichelte sie; »du hast bis zum äußersten festgehalten, du, mein Kind; es kam doch so, wie du wolltest.« – Und sie streichelte ihr Haar und Wangen, die Tränen rannen ihr über das Gesicht; sie achtete nicht darauf, sondern trocknete nur sorgfältig Synnöves Tränen ab. – »Ja, es ist ein guter Junge, den du bekommst,« fuhr sie fort, »und nun bin ich seinetwegen ohne Sorge!« – und sie zog sie noch einmal an sich. – »Mutter weiß mehr in ihrer Küche als wir andern, die wir mitten darinstehn,« sagte Sämund.
Das Weinen und die Erregung beruhigten sich allmählich. Die Hausfrau fing an, an das Abendessen zu denken, und bat die kleine Ingrid, ihr zu helfen, »denn Synnöve taugt heute abend zu nichts«. Und so machten diese beiden sich daran, Sahnegrütze zu kochen.103 Die Männer vertieften sich in ein Gespräch über die diesjährige Ernte und was es sonst gab. Thorbjörn hatte sich abseits ans Fenster gesetzt, und Synnöve trat lautlos zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wonach siehst du?« flüsterte sie. – Er wandte den Kopf herum, sah sie lange und zärtlich an und dann wieder hinaus. – »Ich sehe nach Granliden hinüber,« sagte er; »es ist so wunderbar, es von hier aus zu sehen!«
Druck der Piererschen Hofbuchdruckerei, Altenburg.
1 Solbakken = Sonnenhügel.
Weitere Anmerkungen zur Transkription
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.
Korrekturen:
End of Project Gutenberg's Synnöve Solbakken, by Björnstjerne Björnson *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SYNNÖVE SOLBAKKEN *** ***** This file should be named 49050-h.htm or 49050-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/9/0/5/49050/ Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. 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